Kultureller
Kapitalismus
Seit
der großen Ressourcen- und Technologiekrise in den 70er Jahren und der
zunehmenden Sättigung der nationalen Märkte mit standardisierten Produkten, ist
in den Ländern des Westens der Ort der industriellen Produktion mehr und mehr
durch den Ort der Konsumtion von diversifizierten Waren, der Informa-
tionsindustrie,
Imageproduktion und dem Management (Controlling) ersetzt worden. Mit diesen
Verschiebungen eng verbunden ist die Entwicklung jener internationalen
Arbeitsorganisation, die mit einer Spaltung zwischen hochqualifizierten und
meist weißen, männlichen WissensträgerInnen und den gering qualifizierten meist
weiblichen Arbeitskräften des globalen Südens operiert. Dieser
vergeschlechtlichten und zeiträumlich gespaltenen Arbeitsorganisation zwischen
Symbol- und Wissensproduktion im Westen und Warenproduktion im Süden wurde von
feministischer Seite in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt.
Gleichzeitig siedelte sich aber auch in den westlichen Metropolen eine
Hinterhofproduktion an, in deren räumlicher Nähe auch kleinteilig organisierte
ImageproduzentInnen zu finden sind. Wie die Arbeitsverhältnisse in die
aktuellen sozio-ökonomischen Bedingungen kulturell und strukturell eingebettet
sind, werde ich im Folgenden zu skizzieren versuche.
Der
britische Soziologe und Kulturwissenschaftler Stuart Hall beschrieb bereits
Anfang der 80er Jahre die Transformation in den kapitalistischen Gesellschaften
des Westens am Ende des 20. Jahrhunderts als ökonomischen und deutlich
kulturellen Wandel. Grosse Bereiche der Wirtschaft werden heute von
multinationalen Firmen des Westens dominiert. Im Unterschied zum Fordismus
handelt es sich bei den neuen »Weltmarktfabriken« jedoch nicht um große
Werkshallen mit zentralisierter Massenproduktion. Vielmehr basiert die
Globalisierung der Produktion multinatio-naler Konzerne auf »Subunternehmen«,
die netzwerkförmig über den Globus verteilt sind. In Mittelame-
rika,
Teilen von Nord-Afrika, Afrika, Ost-Asien und nach 1989 ebenfalls vermehrt in
Osteuropa hat die Dezentralisierungsstrategie transnationaler Unternehmen diese
exportorientierten »Weltmarktfabriken« gefördert. Die transnationalen Konzerne
zum Beispiel in der Bekleidungs-, Schuhindustrie und im Elektroniksektor setzen
dabei auf billige, unorganisierte junge weibliche Arbeitskräfte. Auch in den
Grenzregionen der Festung Europa wird in den ehemaligen Fabriken des
Staatssozialismus nun für 100 Euro im Monat
EU-Markenware
produziert – vor allem von Frauen, die doppelt unterbezahlt sind. In den
meisten Fabri-
ken
sind Gewerkschaften verboten. Derartige Niedriglohnstandorte werden dabei als
Investoren- und EU-freundliches Klima verkauft und von den PolitikerInnen der
zentral- und südosteuropäischen Länder durchgewunken.
In
den westlichen Gesellschaften übernimmt heute demgegenüber die Konsumtion eine
führende Rol-
le
für die Mehrwertgenerierung. Auswahl und Produktdifferenzierung, Vermarktung,
Verpackung und Design, die Orientierung auf Zielgruppen von Kon-
sumentInnen
nach den Kriterien von Lebensstil, Geschmack und Kultur sind zum wachsenden
Wirtschaftssektor geworden. Dabei ist die Diversifizierung vom Produkt
(industriell gefertigte Massenware) zum Brand (zum kulturell aufgeladenen
Markenartikel) ein zentrales Kennzeichen der heutigen Verschiebung in den
Kapitalverhältnissen, die auch einen deutlichen Effekt auf die
Arbeitsorganisation im Westen und im globalen Süden hat. Über diesen
ökonomischen Aspekt hinaus stellt die Betonung des Konsums neue
Identifikations- und Disidentifikationsmöglichkeiten bereit, die Subjektivität
und Kollektivität nicht nur im Westen neu ordnet. In den aktuellen
Globalisierungsprozessen kommt Konsum zudem eine zentrale Bedeutung zu, da durch
ihn visuelle Kulturen transportiert werden, die hybride lokale Ausformungen
finden. In dieser Aneignung wird aber, so meine These, die Bedingung
hergestellt, die für das global agierende Kapital produktiv wird.
Im
Gesamten haben die neuen globalen Kapitalverhältnisse zu einem »Melt Down« der
öffentlichen Institutionen und des politischen Diskurses geführt; doch haben
auch hier populäre und theoretische Diskurse sowie Bild- und Symbolproduktionen
auf das Marketing, die politische Debatte und ökonomische Entscheidungen
maßgeblich Einfluss gewonnen. Einerseits für die Durchsetzung neuer
ökonomischer Trends, andererseits für die Verschleierung der Bedingungen unter
denen diese Ökonomie aufrechterhalten wird. Zeitgenössische TheoretikerInnen
sprechen daher bereits vom »Cultural Capitalism«. Der französische Ökonom Yann
Moulier Boutang formte den Begriff des »kognitiven Kapitalismus«.
Imagepolitiken
Obwohl
die Terrains Konsumtion / KonsumentIn und Produktion / ProduzentIn ganz
offensichtlich ineinander greifen, werden sie in unserem Alltag in den
Metropolen des Westens, unserem Erfahrungs- und Erlebnisraum jedoch weiterhin
als autonome Zonen inszeniert. Die damit einhergehende symbolische Ordnung
reguliert unsere Wahrnehmung und damit die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von
Ungleichheitsverhältnissen, Emanzipationsbewegungen und deren Zusammenhänge.
Der Ort der Produktion von Waren scheint in unseren westlichen Gesellschaften
kaum noch erfahrbar, während der Handel mit Waren sehr offensichtlich im
Vordergrund steht. Geographisch ausgelagert in die Länder des Südens und Ostens
können wir die dort stattfindenden Arbeitsverhältnisse nur noch erahnen. Wir
sind nun bereits davon überzeugt nicht mehr selbst betroffen zu sein. Die neuen
Formen der Produktion von Informationen und Bildern scheinen uns die
Perspektive zu verstellen, dass die Symbolproduktion ebenfalls eine Industrie
ist, die auf Ungleichheit basiert. Ferner fällt aus dem Blickfeld, dass die
verbleibende manuelle Produktion von der Hausarbeit bis hin zu den neuen
Hinterhofproduktionen auch in den westlichen Metropolen brutal ethnisiert
hierarchisiert ist.
Die
informell strukturierten Produktionszweige, die vor allem auf weibliche und
migrantische Arbeitskräfte zurückgreifen, siedeln sich nicht mehr nur in den
klassischen Billiglohnländern an, sondern verstärkt wieder in den westlichen
Industriestaaten. Die restriktiven Zuwanderungs- und Asylgesetzgebungen in
EU-Europa unterstützen diese Entwicklung. In Belgien hat beispielsweise die
Verweigerung des juristischen Status für MigrantInnen, Asylsuchende und sog.
GastarbeiterInnen dazu geführt, dass um den »Gare du Midi« in Brüssel ein neues
Viertel entstehen konnte, das »Bermuda Dreieck« der Textilindustrie genannt
wird. Hier arbeiten Menschen ohne Papiere, die ein, zwei oder gar dreißig Jahre
in Belgien leben, für Dumpinglöhne (zwei Euro die Stunde). Diese kleinteiligen
Produktions- und Zulieferbetriebe stehen mit einer europäischen Politik in
Zusammenhang, die zwar keine Papiere, aber prekäre Beschäftigung – sprich
»Sweatshops« – zulässt.
Daher
scheint es zunehmend wichtig, den Zusammenhang zwischen Symbol- und
Warenproduzierender Industrie zu betonen, um den ethnisch hierarchisierten
Charakter nicht nur als Teilaspekt der neuen Kapitaltverhältnisse begreifen zu können.
Denn die Zunahme prekärer Beschäftigung in unseren Städten scheint weiterhin
der allgemeinen Wahrnehmung entzogen zu sein, bzw. wird über das neoliberale
Versprechen des individuellen Entscheidungsprozesses und dem scheinbar
uneingeschränkten Zugriff auf Waren und Lebensstile verschleiert.
Auf
den unauflöslichen Zusammenhang von neuer lokaler und globaler
Arbeitsorganisation und emotionaler Bindung an Marken verweist auch der
Gewerkschaftsvertreter der GBI Schweiz, Mehmet Akiol, im Zusammenhang mit der
Textilherstellerin Calida. Akiol weist darauf hin, dass die in der Schweiz
verbleibende
Textilindustrie heute vor allem auf Migrantinnen zurückgreift. Auf diese Weise
könnte der Produktionsdruck erhöht, neue Arbeitsorganisationsformen (Lean
Production, Just in Time, Gruppenarbeit) und Niedriglöhne durchgesetzt werden.
Akiol ist der Auffassung, dass sich die mangelnde Öffentlichkeit für die Kämpfe
der Arbeiterinnen in der Schweiz nicht ausschließlich mit rassistischem und
sexistischem Konsens erklären lasse. Die Traditionsmarke Calida sei zu sehr mit
positiven Bedeutungen aufgeladen, um die Medien dafür gewinnen zu können, über
die dort herrschenden Verhältnisse zu berichten, z. B. wenn sie den für
verbesserte Arbeits- und Lohnbedingungen eintretenden Arbeiterinnen sofort
kündige: »Made in Switzerland« stehe als Garant für Qualität, mit der sich auch
Auslagerungen der Produktion nach Ungarn und nach Tschechien verschleiern
ließen.
Der
Subjektive Faktor
Images,
Geschmackswerte, Lifestyle-Konzepte und Ideen sind zu einem Rohstoff geworden.
Firmen wie Nike stehen symbolisch für diese Transformation von einem
Turnschuhhersteller zum mythisch aufgeladenem Label. Mit unterschiedlichen
kulturellen Strategien, dem Involvieren von AkteurInnen in Subszenen, der
Kreation von Labelwelten und trendigen Subjektvorstellungen baut die neue
Ökonomie nicht mehr so sehr auf technische Innovation, um neue Absatzmärkte zu
schaffen, als vielmehr auf die entsprechende Vermarktung und Kreation einer
Glaubensgemeinschaft. Schaut man sich die Investitionen genauer an, mit denen
beispielsweise Nike, Adidas, Gap ihre Waren produzieren lassen, so kommt man
auf eine Gewinnabschöpfung von 400 % allein durch das Subcontracting. Diese Gewinne,
durch Outsourcing (und die Verknechtung von Frauen weltweit) erwirtschaftet,
finden sich in den Bilanzen jener Ausgaben wieder, die in die Imageindustrie in
den westlichen Metropolen investiert werden, um den Mythos der Marke zu
kreieren.
Marketingstrategien
sind zu wesentlichen Akteurinnen geworden, wenn es um die Gestaltung unseres
kulturellen Umfeldes, von Lifestyles und der Definition dessen geht, wie sich
eine Gesellschaft beschreibt, fühlt und aussieht. Auf der anderen Seite kann
dieser Mehrwert nicht ohne die aktive Partizipation der KonsumentInnen
entstehen. So handelt es sich bei der Werbung und ihrer Wirkung nicht einfach
um eine behavioristische 1 : 1 Kommunikation. Vielmehr sind kulturelle
Produktionen und Geschmackswerte auf viel komplexere Art mit den Entscheidungen
der KonsumentInnen verhangen. Einerseits werden Wissen und Geschmackswerte
bereits vorausgesetzt, andererseits versuchen Kampagnen die KonsumentIn in
vielfacher Weise zum Handeln zu bewegen, ohne dies im Sinne der Disziplin zu tun,
sondern durch die Produktion von spezifischen Begehren.
Am
Beispiel der Turnschuh-
hersteller
Adidas und Nike wird deutlich, dass das Sichtbarwerden
minoritärer
Gruppen für den Spätkapitalismus produktiv geworden ist. Sportswear feiert
seine größten Erfolge in den Jugendkulturen, im Hip Hop, der Technoszene, in
der MigrantInnenkultur. Dies nicht allein deswegen, weil die Werbeagenturen so
geschickt agieren, sondern weil die Codes und Bedeutungen der vorhandenen
Konsumgüter von den unterschiedlichen Gruppierungen überarbeitet und umgedeutet
werden. Die bri-
tische
Soziologin Marie Gilles-
pie
untersucht eine solche Aneignungspraxis am Beispiel indisch-britischer
MigrantInnenkultur, in der durch die Kombination verschiedener »traditioneller«
und »modischer« Kleidungsformen neue politische Artikulationsformen für junge
Frauen und Männer entstehen können. Den Jugendlichen
erscheint
die eigene altersspezifische Kultur als eine kosmopolitische, im Gegensatz zur
als konservativ, lokal definierten Kultur der Erwachsenen. Das Aneignen von
vorhandenen Kulturgütern produziert so Bedeutungsverschiebungen in der
bürgerlichen Ikonografie. Das was als Begehren produktiv wird, sind (auf der
Zeichenebene) keine natürlichen Körper, keine traditionellen Konzepte von Männlichkeit
und Weiblichkeit, nicht Herkunft oder Schönheit, vielmehr der breite Wunsch
nach Nicht-Authentizität, das eigene Dorf, die lokalen Limitierungen hinter
sich zu lassen, überall Metropole sein zu können, Nicht-nur–man-selber-sein zu
wollen. Spezifische Subjek-
tivierungsprozesse
spielen daher eine aktive Rolle
innerhalb
der Mehrwertproduktion, die mit dem Konsum von Waren und deren De-codierung in
Zusammenhang stehen.
Identitätspolitische
Brechungen sind so für die heutige Mehrwertgenerierung wie auch für neue
Subjektivierungsformen
»produktiv« geworden und zu einer neuen Form der Arbeit (am Selbst) trans-
formiert,
die auch auf dem Markt veräußert werden kann. Das Ökonomische hat sich radikal
in die in-
formellen
Terrains des Sozialen und in die Subjektivierungsprozesse selbst verschoben.
Das, was in der klassischen Ökonomie als das »Soziale und Kulturelle« galt,
kann nun Teil des monetarisierten Wirtschaftens sein oder dieses antreiben. So
wie jedeR UserIn durch seine subjektiv motivierte Teilnahme am IT-Hype,
vergleichbar
mit Einschaltquoten im Fernsehen, das neue Business mitproduziert, so sind die
Bedeutungsverschiebungen in der bürgerlichen Ikonografie (des neu-
zeitlichen
Pop-Subjekts) ein willkommenes Partizipationsmodell der New Economy und ihrer
Bilderwelten. Dieser kulturellen oder sozialen Seite der Mehrwertproduktion im
Spätkapitalismus wird jedoch immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt,
obwohl sie in direktem Verhältnis zu den Ausbeutungsverhältnissen im Trikont
und der Feminisierung der Güterproduktion steht.
Hinterhof,
In
den westlichen Metropolen hat sich durch die Betonung des Konsums eine
expandierende »Kreativindustrie« und eine neue Generation von Freelancern
formiert, die Bilderwelten kreieren. In dieser meist selbstorganisierten
Beschäftigungsform, die in loser Abhängigkeit rund um die Imageproduktion der
Werbe- und Multimediaagenturen situiert ist, vermischen sich Arbeit, Freizeit,
Lifestyle, Leistung und Selbst-Motivation.
Nicht
nur das Selbstverständnis dieser Tätigkeit, das sich im bohemeistischen
Lebenstil den Vorstellungen eines KünstlerInnenlebens annähert, ist dabei
bemerkenswert. Auch die Verschiebungen und Verunsicherungen, die diese neuen
hochmotivierten KreativarbeiterInnen in die klassische Arbeits- und
Ausbeutungsbegrifflichkeit einbringen, sind betonenswert. KreativarbeiterInnen
arbeiten selbständig und organisieren sich für Aufträge unterschiedlichster
Kunden in kleinen und kleinsten Einheiten, häufig auch nur als Einzelperson.
Die Zusammenarbeit mit anderen ProduzentInnen (beispielsweise Sound,
Illustration) existiert in diesen Ad-hoc-Projekten gegebenenfalls nur für die
Dauer des bestimmten Vorhabens. Sobald der »Job« erledigt ist, löst sich der
Zusammenhang auf in jene Netzwerke von Freundschaften und Beziehungsgeflechten,
die für den nächsten Auftrag als »Vermögen« genutzt werden können. Nicht nur
die eigene Auftragsorganisation und das eigene Lebensmanagement vermischen sich
hier, Arbeit und Leben fallen in eins und Freundschaften werden zu
Arbeitsbeziehungen. Auch in diesem Sinne wird das Soziale ökonomisiert und
wirtschaftstauglich.
Prekäre
Beschäftigung, Hyperausbeutung, hohe Mobilität und hierarchische Abhängigkeiten
vom Auftraggeber bis hin zur Sub-MitarbeiterIn kennzeichnen diese Form
metropolitaner »immaterieller« Arbeit. Dabei wird das Ad-hoc Verhältnis zu
einem Kunden oftmals zu einem identitären Projekt. Einen coolen Auftraggeber
mit einem interessanten Projekt zu haben, steht für die Entscheidung und
Identifikation mit der zu leistenden Arbeit an erster Stelle, denn hier lässt
sich »kultureller Mehrwert« generieren. Die hohe Identifikation mit der
temporären Tätigkeit, die auch Überstunden und Nachtarbeit vergessen lassen,
helfen so auch in den westlichen Metropolen Lohndumping in der Szene und die
eigene Position in den globalen Produktionsbedingungen zu verschleiern.
Multimedia- und Grafikjobs können allerdings, wie meine Rechereche in diesem
Feld zeigen, durchaus einen Klassensprung ermöglichen. Sie weisen aber, selbst
wenn dies immer wieder angenommen wird, noch keine nennbare transgressive
Geschlechterdynamik auf. Dies hat zum großen Teil mit der auf
Computertechnologie basierenden Form der Arbeit und dem traditionellen
Verhältnis von Männern und Frauen zur Technik zu tun, welches auch in dem
informellen Feld weiter wirkt.
Das
Erscheinungsbild der WissensträgerInnen des Westens hat sich – traut man den
Zahlen der statistischen Bundesämter – schleichend vom Bild des erfolgreichen
Bankangestellten hin zum freelancenden Computernerd und Multimediadesigner
verschoben. Er stellt in hohem Masse die Imageproduktion für das globale
Kapital bereit und lebt seine anti-bürgerlichen Motive über temporären
Geldbesitz, sowie freiberufliche Produktionsverhältnisse aus. In den
Standortmarketingetagen der Metropolen (Berlin, London) steht heute diese sog.
»Kreativindustrie« an oberster Stelle der Inszenierung eines jugendlich
innovativen Stadtbilds und eines ökonomisch zukunftsträchtigen Trends. Eine
Gesellschaft, deren Wirtschaft Vollbeschäftigung nicht mehr garantiert, greift
so auf jene neue (Image-)ArbeiterInnenklasse zurück, deren Motivation sich
gerade gegen das alte geschlechterdichotomische Arbeitsregime der »9 to 5« Jobs
der Disziplinarzeit auflehnte, ohne in entsprechende Ausbildungswege investiert
zu haben oder temporäre Einkommenslosigkeit auch nur anzuerkennen. Erwerbsloses
Einkommen, Sozialleistungen, wie etwa Mutterschutz, sind im Feld der Freelancer
Fremdwörter. Betrachtet man aktuelle Zahlen im deutschsprachigen Raum, zeichnet
sich die Tendenz ab, dass selbstständige Tätigkeiten und das damit
verbundene
Selbstmanagement bereits zum Normalarbeitsverhältnis geworden sind. Die
»ArbeitskraftunternehmerIn« steht als Leitbild für eine Workfaregesellschaft,
in der sich alle selbst um ihre Be-
schäftigung
zu kümmern haben, statt weniger Lohnarbeit und Umverteilung von Reichtum
einzufordern. Eine genauere Analyse des Kulturellen Kapitalismus und der
Kulturgesellschaft eröffnet so auch neue Fragen an zukünftige
Politisierungsformen.
Der
avancierte Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts ist einerseits in seiner
globalen Dynamik im Kontext der sich verschiebenden Praxis und Bedeutung von
Konsumtion und Produktion zu verstehen. Andererseits ist postmodernes
Konsumverhalten der Versuch, et-was anderem ähnlich zu werden; das Begehren
nach einem »Kosmopolitischen Lebensstil«, der mit pop- und subkulturellen
Versatzstücken aufgeladen ist und sich auch in den neuen selbstbestimmten
Arbeitsverhältnissen der »Kreativindustrie« als Antriebskraft verorten lässt.
So schafft das neue »Empire«, wie Toni Negri und Michael Hardt es bezeichnen,
Hegemonie nicht über Universalität, sondern über Differenz, über die
Subjektivierung selbst und errichtet seinen ökonomischen Anspruch über die
Partikularität spezifischer Begehren. Gleichzeitig sind weltweit
Arbeitsverhältnisse zunehmend geschlechtlich segregiert und ethnisch
hierarchisiert.
Diese
Erkenntnis kann aber dennoch nicht heißen, Partikularität und Subjektivierung
einfach zu verwerfen. Vielmehr könnte es gerade um die Multiplizierung und
Diversifizierung des Begehrens gehen, die in der Konsumgesellschaft – im
Gegensatz zur Industriegesellschaft – angelegt sind, die nicht-originäre und
nicht-normative Subjektpositionen entfaltet und nicht mehr der traditionellen
heterosexuellen Dichotomie in ihrer eurozentrischen Ausformung entsprechen.
Ohne eine Mobilisierung der in prekären Arbeitsverhältnissen Beschäftigten und
ohne eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Marginalisierung, Repräsentation
und Ausbeutung wird sich in diesem Zusam-
menhang
jedoch keine politische Bewegung etablieren können. Hierzu gilt es, eine
dezidierte Kritik gegen die Staatspolitik der Illegalisierung von Papierlosen
und eine klare Position für die Bürgerrechte von MigrantInnen einzunehmen.
Radikal
verabschieden sollten wir uns von jener Moral der Lohnarbeit, in der Geldbesitz
und Konsum immer an die Zurichtung und Kontrolle der Subjekte im Sinne einer
weissen Normgesellschaft und deren »privates« Eigentum geknüpft ist. Neue
Formen der Kollektivität und eines nicht heteronormativen Zusammenlebens sind
heute mehr denn je erstrebenswert, ebenso wie eine radikale Kritik an der Kom-
modifizierung
lebensweltlicher, sozialer und intellektueller Artikulation durch die neue
Dynamik des
Kapitals.
Marion
von Osten
Die
Abbildungen stammen aus dem Projekt e-distrust.net von Peter Spillmann, Zürich
2000: www.e-distrust.net/edentities.html
[
txt ]
¬ Hall, Stuart (1989 / 2000): Die
Bedeutung der Neuen Zeiten. In: Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt,
Hamburg
Hardt,
Michael / Negri, Antonio (2000): Empire. Cambridge Ma.
¬ McRobbie, Angela (1999): Kunst, Mode
und Musik in der Kulturgesellschaft. In: Das Phantom sucht seinen Mörder: Ein
Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie (Hrsg. Justin Hoffman, Marion von
Osten), Berlin.
¬ Talpade Mohanty, Chandra (1998):
Arbeiterinnen und die globale Ordnung des Kapitalismus: Herschaftsideologien,
gemeinsame Interessen und Strategien der Solidarität. In: Globalisierung aus
Frauensicht, Bilanzen und Visionen (Hrsg. Ruth Klingebiel , Shalini Randeria),
Bonn,
¬ Musiolek, Bettina (1998): Ich bin
chic, und Du musst schuften. Frauenarbeit auf dem globalen Modemarkt, Frankfurt
a. M.