diskus 1/98

Postkoloniale Kritik, Literatur und Filmtheorie – zwischen diesen Feldern bewegt sich Trinh T. Minh-ha. Ihre kritischen Revisionen gelten vor allem Fragen der Repräsentation, kultureller Identitäten und gesellschaftlicher Autorität. Die Feministische Philosophinnengruppe am Fachbereich Philosophie hatte mit Unterstützung des Zentrums für Frauenstudien Trinh T. Minh-ha vom 30. November bis zum 2. Dezember 1997 nach Frankfurt eingeladen. Im Rahmen des Kolloquiums wurden auch eine Reihe ihrer Filme gezeigt, u.a. »Surname Viet Given Name Nam«, auf den sich der folgende Beitrag bezieht. (Red.)

find the gap
Trinh T. Minh-ha und der Sprung in die Lücken

»Ich bin nicht nur Hier und Jetzt, in die Dingheit eingeschlossen. Ich bin für anderswo und für anderes. Ich fordere, daß man mein negierendes Tun berücksichtige (...). In jedem Augenblick muß ich mich daran erinnern, daß der wahre »Sprung« darin besteht, die Erfindung in die Existenz einzuführen.«
Frantz Fanon

Stimmen, Schrift, Detailaufnahmen. Figuren, die Figuren spielen. Ineinander verwobene, aufeinander verweisende und gerade dadurch doch voneinander getrennte Filmelemente. Bilder des Films wirken ausgefranst, weggeglitscht. Sie werden fragmentarisch überlagert durch andere, durch Stimmengewirr und Schweigen. Ton und Bild verhalten sich gegenläufig; sie drängen sich nicht auf, sondern wollen von der BetrachterIn weitergesponnen werden.

Die Kamera sucht ihr Objekt, gleitet über Gegenstände, Landschaften, Formen, bis sie es gefunden hat, in der Großaufnahme eines sprechenden Mundes, erzählenden Händen, Farben ... sucht weiter und findet ... sucht ... findet ...

Trinh T. Minh-has Filme irritieren. Sie stiften Unruhe und lassen einen nervös auf dem Kinosessel he-rumrutschen. So wenig scheint verständlich, vieles ungewohnt.

»Surname Viet Given Name Nam« – so heißt der Titel eines Films, den Trinh T. Minh-ha 1989 inszenierte. Er wirkt zunächst wie ein Dokumentarfilm: Interviewt werden traditionelle Vietnamesinnen im sozialistischen Nordvietnam. Sie tragen entsprechende Kleidung. Auf dem Boden sitzend erzählen sie über ihre Arbeit, über Beziehungen, Unterdrückungserfahrungen. In einem zweiten Teil entpuppen sich die Interviewten als moderne, in Kalifornien lebende Frauen. Sie berichten jetzt über ihr Leben in den achtziger Jahren, als in den USA lebende Frauen, als Flüchtlinge, als Verheiratete. Die zuvor getragene Kleidung wird nun als Ver-Kleidung bedeutet. Es wurde geschauspielert. Was damit anfangen?

Bilder von etwas wurden gezeigt: von Vietnamesinnen, von us-amerikanischer Lebensweise, vom Vi-etnamkrieg, von Flüchtlingen ... nie aber treffen die Bilder das, was wirklich ist.

Sowohl filmisch als auch in ihren Schriften diskutiert Trinh Fragen der Repräsentation, der Identitätskonstruktionen, der Grenzen der Vermittelbarkeit sowie einer widerständigen Ästhetik. Diese spezifische Form der Auseinandersetzung muß mit ihrem inhaltlichen Fokus zusammengedacht werden. Sie setzt an einer postkolonialen Perspektive an und entfaltet aus dieser Situation heraus ihre Kritik.

Splitter postkolonialer Theorie
Trinh wird verortet im Feld von »postcolonial studies«. Was sich dahinter verbirgt, läßt sich aber nicht griffig definieren. Es sind vor allem Blicke auf die Welt, die asymmetrische und ungleichmäßige Kräfteverhältnisse kultureller Repräsentation fokussieren. Ihren Ausgangspunkt finden sie im Kontext und Erbe des Kolonialismus. Interveniert wird in jene Diskurse, die der Ausbeutung und der Ausgegrenztheit von kulturellen Erzählungen bestimmter Gruppierungen den Anstrich von Normalität zu verleihen suchen. Das qualitativ Neue besteht in erster Linie darin, daß Kolonisation und Entkolonialisierung als Prozesse verstanden werden, die nicht nur die Kolonialisierten (materiell und kulturell) geprägt haben, sondern – wenn auch in anderer Form – die Kolonialisierenden selbst. ›Vielleicht sollte ich nochmal klarer formulieren, was ich hier meine (...) daß das Marginale jetzt nicht mehr außerhalb vom Zentrum gedacht wird, sondern beides gleichzeitig (...) besser vielleicht so: Die Kolonialisierung ereignete sich keineswegs nur außerhalb der imperialen Machtzentren, sondern diese waren stets von ihr durchzogen?Also:‹ Anders ausgedrückt: Die Kolonialisierung ereignete sich keineswegs nur außerhalb der imperialen Machtzentren, sondern diese waren stets von ihr durchzogen. Die Pointe dieses Gedankengangs liegt in dem Schluß, daß der Kolonialisierungsprozeß unbeabsichtigte Nebenfolgen zeitigte, die in der Gesellschaft der KolonisatorInnen potentiell die Möglichkeit einer antikolonialen politischen Praxis bereit stellte. ›Könnte hier die Sans Papier Bewegung als ein Beispiel passend sein?‹ Postkoloniale Perspektiven verweigern sich daher Versuchen, das Verhältnis von »Erster« und »Dritter« Welt als binäre Opposition zu denken. Sie verdeutlichen auch, daß es zu einfach ist, sich gesellschaftliche Widersprüche und Ungleichheiten ausschließlich um die Achse Lohnarbeit-Kapital gebündelt zu denken. Vielmehr sind die Grenzlinien wesentlich vielfältiger und komplexer. Postkoloniale Ansätze sind vor diesem Hintergrund eine Kampfansage an alle totalisierenden Gesellschaftserklärungen.

Gemeinsam ist allen postkolonialen Überlegungen die Annahme, daß politische und kollektive Subjekte keine natürlichen Gegebenheiten sind, sondern diskursiv konstruiert. Sie werden erzählt und in der Rede gehalten, die immer schon von historisch-spezifischen Machtkonstellationen durchsetzt ist. Kultur wird dabei verstanden als Ort des sozialen Kampfes zwischen ›oder: um?‹ Repräsentationspraxen von Gesellschaft, Subjekt, Geschichte etc ... Narrative Muster, Formen und Inhalte von Erzählungen sind dabei zentraler Bestandteil. Wesentlicher Dreh- und Angelpunkt postkolonialer Theorie ist deshalb die Absicht, die Erzählweisen zu verändern – »to change the narratives«; einerseits die narrativen Strukturen zu modifizieren, andererseits radikal andere und neue Geschichten zu erzählen. Die Gretchenfrage postkolonialer Theorie kreist daher darum, ob es überhaupt möglich ist, andere Geschichten zu erzählen und damit soziale Machtverhältnisse zu verändern. ›Mir ist dabei nicht ganz klar, wie das Verhältnis von Erzählung und sozialer Praxis gedacht wird, Geschichten erzählen als soziale Praxis selbst oder zunächst jeweils getrennt voneinander, aber mit Rück- bzw. Wechselwirkung. Frau Bronfen z.B. vertritt wahrscheinlich eher letzteres, Herr Bhabha ersteres?‹ Daß eine Bejahung dieser Frage denkbar scheint, liegt vor allem im radikalen Bruch postkolonialer Theorie mit westlichen Vorstellungen einer linearen, kohärenten Geschichtsschreibung begründet. Querstehend zu diesen westlichen Erzählungen wurden hier insbesondere drei Annahmen stark gemacht:

(1) Das Subjekt wird als in sich gespalten gedacht, als sprechendes und gesprochenes. Das gespaltene Verhältnis verweist auf eine Lücke bzw. einen Nicht-Ort des Subjekts und eine Zeitlichkeit, in der das Ausgesagte nie das Aussagende einholen kann. Das Ich, das spricht, ist von daher nie identisch mit dem Ich, das gesprochen wird. Jedes Subjekt ist damit sich selbst immer schon voraus und erfaßt sich als Subjekt permanent nur rückblickend.

(2) Die Gegenwart wird nicht positiv verstanden im Sinne einer vollen Präsenz. Sie wird hingegen begriffen als Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft. Daher zeichnet sie ein unterbrochender, zerrissener Charakter aus. Die Repräsentation der Geschichte als geradlinig und bruchlos wird deshalb als nachträgliche Einklammerung interpretiert. Allerdings, so die Idee, lassen sich nicht alle Spuren dieser Einschreibung in die zeitlichen Lücken und Löcher verwischen.

(3) Auch die Sprache selbst ist in sich gespalten. Die Inhaltsseite des Zeichens (Signifikat) wird nie getroffen von dem sprachlichen Ausdruck (Signifikant); seine Bedeutung gewinnt ein Begriff innerhalb eines weitläufigen, machtdurchzogenen Netzes an Signifikanten; die Verknüpfungen des Netzes sind aber nicht unaufknotbar festgezurrt.

Wichtig scheint für die folgenden Überlegungen dabei vor allem zu sein, daß auf den drei unterschiedlichen Ebenen – Subjekt, Zeitbegriff, Sprache – »Lücken« zu finden sind, die auf eine Ambivalenz zurückgehen, die in den Begriffen selbst angelegt sind.

Konstitutiv für Prozesse der Subjektkonstitution sowie der Bedeutungsproduktion sind dabei immer auch spezifische Ausschlußmechanismen: Das, was scheinbar nur benannt wird, ist immer schon und überhaupt erst über bestimmte Ausschlüsse hervorgebracht. Die Benennung und Hervorbringung eines Subjekts vollzieht sich über Einschreibungen und Markierungen, die gleichzeitig andere verwirft.

Ausgehend von dem Gedanken, daß es Klüfte, Spalten und Differenzen innerhalb zeitlicher, räumlicher und sozialer Dimensionen gibt, setzt sich »Hybridität« (Bhabha) in den 80er Jahren innerhalb postkolonialer Konzepte durch und wird zu einem Schlüsselbegriff: Indem nämlich das Ausgeschlossene (»Minderheiten«) seine Stimme in eben dem Diskurs zum Tönen bringt, der es ausgegrenzt hat, kann sich ein dritter Ort öffnen (der der Lücke und des Bruchs), der es ermöglicht, den hegemonialen Diskurs subversiv zu verändern und damit gleichzeitig soziale Praktiken (Bsp: HipHop). Hybrid ist alles, was sich die – dem kolonialen Diskurs immanenten – Widersprüche und Ambivalenzen zu eigen macht, um sich über das Bestehende hinwegzusetzen.

Dabei ist relevant, daß Hybridisierung als eine Strategie des kolonialen Diskurses selbst gedeutet wird und nicht etwa außerhalb oder jenseits eines diskursiven Machtfeldes verortet wird: »Wenn wir das Resultat kolonialer Macht in der Produktion von Hybridisierung sehen und nicht in der hegemonialen Herrschaft kolonialer Autorität oder der stummen Verdrängung indigener Traditionen, findet ein wichtiger Perspektivwechsel statt. Er offenbart die Ambivalenz am Ursprung traditioneller Diskurse über Autorität und ermöglicht eine Form der Subversion, die in dieser Unsicherheit gründet und die diskursiven Zustände der Herrschaft in den Nährboden der Intervention verwandelt« (Bhabha zit. nach Mackenthun 1996: 376).

»Speaking nearby«
»Ich hingegen denke, daß jeder Film, den einer macht, eine Flasche ist, die man ins Meer wirft«
Trinh T. Minh-ha

Trinh versucht, Fragmente postkolonialer Kritik mit dem Medium Film (und Literatur) zu verbinden. Sie setzt sowohl die Mittel als auch die gewählten Objekte derart in Beziehung, daß ihre Methode als solche und die Inszenierung selbst transparent werden. Motiviert sind ihre Filme durch die Absicht, sich einer westlichen Repräsentationskultur zu widersetzen, die auf einem dualistischen, asymmetrischen Verhältnis von Subjekt und Objekt aufbaut. Sie will die SprecherIn nicht über etwas reden lassen, sondern zu etwas; denn über etwas sprechen hieße, über den Gegenstand als Objekt verfügen zu können, ihn zu vereinnahmen; hieße auch, »wahre« Aussagen über das »Andere« zu treffen, um darüber die herrschende Position der Definitionsmacht zu sichern.

»Wahrheit ist das Instrument der Herrschaft, die ich über die Bereiche des Unbekannten ausübe, während ich sie im Gehege des Bekannten sammle« ( Trinh 1995: 5). Im Film verweise jedes Element auf ein anderes in seiner Umwelt und gleichzeitig führe es ein »Eigenleben«. Sobald man ein Wort, einen Ton oder ein Bild als Gedankeninstrument verwende, sei es genau dieses »Eigenleben«, das durch die Einfassung verloren ginge, da es letztlich nicht ausdrückbar sei. ›Hä? Was heißt denn da Eigen-leben? Schleichen sich hier doch ontologische Versatzstücke ein? Gibt es doch etwas »Eigentliches« hinter dem Ausgedrückten?‹ Es sei insofern eine Herausforderung und Provokation, nicht über, sondern in der Nähe von etwas zu sprechen. Ein Sprechen, das sich indirekt artikuliert, »sich selbst reflektiert und einem Subjekt sehr nahe kommen kann, ohne es jedoch zu beanspruchen oder sich seiner zu bemächtigen. Kurzum, ein Sprechen, das, sobald es abgeschlossen ist, lediglich Momente eines Übergangs aufweist, die wiederum weitere mögliche Momente eines Übergangs erschaffen« (Trinh 1995: 68). Trinh löst das »speaking nearby« weniger durch das, was im Film gesagt wird, als vielmehr durch die angewandte Methode ein. Die Art und Weise des Sprechens verändere die Aussage selbst. Visuell wird dies umgesetzt durch die Verzerrung und Überlagerung von Formen und Bildern, verbal durch den Einsatz poetischen Sprechens, ebenso wie durch das Sprechenlassen vieler Stimmen zugleich. Ein weiteres wichtiges Mittel ist die Art, wie Trinh die Kamera einsetzt: Sie läßt die Kamera suchen, so daß für die Zuschauerin transparent wird, es wird hier inszeniert; hinter der Kamera steht eine Person, die Bilder und Objekte auswählt. Das Medium und seine Grenzen werden immer mitgedacht. Trinh kritisiert z.B. am klassischen Dokumentarfilm, daß er Au-thentizität behaupte, so tue, als ob er die wirkliche Wirklichkeit treffen könnte, dabei könnten eben nur annähernd Aussagen über Phänomene, Beziehungen, Gegenstände gemacht werden.

Prinzipiell geht sie davon aus, ... ›Nein, jetzt leg ich sie fest, so soll das nicht klingen, das wäre paradox vor dem Hintergrund ihrer Theorie, also:‹ Sie geht davon aus, daß selbst da, wo das »speaking« nearby in die Schablonen des Direkten hineinzufallen droht, das Indirekte präsent bleibt und sich so einer direkten Lesart verweigert.

Trinh versteht ihr filmisches Instrumentarium nicht als eine klar umrissene Methodik. Vielmehr handelt es sich eher um einen Hinweis auf eine Methode, die versucht, bestimmte Fragen unter verschiedenen Aspekten und in unterschiedlichen Zusammenhängen zu diskutieren. Für sie bedeutet diese spezifische Form der Auseinandersetzung mehr als nur das Inszenieren von verbalen und filmischen Kunstkniffen. sie ist »das Ganze eine Lebenseinstellung, ein Weg, um sich selbst in Relation zur Welt zu setzen« (68).

Die Frage der Identität
»Ich bin nicht ich werde du und ich selbst«
Trinh T. Minh-ha

Trinh versteht das Ich nicht als eine absolute und homogene Entität, sondern in sich verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht... als in sich selbst unendliche Schichten. Das Ich ist nicht nur different von anderen, sondern auch in sich selbst komplex und gespalten. »Eine kritische Differenz zu mir selbst heißt, daß Ich nicht ich bin, im ich eingeschlossenen und ausgeschlossen. Ich/ ich kann Ich sein oder ich, du und ich selbst sind beide miteinbezogen. Wir (mit einem großen W) schließt/ schliessen mich manchmal ein, manchmal aus. Du und Ich sind nah, wir sind verflochten« (31). Das Verhältnis zu »Anderem«, der Zwischenbereich und die Verbindungslinien bestimmen, was Identität ausmachen kann. Exemplarisch führt sie hier asiatisch-amerikanische Identitätsweisen an1. Wesentlich seien dabei die Fäden in und zwischen (in/ between) »asiatisch« und »amerikanisch«: »Die Herausforderung der Bindestrich-Realität liegt im Bindestrich selbst« (1996:154). Identitäten seien immer hybride, d.h. notwendig so zu deuten, daß unterschiedliche Erfahrungs- und Seinsweisen gleichzeitig gedacht werden können. Das »Ich« erhält eher den Charakter einer Situation, ohne damit ins Beliebige oder Abstrakte zu verfallen. Dadurch, daß das Subjekt nicht von einem substantiellen Kern aus gedacht wird, widersetzt sie sich nachdrücklich essentialistischen Subjektkonzeptionen. Ihr Subjektverständnis erlaubt es Trinh, von Identität als »Ort neuerlichen Abreisens« (re-departing) zu sprechen: Die Totalität von Identität ist permanent aufgeschoben, die Gesamtheit der »Ichs« ist ins Unendliche verlagert. Es geht in jedem Augenblick um ein Abreisen, Fortgehen, einen erneuten Aufbruch, Umstieg; Bewegung wird zum zentralen Moment des Subjekts.

In dem Film »Surname Viet Given Name Nam« sind beispielsweise die gespielten Figuren als solche erkennbar. Zunächst findet man sich in einer Szene vor, in der eine traditionelle Vietnamesin über ihr Leben spricht. Man denkt sich ein in die Worte einer Frau, einer Frau vom Lande, einer Vietnamesin, einer Verheirateten. Später ist dieselbe Person eine moderne Frau in den USA, die die traditionelle lediglich gespielt hat. Sie wird gezeigt im Kreise ihrer FreundInnen in der Kneipe, in ihrem Alltag. Es wird plötzlich klar: Es wurde eben geschauspielert, das war ja gar nicht »echt«. Und es drängt sich dann die Frage auf: Ist denn nun wenigstens die moderne Frau authentisch oder wird hier wieder »nur« inszeniert? Die Frage der Identität könnte bis in die »Unendlichkeit« fortgesetzt werden. Irgendwann verkehrt sie sich ins Absurde oder eher nach innen: Was heißt denn eigentlich Identität? Wie wird sie vermittelt? Wozu wird sie eingesetzt?

Die Frage der Politik
»Es (gibt) keine sprechende Person, die unpolitisch ist«
Trinh T. Minh-ha

›Das klingt unausgesprochen so, als wollte ich jetzt eine Reihe aufmachen: Die Frage der Identität, die Frage der politischen Praxis...hm, aber irgendwie geht´s auch um Kultur, wobei es ja auch gerade hier keinen Sinn macht, Politik und Kultur als sich gegenüberstehend zu denken; sie in eins aufgehen zu lassen, kann aber auch Probleme mit sich bringen, oder?‹

Trinhs Theorie hybrider Kulturen geht weit über Konzepte kultureller Vielfalt (Multikulti) hinaus, erlauben diese doch weiterhin, Kultur als Objekt ab-schließbaren Wissens und Verstehens zu begreifen, d.h. Kulturen als homogene Einheiten zu verdinglichen. »Wenn Multikulturalismus und kulturelle Vielfalt (...) zugelassen werden, taucht nicht ganz unerwartet die Gefahr auf, kontrolliert und integriert zu werden. Autorisierte Marginalität bedeutet, daß die Produktion der »Differenz« überwacht werden kann, das heißt sie kann auskuriert, neutralisiert und depolitisiert werden« (157) Trinh gebraucht hingegen eine Denkweise, die die Ränder von Kulturen als produziert und durchlöchert erscheinen läßt. Grundsätzlich lehnt sie aber den Rückgriff auf konstruierte Kollektividentitäten nicht ab, seien sie doch als strategisches Mittel in sozialen Kämpfen häufig sinnvoll. Die Frage, wann sich jemand (etwa in Begriffen der Ethnizität, des Alters, der Klassenzugehörigkeit, des Geschlechts oder der Sexualität) »markieren« und wann sich jemand solchen Markierungen entschieden verweigern sollte, bleibt nach Trinh weiterhin an spezifische Orte, Zusammenhänge, Be- dingungen sowie an die Geschichte des Subjekts in einer bestimmten Situation gebunden.

Allerdings wollen sowohl Trinhs Filme als auch ihre Schriften dazu auffordern, präsentierte Antworten erneut in Bruchstücke und Fragen zu zerlegen. Ihre Absicht ist es, etablierte Modelle und starre Machtkonstellationen auseinanderzunehmen. Hinterfragen, Skepsis und Zweifel werden bei ihr zur permanenten Aufgabe und Herausforderung. Die Geschichten und Erzählungen sollen gestört, ver-stört werden. Trinh regt dazu an, eben diese Erzählungen, z.B. von Subjekt, Kultur und Wissen, dadurch zu verändern, indem man sie erneut erzählt, aber in die Neuerzählung eine Differenz einfügt; wieder zu benennen, um zu ent-nennen; indem man die Lücken nutzt, die in der Wiederholung von Erzählungen potentiell virulent werden und in diese hineinspringt, um Diskurse zu ver-schieben. »Verschieben ist eine Art des Überlebens. Es ist eine unmögliche, wahrhafte Geschichte des Lebens zwischen den Wahrheitsregimen. Die Verantwortung, die dieses bunt-gescheckte Dazwischen-Leben impliziert, ist eine höchst kreative: die Verschiebende bewegt sich fort, indem sie immerzu Differenzen in die Wiederholung einführt. Indem sie immer wieder all das hinterfragt, was als selbstverständlich gegeben gilt, indem sie sich selbst und die anderen an die Unveränderbarkeit der Veränderung selbst erinnert«(12).

Filmisch versucht Trinh, Lücken zu provozieren, indem sie die filmischen Elemente so in Beziehung setzt, daß Intervalle entstehen. Das Intervall zwischen Tönen, zwischen Ton und Bild, zwischen Bild und Bedeutung. Sie produziert und arbeitet mit einer Praxis der Distanz. Möglicherweise mit der Überraschung und der Irritation, denn die routinisierte Richtung des Denkens und der Wahrnehmung wird gebrochen. Es kann »anders« weitergedacht, gesponnen werden und gleichzeitig wird die gewöhnliche, übliche Denkweise in Frage gestellt. Man tritt zu »sich« in Distanz und guckt, wie man geguckt hat. Neue Räume werden geöffnet, die die Möglichkeit einer Verschiebung, eines Verstörens – wenn auch nur minimal – schaffen könnten.

...was tun, denn?
Don´t mind the gap...

›Und das ganze Konzept auf seine eigenen Lücken hin noch einmal überdenken?‹

mc subway


x 1 x In Nordamerika ist es gängige Praxis, ImmigrantInnen und ethnische Minderheiten durch ihre Herkunft zu kennzeichnen, wie z.B. African-Americans, Asian-Americans. Die damit Stigmatisierten werden auch zusammenfassend »hyphenated Americans« (Bindestrich-AmerikanerInnen) genannt.

Literatur:
xx Bhabha, Homi K. 1996: Postkoloniale Kritik. Vom Überleben der Kultur. In: Das Argument 215/96, S. 345-359
xx Trinh T. Minh-ha 1996: Über zulässige Grenzen. Die Politik der Differenz. In: Fuchs, Brigitte/ Habinger, Gabriele (Hrsg.): Rassismen & Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen. Wien, S.148-160
xx Dies. 1995: Texte, Filme, Gespräche. München
xx Mackenthun, Gesa 1996: »E Pluribus Unum?« Die Position der USA im postkolonialen Diskurs. In: Das Argument 215/96, S. 373-379

Filmographie:
xx »Reassemblage«, Senegal, 1982, 40 min, 16 mm
xx »Naked Spaces – Living is Round«, Westafrika, 1985, 135 min, 16 mm
xx »Surname Viet Given Name Nam«, 1989, 108 min, 16mm
xx »Shoot for the Contents«, China, 1991, 101 min, 16 mm
xx »A Tale of Love«, USA, 1995, 108 min, 35 mm