diskus 1/98

ein editorial ist ein editorial und sonst nichts

In solchen Situationen gilt es viel nachzudenken, zweifellos; ein heikles Unterfangen, aber unausweichlich – eine Begründung ist zu finden, ein Programm, eine Positionierung. Wieso jetzt, wieso so, wie genau? Warum eine Zeitschrift, warum den diskus?! Will den eigenen Ansprüchen gerecht werden, muß mich auch wappnen, gegen Fragen, Einwürfe, Kritik, am Ende vernichtende Kritik. Don’t get caught. Also.

editorial: Es gibt ihn wieder, den diskus! Die Zeiten für eine linke Zeitschrift scheinen auch an den Hochschulen schlecht zu stehen. Immer spärlicher werden Zusammenhänge, in denen sich an so fixe Ideen wie Selbsorganisation, Gesellschaftskritik und eine entsprechende politische Praxis anknüpfen läßt. Statt den universitären Betrieb gründlich in Grund und Boden und in Frage zu stellen, steht man angesichts »neoliberaler« Umstrukturierungsoffensiven mit dem Rücken an der Wand des Status quo.

So häufig in linken Flugblättern und sogar dem ein oder anderen Seminar konstatiert wird, daß Hochschule und der Wissenschaftsbetrieb gesellschaftliche und politische Orte sind, so wenig schlägt sich diese ehrwürdige Erkenntnis im alltäglichen Handeln nieder. Nichtsdestotrotz nehmen wir hiermit ein Projekt auf, das den Anspuch erhebt, Hochschule und Gesellschaft (und deren Zusammenhang, selbstredend) radikal zu kritisieren. Auf daß die Linke aus ihrer gegenwärtigen Defensive heraus eine offensivere Haltung einnehmen kann.

Grauenhaft, Pathos frißt mich auf. So wird das nichts. Next try.

editorial: Es gibt ihn wieder, den diskus! Ein Anliegen der Redaktion ist es, – da es uns in absehbarer Zeit nicht praktikabel erscheint, alle gesellschaftlichen Verhältnisse abzuschaffen, in denen der Student ein geknechtetes, unterdrücktes und verächtliches Wesen ist – sich vehement gegen schlecht ausgestattete Bibliotheken und den Kapitalismus im Allgemeinen zu richten. Dem gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem Polizei, Esoterik, schlagende Väter und Burschen sowie Fit for Fun-Firmenbosse ihren jeweiligen überdeterminierten Platz einnehmen, kann man sich zwar nicht ohne weiteres entziehen – wir wollen ihn freilich trotzdem nicht. Stattdessen, soviel Wagemut muß sein, halten wir unerbittlich an dem Gedanken der freien Assoziation freier Individuen fest.

Trotz solch’ Taschenspielertricks passiert’s: Die Wiederkehr des verdrängten Klartexts. Vielleicht mit etwas Nüchternem beginnen. Ist schließlich nicht der erste Auftritt, damals noch unter floristischem Pseu-donym; hübsche Inszenierung, viele Blumen und so; wohlwollendes, gar politisiertes Publikum; war ja auch spontan, aus der Situation heraus. Fand mich selbst ein wenig verhalten. Inzwischen habe ich einen Namen, bin leidlich ausgestattet und für ein Jahr engagiert.

editorial: Es gibt ihn wieder, den diskus! Der diskus ist die Zeitschrift der verfaßten Studierendenschaft der Frankfurter Universität und war die letzten Jahre verschütt’ gegangen. Hier eine kurze Geschichte der jüngsten Ereignisse: Gegen Ende der Achtziger hatte eine rechte AStA-Koalition den diskus eingestellt. Nach dem Hochschulstreik 88/89 begann eine neue Redaktion mit einer satten StuPa-Mehrheit der Linken Liste im Rücken ihre Arbeit und lieferte ein paar Nummern ab, die sich sehen lassen können. Ende 92 haben sie aufgehört, um fortan Die Beute zu machen, die es – seitdem das Redaktions-Kollektiv aufgelöst wurde – in alter Form nun auch nicht mehr gibt. Die nächste diskus-Redaktion gründete sich 1993, brachte aber nur eine Ausgabe zustande. 1994 bewarb sich eine linke Gruppe vergeblich um die HerausgeberInnenschaft – die damalige StuPa-Entscheidung wird doch nicht etwa politisch motiviert gewesen sein ... ?

Keine der wechselnden StuPa-Mehrheiten der letzten Jahre hatte ein ernsthaftes Interesse am Erscheinen des diskus. Dies mag damit zu tun haben, daß sich die Hochschulgruppen immer mehr dem Parteienspektrum angeglichen haben: orientiert an studentischer Standesvertretung und ausgestattet mit eigenen bundesweiten Organen waren sie weder auf ein zusätzliches Theorie- und Diskussionsforum angewiesen, noch hatten sie jenseits der alljährlichen Stimmabgabe eine Basis, die ein solches Projekt hätte tragen können. Nicht, daß wir glauben, an dieser Situation hätte sich etwas verändert, trotzdem: Es gibt ihn wieder, den diskus. Ende letzten Jahres fand sich eine Gruppe zusammen, die mit dem hibiskus in die Hochschulproteste zu intervenieren versuchte. Der Redaktionszusammenhang hat sich über den Streik gerettet und bildet jetzt die diskus-Redaktion.

Das ist doch kein Einstieg. Kein Pepp... Es ist vertrackt: Die Leute, die den diskus früher schon kannten, wird’s vor Langeweile aufs Sofa legen. Kann heute aber keine Kenntnis des diskus mehr voraussetzen. Wird ja auch immer schwieriger mit dem Publikum. Früher wußtest du, wo deine Clubs sind, bist hin, hast deine Sachen erzählt, fertig. Heute mußt du suchen, um dein Publikum zu finden. Aber willst du das überhaupt? Als könnte ich wissen, wer’s lesen wird.

Müßte ja eigentlich dringend was zum Verhältnis zur Hochschule sagen. »Wie hältst Du’s mit der Hochschule, Genossin?« und so. Auch das, kompliziert, kompliziert.

editorial: Es gibt ihn wieder, den diskus! Der diskus ist eine Zeitschrift an der Hochschule und glänzte traditionell durch einen Abstraktionsgrad, der allzuoft ins Hermetische abrutschte. Theoretisierungen gesellschaftlicher Verhältnisse erachten wir für notwendig (sonst haut uns doch der Positivismus tot!), akademischer Duktus soll aber draußen bleiben. Darüber hinaus halten wir Theorieproduktion selbst für ein wichtiges Feld, in dem es zu agieren und Position zu beziehen gilt. Für fatal hielten wir es allerdings, wenn Theorie gleichgesetzt wird mit dem, was sich als wissenschaftliche Theoriebildung verkauft. Reflexionen finden an allen möglichen Orten statt; Wissenschaft ist darin nur eine mögliche Form und sicher nicht die Beste.

Unserem Anspruch nach geht es um eine Zeitschrift, die Praxis theoretisch anleitet + die Theorie praktischer Kritik aussetzt + praktische Praxis theoretisiert und reflektiert + theoretische Theorie reflektierend praktiziert + dabei nie die Wechselwirkungen außer acht läßt. Aber eigentlich sind wir der Ansicht, daß Theoriebildung selbst Praxis, ja politische Praxis ist, jede Trennung insofern eine künstliche ist (auch hierfür dürfte die bürgerliche Gesellschaft Verantwortung tragen!).

Bin doch abstrakt. Muß mich verorten, in Raum, Zeit, Geschichte und dergleichen. Das Projekt hätte ‘nen langen Schatten hörte ich, immer wieder; fast mystisch. Hey, folks, laßt mich doch mit Eurem Schatten in Ruh’.

editorial: Es gibt ihn wieder, den diskus! Die geneigten LeserInnen werden fragen, von welcher theoretisch-politischen Position aus denn hier operiert werden soll. Dieser Anspruch führte allzu oft zu Bestimmungen dessen, was denn die wahren, guten und schönen Positionen seien, um alle anderen als die Falschen, Bösen und Häßlichen zu outen; genügend Projekte in Sachen Missionierungseifer, Distinktionswahn und selbstgefälligem Autismus.

Die eindeutigen Standpunkte, von denen aus man einst in klarem Ton klare Botschaften verkünden zu können glaubte, sind mehr als fragwürdig geworden. Radikale Kritik hat gegen eine Vielzahl von Herrschaftsverhältnissen anzugehen. Und selbst das ist eine Phrase. Auf eine – apodiktisch verkündete – Linie wollen und können wir uns nicht festlegen. Wenig ist so langweilig und daneben, wie ein Organ vonwemauchimmer zu sein. Insofern: Es gibt Schwierigkeiten und begründete Unlust, eine Programmatik zu formulieren. Nur soviel: Wir verstehen die Zeitung als Diskussionszusammenhang der politischen ›Neo-Linken‹ (gut gelabelt), orientiert an radikaler Hochschul- und Gesellschaftskritik – so, Duftmarken sind gesetzt.

In diesem Heft finden sich die Schwerpunkte Hochschule/Streik/Bildung, Innerstädtische Umstrukturierung (beide Themen knüpfen an Artikel im hibiskus an) und Renationalisierung am Beispiel der Ausstellung »Aufstand des Gewissens«.

Wichtig ist uns, in engem Kontakt zu anderen Projekten und Gruppen zu stehen und deren Positionen zu diskutieren bzw. zur Diskussion zu stellen – aktuell beispielsweise der Innenstadtaktion oder der Kampagne kein Mensch ist illegal.

Entgegen einer Kraut&Rüben-Konzeption findet sich in diesem Heft der Versuch, Debatten aufzugreifen und in Schwerpunkten, bzw. aufeinander verweisenden Beiträgen zu organisieren. Mit dieser Konzeption wollen wir Beliebigkeit und fröhlichem Pluralisieren möglichst entgehen. Pluralismus schmeckt wie Eintopf und der – alte Kinderweisheit bekanntlich scheiße.

Jesses, Derbheiten zum Schluß. Allen, die immer noch Antworten auf große Fragen erwarten, sei entgegengeschleudert: Schaut Euch doch das Heft an, ich bin eine Situation, ein Kräfteverhältnis und ein Prozeß.

Me, the diskus.

Redaktion diskus.
Edit or die.