diskus 1/98

»Erinnern macht frei«
Aufstand des nationalen Gewissens

Knapp ein Jahr nach der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«, die allein in Frankfurt ca. 100.000 Menschen besucht hatten, gab es nun am gleichen Ort (Paulskirche) den »Aufstand des Gewissens«. Diese demselben Themenkomplex angehörige Schau, war als Antwort auf die Ausstellung des Hamburger IfS konzipiert.

Daß dies kein Zufall war und was diese Gegenüberstellung beabsichtigte, war das Thema der Rede Klaus von Dohnanyis, die er, nach der Ausladung Hans Mommsens, zur Eröffnung der Ausstellung hielt. Mit Dohnanyi, Sohn einer der Hingerichteten des 20. Juli 1944, fand sich die Idealbesetzung in der Dramaturgie der Inszenierung des geläuterten Büßers Deutschland.

Die Bewältigung der Vergangenheit bewertet Dohnanyi in seiner Eröffnungsrede als zentrales Interesse der gegenwärtigen BRD, werden doch »fast wie bei einem Vorbestraften (...) alle heutigen Vorgänge in Deutschland von der übrigen Welt aus dieser Perspektive gesehen.«1 Deshalb ist auch nicht verwunderlich, daß Dohnanyi einen Wandel in der Beschäftigung mit der Vergangenheit als mehr als überfällige Leistung begrüßt. »Die Schrecklichkeit war aber letzten Endes auch der Grund dafür, daß kein Volk in der Welt sich so intensiv und – wie die Goldhagen-Debatte in Deutschland gezeigt hat – auch so bereitwillig mit den dunklen Schatten seiner Geschichte auseinandergesetzt hat wie wir Deutsche.« So lautet Dohnanyis Fußnote zur Goldhagen-Debatte.

Das »wahre« Bild der Nazizeit sei aber nicht vollständig, wenn nur die Verbrechen, nicht aber der Widerstand dargestellt würden. »Ihn darzustellen und zu erinnern ist von gleichrangiger Bedeutung.«

Die Besonderheit seiner Bewertung der nationalsozialistischen Vergangenheit liegt in der Strategie des offensiven Pluralismus. Indem er der Ausstellung des IfS und der Untersuchung Raul Hilbergs (Täter, Opfer, Zuschauer; 1992) einen ebenso wichtigen Platz einräumt, wie ihn auch die Ausstellung zum militärischen »Widerstand« einnehmen soll, gelingt es ihm, das beschädigte Bild von Deutschlands Vergangenheit zu relativieren. So soll der Widerstand das nationalsozialistische Deutschland um ein gutes Gewissen ergänzen.

Die Suche nach dem guten Gewissen des »anderen Deutschland« wird jedoch heutzutage mit öffentlichkeitswirksamem Büßertum gegenüber den Verbrechen der Wehrmacht verbunden. Gerade weil »Wir« als Deutsche, spätestens seit der Ausstellung des Hamburger IfS, die »Schatten der Vergangenheit« nicht mehr verdrängen, dürfen »Wir« auch wieder ein bißchen positiv zu dem stehen, was das gute Gewissen Nazideutschlands repräsentieren soll. (Ganz abgesehen von denjenigen, die keinerlei »Verstrickung« der Wehrmacht akzeptieren. Es ist fraglich, ob es sich hierbei wirklich nur noch um eine Minderheitenposition handelt, obwohl die Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht zumindest in einer Parlamentsdebatte zum Anlaß genommen wurde, die Verstrickung künftig zu bekennen und gerade dadurch frei zu werden. Dazu jedoch später ausführlicher.)

Und so beginnt Dohnanyi seine Lobrede mit dem Bedauern darüber, daß es in Deutschland keinen positiven Bezug auf den Widerstand gebe. Aber welchen Widerstand meint Dohnanyi? Widerstand sei in Deutschland viel gefährlicher gewesen als in Frankreich oder Italien, wo sich heute ein positiver Bezug auf die Resistenza finde. Die besonders zu würdigende Tragik des deutschen Widerstandes habe darin bestanden, in seiner Konsequenz die Parteinahme für den militärischen Gegner zu beinhalten. »Das Gebet für die militärische Niederlage des eigenen Landes ist wohl das bitterste Gebet, das man einem Patrioten abverlangen kann – und doch war die Niederlage der Nazis letztlich des deutschen Widerstandes größte Hoffnung! Das macht den Widerstand in Deutschland so einzigartig, macht ihn zum ›reinsten Heroismus‹ wie Viktor Klemperer 1946 schrieb.«

Gewissen der Nation
Die Rede vom »reinen Heroismus« will Dohnanyi als schrecklichen Gewissenskonflikt verstanden wissen. Die Treue zum Vaterland, manifestiert im Eid auf die Fahne und auf Hitler, wird zum Dilemma. Entweder Hitler oder das Vaterland zu verraten, das waren die alternativen Perspektiven eines nationalsozialistischen Widerstandes. Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage mag die Entscheidung für die »bessere«, weil erfolgreichere Nation zwar das Thema einer klassischen Tragödie abgeben, aber was sagt das über den politischen Inhalt dieses Widerstandes aus?

Dohnanyi will es jedoch anders beurteilt wissen: Je nationalistischer, völkischer oder faschistischer die Gesinnung der Beteiligten, umso schwerer und bewunderungswürdiger sei die Entscheidung zum Widerstand. Patrioten, die eigentlich ja »nur« die totale Niederlage der Nation durch einen verlorenen Krieg verhindern wollen, haben im Widerstand eben nicht nur mit ihrem Tod, sondern auch noch mit ihrem nationalistischen Gewissenskonflikt zu rechnen.

Die scheinbar harmlos humanistische Kategorie des Gewissens, die zur Beurteilung des Widerstandes herangezogen werden soll, leistet zweierlei: Zum einen wird der Widerstand entpolitisiert und zum anderen wird damit die politische Motivation der Widerständischen für irrelevant erklärt. Oder wie Dohnanyi seinen Vater über Bonhoeffers und den eigenen Widerstand zitiert: »Dietrich und ich haben die Sache ja nicht als Politiker gemacht. Es war einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen.« Letzlich sei die »Wahrheit« des Widerstandes nicht in einer Dokumentensammlung über geplante Verfassungsstrukturen zu suchen, die, wie der Historiker Hans Mommsen sagt, antiliberal waren, sondern im »Stachel des Anstandes« bzw. in der »größeren Empfindsamkeit für eine persönliche Verantwortung über die Grenzen der nationalen Tradition hinaus, für Menschenrecht und Humanität.«

Wenn jedoch nur diejenigen bevollmächtigt werden, die Widerstand angeblich oder wirklich aus Gewissensgründen leisteten, fällt der linke und auch jüdische Widerstand komplett aus dem Bild.

Zugleich wird es auch erst dadurch möglich, sich positiv auf Verantwortungsträger und Befehlsgeber der deutschen Wehrmacht zu beziehen: Indem die politischen Motivationen der Offiziere des 20. Juli von der leider nicht geglückten widerständischen Tat als abgetrennt betrachtet werden. Sonst würde allzu offenbar werden, daß die Vernichtung der europäischen Juden und der Vernichtungskrieg der Wehrmacht erst dann und nur deswegen in Frage gestellt wurden, weil das Kriegsziel, die Erweiterung des deutschen Reiches, militärisch nicht erfolgreich durchzusetzen war. Diesen militärischen Widerstand als humanistisch zu bezeichnen, muß entweder zynisch erscheinen oder die Kategorie selbst der Beliebigkeit entlarven.

Die Unterschiede zwischen Hitler und dem militärischen Widerstand könnten vielmehr als Arbeitsteilung zwischen dem Visionär und den Strategen der instrumentellen Vernunft bezeichnet werden. Während der eine ausrief, daß Deutschland eher untergehe, als sich ergebe, wollten die »widerständischen« Patrioten lieber das Vaterland retten, nachdem der Krieg nicht mehr als das geeignete Durchsetzungsmittel erschien.

Die Wahrheit der Geschichte: Täter sind Opfer sind Täter ...
»Wahrheit« über die Bedingung der Möglichkeit des Nationalsozialismus will Dohnanyi aus den Wurzeln der Zeit verstehen. Wie zu erwarten, bedient sich der Redner hier der üblichen Leier über die »unerträgliche« Last des Versailler Vertrages – mit einigen kleinen Abwandlungen. »Es ist für mich deswegen eher ein Wunder, wie geduldig große Teile der Gesellschaft der Weimarer Republik diese Veränderungen und Belastungen trugen und ertrugen – und dennoch mehrheitlich demokratisch wählten, bis die Wirtschaftskrise das schmale Fundament zerstörte.«

Eigentlich seien die Deutschen also demokratischer gewesen, als es ein heutiger Demokrat verstehen kann, weil sie dem Staatsnotstandsprogramm der Nationalsozialisten und der damit verbundenen Zuspitzung des Antisemitismus zur »Endlösung« erst zustimmten, nachdem sie wirtschaftlich dazu »gezwungen« wurden, oder was?

Wir sollen also wohl froh sein, daß die Deutschen so lange der Versuchung widerstanden haben, daß sie, gerade weil sie so demokratisch waren, bis 1933 Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben.

Aber es kommt noch viel besser: Zur Einordnung der nationalsozialistischen Genesis zitiert Dohnanyi einen gewissen Wiliam Brustein, der zu »dramatischen Schlußfolgerungen« kommt: »Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen, das Wahl- und Parteiensystem (...) bestanden hätten, dann hätten Millionen von Menschen in diesen Ländern (USA, Frankreich, Schweden u. Großbritannien; F.R.) möglicherweise genau das getan, was Millionen Deutsche taten – die NSDAP zu wählen und ihr beizutreten.« Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wär.

Aber zum Glück zitiert Dohnanyi diese »dramatische«, aber offenbar nützliche These ja nur und das auch lediglich in Frageform. Ansonsten könnte mensch glatt auf die Idee kommen, daß Dohnanyi den Übergang zum Faschismus für eine nachvollziehbare und konsequente Handlung enttäuschter und gedemütigter Patrioten hält. Vielleicht artikuliert Dohnanyi diese These nur deswegen in Frageform und Konditionalis, weil sie selbst ihm zu gewagt erscheint, als daß sie in der Öffentlichkeit so ausgesprochen werden dürfte.

Die Offiziere des Widerstandes sollen die Ursachen des »Zusammenbruchs« der Weimarer Republik eben auch wie Brustein gesehen haben: »Als ein Versagen des Systems dieser Republik gegenüber der so viel mächtigeren wirtschaftlichen und politischen Wirklichkeit.« Wäre also – so müßten wir mit Dohnanyi schlußfolgern – die Weimarer Republik erfolgreicher bei der Krisenbewältigung gewesen, so hätte es der Nazis gar nicht gebraucht.

Die »Wahrheit« soll also aus dem Studium der Geschichte und die »Ereignisse« aus den Wurzeln ihrer Zeit erschlossen werden. Um es anschaulicher zu machen, wird die Entstehung des Nationalsozialismus mit der Entstehung des israelischen Staates verglichen. »Wer zum Beispiel heute das Verhalten des Staates Israel kritisiert, der kann sich dem Verstehen nur über die Geschichte des Holocaust nähern; ohne diese Erfahrung gibt es kein Verstehen iraelischer Politik.« Ebensowenig wie offenbar der Nationalsozialismus ohne die zwingende Wirkung des Versailler Vertrages und die zu schwache Weimarer Republik gedacht werden darf?!

Eine weitere revisionistische Meisterleistung, die ohne weiteres den Tatbestand der Täter-Opfer-Verkehrung erfüllt: Die Deutschen werden in diesem Vergleich als Opfer der Geschichte auf die gleiche Stufe gestellt wie die Opfer des Holocaust. Die Bedingungen, aus denen Deutsche zu Tätern geworden seien, sollen aus ihrer eigenen »Opferposition« (Stichwort Versailler Vertrag) resultieren. Die Stilisierung der Deutschen zu armen kleinen Sündern wäre ohne diesen Vergleich schon ekelhaft und verlogen. Die durch Reparationszahlungen »gedemütigten« Deutschen jedoch auf eine Stufe mit den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu stellen, macht aus Tätern Opfer.

Dohnanyi hingegen findet es unangebracht, die »Verstrickung« der Herren Offiziere des 20. Juli in den Vernichtungskrieg der Wehrmacht als Beurteilungsmaßstab ihres Widerstandes anzulegen. Den Initiatoren und Strategen des Feldzuges gegen die Sowjetunion und die sogenannten Partisanen wird hier nur »mangelnde Sensibilität in der Judenfrage« angekreidet. Vor allen Dingen soll ihre bisherige Karriere innerhalb des Nationalsozialismus nicht dazu berechtigen, den »Absichten dieser Männer zu mißtrauen, nach einem gelungenen Putsch eine wirkliche demokratische Gesellschaft aufzubauen«. Hätte ja sein können, nicht wahr, so ähnlich wie nach dem verlorenen Krieg plötzlich auch wieder alle für die Demokratie gewesen sind.

Und so kommt Dohnanyi zum Schluß seiner Rede, für aufmerksame LeserInnen nicht ganz überraschend, zu einem Lob des geläuterten Büßers Deutschland, das sich den Geschichtsrevisionismus anscheinend jetzt wieder erlauben darf, weil in der Öffentlichkeit seit der Ausstellung des IfS die »Schattenseiten« der deutschen Vergangenheit nicht mehr verdrängt würden.

Widerstand sei wesentlich menschlicher Anstand, und mit der Würdigung dieses Anstandes soll die deutsche Nation rehabilitiert werden. »Und wir ehren mit dieser Ausstellung auch unser Vaterland. Denn wenn wir aufrichtig gegenüber unserer ganzen Geschichte sind, dann dürfen wir als Deutsche unser Vaterland auch aufrecht ehren.«

Deshalb sollte die Ausstellung zum militärischen Widerstand vielleicht doch besser »Aufstand des nationalen Gewissens der BRD« genannt werden. Die Aufständischen sind in Wirklichkeit diejenigen, die sich endlich des häßlichen Makels befreien wollen, der ihnen vom Ausland bis zur Wiedervereinigung als Beschränkung ihrer außenpolitischen Souveränität auferlegt wurde.

Auf zu neuen Taten: Erinnern macht frei
Die Nation spricht sich aus, wird gereinigt von den Gedanken und Taten der Vergangenheit, um sich ohne den alten Souveränitätsvorbehalt neuen Aufgaben und »Verantwortungen« stellen zu können. Die Enttabuisierung der Vergangenheit stellt auf ideologischer Ebene den Befreiungsschlag gegenüber dem verlorenen zweiten Weltkrieg dar, der mit den zwei-plus-vier Verträgen auf vertraglicher Ebene bereits stattgefunden hat. Definierten die Politiker der Bonner Republik ihren Anspruch auf internationale Einmischung theoretisch und praktisch infolge ihrer Vergangenheit eher als Scheckbuchdiplomatie, so wird heute aus der Läuterung ein neuer Handlungsmaßstab abgeleitet: Die als »humanitär« betitelte Befriedung von Krisenherden in aller Welt.

Wenn erwachsene Politiker in einer Parlamentsdebatte anläßlich der IfS-Ausstellung Geschichten über ihre nähere und weitere Verwandtschaft zum Besten geben und sich vor lauter Betroffenheit noch ein paar Tränchen abquetschen, dann sprechen sie in der Metapher der Familie von der deutschen Nation, von der sie sich natürlich genausowenig distanzieren wollen und können wie von ihren Großeltern. Blut ist schließlich dicker als Wasser.

Otto Schily ging damals »in sehr persönlicher Weise«2 auf das Schicksal seiner Familienangehörigen ein. Freimut Duve erzählte von seiner jüdischen Großmutter, die von kroatischen Ustaschas abgeholt wurde, und die Grüne Christa Nickel entblödete sich nicht, zu betonen, daß Wehrmachtsoldaten Männer waren, die ihre Kinder liebten, genauso wie sie ihre Eltern und Großeltern liebt – um dann die Kurve zu kriegen: »Ich glaube nicht, daß man ein Land lieben kann, wenn man nicht zuallererst gelernt hat, das Leben der anderen Menschen zu lieben und auch sein eigenes zu lieben.« So gelingt es Politikern im Reden von persönlichen Verhältnissen ihre Stellung zur deutschen Nation zu enttabuisieren. (Kein Wunder, daß Andersdenkenden gerade dieses als chronisches Trauma vorkommt.) Heiner Geißler bringt es auf den Punkt, um den andere nur herumschwadronieren: »Wir müssen uns versöhnen, auch mit unserer Vergangenheit. Wir müssen unser Volk versöhnen (...).« Und – ein jüdisches Sprichwort zitierend – »Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.«

Die Legitimation, sich fortan überall auf der Welt einmischen zu dürfen, erwächst jetzt aus der spezifischen Verarbeitung des Nationalsozialismus. Die Deutschen haben – gerade wegen der »Schattenseiten« ihrer Geschichte – die Kompetenz entwickelt, »undemokratische« Tendenzen bei anderen zu erkennen. Daß es Dohnanyi nur ein Jahr nach der oben skizzierten Parlamentsdebatte schafft, dem Bekennen der Verbrechen der Wehrmacht ein gutes Gewissen aufrechter Militärs an die Seite zu stellen, ist natürlich in erster Linie geschichtsklitternd und revisionistisch. Zugleich setzt er jedoch damit einen Diskurs fort, in dem sich jetzt wieder selbstbewußt zu einer deutschen nationalen Identität bekannt werden darf. Während noch vor einem Jahr die Legitimation deutscher Außenpolitik aus der Leistung der Enttabuisierung der Vergangenheit resultierte, holt Dohnanyi mit der aktuellen Ausstellung bereits wieder alte Kamellen aus dem Schrank, die neu verpackt immer noch den gleichen üblen Geschmack auf der Zunge hinterlassen. An die Enttabuisierung der Vergangenheit durch Bekennen anknüpfend, gelingt es ihm in der Rhetorik des Pluralismus, im militärischen Widerstand eine nationale Traditionslinie salonfähig zu machen. Selbstbewußt nimmt er die Strategie der »Enttabuisierung« auf, die auf den militärischen Widerstand angewandt werden darf, weil auch über die »Schattenseiten« gesprochen wird. Inhaltlich versucht er damit, das demokratisch humanitäre Selbstbild der Berliner Republik der nationalsozialistischen Vergangenheit wie eine Wurzel zu implantieren. Bezogen auf die Gegenwart soll die Enttabuisierung den Freischein für ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr und für deren neue Aufträge in aller Welt leisten. Das Geheimrezept für ein »gesundes« Nationalgefühl, um das die BRD mindestens seit der Wiedervereinigung kämpft, besteht in einer nationalpsychologischen Hygiene, die nun ob der Aufarbeitung der Traumata endlich wieder zu sich stehen darf.

Und Dohnanyi befindet sich mit seiner Geschichtspolitik in bester Gesellschaft. So äußerte sich BP Roman Herzog 1997 ganz ähnlich: »Nicht vergessen oder verdrängen, erinnern macht frei.«3

Feli Reuschling


x 1 x Alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind der Rede Dohnanyis zur Eröffnung der Ausstellung »Aufstand des Gewissens« vom 25. 1. 98 entnommen.
x 2 x Alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind aus der Bundestagsdebatte vom 13. 3. 1997. In: Das Parlament Nr.13/97
x 3 x Berliner Tagesspiegel vom 30. April 1997 anläßlich einer Rede zur deutsch-tschechischen Erklärung. (Nach: Bahamas Nr.23, Sommer 97)