Heft 1/99

Die Last der Krieger
Über den rot-grünen Kriegshumanismus und die (Un-)Möglichkeiten eines bewegten Antimilitarismus

Mit der Beteiligung der Bundeswehr an den NATO-Bombardements auf Jugoslawien befindet sich Deutschland das erste Mal seit der Kapitulation des Nationalsozialismus 1945 in einem Angriffskrieg. Die politische Verantwortung dafür übernehmen jene, die sich 1968 zum Marsch durch die Institutionen aufgemacht haben. Der Protest gegen den Vietnamkrieg der USA und den Mief der postfaschistischen BRD-Gesellschaft waren bei diesem Aufbruch von zentraler Bedeutung.

Die BILD-Zeitung bringt am Tag, nach dem einiges anders sein wird, ein geradezu väterliches Verständnis für die rot-grünen Regierenden auf. Unter der Headline »Die Last des Krieges« und neben der Aufforderung »...schauen Sie in ihre Gesichter...« sehen wir die wirklich Mitleid erregenden, ausgezehrten Gesichter von Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping. Die »Angst um unsere Soldaten« treibt sie in die Schlaflosigkeit. Den jungen Soldatenvätern (diesen Titel erhält insbesondere Scharping) wird aber auch klar gemacht, und das ganz im Habitus des Wehrmacht-Opas, daß jetzt hart zugegriffen werden muß: »Der Geschichte ist es egal. Sie hat noch nie Rücksicht auf Einzelschicksale genommen.«

Diese kleine Szene aus der Männerwelt des Krieges kann als Treueeid des deutschnationalen Konservatismus gelesen werden, der der Linken am Steuer der Nation traditionell nicht viel zutraut. Ist mit der feierlichen Aufnahme der rot-grünen Kriegertroika in den Männerbund nun alles rechts von der PDS in einen harten nationalistischen Block zusammengeschnürt? Ist es endgültig entschieden, daß der unter Kohl eingeschlagene Rechtskurs zur selbstbewußten Nation durch den rot-grünen Wechsel nunmehr nicht gebremst, sondern vielmehr beschleunigt wird? Einiges spricht dafür. Aber was heißt das für die fragmentierte Rest-Linke?

Mit diesen Fragen ist ein weites und nicht unwichtiges Feld eröffnet. Es kann hier also nur um ein erstes Abtasten und das Bemühen gehen, die Fragen weiter zu präzisieren.

Ansetzen werde ich dabei am Kriegshumanismus, mit dem die leidenden 68er an der Macht an der medialen Heimatfront Stellung bezogen haben. Außerdem werde ich dem einige Überlegungen zur schönen neuen Weltordnung der nach wie vor konkurrenzförmigen Staatenwelt anfügen. Schließlich möchte ich, in der dunklen Höhle der Rest-Linken sitzend, die knurrenden antideutschen Genossinnen – auf die Gefahr hin, eine schallende Ohrfeige einzustecken – zur Disko für einen bewegten Antimilitarismus einladen.


Der Kriegshumanismus und die durchgeladene »Automatik des Militärischen«

Die Schröder-Fischer-Scharping-Position zeichnet sich in der Tat in vielerlei Hinsicht durch die selbst proklamierte »außenpolitische Kontinuität« aus. So auch bzgl. der Diskursstrategie des Kriegshumanismus.1 Im Zeichen der Bündnistreue sind ihnen militärische Interventionen der NATO geheiligte Mittel um »unsere gemeinsamen grundlegenden Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten« zu verteidigen, so Schröder in der ersten TV-Ansprache, in dem ein Bundeskanzler »seinem Volk mitteilt, es befinde sich im Krieg.« (BZ 25.3.99) Im Gegensatz zu den Medien hat der Kriegshumanismus der deutschen Außen- und Militärpolitik »große Probleme mit dem Wort Krieg.« (Scharping, FR 27.3.99). Schröder beteuert gar, »wir führen keinen Krieg« gegen die serbische Bevölkerung. Die Angriffe der NATO bemühten sich vielmehr um die Beendigung der »humanitären Katastrophe« im Kosovo und richteten sich ausschließlich gegen die Militärmaschinerie des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic als dessen Verursacher. Krieg wird zur humanitären und friedensbewegten Angelegenheit umgedeutet.

Ich bediene mich in diesem Zusammenhang bewußt der militärischen Metapher »Heimatfront«, da sich mit dem Kriegsausbruch auch die Diskursstrategie der Regierung merklich militarisiert hat. Es findet also jenseits des eigentlichen Kriegschauplatzes Jugoslawien ein innenpolitischer Kampf um die Köpfe statt, der von ersterem nicht unbeeinflußt bleibt. Die Frage, wie sich diese Verbindung des Militärischen mit dem Politischen in der deutschen Zivilgesellschaft herstellt, ist aufs engste mit der nach der Produktionsweise des politischen Diskurses verknüpft und läßt sich auf den paradoxen Begriff des Kriegshumanismus bringen.

Zur Funktionalität der humanistisch sauberen Kriegsführung trägt die militärstrategische Manipulation der medialen Bilder entscheidend bei. Bereits beim Golfkrieg sind hierbei die filmenden Bomben an der TV-Heimatfront zum Einsatz gekommen. Die Grenze zwischen Computersimulation und ›authentischem Bild‹ verwischt bis zur Ununterscheidbarkeit. Dem Hobby-Piloten an der heimischen PlayStation sind solche Bilder vertraut; ein Zielobjekt, ein Blitz, Bäng. PC- und NATO-Pilot strecken die Faust in die Luft – »Strike!«. Die Menschen, die zur Zeit in Jugoslawien in Echtzeit sterben, werden allenfalls als Menschensimulationen behandelt und wahrgenommen. Ihr Tod und der jener, der durch die Militärzensur beider Seiten gänzlich ungenannt bleibt, findet nicht statt. Das ermöglicht es einem Blair, Clinton oder Schröder sich als »Weltverbesserer« (Stern) in Szene zu setzen.

Dem ehemaligen Chef der Hardthöhe Volker Rühe (CDU) ist die prekäre Lage dieser Diskursstrategie gerade im kriegsentwöhnten Deutschland durchaus bewußt. Im familialen Habitus des großen erfahrenen Bruders warnt er vor einer »Automatik des Militärischen« hin zum Einsatz von Bodentruppen; es sei »wichtig, jetzt ganz kühlen Kopf zu bewahren«. (FR 26.3.99) Denn bei einem NATO-Einmarsch unter Beteiligung der Bundeswehr in Jugoslawien würde sich die Wahrscheinlichkeit nicht unwesentlich erhöhen, daß bald schwer verbergbare bodybags mit deutschen Soldaten die Heimatfront erreichen und zu einer Niederlage gegen die jetzt schon aufgebrachten Soldatenmütter führen könnten. Obwohl Rühe diese Befürchtung nicht offen ausspricht, verfehlt sein Rat die Intention, doch cool zu bleiben. Soldatenvater Scharping antwortet mit Verweis auf die Soldaten und ihre Familien erregt: »Das war unverantwortlich.« (FR 27.3.99)

Wenn die »Automatik des Militärischen« einmal durchgeladen und abgefeuert wird, droht – angesichts der Eskalation des Krieges – die rationalistische Vorstellung vom kühlen Kopf, der über den Ereignissen schwebend Krieg als kalkulierbares Mittel der Politik einsetzt, dramatisch an Realitätsbezug zu verlieren. Kompensatorisch werden dynamisch immer größere diskursive Kaliber aufgefahren. Dieser Wirkungszusammenhang zwischen militärischer und politischer Kriegsführung ist auch in den ersten Tagen des Kosovo-Kriegs zu beobachten.

Zum einen schlugen mit Beginn der NATO-Bombardements die einzelnen Gefechte der jugoslawischen Einheiten im Kosovo gegen die Guerilla-Aktionen der seperatistischen UÇK in eine offene Ver-treibung der kosovo-albanischen Bevölkerung um, die wiederum zur Verschärfung der NATO-Luftangriffe führen. Zum anderen versicherte die rot-grüne Kriegertroika zu Kriegsbeginn, Milosevic zur Unterschrift unter das Abkommen von Rambouillet bomben zu wollen. Er galt also zunächst noch als Verhandlungspartner. Ein deutlicher Einschnitt in der »Stoßrichtung« ihrer diskursiven Kriegsführung war an dem Tag zu vernehmen, an dem »Schröder als eiserner Kanzler« (Die Welt) den Vermittlungsversuch des russischen Premiers Jewgeni Primakow zum Scheitern verurteilte. Nahezu synchron verlief dazu die Massierung der Bombardements.

Die Regierenden haben in ihren Parteien »mit schweren Widerständen gegen die Bombardements zu kämpfen«, wie die Kriegsberichterstattung der Welt zu melden hat. Und dazu fahren sie ein bereits im Golfkrieg erprobtes Geschütz auf. Eines, das zwar von den Machthabern der anderen NATO-Staaten auch benutzt wird, aber im postfaschistischen Deutschland eine besondere innenpolitische Bedeutung erlangt. Mit einer Begeisterung für soldatische Killphantasien, an die sich selbst Steven Spielberg noch nicht herangetraut hat, malen Scharping und Fischer den Vertreibungterror im Kosovo aus. »Schieße einem Mann in den Kopf, schneide einem anderen die Kehle durch, vergewaltige eine Frau – und der Rest wird rennen«, redet sich Joschka in Rage. Scharping will starke Hinweise auf die Existenz serbischer KZs haben; seine »ganz persönliche Meinung«: Milosevic gehört vor ein »Kriegsverbrechertribunal«. (Die Welt, 1.4.99) Auch Milosevic, wie vor ihm Saddam Hussein, kommt die Ehre zuteil, gewissermaßen als ausgebürgerter Hitler (»Pfui, Deutschland ist jetzt demokratisch!«) gleichsam eingebürgert zu werden. Denn in der Gleichsetzung Milosevics mit Hitler bekämpfen diese mit Staat und Vaterland versöhnten 68er nicht nur die parteiinternen Anti-Kriegs-DissidentInnen, sondern ebenso ihren gescheiterten Antifaschismus – worauf noch zurückzukommen wäre.

Die Eskalation des politischen Diskurses, vorausgesetzt sie behält ihre kompensatorische Wirkung auf die öffentliche Meinung, wird sich wahrscheinlich im Einsatz von Bodentruppen materialisieren. Auch der Umgang mit den Flüchtlingen aus dem Kosovo deutet auf einen weiteren Eskalationswillen hin. Ganz abgesehen davon, daß Rot-Grün die systematische Abschiebepolitik nach Rest-Jugoslawien trotz der sich zuspitzenden Krise fortsetzte, werden die jetzt flüchtenden Menschen nicht ohne Absicht in der Hauptsache in den verarmten Balkanländern belassen. Das scheinheilige Argument, mit einer bedingungslosen Aufnahme der Flüchtlinge durch den Westen würde Milosevic belohnt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier eine Zuspitzung des Flüchtlingselends produziert werden soll; Menschen als Eskalationsmunition.

Der Kriegshumanismus nimmt also drei Unterteilungen der unmittelbar betroffenen Menschen vor, die wiederum auf zwei Darstellungsebenen inszeniert werden: Auf der bildlosen Ebene der Militärzensur beider Seiten einerseits die unsichtbaren Menschensimulationen jener, die den NATO-Bombardements zum Opfer fallen. Und andererseits die blutig, aber genauso bildlos ausgemalten Opfer der jugoslawischen Polizei- und Militäreinheiten. Umso bilderreicher ist das politisch gewollte Flüchtlingselend in den Anrainerstaaten Jugoslawiens. Humanism kills!

Aber wie steht es nun um das Verhältnis zwischen dem Militärischen, das aus der Luft offensichtlich keinen Bombenfrieden herbeiführen kann, und dem Politischen, das sich der innenpolitischen Zustimmung zur humanistischen Kriegsführung ebenfalls mit (diskursiver) Eskalation zu versichern sucht? Eine gewisse Verwirrung über Ursache und Wirkung ist dabei nicht nur verständlich, sondern – produktiv gewendet – sogar angebracht. Denn wir haben es mit einem symbiotischen Verhältnis mit dynamisch wechselnder Dominanz zu tun. Mit dem Beginn der NATO-Bombardements, soviel ist bis hier hin wohl deutlich geworden, gewann die Eskalationslogik des Krieges die Oberhand über das politische Handeln der Machthabenden. Was sich wiederum nur mit der Abnahme der zivilgesellschaftlichen Zustimmung wieder verändern wird. Dabei ist das Militärische aber nichts der Politik Äußerliches. Um sich diesen Umstand zu vergegenwärtigen, wird es nötig, den Blick auf die internationalen Staatenbeziehungen zu lenken.


Schöne neue Weltordnung – neorascism within

Mit dem Kosovo-Krieg ist eine neue Qualität erreicht, mit der die konkurrierenden staatlichen Interessen inner- und außerhalb der NATO ausgetragen werden. Hierzu gehört die programmatische Demontage der UN und der Bruch mit dem Völkerrecht, die eine offene Brüskierung und die damit verbundene innenpolitische Destabilisierung Rußlands in Kauf nimmt. Und nicht zu übersehen sind die Konflikte, die sich innerhalb der »westlichen Wertegemeinschaft« selbst abspielen. Der vermeintliche Sieger des Kalten Kriegs, die USA, hat zunehmend Mühe, seine Position als verbliebene Großmacht aufrecht zu erhalten. Die wirtschaftliche Konkurrenz mit dem Euro-Block, in dem wiederum Deutschland nicht konfliktlos seine Hegemonie auszubauen bemüht ist, ist mit einem zunehmenden Wetteifern um den Posten des Weltpolizisten verbunden. Hierin kann auch ein entscheidender Grund dafür ausgemacht werden, warum der Westen auch in der neuerlichen Krise auf dem Balkan von Anfang an das Kalkül militärischer Intervention mit einbezog. Der Schein von der einen freien Welt, wie es im Kalten Krieg so blumig hieß, kann mit einem gemeinsamen Krieg gegen einen regionalen Diktator vorläufig gewahrt werden. Vorläufig, denn die neoimperialistische neue Weltordnung hat sich alles andere als stabilisiert.

Die Militär-Politik-Symbiose findet dabei besonderen Ausdruck im politischen »Friedensabkommen von Rambouillet«, in dem die militärische Provokation enthalten ist, die gesamte Bundesrepublik Jugoslawien für NATO-Streitkräfte zugänglich zu machen. Wer, wie so manch Grüner, versichert, es seien alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft worden, verwechselt die NATO wohl eher mit dem Raumschiff Enterprise. Slobodan Milosevic ist auch nicht irgendein regionaler Diktator. Sein Regime hat in den letzten zehn Jahren einen ständigen Machtverlust hinnehmen müssen; und dies an postsozialistische Regime, die mehr oder weniger offen von einzelnen NATO-Ländern unterstützt wurden (z.B. Kroatien von der BRD, Bosnien von den USA). Mit der Luftwaffenunterstützung der muslimisch-kroatischen Koalition 1995 in Bosnien ist die NATO zudem zur aktiven Kriegspartei geworden.

Womit wir wieder beim gescheiterten Antifaschismus der rot-grünen Kriegertroika gelandet wären, der sich dazu genötigt sieht, die antifaschistische Lehre »Nie wieder Auschwitz!« der des »Nie wieder Krieg!« vorzuziehen. Diese Relativierung der Shoa erhält ihre besondere Brisanz gerade in der ideologischen Gemeinsamkeit von NATO und Milosevic – der neorassistischen Ethnisierung des Sozialen. Diese wurde eben nicht nur von den (ex-)jugoslawischen Eliten betrieben, die mit der Erosion der sowjetischen Hegemonie ihren Anteil am Machtkuchen retten bzw. gewinnen wollten. Auch der Westen, und hier insbesondere Deutschland, ist an einer ethnischen Parzellierung Jugoslawiens interessiert, um sich den Zugriff auf die wenigen ökonomischen Rosinen zu erleichtern – divide et impera. Insofern kann Slavoj Zizek zugestimmt werden, wenn er zu dem Schluß kommt: »Die neue Weltordnung gebiert selbst die Monströsitäten, die sie bekämpft«. (DIE ZEIT 31.3.99)

Im unerträglichen Antifaschismus eines Joschka Fischers zeigt sich das Drama der institutionalisierten 68er, den Kosovo zum neuen Vietnam und einen entmenschlichenden Humanismus zum neuen anti-emanzipatorischen Korsett gemacht zu haben. Und was bedeutet das hier und jetzt, aber auch längerfristig für die Rest-Linke?


Antimilitaristische Politik

»An eine imperialistische Kriegspartei appelliert man nicht, man kritisiert sie, wenn die Kräfte zur praktischen Kritik nicht reichen«, donnert es seitens des Ex-Mitglieds des Kommunistischen Bunds und des Ex-Grünen Thomas Ebermann und seinem Mitstreiter Heiner Möller von der bahamas. Ihre Waffen der Kritik richten sich nicht nur gegen die rot-grüne Kriegsregierung. Es sind die sechzehn ex-grünen Ex-GenossInnen um Jutta Ditfurth (die wiederum insbesondere an die nicht-ex-grünen MdBs appellieren »Stoppt diesen Krieg – sofort!«), denen hier die Leviten gelesen werden. (Vgl. Jungle World 14/99)

Es gibt zweifelsohne einiges am wahren Humanismus einer Jutta Ditfurth, an der Rest-Friedensbewegung bis hin zu grünen Dissidenten wie Hans-Christian Ströbele zu kritisieren. Das gilt ebenso für die juridisch beschränkte Position Gregor Gysis und der PDS mit ihrer offenen Flanke zum deutschtümelnden Antiamerikanismus im Neuen Deutschland.

Bezweifeln möchte ich hingegen, daß der aufgerichtete antideutsche Granitblock, der sich hier in der Haltung ›Heiner und Thomas gegen den Rest der Welt‹ ausdrückt, irgendetwas an den nicht ausreichenden »Kräften zur praktischen Kritik« verändert. Wer regierigen Grünen das Hakenkreuz in die Sonnenblume drückt und deren moralistischen AnklägerInnen gleich Überläuferpläne in die Schuhe schiebt, hat das Pulver seiner dogmatischen Donnerbüchse bald verschossen. Die Gewissheit um die eigene radikale Wahrhaftigkeit fordert einen hohen Preis.

Angesichts grüner Linker im Staatsdienst wie Angelika Beer oder Ludger Volmer, die sich die Normalisierungsmaschine mit brennender Seele an den Körper heften oder einer grünen Hinterbänklerin, die der neuen NATO-Strategie das Wort redet, sind die Erinnerungen an devote Sozialdemokraten unterm wilhelminischen Imperialismus oder gar an die Überfälle auf souveräne Staaten durch Nazi-Deutschland durchaus zu benennen. Diese berechtigten Erinnerungen aber mit der gegenwärtigen politischen Konjunktur gleichzusetzen, hat eine Einengung der Analyse und den Verzicht zur Konsequenz, den »Stellungskrieg« (Gramsci) um eine andere Gesellschaft wieder aufzunehmen.

Einengung der Analyse, weil bei Ebermann/Möller implizit immer noch die Vierte Reich-These mitklingt, nach der sich Geschichte zwanghaft wiederholt. Der unerträgliche Antifaschist Fischer ist mit einer solchen Kritik weder analytisch faßbar, weil sie der anstehenden selbstkritischen Aufarbeitung der Neuen Linken aus dem Weg geht, noch politisch angreifbar, weil hier identische Argumentationsstrukturen aufeinanderstossen; der Diskursmächtigere gewinnt. Leute wie Jutta Ditfurth oder Hans-Christian Ströbele zudem mit dem Vorwurf »politisch-emotionaler Nähe« zur Kriegsregierung aus der Linken auszugrenzen, so befürchte ich, hat eher den performativen Effekt, zur Konsolidierung der Grünen als national-liberalem Fischer-Chor beizutragen. Vielmehr scheint es mir den Versuch wert zu sein, die im erweiterten Sinne grünen Anti-Kriegs-DissidentInnen ernst zu nehmen und in eine streitbare Debatte mit einzubeziehen. Das könnte zumindest eine Möglichkeit sein, die »Analyse der Kräfte und ihrer Interessen im Krieg«, wie sie von Thomas Ebermann und Heiner Möller durchaus engagiert begonnen worden ist, politisch fruchtbar zu machen.

Lang genug war die Geschichte der Linken eine Geschichte von rechthaberischen Sektiererkämpfen. Es käme nun darauf an, und das schließt den Autoren dieses Textes mit ein, jenseits der ausgrenzenden Kommunikationsrituale Wege zu einer bewegten Linken ausfindig zu machen.

Dirk Kretschmer

|1| Zur Diskursstrategie des CDU-geführten Verteidigungsministeriums und ein wenig mehr vgl. Dirk Kretschmer: Mission Impossible? Die neue Bundeswehr als Friedenstruppe für den Standort Deutschland, in: Buntenbach/Kellershohn/Kretschmer (Hg.) 1998: Ruck-wärts in die Zukunft. Zur Ideologie des Neokonservatismus, Duisburg: DISS