diskus 2/00

»Der Kranich hat erste Federn gelassen. Wir werden ihn weiterrupfen ...«1
Zwischenbilanz der Lufthansakampagne
von kein mensch ist illegal

»Als Linienfluggesellschaft unterliegt Lufthansa der Beförderungspflicht von Personen. Gemäß Luftverkehrsgesetz (§ 21, Abs.2) muss sie grundsätzlich alle Personen mit gültigem Ticket und den erforderlichen Reisedokumenten für das jeweilige Zielland akzeptieren.«
Lufthansa-Pressestelle vom August 1999

»Lufthansa lehnt Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen grundsätzlich ab und befördert sie seit Juni 1999 nicht mehr.«
Lufthansa-Pressemitteilung vom 11. April 2000

Dass der letzte Halbsatz der Lufthansa-Pressemitteilung vom April diesen Jahres nicht der Wahrheit entspricht, soll im folgenden noch genauer erläutert werden. Doch zunächst überrascht der öffentliche Betonungswandel bei Lufthansa (LH). Hatte Lufthansa bislang jede Kritik an ihrer Beteiligung bei Abschiebungen kaltschnäuzig abgeblockt, hört sich dies seit dem 11. April alles ganz anders an.

Kein Zufall: Denn wenige Tage zuvor hatten mehrere im antirassistischen Netzwerk »kein mensch ist illegal« zusammengeschlossene Gruppen ihr erstes Aktionswochenende gegen die »deportation class« gestartet. Eine unter diesem Titel erscheinende Kampagnen-Zeitung war erstmals im März auf der Internationalen Tourismusmesse (ITB) in Berlin verteilt worden: von dunkelblau-orange gekleideten Damen, die gut als Stewardessen hätten durchgehen können. Erste Missstimmungen bei den anwesenden Lufthansa-Oberen waren dort unschwer zu erkennen gewesen. Wenige Tage später hatten militante AntirassistInnen den Lufthansa-Chef Weber in seiner Hamburger Villa besucht und reichlich rote Farbe hinterlassen. Am 8. April waren dann die Lufthansa-Schalter an den Flughäfen in Hamburg, Hannover und München Ziele von Protestkundgebungen. Und tags zuvor veranstalteten AktivistInnen in Seeheim-Jugenheim, in der Nähe von Darmstadt, ein Go-In im Zentralen Ausbildungszentrum der Lufthansa.

Die Nervosität steigt
Es ist anzunehmen, dass Lufthansa sich zunächst weiter unbeeindruckt gegeben hätte, wenn nicht mit einer weiteren Aktion ihr wunder Punkt getroffen worden wäre: zeitgleich waren tausende Flyer, den offiziellen Werbefaltblättern der Lufthansa täuschend ähnlich, auf Flughäfen sowie in den Auslagen von Reisebüros in zahlreichen Städten aufgetaucht. Darin wurde zum 1. Mai als »Lufthansa Special« die »deportation class« mit bis zu 30%igem Preisnachlass angekündigt, weil im gleichen Flugzeug »ein abgetrennter Bereich für die Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert« sei. Daraufhin dürften die Telefone bei Lufthansa heißgelaufen sein. Unter denen, die sich über dieses neue Sonderangebot der Lufthansa empörten, war auch die Münchener Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Spätestens jetzt musste Lufthansa ihre Deckung verlassen und eiligst eine Pressekonferenz einberufen, um sich von diesem »zynischen« Machwerk zu distanzieren und Strafanzeige zu erstatten.

»Arme Lufthansa. Militante Menschenrechtler haben der Kranich-Fluglinie in den letzten Tage übel mitgespielt!«, schrieb rührselig die Bild-Zeitung, und die »deportation class« wurde nachfolgend des öfteren zum Lufthansa nervenden Pressethema.

Die Kampagne hatte damit schneller den beabsichtigten Erfolg errungen als erwartet. Lufthansa war unter Rechtfertigungsdruck geraten, offensichtlich verunsichert und das Image erstmals angeschlagen. Im Rahmen von Pressenachfragen und um sich gegen den »absurden Vorwurf« zu wehren, vom Abschiebegeschäft zu profitieren, gestand Lufthansa dann auch ungewollt die Dimension ihrer Abschiebebeteiligung ein. 40 Millionen Passagiere transportiere Lufthansa pro Jahr, da könne bei 10 000 Abschiebungen doch nicht von Geschäft gesprochen werden. Peanuts, so lag es auf der Zunge. Die Süddeutsche Zeitung erfuhr gar von 16 000 Abschiebungen unter LH-Flugnummern im Jahr 1999, was dann nahezu die Hälfte der rund 33 000 vom Bundesgrenzschutz (BGS) in seiner Jahresstatistik aufgeführten Rückführungen ausmachen würde.

Diese Abschiebungen werden in abgestufter Brutalität durchgesetzt. Dass, nach offiziellen Angaben, ca. 90% der sogenannten Deportees unbegleitet fliegen, mag stimmen. Doch die angebliche Freiwilligkeit ist knallhart erzwungen: Denn die Alternative ist bei vielen Betroffenen die Fortdauer von monatelanger Abschiebehaft. 10 % der »Schüblinge«, und für 1998 hat der BGS 9000 eskortierende Beamte gezählt, fliegen »begleitet« und dann nach wie vor unter Anwendung nahe-zu aller Gewaltmittel. Nach dem Tod von Aamir Ageeb im Mai letzten Jahres hatte Innenminister Otto Schily die allzu gewalttätigen Durchsetzungsmittel eingeschränkt, doch nach einer kurzen Schamfrist können heute sogar wieder Helme eingesetzt werden. Und Spezialisten sind, wie der Spiegel (18/2000) berichtet, mit der Entwicklung neuer Spezialhelme sowie aus den USA angelernter Fesselungstechniken beschäftigt.

Peanuts für die Lufthansa
Die Abschiebestrategen insbesondere beim BGS sorgen längst dafür, dass viele Problemausweisungen anderweitig erledigt werden: z. B. von mitgebrachtem Sicherheitspersonal der rumänischen Airline Tarom, die einmal pro Woche von Düsseldorf aus einen Sammelabschiebecharter in die Türkei fliegt. Oder, wie im Rückführungsabkommen mit Algerien festgelegt, dass Deportees schon auf den deutschen Flughäfen an Beamte dieses Staates in Maschinen der Air Algerie übergeben werden. Vor diesem Hintergrund hatte »kein mensch ist illegal« nicht nur auf den exemplarischen Charakter der Lufthansakampagne hingewiesen, deren Ziel darin besteht, an einem doch wichtigen Rädchen der Abschiebemaschinerie Sand ins Getriebe zu streuen. Denn auf Lufthansa, mit ihren vielen Direktverbindungen in alle Welt, ist für einen flexiblen, effizienten Abschiebeapparat schwerlich zu verzichten.

Die Behauptung, bei Lufthansa würde seit Juni 1999 nicht mehr gegen den Widerstand der Betroffenen abgeschoben, muss leider als PR-Märchen abgetan werden. Ein Leipziger Professor war noch im März 2000 Zeuge eines brutalen Abschiebeversuchs geworden. Die Crew des LH-Fluges 4115 von Paris nach Berlin hatte nicht reagiert, bis der Professor dem Kapitän juristische Konsequenzen androhte. Daraufhin wurde der Flug abgesagt. Vom Januar 2000 datiert ein anderer Abschiebungsfall mit Lufthansa in den Sudan, ein Land, in das fast ausschließlich mit Lufthansa abgeschoben wird. Gefesselt war ein protestierender Flüchtling von Gera bis zum Frankfurter Flughafen gebracht worden. BGS-Beamte setzten ihn ins Flugzeug und liessen ihn mit dem Versprechen zurück, dass er ja bei der Zwischenlandung in Kairo aussteigen könne. Doch in Kairo verweigerte der Kapitän die Herausgabe der Pass-Dokumente und zwang den Sudanesen zum Weiterflug.

Dieser Vorfall, der die offensichtliche Zusammenarbeit von BGS und Flugkapitän beweist, deutet auf eine Praxis hin, die sich offiziell natürlich nicht belegen lässt. Vermittelt von der Lufthansa-Sicherheitsabteilung bucht der BGS Deportees auf die Flüge, bei denen er sich der Unterstützung oder zumindest Gleichgültigkeit bestimmter Piloten sicher sein kann. Kommt es zu Zwischenfällen, dann landen die entsprechenden »flight reports« wiederum in der Sicherheitsabteilung der Lufthansa, die alles daransetzt, dass nichts an die Öffentlichkeit gerät. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass noch zahlreiche, auch unmittelbar gewaltsame Abschiebungen mit Lufthansa stattgefunden haben bzw. weiter stattfinden.

Dass Lufthansa erst im vergangenen Monat - also fast ein Jahr nach ihrem angeblichen Beschluss - in der MitarbeiterInnenzeitung »Lufthanseat« davon berichtet, keine Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen durchzuführen, und dass bis heute keinerlei entsprechende Anweisung an das Flugpersonal ergangen ist, beweist einmal mehr, dass es um einen Showeffekt und allein darum ging, der »deportation class«-Kampagne und der damit verbundenen öffentlichen Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Vor dem Showdown
Doch diese Taktik scheint nicht aufzugehen. Zu einem zweiten Aktionstag gegen die »deportation class« anlässlich des Todestages von Aamir Ageeb Ende Mai kam die Lufthansa erneut ins Schwitzen. In Bremen kündigten Aktivistinnen an, die Lufthansa-Pilotenschule zu besuchen und zum Gespräch zu fordern. Hektische Reaktionen auf Pressean-fragen und ein von der Polizei abgeriegeltes Schulungsgebäude waren die Folgen. An mehreren Flughäfen fanden Demonstrationen statt, adrette »FlugbegleiterInnen gegen Abschiebungen« waren am Kölner Flughafen im Einsatz, in Frankfurt wurde eine Gedenktafel aufgestellt. Mittlerweile kursiert auch ein erster internationaler Aufruf, in dem der Lufthansa Proteste gegen die »deportation class« in Stockholm oder Amsterdam angekündigt werden. Gleichzeitig reist nun eine kleine Ausstellung mit Plakatentwürfen und Texttafeln zur Lufthansakampagne umher, ab Mitte Juni wird sie bei Anti-Expo-Veranstaltungen in Hannover zu sehen sein.

Ein vorläufiger Höhepunkt des Protestes steht der Lufthansa demnächst in Berlin ins Haus. Am 15. Juni tagt im ICC die jährliche Aktionärsversammlung. Die feindliche Übernahme ist zwar noch nicht vorgesehen, doch kritische Aktionäre und aktionistische KritikerInnen dürften dieser Veranstaltung eine brisante Stimmung verschaffen. Arme Lufthansa.

h., AG3F Hanau


Aktuelle Infos: 01 72 / 891 08 25 (Kampagnenhandy) sowie über die Webseite: www.deportation-alliance.com
Die Plakate zur Kampagne finden sich auf: www.stadt-revue.de/kmii/frame/pla00

Anmerkungen:
< 1 > Aus: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 439/2000.