diskus 2/00
Hauptversammlung in Turbulenzen
Der Mann mit dem Megaphon sieht aus wie ein Pilot, der in
seiner langen Laufbahn schon viele Abenteuer erlebt hat. Einer, der auf
den Langstrecken zu Hause ist und die Airports dieser Welt wie seine
Westentasche kennt. »Wir sind heute hier, um gegen die ›Deportation.Class‹
zu protestieren!« bellt er den Aktionären entgegen, die gerade die
Rolltreppe zum Kongresszentrum ICC hochkommen.
In ein paar Minuten soll
hier die Hauptversammlung der Deutschen Lufthansa AG stattfinden. Doch
zuvor dürfen die Klein- und Großaktionäre miterleben, wie es aussieht,
wenn ein Schübling gefesselt und geknebelt in einem Rollstuhl an Bord
einer Lufthansa-Maschine gebracht wird. Vor dem Eingang zum ICC hat sich
ein Spalier von Demonstranten gebildet, die Transparente mit zornigen
Parolen hochhalten, adrett gekleideten Flugblattverteilern und
vermeintlichen Stewardessen, die Unterschriften für ein
Unternehmenskonzept ohne Abschiebungen namens »Fair Fly« sammeln.
Dass
die Aktionärsversammlung der Lufthansa am 15. Juni in Berlin überschattet
sein würde von Protesten, war absehbar. Seit Anfang März ist die
Fluggesellschaft mit einer Kampagne konfrontiert, die erbittert gegen
Abschiebungen auf Linienflügen kämpft. Dass das jährliche Aktionärstreffen
aber in turbulenten Szenen gipfelte und mit einem kleinlauten
Eingeständnis des Vorstandsvorsitzenden endete, dürfen die
Abschiebungsgegner getrost als großen Erfolg verbuchen.
Schon als der
Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Schlede vor angeblich 4500 Aktionären die
Hauptversammlung eröffnete, kam er nicht umhin, die Proteste der
Abschiebungsgegner ein erstes Mal zu würdigen. Er kündigte an, die
Versammlungsleitung werde es nicht dulden, wenn die Aktionärsversammlung
zu einem Forum für Asylpolitik umfunktioniert werde. Kaum hatte er den
Satz beendet, da sprangen auch schon die ersten Abschiebungsgegner im Saal
auf und breiteten vor dem Podium mehrere Transparente aus, in denen die
Lufthansa »Deportation.Class« scharf angegriffen wurde. Ein Spruchband
erinnerte an Aamir Ageeb und Kola Bankole, die beide bei Abschiebungen an
Bord von Lufthansa Maschinen umgebracht wurden.
Handgreifliche
Auseinandersetzungen im Blitzlichtgewitter der zahlreichen Fotografen
waren garantiert nicht das, was die Lufthansa AG sich für ihre jährliche
Hauptversammlung erträumt hatte - das drei Millionen Mark teure
»Schaufenster des Konzerns«, wie es ein Mitarbeiter am Rande der Konferenz
so treffend ausgedrückt hatte. Mit einem Live-Webcast wurde der
öffentliche Teil der Veranstaltung zudem im Internet übertragen; die
Protestszenen wurden im Nachhinein jedoch herausgeschnitten.
Auch der
Vorstandsvorsitzende Weber wurde in seinem etwa einstündigen
Geschäftsbericht mehrfach mit Spruchbändern, Sprechchören und
Zwischenrufen aus dem Konzept gebracht. Die eilig einschreitenden
privaten Sicherheitskräfte brauchten jeweils mehrere Minuten, um
Weber wieder die volle Aufmerksamkeit der versammelten Reaktionäre zu
verschaffen: Wütende Rentner in grauen Blousons und alter Berliner
Frontstadtmentalität versäumten keine Gelegenheit, ihrem Konzern einen
Bärendienst zu erweisen und sich mit den besonnen und entschlossen
auftretenden Demonstranten zu rangeln, die sich für ihren großen Auftritt
fein herausgeputzt hatten.
Am Ende seines Geschäftsberichts ging Weber
nochmals auf die seit drei Monaten andauernde Kampagne gegen die
»Deportation.Class« ein. Lufthansa sei Opfer ungerechtfertigter Angriffe,
weil das Unternehmen mittlerweile keine Schüblinge »gegen deren erklärten
Widerstand« transportiere. Ausserdem gälte es die gesetzlich
vorgeschriebene Beförderungspflicht einzuhalten. Schon im Vorfeld der
Veranstaltung hatten die Aktivisten von »kein mensch ist illegal« darauf
hingewiesen, dass solche Erklärungen das Papier nicht wert seien, auf dem
sie geschrieben stünden. Sie fordern den unwiderruflichen Ausstieg aus dem
Abschiebungsgeschäft. Die Lufthansa sei mitverantwortlich für die
zwangsweise Verschleppung von 10 000 bis 20 000 Menschen pro Jahr und
ließe sich diese Dienste auch noch gut bezahlen.
Die Münchner
Rechtsanwältin Gisela Seidler hielt Weber in der anschließenden Diskussion
des Geschäftsberichtes entgegen, die vermeintliche Beförderungspflicht sei
auf Betreiben der Lufthansa schließlich auch für tropische Ziervögel
aufgehoben worden. Seidler wollte von Weber einige präzise Fragen
beantwortet wissen: Was etwa dran sei an den unbestätigten Informationen,
die Lufthansa verhandele hinter verschlossenen Türen längst mit dem
Innenministerium über einen Ausstieg aus der »Deportation.Class«.
Einen
Schritt weiter ging der Konstanzer Internet-Forscher Reinhold Grether,
einer breiteren Öffentlichkeit besser bekannt als »agent.NASDAQ«. Grether
war einer der Feldherren im »Toywar«, als es einer Massenbewegung von
Internet-Aktivisten gelang, einen der größten Internet-Händler in die Knie
zu zwingen. Grether rechnete der Unternehmensleitung vor, welchen immensen
Schaden ein Konzern nehmen könne, wenn er Zielscheibe einer intelligent
organisierten Kampagne werde. Virtuelle Protestformen, die sich darauf
beschränken, das Image der jeweiligen Marke zu verschmutzen, und
darüberhinaus auch noch neue Formen des Online-Protestes einsetzen,
können auch Umsatzriesen wie die Lufthansa in ernste Gefahr bringen.
Totenstille herrschte im Saal, als Grether seine Ausführungen mit einem
großzügigen Angebot schloss: Er könne die Lufthansa gerne einmal kostenlos
beraten, falls sich die Konzernleitung der Risiken bewusst werden wolle,
auf die sie durch das Beharren auf die »Deportation.Class«
zusteuere.
Den Aktionären, die sich vor ein paar Stunden noch über 1,10
DM Dividende pro Aktie angesichts eines lustlos vor sich hindümpelnden
Kurses freuen konnten, war der Schreck in die Glieder gefahren. Als wenige
Minuten später ein weiterer Redner von »kein mensch ist illegal« den Namen
Aamir Ageeb aussprach, verlor die Versammlungsleitung vollends die Fassung
und der Aktivist wurde unter ohrenbetäubendem Gejaule der Aktionärsmenge
von den Sicherheitskräften aus dem Saal geschleppt.
Spätestens jetzt
gab es eigentlich nurmehr ein Thema auf dieser Hauptversammlung:
Abschiebungen auf Lufthansa Linienflügen. In den Gängen, auf den
Toiletten, in den Warteschlangen vor den Ständen, an denen sich die
Aktionäre ihre Naturalien-Dividende abholen konnten: Die
»Deportation.Class« war Gegenstand aller Gespräche und heftiger
Auseinandersetzungen. In der Einladung zur Hauptversammlung musste die
Lufthansa bereits die Webadresse der Abschiebungsgegner veröffentlichen:
»www.deportation-alliance.com«
war die schlichte Begründung eines Antrages auf Nicht-Entlastung von
Vorstand und Aufsichtsrat, die vierhunderttausend Mal an
Anteilseigner in aller Welt verschickt wurde.
Mit jedem Redner, der
erneut auf die Protestaktionen einging oder gegen die neuerdings Aktien
haltenden Aktivisten wetterte, verdichtete sich der Eindruck: Wenn es
nicht schon längst der Fall war, spätestens nach dieser Hauptversammlung
hat Lufthansa ein gewaltiges Image-Problem. Ein besorgter Aktionär brachte
auf den Punkt, wofür es zumindest an diesem Tag längst zu spät war: »Ich
möchte nicht, dass am nächsten Morgen in allen Zeitungen steht, die
Lufthansa habe kein Herz.«
War es nur Schadensbegrenzung oder
bereits eine geschickt eingeleitete Rückzugsstrategie, wenn
Vorstandschef Weber am Ende der Veranstaltung erstmals klipp und klar
eingestand: »Wir werden mit dem Innen- und dem Verkehrsministerium über
eine Entbindung von der Beförderungspflicht verhandeln.« Die Aktivisten
von »kein mensch ist illegal« und der »Dachverband der Kritischen
Aktionäre«, die die Proteste auf der Hauptversammlung organisiert hatten,
fühlen sich durch diese Aussage jedenfalls weiter bestätigt. Eine solche
Entbindung wäre auch schon rein rechtlich gesehen möglich. Denn die
»allgemeinen Beförderungspflicht« ist dem eigentlichen Rechtssinn nach ein
Konsumentenschutzrecht, das dem willkürlichen Ausschluss einzelner
Personen von der Beförderung durch ein Beförderungsunternehmen einen
Riegel vorschieben soll. Zwangsweise Beförderungen, so könnte argumentiert
werden, können sich also nicht auf die »allgemeine
Beförderungspflicht« berufen.
»Um der Lufthansa AG bei ihren
sicherlich schwierigen Verhandlungen mit dem Innen- und
Verkehrsministerium nachhaltige Unterstützung und entsprechende
Rückendeckung zu geben, werden wir unsere Beziehungen zu dem Konzern durch
weitere Auftritte und Besuche bei Lufthansa festigen«, hieß es auf einer
tags darauf stattfindenden Konferenz der »kein mensch ist
illegal«-Aktivisten. Geplant sind Aktionen am Lufthansa Pavillon auf der
Expo und vor allem eine Intensivierung der Internet-Aktivitäten.
Schon
bald soll eine Datenbank Gruppen und Einzelpersonen zusammenbringen, die
entweder Aktionsideen mit sich herumtragen, diese aber aufgrund mangelnder
Kenntnisse, Informationen oder entprechender Mittel nicht alleine
durchführen können, oder die über das gefragte Know-How verfügen, aber
bislang vergeblich den politischen Kontext suchten. Ein solches
Projekt nach dem Vorbild der US-amerikanischen Aktivisten-Gruppe »RTmark«
könnte der Kampagne gegen die »Deportation.Class« eine kaum mehr zu
zügelnde Dynamik verleihen. Ausserdem steht bald eine neue Generation
von Skripten und Programmen für regelrechte »Online-Demonstrationen«
und höchst effektive »Virtuelle Sit-Ins« zur
Verfügung.
Lufthansa-Chef Webers Tagträume vom unaufhaltsamen
Siegeszug der neuen Technologien mögen hierfür den entscheidenden Anstoß
gegeben haben. Schließlich plant der Konzern bis zum Jahr 2005 40 Prozent
aller Buchungen über das Internet abzuwickeln. Dass sich hier ungeahnte
Betätigungsmöglichkeiten gerade auch für konzernkritische Kreise ergeben
dürften, wird ihm wohl erst nach seiner Rede in den Sinn gekommen
sein.
Kurz bevor die Aktionärsversammlung über den Antrag, Vorstand und
Aufsichtsrat wegen der Verwicklung in das Abschiebungsgeschäft nicht zu
entlasten, abstimmte, machte Weber eine allerletzte Einlassung zum Thema
»Deportation.Class«: Niemand möge bitte den an Flughäfen und vor
Reisebüros verteilten Werbebroschüren der »Deportation.Class« Glauben
schenken. Es handele sich um böswillige Fälschungen.
Wie es den
Anschein hat, haben diese ihren Zweck aber mehr als erfüllt. Daran änderte
dann auch die Abstimmungsniederlage nichts, die sich der »Dachverband der
kritischen Aktionäre« am Ende des langen Tages einholte: Ganze 0,19
Prozent der Stimmen votierten für den Antrag auf Nicht-Entlastung des
Vorstandes. Repräsentative Logik liegt den Aktivisten reichlich fern.
Schließlich warten wesentlich effizientere und attraktivere
Interventions-Möglichkeiten jenseits der herkömmlichen politischen
Rituale.
Florian Schneider (München)