diskus 3/98

Totaler Kontrollnerv
oder: »Was studieren Sie denn in Deutschland?« – »Polizeimentalität!«

Die Fälle sind einfach unzählig, glaube ich.

Die Geschichte am Geldautomaten
Ich war mit einem Freund in Rödelheim. Wir sind gerade an einem Bankautomaten vorbeigekommen, da ist mir eingefallen, daß ich Geld brauche. Ich habe dann in meinem Portemonnaie die Kontokarte meiner Schwester gesucht, die sie mir zum Geldabheben mitgegeben hatte, da sie mir noch etwas schuldete. Die Karte konnte ich aber nicht finden, hatte ich wohl vergessen – Scheiße! Also packte ich das Portemonnaie wieder ein und ging meinem Kumpel hinterher. Plötzlich pfiff uns jemand nach: »He, hallo, kommt her !« Ich drehte mich um, sah einen Bullen und fragte erstaunt: »Meinen Sie mich?« Darauf er: »Ja, kommen Sie zurück!« Wir sind dann natürlich zurück, wir standen ja mitten auf der Straße. »Personenkontrolle, Ihre Ausweise, bitte!« Der Kumpel hatte seinen Paß dabei, ich aber nur einen Studentenausweis. Das war aber o.k. für den Polizisten. Erst hat er bei der Leitstelle die Personalien abgecheckt, dann fragte er: »Wo ist ihre Kontokarte?« Ich hatte natürlich meine eigene dabei, und die habe ich ihm dann gezeigt. »Wieso haben Sie kein Geld abgehoben?« Ich wollte nicht die Geschichte von den Schulden meiner Schwester erzählen, das ging ihn ja auch gar nichts an, deshalb habe ich gesagt: »Ich habe festgestellt, daß ich kein Geld brauche.« »Ach so.« Ich habe Ihn dann noch gefragt, wieso das überhaupt aufgefallen ist. »Weil wir Augen haben.« Das war natürlich eine supertreffende Antwort.

Ich bin das schon gewohnt, andauernd kontrolliert zu werden. Früher habe ich gedacht, daß ich wegen meiner Haare oder meiner Kleidung kontrolliert werde, aber in dem Moment bin ich nicht besonders unordentlich angezogen gewesen, hatte keine ungekämmten Haare. Aber es hat nichts geholfen.

Pinkelstrecke
Diese Geschichte ist noch einmal ein Beleg dafür, daß das mit der Bekleidungstheorie nicht stimmen kann, ich trug nämlich einen Anzug. An einem islamischen Feiertag hatte ich mich mit einem Freund am Bahnhof verabredet. Wir waren auf eine Feier eingeladen und wollten da zusammen hin. Ich stand schon am Treffpunkt, bin dann aber noch mal durch den Bahnhof gelaufen, zurück zur Münchener Straße, weil ich in einem marokkanischen Laden noch schnell was einkaufen wollte. Dabei bin ich an zwei Polizisten vorbeigekommen, die mich auf dem Rückweg anhielten. »Personenkontrolle!«

Es ist ständig dasselbe. Wenn du unter Zeitdruck bist, halten die dich an. Da fragst du dich: Warum? Ich kann mich doch auf dem Bahnhof bewegen, wie ich will – denke ich jedenfalls. In der Regel irren da ja immer einige Reisende herum, und plötzlich kommt jemand und fragt dich nach dem Ausweis, einen von tausenden Leuten. Und das nur, weil ich denselben Weg zweimal gelaufen bin, ihre Pinkelstrecke zweimal überquert habe. Die laufen ja wie Hunde, die ihr Revier markieren: immer hin und her. Die halten dich einfach an, ob du ein Flugzeug oder einen Zug verpaßt, ist denen egal. Das finde ich einfach menschenverachtend, diese ständigen Belästigungen.

Ich hatte nur den Studentenausweis dabei, und die haben dann gefragt: »Was studieren Sie denn hier in Deutschland?« Am liebsten hätte ich »Polizeimentalität« gesagt. Aber die hatten schon meinen Studentenausweis in der Hand und da mußte ich die richtige Angabe machen. Mit »Maschinenbau« habe ich dann natürlich ein bißchen Vertrauen geweckt. Naja, ein Student kann ja keine Verbrechen begehen. Dann haben sie mich vorbei gelassen.

Erschrecke niemals Polizisten
Die Geschichte an der Hauptwache war so: Ich hatte in der S-Bahn einen Freund getroffen, der nach Hausen mußte. Beim Umsteigen an der Hauptwache mußten wir rennen, da die U-Bahn am Abend nicht mehr so häufig fährt. Vor uns patrouillierte langsam ein Polizistenpärchen. Beim Rennen hat der Reißverschluß meiner Jacke an eine dieser Führungsstangen geschlagen, die am Ende der Rolltreppen angebracht sind, und das hat laut geklirrt. Die Polizisten machten sofort einen auf Action und drehten sich zusammen um, wie bei einer militärischen Aktion. »Bleiben Sie mal gleich da!« Wir hielten an. »Wo wollen Sie hin!« »Zur U-Bahn natürlich!« »Ausweis, bitte!« Ich war erleichtert, meinen Paß dabei zu haben. Ich nehme den nicht jeden Tag mit, weil der so groß ist, daß ich ihn nicht in jede Tasche bekomme. Abgesehen davon ist es ein Elend, wenn der Paß verloren geht. Es ist nämlich sehr aufwendig, einen neuen zu bekommen. Mein Freund war total genervt. Er ist eigentlich ein ganz Lieber, gehört eher zu den frommen und konservativen Leuten: Nur arbeiten und nach Hause. Man sieht den nicht mal in einer Bar. Und jetzt wird er angehalten. Sein Pech, daß er mit mir gegangen ist. Ich habe gezittert, so genervt war ich. Bei sowas fange ich einfach an zu zittern, weil ich sauer bin und das nicht rauslassen kann. Die Polizistin bekam das mit und sagte zu mir: »Langsam, in aller Ruhe.« »Wieso langsam, mich nervt das, ich werde nur angehalten, weil ich schwarz bin, mehr hat das nicht zu sagen.« »Nee, nee, das hat damit nichts zu tun. Sie sind hier an einem Platz mit sehr viel Kriminalität.« Die Kriminellen würden aber wohl kaum den Polizisten direkt in die Arme laufen. Die hatten sich erschreckt, das war alles. Und ich bin mir sicher, wenn das ein Europäer oder ein Deutscher gewesen wäre, der wäre nicht kontrolliert worden. Wir haben dann unsere Ausweise gezeigt und durften gehen. Die U-Bahn war natürlich gerade weg, und so mußten wir zwanzig Minuten auf die nächste warten.

Frankfurtverbot
Das ist eine Geschichte aus der Zeit, als ich noch als Asylbewerber in der Nähe von Frankfurt gewohnt habe.

Bekanntlich ist das ja so, daß ein Asylbewerber – inzwischen hat sich das ein bißchen gelockert, aber die Vorschriften sind immer noch hart – den Kreis, in dem er angemeldet ist, nicht verlassen darf. Ich habe damals in Hofheim im Main-Taunus-Kreis gewohnt. Es ließ sich aber nicht vermeiden nach Frankfurt zu kommen, viele Dinge konnte man einfach nur in Frankfurt machen. Damals war sogar die Ausländerbehörde von Hofheim in Frankfurt-Hoechst. Um den Ausweis zu verlängern, das war alle sechs Monate nötig, mußte man also nach Frankfurt. Aber aufhalten durfte man sich dort eigentlich nicht.

Ich mußte am Hoechster Bahnhof auf die S-Bahn warten. Ich hatte in Hattersheim Freunde besucht, und wenn man abends noch nach Hofheim wollte, mußte man über Hoechst fahren; es gab zu dieser Zeit keine direkte Verbindung mehr. Beim Warten habe ich überlegt, ob ich nicht vielleicht doch nach Frankfurt weiterfahren soll. Frankfurt ist ja das große Zentrum für viele Ausländer, denn dort gibt es Cafés und viele Möglichkeiten auszugehen.

Es war saulangweilig im Flüchtlingswohnheim, weil man nichts machen durfte, auch nicht arbeiten. Deshalb bin ich ab und zu mal in eritreische Cafés gegangen, die waren aber alle in Frankfurt. Was anderes konnte ich mir sowieso nicht leisten. In diesen Cafés muß man nicht ständig etwas Neues bestellen. Man bestellt einen Tee und kann sich dann dort stundenlang unterhalten. Oder man trifft Leute und geht dann raus.

Auf dem Hoechster Bahnhof war es öde, die nächste S-Bahn kam erst in einer halben Stunde, und so bin ich rumgelaufen, raus aus dem Bahnhof und wieder rein. Ich war einfach zu ungeduldig, um mich auf eine Bank zu setzen und mir irgendwelche Schafe vorzustellen, die ich dann hätte zählen können. Irgendjemand muß mich vom Fenster aus beobachtet haben, als ich vor dem Bahnhof rumgelaufen bin. Denn als ich mal wieder in den Bahnhof reinging, fuhren gerade zwei Polizisten in einem Auto vor und kamen hinter mir her. Ich habe die aus der Ferne kommen sehen, hätte aber niemals gedacht, daß die was von mir wollen. Da ich so oft kontrolliert werde, habe ich schon so eine Art Phobie vor Polizisten. Ich versuche immer, mich erstmal zu beruhigen. Ich habe zu mir selbst gesagt: »Ach, du bildest dir das nur ein.« Doch als ich mich dann umdrehte, kam das Übliche: »Ausweis, bitte!« Wieso eigentlich immer ich? Ich habe denen natürlich meinen Ausweis mit dem Melde-Eintrag Main-Taunus-Kreis gezeigt. »Was machen Sie denn hier?« »Ich fahre nach Hause.« Die haben den Ausweis dann erstmal über Funk überprüft. »Und wo kommen Sie her?« »Aus Hattersheim.« »Ach so, dann sind Sie auf dem falschen Gleis, gehen Sie bitte auf das andere.« Die haben mich dann zum Gleis begleitet und ich bin nach Hause gefahren. Frankfurt konnte ich für den Abend vergessen.

Ordentlich
Die Polizei hatte ihren Bus genau vor dem eritreischen Café geparkt. Als ich mit ein paar Freunden das Café verließ, haben die uns sofort angehalten. Wir sollten unsere Ausweise zeigen. Einer hatte einen Schülerausweis dabei, damit hat er sich retten können. Aber die anderen hatten keine »Frankfurt-Erlaubnis«. Es hat denen nicht gereicht, daß wir registriert und nach Hause geschickt wurden, wir mußten in den Bus. Dort durften wir nicht miteinander sprechen. Die Festnahme war mir sehr unangenehm, weil ich von außen gesehen und erkannt werden konnte. Die ganzen eritreischen Bekannten und die anderen Besucher des Cafés konnten mich im Polizeiauto sehen. Um nicht erkannt zu werden, habe ich meinen Kopf auf den Tisch gelegt. Daraufhin brüllte mich der Polizist an, ich sollte den Kopf hochheben. Ordentlich sitzen. Auf der Polizeiwache mußten wir uns bis auf die Unterhose ausziehen und wurden nach was-weiß-denn-ich untersucht, vergeblich natürlich. Das war für mich sehr erniedrigend. Ich habe mich nie vor anderen Leuten ausziehen wollen. Außer beim Arzt habe ich das nie gemacht. Dann sind wir nach Hause geschickt worden.

Sexshop
Zu der Zeit hatte ich noch keine Asylanerkennung. Ich wollte mit einem Freund in der Frankfurter City spazierengehen. Wir waren vielleicht fünfzig Meter gelaufen, da kamen zwei Zivile hinter uns her. Ihr Funkgerät hatten sie ganz unauffällig in einer Aldi-Tüte versteckt.

Einer von denen hielt mich am Arm fest und schrie: »Passport, Passport!« Danach drückten die uns an eine Wand. Mein Freund zeigte seinen Paß, und ich habe denen erzählt, daß ich den Paß nicht dabei hätte. Ich hatte ihn zwar dabei, aber mit Paß hatte ich genauso viele Probleme wie ohne, weil ich mich in Frankfurt einfach nicht aufhalten durfte. Dann fragte einer von denen: »Wo wollen Sie denn hin?« Mein Freund hatte einen echt tollen Einfall: »In den Sexshop da.« Der lag direkt vor uns. Der Polizist, nachdem er sich noch kurz den Ausweis angeschaut hatte: »Dann geh’n Sie, geh’n Sie!« Dann mußten wir in den Sexshop gehen.

Wir sind dann ein paar Minuten im Laden geblieben, damit das Ganze glaubhaft wirkte und danach weiter gelaufen. Wir haben natürlich nicht damit gerechnet, denen wieder über den Weg zu laufen. Aber wenn doch, hätten wir einfach gesagt, daß wir zum nächsten Sexshop gehen.

Die Genehmigung
Damals war ich neu in Deutschland und kannte noch nicht so viele Leute. Im Café war es langweilig, ich bin deshalb spazieren gegangen. Auf der Elbestraße dann das übliche Spiel mit der Polizei: »Was machen Sie denn hier, Sie dürfen doch gar nicht in Frankfurt sein.« Die haben mich gleich bis zum Bahnhof begleitet, und ich mußte nach Hofheim zurückfahren. Ein paar Tage später habe ich eine Vorladung zur Polizei in Hofheim erhalten.

Auf der Wache hatte ein älterer Polizist Dienst, der war eigentlich ganz nett. Vor dem mußte ich mich für meinen Aufenthalt in Frankfurt rechtfertigen. Ich hatte schon von anderen Leuten gehört, daß »menschliche Bedürfnisse« – dazu zählte auch Sex – als Entschuldigungsgrund akzeptabel seien. Also habe ich ihm erzählt, daß ich auf der Suche nach Frauen war.

Er mußte lachen, weil er alles protokollieren mußte: »Wieso gehen sie deshalb nach Frankfurt ?« Ich habe ihm geantwortet: »In Hofheim gibt es keine Sexshops und keine Frauen« Das Ganze war ihm wohl etwas peinlich. Er zu mir: »Wenn sie das nächste mal wegen so etwas nach Frankfurt gehen wollen, dann müssen sie eine Erlaubnis einholen.« Eine Zeitlang habe ich überlegt, ob ich mir so eine Erlaubnis auf der Ausländerbehörde besorgen soll. Ich hätte gerne deren peinlich berührte Gesichter gesehen. Habe ich dann aber nicht gemacht.

Kontrollnerv
Als ich noch Asylbewerber war, hatte ich Angst, in Frankfurt Polizisten zu treffen, weil ich mich dort nicht aufhalten durfte. Diese Unsicherheit haben sie mir wohl angesehen und mich deshalb ständig angehalten.

Nach der Asylanerkennung hatte ich ein gutes Gefühl. Jetzt konnte ich endlich legal in den Frankfurter Cafés sitzen – habe ich auch gemacht. In meiner Phantasie habe ich mir ausgemalt, wie ich mit nacktem Oberkörper dort sitze und auf den ersten Polizisten warte, der mich nach meinem Ausweis fragt und wie ich dem dann mit einem breiten Grinsen meine Erlaubnis zeigen würde.

Danach ist es zwar weniger geworden, es hat aber nicht aufgehört. Das hat vielleicht auch mit meiner Kleidung zu tun, dabei gehöre ich eigentlich nicht zu den auffälligen Leuten, meine Kleidung ist auffällig locker, unverkleidet sozusagen. Aus irgendeinem Grund finden sie es immer noch attraktiv, mich nach dem Pass zu fragen.

Jetzt ist es natürlich nicht mehr das Problem mit dem Ausweis. Es ist einfach Kontrollnerv, ständig kontrolliert zu werden.

Keluè Zeban