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Feminismus und Bevölkerungspolitik

Die Geschichte der Frauenbewegung kann als eine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Staatsfixiertheit von Frauenpolitik beschrieben werden. Daß Frauenemanzipation im Laufe der Zeit zu einem anerkannten öffentlichen Thema wurde, führte zu wesentlichen Verschiebungen theoretischer und politischer Inhalte des Feminismus. Feministische Theorien, ehemals Teil einer Politik der Befreiung, veränderten sich hin zu feministischen (Kultur)theorien, die zunehmend grundlegende gesellschaftliche Machtverhältnisse außer acht ließen und in einer eher konsumistischen Rezeptionsweise angeeignet wurden.

Angesichts der Integration frauenpolitischer Themen in den gesellschaftlichen Konsens bedeutet eine Kritik an Geschlechterverhältnissen vor allen Dingen auch eine Auseinandersetzung damit, was derzeit unter dem Label Feminismus und Frauenpolitik verkauft wird. Sexismus äußert sich nicht mehr nur über antifeministische Argumentationen sondern es wird sich häufig Argumentationsfiguren aus feministischen Diskussionen bedient die insbsesondere – wie im Differenzfeminismus – die Geschlechterdifferenzen hervorheben und so sexistische Muster reproduzieren. So suggeriert die juristische Formulierung des neuen §218 mit Begrifflichkeiten wie »Straffreiheit bis zur 12. Woche« eine Verbesserung, die jedoch aus feministischer Perspektive eher als Rückschlag zu werten ist.

Anhand der Abtreibungsdebatte, des Ausbleibens jeglichen relevanten Protestes nach dem Karlsruher Urteil zum §218, läßt sich diese Transformation feministischer Politik exemplarisch beobachten.

Staatlich-Parlamentarische Abtreibungspolitik
Der »Beitritt« der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hat 1992 zu einer neuen Thematisierung des §218 »von oben« geführt. Die Fristenregelung in der DDR, nach der die Abtreibung in den ersten drei Monaten legal war, wurde dabei kurzerhand als rechtswidrig abgetan.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 wie bereits 1975 in Form eines Normenkontrollverfahrens gegen den vom Parlament ausgehandelten Kompromiß entschieden. Danach ist Abtreibung bei Vorliegen einer medizinischen, eugenischen oder kriminologischen Indikation im Sinne der »Unzumutbarkeit für die Frau« straffrei und legitim. Bei Nichtvorliegen einer dieser drei Indikationen bleibt Abtreibung weiterhin trotz der vorgeschriebenen Pflichtberatung Unrecht, aber bis zur 12. Woche straffrei.

Rita Süssmuth führte 1990 einen Sonderweg1 in die Abtreibungsdiskussion ein, dessen Besonderheit in der strikten Trennung von Fragen der Legalität von denen der moralischen Legitimität liegt. Sowohl an der Indikationenregelung als auch an der Fristenlösung kritisierte sie die grundsätzliche Überbewertung der strafrechtlichen Dimension: Die juristische Ebene könne dem ethischen Konflikt nicht gerecht werden. Diese Formulierungen unterlaufen die für den Neokonservatismus typische Gleichsetzung dieser beiden Kategorien. Habermas hatte diese Gleichsetzung bereits in Debatten über »zivilen Ungehorsam« als Tautologie charakterisiert, die es verunmöglicht, andere Maßstäbe des Legitimen auszuweisen als den der positiven Legalität und umgekehrt das Illegitime illegalisiert. Illegitim bleiben Abtreibungen weiterhin vor allem deswegen, weil sie das staatliche Prinzip des Lebensschutzes verletzen.

Die dominante Tendenz zur Abkehr vom Strafrecht in der Abtreibungspolitik hat jedoch auch dazu beigetragen, den in den 70er Jahren noch öffentlichen Protest zu kanalisieren und von der Straße ins Parlament zu verlagern. Die konsensstiftende Wirkung des Staates beruht auf der teilweisen Entkriminalisierung der Abtreibung, wodurch eine Zusammenarbeit mit der ungewollt Schwangeren suggeriert wird. Gleichzeitig wird so das staatliche Lebensschutzgebot bedient, indem Abtreibung nach wie vor als eigentlich strafbare Tötung behandelt wird.

›Hilfe statt Strafe‹, eine neue Variante der LebensschützerInnen, ist zur parlamentarisch-staatlichen Konsensformel aufgerückt: »Genau in dieser argumentativen Ersetzung der Androhung von Strafe durch die Verantwortung für das Leben verschafft sich die Staatsmacht nun Zugang zum Körper«.2

Voraussetzung, um den Gegenstandsbereich gesetzlicher Regelung zu konstituieren und ein Objekt staatlicher Fürsorge zu schaffen, ist jedoch die Herauslösung und Gegenüberstellung des Fötus aus dem Körper der Schwangeren. Der Fötus wird so als Rechtssubjekt konstituiert, dessen »Recht auf Leben« auch gegen das Interesse der Frau durchgesetzt werden kann. In dieser Logik wird der weibliche Körper zum bloßen Gefäß, in dem der Fötus geschützt vor dem Anspruch der Frau auf Selbstbestimmung zum zukünftigen Staatsbürger heranreifen soll. Durch den staatlichen Anspruch auf Kontrolle der »Beziehung« zwischen der Schwangeren und ihrer »Leibesfrucht« wird die Frau im Verhältnis zum Rechtssubjekt Fötus zum Objekt herabgesetzt.

Abtreibung und Bevölkerungspolitik
Eine Kritik am §218 kommt vor diesem Hintergrund ohne Kritik an Staat und Bevölkerungspolitik nicht aus. Zusammen mit anderen staatlich verordneten Mutterschutzmaßnahmen (Erziehungsurlaub, Kündigungsschutz, Erziehungsgeld, Mutter/Kind-Kuren etc.) und der Aufrechterhaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, dient er zur Verteidigung des ideologischen Konstrukts von Familie – wenn auch die Definition dessen, was Familie bedeutet, heute nicht mehr ganz so eindeutig ist wie noch vor 30 oder 40 Jahren. Zum einen gibt es im Sinne des Vater-Mutter-Kind-Ideals immer mehr unvollständige Familien, zum anderen ist auch das Modell des (männlichen) Alleinverdieners mittlerweile überholt, da sich von seinem Lohn eine Familie kaum mehr finanzieren läßt. Da jedoch ein breiter Konsens darüber besteht, daß ein Schwangerschaftsabbruch niemals das Ergebnis einer prinzipiellen Entscheidung gegen ein Kind sein könne, sondern stets einer wie auch immer definierten sozialen Notlage geschuldet sei, ist der Staat hier von seiner eigenen Ideologie in die Pflicht genommen. Sie findet ihren Ausdruck in der Forderung nach mehr Teilzeitarbeitsplätzen, erhöhtem Kindergeld oder der Ablösung des Mutterschaftsurlaubes durch den von Vater und Mutter gleichermaßen beanspruchbaren Erziehungsurlaub. Letzteres fügt sich gut in eine Reihe von Tendenzen ein, die zusammengefaßt als Feminisierung der Arbeitswelt bezeichnet werden könnten – verstanden als zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeit und -verhältnissen – wie sie früher nur für die klassischen Frauenberufe selbstverständlich waren. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang das viel gepriesene Arbeitszeitflexibilisierungsmodell bei VW, die Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen in den Niederlanden oder das auf Niedriglöhnen basierende »Jobwunder« in den USA. Wenn alle in gleich schlechten Verhältnissen arbeiten, ist es am Ende auch egal, wer den Erziehungsurlaub nimmt. Der §218 ist einer der Maßnahmen zur Steigerung der eigenen, nationalen Geburtenrate, entsprechend einer nationalen und völkischen Politik, die unter Schlagwörtern wie »Überfremdung«, »das Boot ist voll«, etc. Abschiebungen vornimmt und international versucht, das »Problem der Überbevölkerung in der Dritten Welt« zu kontrollieren. Bei der eugenischen Indikation zeigt sich offen das Interesse an der Erhaltung der Volksgesundheit, d.h. gesunden, leistungsfähigen Nachwuchs großzuziehen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Eugenik wird durch das ausdrückliche Angebot so begründeter straffreier Abbrüche bis in die 22. Woche erhöht.

Mit seiner Ausrichtung nach Wert und Nutzen, unterstützt durch Reproduktionstechnologien, Pränataldiagnostik und humangenetische Beratung, ist der §218 ein Instrument westlicher Bevölkerungspolitik.

Westliche Frauenbewegung
Die pronatalistische Politik der westlichen Industrieländer steht dem verordneten Antinatalismus (Verhütung der Reproduktion durch Zerstörung der Fortpflanzungsfähigkeit) der sogenannten Entwicklungsländer gegenüber.

Die von Organisationen wie UNO, Weltbank oder IWF initiierten Familienprogramme in vielen der sogenannten Entwicklungsländer forcieren – mit ihrer Propagierung der Ein- bzw. maximal zwei Kind(er)-Familie, definiert nach dem westlichen, heterosexuellen Zweierbeziehungsideal, verbunden mit dem Versprechen von neuen oder verbesserten Konsummöglichkeiten – die Festschreibung des westlichen Modells der bürgerlichen Kleinfamilie, deren globale Durchsetzung nicht zuletzt als ein Resultat von 500 Jahren Kulturimperialismus und Kolonialismus angesehen werden kann. Bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Familienplanung und -größe folgen oftmals drastische repressive Maßnahmen von Lohnkürzungen bis Zwangssterilisation.

Die westliche Frauenbewegung hatte dem lange nichts entgegenzusetzen oder sich dieser Programmatik selbst verschrieben. Dabei hätte ein Blick auf die Geschichte der Bewegung für Geburtenkontrolle genügt, um festzustellen, in welcher Weise hier berechtigte Forderungen, wie die nach der Legalisierung von Verhütungsmitteln, verknüpft wurden mit eugenischen Zielsetzungen bis hin zur Propagierung der Zwangssterilisation von »Schwachsinnigen, Analphabeten, Armen, Arbeitsunfähigen, Kriminellen, Prostituierten«3. Geburtenkontrolle wurde zur Domäne weißer Mittelschichtsfrauen, welche vor allem eugenisch und rassenhygienisch argumentierten und verkehrte sich so zur Bevölkerungskontrolle, die sich gegen arme und schwarze Frauen richtete.

Die Festschreibung von Frauen auf einen Opferstatus in der patriarchalen Gesellschaft korrespondierte mit der theoretischen Setzung eines weiblichen Identitätsbegriffes. Als Ausgangspunkt politischer Mobilisierung ging diese Kategorie des Differenzfeminismus auf Kosten der Analyse von rassistischen, nationalistischen und klassenspezifischen Faktoren. Über die Behauptung, das Patriarchat sei das primäre Unterdrückungsverhältnis, erschienen alle anderen Machtverhältnisse zweitrangig. Letztlich wurden damit Rassismus und Sexismus nicht nur in eins gesetzt – »Frauen als die Neger der Welt« –, sondern rassistische Herrschaftsverhältnisse wurden unter sexistische subsumiert.

Bevölkerungspolitik kann nicht allein als sexistischer Eingriff in die Reproduktionsweise einer Gesellschaft definiert werden, um damit eine Einheit der Frauen als gemeinsame Opfer einzelner Maßnahmen zu konstruieren.

Vielmehr können die Forderungen nach Selbstbestimmung oder reproduktiven Rechten als Versuch gelten, einen Minimalkonsens herzustellen, auf dessen Grundlage Bevölkerungspolitik unter Herausbildung spezifischer Frauenforderungen kritisiert werden kann. Dabei sollte dann auch deutlich werden, daß unterschiedliche Lebensumstände und soziale Verhältnisse unterschiedliche Vorstellungen von Emanzipation und Befreiung bedingen. Zentral sind nicht kulturelle Differenzen (die zumeist nur plumpe Rassismen verdecken), sondern die Hierarchien, die ihre Legitimation über die Berufung auf Unterschiede beziehen.

Westliche Frauen definieren ihr Verständnis von Freiheit und Emanzipation jedoch häufig im Kontrast zu anderen Gesellschaften und Kulturen. Beurteilt werden diese Kulturen dann ausschließlich über den jeweiligen Grad der Frauenunterdrückung, wobei westliche Industriegesellschaften immer schon wie selbstverständlich einen höheren Grad an Emanzipation erreicht haben.

Im Zuge der internationalen Vernetzung verschiedener Frauenbewegungen wurde offensichtlich, daß der Begriff der Selbstbestimmung zunehmend durch eine spezifisch westliche, eurozentristische Vorstellung von Frauenemanzipation bestimmt wurde, die ihre eigenen Lebensentwürfe zur Norm erklärte. So orientiert sich Selbstbestimmung, als zentraler Teil dieses Lebensentwurfes, am Subjektbegriff der Aufklärung, vor dessen Hintergrund ein möglichst großes Wissen über die eigenen Körperfunktionen und Prozesse sowie über die Möglichkeiten der Regulier- und Kontrollierbarkeit derselben vorausgesetzt wird. Andere Umgangsformen mit Körperlichkeit und Sexualität als die des rationalen, wissenschaftsorientierten Ideals der Planbarkeit und Verwaltung der eigenen Reproduktionsfähigkeit waren in diesem Konzept von Emanzipation nicht vorgesehen; die dichotomen Oppositionen Kultur/Natur, Körper/Geist mit ihren entsprechenden geschlechtsspezifischen symbolischen Zuordnungen blieben unhinterfragt. Armut und Kinderreichtum wurden vor diesem Hintergrund auf mangelnde Bildung oder »fehlende Selbstbeherrschung« zurückgeführt.

Staatliche Fixierungen
In der BRD wurde der Begriff der reproduktiven Selbstbestimmung vor allem in den 70er Jahren über die öffentliche Forderung der neuen Frauenbewegung nach ersatzloser Streichung des §218 definiert.4 Die Forderungen richteten sich prinzipiell gegen jede Form staatlicher Regulierung. In Zusammenhang mit dem §218 wurden neue Verhütungs -und Abtreibungsmethoden auch im Kontext des kapitalistisch strukturierten Gesundheitswesens und der internationalen Bevölkerungspolitik diskutiert. Mutterschaft und Zwangsheterosexualität wurden als Teil einer patriarchalen Ideologie ausgemacht. Die Forderung nach Selbstbestimmung, die Kritik an Patriarchat und Kapitalismus über alle Grenzen hinweg, verbunden mit der Berufung auf eine gemeinsame weibliche Identität, ging jedoch auf Kosten der real existierenden Unterschiede zwischen Frauen. Die Selbstdefinition von Frauen als unterdrückte Gruppe und ihre Selbstbeschränkung auf eine gemeinsame Frauenidentität hat nicht zuletzt dazu beigetragen, politische Forderungen zu stellen, die sich auf die Verbesserung der spezifischen Lebenssituation von Frauen beschränkten und die das Geschlechterverhältnis als Verhältnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und als ideologisches Verhältnis zumeist ausklammerten. Dies erleichterte sicherlich auch die Integration des Themas Frauenemanzipation in die öffentliche Diskussion und in die staatliche Politik.

Seit Ende der 80er Jahre wird Selbstbestimmung zunehmend als Möglichkeit verstanden, Frauen umfassender im bestehenden Gesellschaftssystem zu repräsentieren.

Ausgehend davon, daß letztlich der Staat den Frauen Freiheit und Gleichheit garantiere und sie als politische Subjekte anerkenne, hat sich der Ort politischer Auseinandersetzung auch im Hinblick auf den §218 von der Straße ins Parlament verlagert. Die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 ist einer ExpertInnenrunde gewichen, in der Frauen als Ärztinnen, Juristinnen, Abgeordnete oder Sozialpädagoginnen auftreten. Schwangere Frauen werden zu Objekten staatlicher oder karitativer Regulierungen gemacht.

Mit der Fixierung auf juristische Lösungen wird dem staatlichen Lebensschutzgebot und seiner Familienpolitik nicht viel entgegengehalten – es wird vielmehr reproduziert. Der Ruf nach Regulierung durch Frauenministerien, Frauenbeauftragte, Antidiskriminierungsgesetze und Quotierungen trägt zur Ausweitung staatlicher Institutionen bei, deren Funktion, egal ob frauenspezifisch oder nicht, zunächst darin besteht, die BürgerInnen in das bestehende System zu integrieren. (Sozial)staatliche Institutionen zur Lösung des »Frauenproblems« machen Frauen zu Klientinnen und Abhängigen und individualisieren so mögliche Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen. Die Schaffung von Frauenparkhausplätzen, die frauengerechte Umgestaltung des Öffentlichen-Personennah-Verkehrs (auch für Frauen mit Kinderwagen) dienen sicherlich nicht dazu, die herrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung anzugreifen. In einer derartigen Politik werden Frauen lediglich als schutzbedürftige Empfängerinnen staatlicher Hilfsmaßnahmen repräsentiert.

Zudem geht die Forderung nach einem juristisch kodifizierten weiblichen Selbstbestimmungsrecht von Frauen als Rechtssubjekten aus. Ein solcher Subjektbegriff setzt der bürgerlichen Ideologie mit seiner Vorstellung von individualistischem Recht nichts entgegen. Die Frage, wer in diesem Staat überhaupt als Subjekt gelten kann und wer von dieser Definition per se ausgeschlossen ist, stellt sich aus dieser Perspektive gar nicht. In der Debatte um den §218 werden mit dieser Staatsbürgerinnenposition rassistische Ein- und Ausgrenzungspraktiken und damit auch das Moment nationalstaatlicher Bevölkerungspolitik ausgeblendet.

»Die politische Konstruktion des Subjekts ist mit bestimmten Legitimations- und Ausschlußzielen verbunden; diese politischen Verfahrensweisen werden aber durch eine Analyse, die sie auf Rechtsstrukturen zurückführt, wirksam verdeckt und gleichsam naturalisiert, das heißt als ›natürlich‹ hingestellt. Unweigerlich ›produziert‹ die Rechtsgewalt, was sie (nur) zu repräsentieren vorgibt. Es genügt also nicht zu untersuchen, wie Frauen in Sprache und Politik vollständiger repräsentiert werden können. Die feministische Kritik muß auch begreifen, wie die Kategorie Frau(en), das Subjekt des Feminismus, gerade durch jene Machtstrukturen hervorgebracht und eingeschränkt wird, mittel derer das Ziel der Emanzipation erreicht werden soll.«5

Wenn die Konstruktion des Subjekts nicht in diese Überlegungen miteinbezogen wird, bleibt auch die Konstruktion der Geschlechter unhinterfragt – eine Konstruktion, die die ›Frau‹ als ›mögliche Mutter‹ bestimmt; ebenso wie die Konstruktion des imaginierten Kollektivs Volk bzw. Nation.

Feministische Kritik an ungleichen Geschlechterverhältnissen hieße vor diesem Hintergrund, staatsbürgerliche Rechte für deutsche Frauen zu sichern, während durch die nationalstaatliche Abschiebepraxis Migrantinnen eben diese Rechte streitig gemacht werden. Sie müsste jedoch im Gegenteil, als Kritik an einer patriarchalen Gesellschaft, deren staatliche Verfaßtheit mit ihren strukturellen Ausschlüssen miteinbeziehen.

Feministische Identitätspolitik
Der Versuch, im Hinblick auf Forderungen nach Selbstbestimmung (mit der impliziten Vorstellung eines autonomen Subjekts) oder Legalisierung der Abtreibung (mit der impliziten Vorstellung eines Rechtssubjekts) einen Konsens herzustellen, hat immer Normierungen und Ausschließungen zur Folge – egal zu welchem Zeitpunkt der Frauenbewegung. Dies stellt feministische Politik jedoch vor ein Dilemma: Wenn diese nicht davon ausgeht, daß es zumindest ein gesellschaftliches Kollekiv »Frauen« gibt, verliert feministische politische Praxis ihren besonderen Status. Der Versuch jedoch, die besonderen Eigenschaften dieses Kollektivs zu definieren, wird für feministische Politik selbst wiederum zum Problem, da diese notwendig einige Frauen ausschließen würde, die die feministische Theorie miteinbeziehen müßte.

Ausgehend von einer feministischen Kritik am Identitätskonzept müsste jedoch zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung in bezug auf das Kollektiv/Gruppe Frau unterschieden werden. Solche Gruppenzusammenschlüsse können letztendlich nur ein Zwangsverhältnis darstellen, da sie auf nicht selbst gewählten Fremdzuschreibungen beruhen. Gruppenidentität wird quasi hergestellt, um abgeschafft zu werden.

So wurde die Kategorie Geschlecht gerade deshalb in die feministische Forschung eingeführt, um traditionelle Bemühungen zur Definition von Weiblichkeit über die Biologie, d.h. auch über ihre Reproduktionsfähigkeit kritisieren und ablehnen zu können. Politische Forderungen, in Form von Bündnispolitik, setzen den Rückgriff auf eine Identitätskategorie voraus, die jedoch nicht notwendig alle Differenzen festschreibt. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung einer gemeinsamen Identität kann Produkt eines sozialen oder politischen Prozesses sein, und sich so über das gemeinsame Ziel definieren, ohne notwendig von einem essentialistischen oder substantiellen Konzept von Geschlechtsidentität auszugehen, sondern im Gegenteil solche Konzepte aufzubrechen.

Zumindest bricht die Forderung nach völliger Streichung des §218 als einem gemeinsamen Ziel mit der Fremdzuschreibung »alle Frauen sind potentielle Mütter.«

AK 217


x 1 x Einen Mittelweg zwischen Abtreibungsverbot und Fristenlösung zu entdecken fällt schwer, da die letzte Entscheidung über einen Abbruch entweder nur bei der Schwangeren selbst liegen kann oder eben bei einer anderen Instanz.
x 2 x Juliane Rebentisch: Zurück in die Zukunft. §218, Nationalstaat und Biopolitik, in: Cornelia Eichhorn/Sabine Grimm (Hg.): Gender Killer, Frankfurt/M. 1994, S.27
x 3 x Margaret Sanger, die Heroe der Geburtenkontrolle, zitiert nach Angela Davis: »Rassismus und Sexismus. Schwarze Frauen und Klassenkampf in den USA«, Berlin 1982, S.204
x 4 x Die zweite Frauenbewegung formierte sich, als Frauen und Männer formalrechtlich bereits gleichgestellt waren. So traten in der neuen Frauenbewegung vor allem die strukturellen Bedingungen patriarchaler Gewalt trotz jener formalrechtlichen Gleichstellung in den Vordergrund der Auseinandersetzungen.
x 5 x Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991, S.17