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Mann im Rock

„Joschkas Farbbeutel-Transvestit“ (BZ)

Anmerkungen zu Geschlechtskonstruktionen in der Presse anlässlich des Kosovo-Krieges

Verfolgt man die Presseberichterstattung in Deutschland, stellt sich der Eindruck ein, dass es in Deutschland weder eine nennenswerte Opposition noch Widerstand zum Krieg in Jugoslawien gibt. Kritische Stimmen und oppositionelle Aktionen sind eher in der Minderheit. Sollte es dennoch einmal zu einer Aktion kommen, die nicht zu übersehen ist, wird die Tat personalisiert. Sie erscheint als eine Tat ohne politischen Kontext und Inhalt. Zwar personalisiert und sensationalisiert die Boulevardpresse gern das politische Geschehen, um die Gemüter zu befriedigen und die Auflagenzahlen zu sichern, in Zeiten des Krieges wird aber diese Methode ein Mittel im Kampf um Hegemonie. Wie dieser Kampf an der „Heimatfront“ funktioniert und welche Klischees dabei bedient werden, lässt sich am Fall von „Fischers Farbbeutel-Transvestit“ studieren: Kaum hatte auf dem Grünen Sonder- oder Kriegsparteitag ein Farbbeutel zielsicher den Außenminister Fischer getroffen, stürzte sich vor allem die Boulevardpresse auf die Tat, oder genauer: auf die TäterIn. „Besudelt von Mann im Rock“, so überschrieb Bild ihre Titelseite am Folgetag mit Großbildaufnahme. „Besudelt“, das klingt schmutzig und schwul, das klingt dreckig und sexuell. Besudelt werden Heiligtümer. Die TäterIn wird zur SünderIn, das Objekt zum schützenswerten – hier: nationalen – Heiligtum. Wer hätte das gedacht, dass sich die Springerpresse bemüßigt fühlt, Joseph Fischer als nationales Heiligtum zu schützen, mit ihm zusammen den Kampf an der Heimatfront aufzunehmen? Und so lässt sich vermuten, dass dieses Sakrileg nicht nur als Angriff an sich auf den Staatsapparat verstanden wird, sondern als ein Angriff, der durch die TäterIn selbst das nationale Amt verunglimpft.

Am 15.5. eröffnet dann Bild die Fahndung nach der TäterIn mit Großbildaufnahmen als Coverstory: „Berlin sucht Mann im Rock.“ Die Tat ist nicht nur zur spannenden Kriminalstory geworden, durch den Aufruf an die gesamte Bevölkerung wird die Tat zudem zu einer Tat, die ein nationales Sicherheitsinteresse zu suggerieren scheint. Der endlich enttarnte Feind im eigenen Lande muss verfolgt und zur Strecke gebracht werden, um die nationale Einheit und Sicherheit gerade im Kriegsfalle zu gewährleisten. Die BZ (Berlins größte Springer-Zeitung) liefert weitere „Fakten“ zur TäterIn. „Jürgen war's, ein Transvestit aus Berlin“, der tagsüber als Computerexperte arbeite, abends in Frauenkleidung herumlaufe und zu „Kreuzberger-Chaoten-Kreisen“ gehöre. „Der Mann im Rock“, mit dem dubiosen Doppelleben, der „Perverse“ unter dem Deckmantel der Normalität, die verwirrte ChaotIn aus der totalitären Szene: gefährlich ist, so wird uns mitgeteilt, was unbekannt und der sozialen Kontrolle entzogen ist. Nicht zugehörig zum sozialen Common Sense und Geschlechter-Anstand droht hier die Anarchie, wenn nicht Freund und Feind gleich dingfest gemacht werden. Und wissen wir nicht spätestens seit dem „Schweigen der Lämmer“, dass der Mörder nicht mehr der Gärtner, sondern der Transvestit ist? Und um sich an diesen „Abgründen“ zu weiden, prangt neben der Überschrift auch noch ein passendes „Pin-Up-Foto“. Die latente Homo- und Transphobie dieser Gesellschaft feiert in Kriegszeiten fröhliche Urstände. So ist es in der neu-alten Grenzziehung zwischen drinnen und draußen, zwischen Feind und Freund auch längst nicht mehr überraschend, dass aus Außenminister Fischer zärtlich Joschka wird – nun vollends ein Familienmitglied. Um sich gleich auch als solches zu beweisen, wird ein Strafantrag gestellt. So wird die Vergangenheit nicht nur mit Farbbeuteln hinter sich gelassen.

Von Interesse ist auch hier, dass sich in der übrigen Presselandschaft nur noch die taz für derartig Personalisierendes interessiert. In „schwulem Glossenstil“ versucht sich der Autor in der Querspalte vom 17.5. an einer Stilkritik der TäterIn. Aber nicht der politische Stil, Sinn und Zweck der Aktion, werden glossenhaft diskutiert und persifliert, nein, der Autor bemängelt den geschmacklosen Kleidungsstil dieser „militanten Tucke“, die mit ihrer „halbgaren Tat“ doch nur aus Geltungssucht gehandelt habe. Auch ein taz-Autor sieht offenbar nur einen legitimen Ort für „Männer im Rock“: die Bühne. Dass diese schon in vielen Kriegen den Soldaten als Erheiterung im Feld gedient haben, damit sie umso fröhlicher zum Töten und Sterben aufbrechen, bleibt ihm verborgen. Politisch sind Männer im Rock für den Autor aufgrund ihrer Person nicht ernstzunehmen. Transphobie feiert also auch in homophilen Kreisen Auferstehung. Kurz, ästhetische Kritik im politischen Diskurs stellt immer ein heikles Unterfangen dar, sie kann dazu dienen, politische Argumentationen kritisch zu untermauern, sie kann diese aber genauso untergraben. Diese Art der Ästhetisierung von Politik kann man in der kritischen Kultur auch fürchten lernen.

Doch warum gibt es diesen irren Medienhype? Farbbeutel fliegen viele, auch auf Herrn Fischer, Männer in Röcken sieht man auf jeder Modenschau. Vor dem Hintergrund des Krieges, auf den die deutsche Gesellschaft eingeschworen werden soll, werden eben auch andere Zusammenhänge sichtbar.

In Krisenzeiten muss jeder „seinen Mann“ stehen. Ohne eine Kritik an hegemonialer Männlichkeit sind die Durchhalteparolen des „Siegen-Müssens um jeden Preis“ nicht zu verstehen. Dies wird auch an der absoluten Dominanz des Militärs in der Berichterstattung offensichtlich, nicht nur in Bezug auf militärische, sondern gerade auch auf humanitäre Informationen. In Kriegen werden Geschlechterverhältnisse eben auch immer festgezurrt. Es geht hierbei insbesondere um die Festigung von Männlichkeitskonzepten. Verbrämt mit vermeintlicher Humanität sind es die Prinzipien von Durchhalten, Stärke und Siegen, die in diesen Zeiten wieder aufscheinen. In diesem Zusammenhang werden durch die Tat des „Mannes im Rock“ nicht nur Verantwortliche für den Krieg markiert, sondern auch Geschlechterverhältnisse in Frage gestellt.

Und so zeigt sich eben auch das Doppelgesicht des Liberalismus, Toleranz gegenüber Minderheiten, solange es nichts kostet. Aber es geht um weitaus mehr: Denn deutlich wird nicht nur, dass diese Toleranz lediglich situationsgebundenes Krisenmanagement darstellt, sondern auch dass mit Hilfe der Begrenzung des sozial Tolerablen Politik gemacht wird und Zustimmungen produziert werden. Dass Sexualität und Geschlechts-Non-Konformität dafür besonders taugliche Instrumente sind, ist zwar keine neue, aber derzeit dennoch eine bittere Erkenntnis.

Der Feind im eigenen Lande ist nicht nur der „Volksverräter“ (Gysi), sondern auch der „Perverse“, der durch seinen unberechenbaren Lebenswandel der Front in den Rücken fällt. Im Umgang mit Minderheiten zeigt sich das wirkliche Gesicht einer Gesellschaft.

Corinna Genschel/Arnd Hofmeister

Aus Freitag Nr. 23, 4. Juni 1999. Wir danken für die Abdruckgenehmigung.