Heft 4/98

»Ein runder Tisch, der so eckig ist, daß er mitspricht«
Über die Informationspolitik der Ausstellung »Gen-Welten«

»Tatsache« ist doch, »daß die Erkenntnisse der Molekulargenetik und die Techniken der neuen Biotechnologie schon jetzt Bestandteile unseres Lebens sind und in kommenden Jahren weit größere Areale unserer Lebenswelt erobern werden.« Und »sich gegenüber dem Neuen zu verschließen, wäre« sicherlich »eine ebenso falsche Reaktion wie alles Neue ungefragt zu übernehmen.«1 Es gilt, das Unvermeidliche mit kritischem Anstand zu begleiten und »für die weiteren Forschungswege« als »Gesellschaft, die ja letztlich immer betroffen ist, eine aktive Rolle« einzunehmen. Die Gesellschaft aber sind »wir« - die »mündigen Bürgerinnen und Bürger«. Und so haben »wir« zunächst einmal die Aufgabe, uns eine »eigene fundierte Meinung« zu bilden. Schön, wenn wir bereit sind, uns dabei helfen zu lassen, wenn uns dabei jemand hilft.

Gegenwärtig finden - parallel in fünf Städten (Bonn, Dresden, Mannheim, München, Vevey/Schweiz) - unter dem gemeinsamen Titel »Gen-Welten« verschiedene Ausstellungen zum Thema Genetik und Gentechnik statt.2 »Wir« haben die Chance genutzt und uns die Bonner Ausstellung näher angesehen.

Sie trägt den nach klassischer Bildung schreienden Titel »Prometheus im Labor«. Wer? Ein Griff zum Lexikon tut Not: Er, der den Göttern das Feuer entriß und es dem Menschen brachte - eine Art Initialzündung jeglicher Technologieentwicklung? Oder er, der der Sage nach den ersten Menschen nach dem Ebenbild der Götter aus Lehm erschuf? Nun, wie auch immer.

Im Eingangsbereich der Ausstellung führen zwei an gegenüberliegenden Wänden angebrachte Leuchtdioden-Lauftexte einen stummen Dialog miteinander: Eine Schöpfungsgeschichte nach der griechischen Mythologie und eine UNESCO-Deklaration, die zum verantwortungsvollen Umgang mit dem menschlichen Genom aufruft. Beherrscht aber wird der Raum insgesamt von einer Evolutions-Uhr, die verdeutlicht, wann - gerechnet auf einen 24 Stunden Tag - die einzelnen Arten der Lebewesen auf der Erde entstanden sind - der Mensch erschien erst zwei Sekunden vor Mitternacht. Da haben wir’s: der Mensch, einerseits extreme Spätgeburt in der Naturgeschichte, andererseits ein Geschöpf, das sich promethisch (äh ja) zum gottgleichen Schöpfer aufzuschwingen sucht und versucht ist: Der Ausstellungsabschnitt Natur - Schöpfung - Evolution umspielt diese Thematik. Ihr sollen wir uns stellen.

Im Ausstellungsabschnitt Biologische Grundlagen begegnen wir dem »Chromosomensatz« einiger Tiere, der in Form von effektvoll angestrahlten, überdimensionierten Stahlnachbildungen zu Kegeln geformt von dem jeweils zugehörigen Tier an der Spitze gekrönt wird. Der Informationswert - kleine Tiere (Schmetterling) können mehr Chromosomen haben als große Tiere (Mensch) - steht in auffälligem Gegensatz zum recht monumentalen Aufbau dieser Skulpturen. Dafür aber gewinnen Chromosomen hier den Anschein von Solidität, ja von tatsächlichem Baumaterial: Ich kann mir mit Chromosomen einen Kegel bauen; die Assoziation, mittels Chromosomen auch Leben zu »bauen«, ist davon nicht weit entfernt.

Sehr viel anspruchsvoller zur Sache geht es dann auf Stellwänden, die die Vorgänge in einer Zelle erklären sollen. Dabei erscheint die DNA als Hauptakteur; sie zeichnet verantwortlich für Prozesse des Stoffwechsels, der Fortpflanzung und der Zellteilung. Wer hier jedoch nicht schon vorher Bescheid wußte, weiß nachher auch nicht viel mehr. Ein spektakulär gemachter 3-D Trickfilm (Rot-Grün Brillenzwang), der uns in das Innere einer Zelle entführt, hilft da auch nicht weiter.

Daß im übrigen auf den Fotos zunächst gar nichts und erst nach längerem Rätseln über die beschreibenden Texte manchmal etwas zu erkennen ist, hätte Anlaß geben können, ein paar Worte darüber zu verlieren, daß es sich bei den sichtbaren Gebilden gewiß nicht um schlichte photorealistische Abbildungen von etwas handelt, das einfach so da ist. Vielmehr handelt es sich um Erzeugnisse, die überhaupt nur aufgrund spezifischer Visualisierungstechniken (z.B. Rastertunnelmikroskop, spezielle Einfärbungsmethoden) gegeben sind. Auskunft über das Dasein irgendwelcher Objekte geben die sichtbaren Gebilde nur im Zusammenhang mit der Interpretation der so erzeugten Bilder, die wiederum auf ein Wissen um die Funktionsweise der verwendeten Visualisierungstechniken und um die Eigenschaften der dem Verfahren unterzogenen Substrate angewiesen ist. Derlei Vertiefungen und Überlegungen sollen dem Publikum aber offenbar nicht zugemutet werden.

Eine eher unauffällige Tafel zur Wissenschaftsgeschichte präsentiert eine chronologische Abfolge verschiedener Definitionen des »Gen«-Begriffs. Mittlerweile gibt es sogar Vorschläge, diesen Begriff wieder fallenzulassen.3 Wissenschaftliche Verunsicherungen, die Anlaß zu wissenschaftstheoretischer Reflexion geben? Im Rahmen der Ausstellung wohl kaum.

Doch genug der Theorie - auf ins LABOR!
Auf einer »Werkbank« stehen ordentlich aufgereiht allerlei Apparaturen und Gefäße - hier ein Kasten mit Leuchtdioden und jeder Menge Reglern, dort einige Glasgefäße und Schälchen. Darüber erläuternde Texte, die von den einzelnen Arbeitsschritten handeln, die bei der Rekombination bzw. Sequenzierung von DNA-Abschnitten nötig sind. Unter dem harmlosen Titel »Haustiere der Genetik« erfahren wir etwas über den »Arbeitsplatz« der süßen Labormaus. Auch hier bestehen Rationalisierungstendenzen - ihren Job wird in Kürze ein »Bioreaktor« übernehmen. Dieser besteht aus einer kleinen, durchsichtigen, leeren Plastiktrommel - hätte es hier nicht vielleicht auch ein Joghurtbecher getan? Wer nicht am Tatort Genlabor auszumachen ist, ist Prometheus, geschweige denn (wirkliche) Handelnde, die handeln (könnten). Nichts und niemand ist in Aktion zu sehen. Die Vorgänge und technischen Details der Laborpraxis bleiben im Großen und Ganzen im Dunkeln.

Beruhigen, daß frau der potentiellen Gefahr der im Labor verwendeten Substanzen Rechnung zu tragen weiß, soll uns ein Blick durch 4 Labortüren, die den Sicherheitsstufen S1 - S4 für gentechnische Labors entsprechend ausgestattet sind. Während Stufe S1 noch von »Jedermann« in Laborkleidung betreten werden darf, sind Substanzen in Labors der Stufe S4 (in Deutschland gar nicht vertreten) hermetisch abgeriegelt nur noch von außen mit hineinreichenden Sicherheitshandschuhen zu bearbeiten. Alles im Griff, oder? Informationen darüber, welche Gremien nach welchen Kriterien die Klassifizierung der Labors gemäß dieser Stufen festlegen - eminent politische Entscheidungen darüber, wer unter welchen Auflagen was herstellen darf - fehlen aber.

Und so gelangen wir, schon einigermaßen erschöpft, schließlich zu den Anwendungsfeldern der Gentechnologie.
Im Bereich Gesundheit und Krankheit, der sich zunächst mit der gentechnologischen Diagnostik und Therapie von Krankheiten beschäftigt (der sogenannten. »roten« Gentechnologie), erlangt als erstes ein großer Billardtisch unsere Aufmerksamkeit. Schautafeln informieren uns über die seltenen sogenannten monogenen Krankheiten (z.B. Veitstanz), deren Ursache in einem angeborenen Defekt eines Gens gesehen wird. Als Beleg für diese Sichtweise diente lange Zeit die Aufzeichnung und Auswertung familiärer Krankheitsgeschichten, die auch die Basis für Diagnosen abgaben. Mittlerweile wurden offenbar aber bestimmte »Übeltäter«-Gene auch physisch lokalisiert. Mittels gen-technologischer Verfahren ist es nun möglich, sich auf diese Anlagen hin testen zu lassen. Ursache und Wirkung scheinen damit geklärt; der Lauf des Balls läßt sich berechnen ... Freilich sagt das Vorhandensein eines solchen Gens nicht unbedingt etwas darüber aus, wann die Krankheit bzw. ob sie überhaupt ausbricht. Und mit etwaigen verbesserten Behandlungsmöglichkeiten der diagnostizierten Krankheiten bei deren faktischem Auftreten haben diese »Errungenschaften« momentan wenig bis gar nichts zu tun. Was sowohl die Berechenbarkeit der Krankheiten wie auch die Sinnhaftigkeit der diagnostischen Bestrebungen dann doch stark relativiert.

In noch stärkerem Maße gilt dies für den großen Bereich der multifaktoriellen Krankheiten, also solchen Krankheiten, die aus vielfältigen Ursachen resultieren. Eine überdimensionierte Roulette-Scheibe soll dies veranschaulichen. Gleich auf Feld 1 erfahren wir, daß Krebs - als prominentes Beispiel für diese Krankheiten - höchstens zu 10% erblich bedingt ist. Warum manche Krebs bekommen und andere nicht, ist bis heute völlig unklar. Glücksspiel!? Im folgenden wird dennoch fast ausschließlich die molekularbiologische Seite dieser Krankheiten erläutert. Umweltfaktoren, die gerade hier eine entscheidende Rolle spielen, tauchen demgegenüber nur andeutungsweise auf einem der 20 Roulette-Felder auf.

Dem zweiten großen Anwendungsfeld, der sogenannten »grünen Gentechnologie«, begegnen wir im nächsten Bereich, überschrieben mit Züchtung, Ressourcen und Biotechnologie. Hier geht es vor allem um Freisetzungsversuche und den Anbau transgener Pflanzen, um Genbanken und Biodiversität. Besonders dem zuletzt genannten Aspekt kommt dabei größere Aufmerksamkeit zu: Die globale Vielfalt des Lebens ebenso wie deren Bedrohung wird mittels einer überdimensionalen Weltkarte veranschaulicht. Dem Rückgang der Vielfalt, insbesondere an Kulturpflanzen, werden dann aber in Form der Genbanken Maßnahmen gegenübergestellt, die das Bedenkliche dieser Entwicklung wieder abmildern: Nichts geht wirklich verloren, solange dafür Sorge getragen wird, einige wenige Exemplare einer bestimmten Art zu bewahren. Deutlich gemacht wird auch, daß die Bewahrung bzw. die genetische Erforschung der »Natur« als zukunftsträchtige Investitionen angesehen werden: Neben den Bodenschätzen stellt nun die biologische Vielfalt eine zentrale Ressource dar.

In beiden Bereichen zur Anwendung werden die Präsentationen ergänzt durch kurze Videoszenen: DarstellerInnen aus der Lindenstraße diskutieren in persönlichen Zwiegesprächen Pros und Kontras verschiedener Anwendungsfelder der Gentechnologie. Die neuen Beimers setzen sich beispielsweise im Zuge ihrer Nachwuchsplanung mit Fragen der pränatalen Diagnostik auseinander. Auffällig ist dabei, daß die Dialoge im Bereich Gesundheit und Krankheit vor allem von Fragen der individuellen Haltung gegenüber den »Angeboten« der Gentechnologie bestimmt sind. Demgegenüber erörtern die ProtagonistInnen im Bereich Züchtung, Ressourcen und Biotechnologie solche Probleme und Chancen, die für sie offenbar eher von öffentlichem Interesse sind. Um gesellschaftspolitische Dimensionen geht es, wenn der Neffe mit seinem Onkel, einem Mitarbeiter eines Industriekonzerns, über Biotechnologie und Patente diskutiert.

Eine weitere Polarisierung läßt sich auch in bezug auf die (oftmals nicht nur implizite) Bewertung der verschiedenen Anwendungsfelder feststellen, die u.E. einen durchaus verbreiteten Konsens widerspiegelt. Während die rote Gentechnologie, also der Bereich der Anwendungen in der Medizin, fast durchweg positiv und mit Hoffnungen besetzt wird, finden sich auf Seiten der grünen Gentechnologie schon sehr viel eher kritische Stimmen - ja, zuweilen werden selbst ökonomische Interessen erwähnt!

Der eigentliche Ort der Kritik ist jedoch ausdrücklich dem letzten Bereich der Ausstellung vorbehalten, der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Ah ja, ein Turm Pappkartons mit Aufdrucken von Käfern, huch, ein Hybridwesen - ein »Straußenschaf«, und da: mit Drähten gespickte Schweinsköpfe schweben über dem großflächigen Bild eines Rudels von MarathonläuferInnen. Die Arbeiten, so erfahren wir später, sollen wir als Äußerungen verstehen, die »frei von Sachzwängen zur Diskussion auffordern sollen«. Das läßt uns aufhorchen. Sachzwänge? Es gibt also andernorts - etwa an Orten der genetischen Forschungen oder der gentechnologischen Entwicklungen und Anwendungen? - offenbar Sachzwänge. Doch warum erfahren wir erst jetzt davon? Immerhin, auch wir verstehen die Botschaft: Uniformität, Produktförmigkeit und Massengesellschaft, wollen wir das, soll das unsere Zukunft sein? Doch bevor wir uns in diese und andere Überlegungen so richtig vertiefen können, werden wir vom Aufsichtspersonal freundlich, aber bestimmt zum Verlassen der heiligen Hallen aufgefordert. Ende der Vorstellung.


Der NWL-Block und die Lindenstraßen - Gesellschaft

Insgesamt fällt auf, daß die Ausstellung sich an einem Modell orientiert, in dem ein »Natur-Wissenschafts-Labor«-Block auf der einen und »die Gesellschaft« auf der anderen Seite sich als zwei getrennte Bereiche gegenüberstehen, die erst im Zusammenhang mit der »Anwendung« naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Techniken aufeinandertreffen.

Auf der Seite des »Natur-Wissenschafts-Labor«- Blocks stehen dabei erstens die grundlegenden biologischen Erkenntnisse, die »uns« über die Natur der (belebten) Natur, der Evolution etc. Aufklären; stehen zweitens die Labor-Techniken und Labor-Substrate, vermittels derer die »Fakten« über die Natur der Natur im Labor »entdeckt« und »gesichert« werden; steht drittens aber auch die »Natur selbst«: insofern die erkannte und entdeckte Natur der Natur nämlich in der wahren Natur der Natur gründet, die so ist, wie sie ist, und die, eben weil sie so ist, wie sie ist, sich schließlich auch im Labor hat herauspräparieren und erkennen lassen. Gentechnik ist gewissermaßen die Fortsetzung der Natur mit ihren eigenen Mitteln und insofern ein schönes Beispiel dafür, daß es wieder einmal gelungen ist, »in der Natur vorhandene Prinzipien«, »Ideen der Natur zu begreifen und in den Bereich der Technik zu übersetzen«.4

Zwar wird in der Ausstellung gelegentlich durchaus darauf hingewiesen, daß, was diese basalen Erkenntnisse und Techniken und ihre Quasi-Symbiose mit der Natur der Natur selbst anbelangt, manches noch ungewiß, umstritten, im Fluß ist und manches immer wieder in Fluß gerät. Aber dies entspricht eben dem eigenlogischen Gang der Natur-Wissenschaften, die gerade qua stetiger Verbesserung und Selbst-Korrektur ihrer Erkenntnisse und Erkenntnismittel zu einer immer wahreren Wirklichkeit der Natur vordringen, von der sie sich zugleich mindestens in the long run leiten lassen.

Auf der anderen Seite steht dann »die Gesellschaft«, die Bürger und Bürgerinnen, jedenfalls aber »verschiedene Bereiche unseres Alltags«, die als »Anwendungsfelder« der (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnisse und Techniken präsentiert werden. In der Gesellschaft geht es jetzt um »unsere« Gesundheit, »unsere« Ernährung, »unseren« Nachwuchs. »Die Gesellschaft« wird dabei bevorzugt in einer Art »Lindenstraßen-Gestalt« vorgeführt: in Gestalt verschiedener role-models, die von Angesicht zu Angesicht die Probleme und Chancen erörtern, die die »neuen Biotechnologien« mit sich bringen. Gewiß gibt es da »in« der Gesellschaft auch die »Konzerne« mit ihren ökonomischen Interessen, wer wüßte es nicht, aber schließlich arbeitet da auch »unser« Onkel mit, dem wir einmal »unsere« Meinung sagen können und dessen gutes Recht es ist, die seinige zu vertreten. Auch nur Menschen eben.

Diese Lindenstraßen-Gesellschaft also »begegnet« nun gleichsam der »neuen Biotechnologie«. Die Stunde der »Anwendung« hat geschlagen. Der Zeitpunkt ist gekommen, da »Begegnungen« der (Lindenstraßen-) Gesellschaft mit dem Natur-Wissenschafts-Labor-Block und seinen Errungenschaften unvermeidlich geworden sind, und hierbei zu vermitteln, ist eines der Anliegen der AusstellungsmacherInnen. Denn solche »Begegnungen« sind für »die Gesellschaft, die ja letztlich immer betroffen ist«, gewiß nicht leicht, und verheerend wär’s, wenn sie am Ende sich allzusehr übergangen und überrumpelt fühlt und ihr Vertrauen in den Natur-Wissenschafts-Block, auf den sie doch angewiesen ist, schwindet. Schön also wär’s, wenn die beiden darüber einmal reden könnten. »Wenn diese Ausstellung nur einen kleinen Anstoß zu einem Dialog oder gar einem Bündnis von Wissenschaft und Gesellschaft geben könnte, wäre schon viel erreicht.« Dann könnte vielleicht auch »die Gesellschaft« »für die weiteren Forschungswege (...) eine aktive Rolle einnehmen.«

Angesichts der in der Ausstellung favorisierten Modellierung der Dialogpartner und der damit einhergehenden Quasi-Naturalisierung des Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks will das aber wohl nicht viel mehr heißen, als daß sonntags gelegentlich ein paar mehr »runde Tische« aufgestellt werden sollten. Um diese herum gruppiert VertreterInnen des Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks und der räsonnierenden Öffentlichkeit, geladen zur Diskussion über Verantwortungen und Verantwortbares im Umgang mit der neuen Biotechnologie und ihren Anwendungen. Wohlgemerkt, eine klitzekleine Prämisse werden die DiskutantInnen beachten wollen: Daß die Natur der Natur so ist, wie sie ist und also im Großen und Ganzen so ist, wie sie von den dazu Berufenen erkannt und bekannt gemacht worden ist, dafür kann niemand etwas. Jedenfalls nicht am Sonntag. Es sei denn der Schöpfer der Schöpfung.


Der NWL-Block in der Gesellschaft und seine GesellschafterInnen

Keine »ausreichende Relevanz für ein breiteres Publikum« haben nach Ansicht der AusstellungsmacherInnen dann wohl auch nicht zufällig die empirischen und theoretischen Befunde sozialwis-senschaftlicher Provenienz, die sich mit dem Werktag der Labor-Wissenschaften befassen.5 Diese nämlich lassen weder auf einen Prometheus im Labor schließen noch darauf, daß die sonntags so gern bemühte wahre Natur der Natur auch werktags von entscheidendem Belang für die Werktätigen und die getätigten Werke ist.

Ein Labor ist ein Ort, in dem zumeist Leute, die eine spezifische Ausbildung durchlaufen und damit zugleich einen spezifischen gesellschaftlichen Selektionsprozeß »überstanden« haben, als wissenschaftliches/technisches Personal arbeiten. Sie sind eingebunden in einen mehr oder minder hierarchisch organisierten, arbeitsteiligen Prozeß, bei dem es darum geht, unter Rückgriff auf die lokal verfügbaren oder akquirierbaren Ressourcen (Geräteausstattung, Substrate, Personal mit spezifischem Erfahrungswissen, Kompetenzen etc.) ein »Projekt« zum Laufen zu bringen, das als erfolgversprechend wahrgenommen wird - etwa ein neues Verfahren zur Messung, Reinigung, Isolierung, Darstellung von X zu »entwickeln«, zum »Funktionieren« zu bringen etc. Im Zuge eines solchen Projekts sind die Werktätigen vor Ort damit befaßt, Kombinationen materieller Agenten und Re-Agenzien herzustellen, (Verlaufs- und Beobachtungs-) Protokolle anzufertigen, über die Signifikanz und Zuverlässigkeit von hergestellten Kombinationen, Beobachtungen etc. zu disputieren und brauchbare Ergebnisse in eine »öffentlichkeitstaugliche« Darstellungs-Form zu bringen. Wie und aufgrund welcher Kriterien »Projekte« zustandekommen und durchgeführt werden, hängt dabei von der akkumulierten Ressourcenbasis und der sozialen Mikroorganisation des Labors (formelle und informelle Kommunikationskanäle, Hierarchien etc.), den sozialisatorischen Vorprägungen und (Karriere-)Ambitionen der ForscherInnen und nicht zuletzt von den übergreifenden institutionellen Kontexten ab, in die das Labor eingebunden ist - im Falle von Uni-Labors etwa Forschungsförderungsinstitutionen (z.B. DFG) oder andere Drittmittelgeber; im Falle von Industrielabors das Unternehmen, dem das Labor gehört und/oder die (industriellen) Kunden, in deren Auftrag geforscht wird etc. Der »Erfolg« eines Projekts - im Sinne eines als gelungen gewerteten Nachweises der Funktionsfähigkeit eines Verfahrens/Artefakts etc. - ist dabei zunächst immer eine »lokale Errungenschaft«. Ob aus einer solchen lokalen Errungenschaft ein »Fakt«, ein »Standardverfahren/-artefakt« wird, hängt dann zum einen davon ab, ob sie von »relevanten AdressatInnen« (Fachzeitschriften, ForscherInnen mit gleichem Arbeitsgebiet, AuftraggeberInnen etc.) als prinzipiell verallgemeinerbare, d.h. entkontextualisierbare Errungenschaft akzeptiert wird. Zum anderen aber davon, ob sie faktisch zum Ausgangspunkt weiterer erfolgversprechender bzw. schließlich erfolgreicher Projekte avanciert oder taugt, was wiederum von den oben genannten Faktoren abhängt.

Bezogen auf diese Prozesse entspricht die Natur der Natur gleichsam am ehesten dem Set der entkontextualisierten Fakten und Faktenzusammenhangsinterpretationen, die als von der komplexen Dynamik ihrer Genese und Härtung gereinigter Rückstand der Forschung etwa in die Standardlehrbücher Eingang finden. Kurz: Insofern gentechnische Verfahren und Erkenntnisse »gehärtet« worden sind und in kanonisierter Form tradiert werden, wird die Natur wirklich immer schon Gentechniker gewesen sein. Im Lichte solcher Überlegungen spricht nun wenig dafür, daß die »Erkenntnisse der Molekulargenetik und die Techniken der neuen Biotechnologie« sich »Forschungswegen« verdanken, die bislang von der wahren Natur der Natur geleitet »außerhalb« einer davon nunmehr letztlich passiv betroffenen »Gesellschaft« verlaufen wären. Vielmehr ist auch in diesem Fall von »Forschungswegen« und »-bewegungen« auszugehen, die von wechselnden und heterogenen, jedenfalls durchwegs gesellschaftlichen Akteuren aktiv gestaltet worden sind.

Das gilt für die in den 30er/40er Jahren einsetzende Molekularbiologisierung biologischer Forschungsinhalte, -methoden und die damit einhergehende Neuformierung von Forschungsdomänen und -kapazitäten. Es gilt für die im Rahmen dieser Vorstrukturierungen einsetzende Gen-Technisierung biologischer Forschungsanliegen in den 70er Jahren und die daran anschließende partielle Ökonomisierung von Forschungskapazitäten. Und es gilt schließlich - in einer kaum mehr verkennbaren Weise - für die in den 80er Jahren einsetzende infrastrukturelle Polit-Ökonomisierung des sich um diese Vor-Focussierungen herum erweiternden Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks.

Während dabei anfänglich vor allem private und staatliche Geldgeber und ForscherInnengruppen des akademischen Forschungsbetriebs mit ihren - mehr oder minder deutlich von gesellschaftspolitischen Beweggründen infizierten - wissenschaftspolitischen Zielsetzungen die Forschungslandschaft prägen, erweitert und verändert sich mit der gentechnischen Wende alsbald auch die Akteurskonstellation. Zum einen treten ökonomische Akteure mit eigenen Forschungskapazitäten in die Konstellation ein, wobei es sich zunächst um von akademischen ForscherInnen (mit-)gegründete kleine Bio-Tech-Firmen handelt, die von Wagniskapital leben, das sie im Handel mit schönen ökonomischen Zukunftsaussichten auf den Finanzmärkten akquirieren. Stabilisiert und strukturell geprägt wird das von diesen in Angriff genommene Projekt einer ökonomischen Auswertung und Ausrichtung der (Arte-)Faktenproduktion im molekularbiologisch-gentechnischen Einzugsfeld dann aber vor allem durch das verstärkte Engagement von großen Chemie- und Agrokonzernen. Deren Dominanz im Zusammenhang mit der damit einhergehenden infrastrukturellen Polit-Ökonomisierung weiter Teile des molekularbiologisch-gentechnisch orientierten Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks gründet dabei nicht nur darin, daß sie riesige eigene Forschungskapazitäten aufgebaut haben - z.T. durch die Übernahme von kleineren Bio-Tech-Firmen. Sie manifestiert sich etwa auch in Gestalt von Kooperationen mit kleinen BiotechFirmen, die - insofern sie nicht über die nötigen Ressourcen/Kompetenzen verfügen, um Forschungsergebnisse in Produktentwicklungen zu überführen - darauf angewiesen sind, sich als Forschungsdienstleister für die großen Unternehmen zu behaupten. Und sie artikuliert sich ebensogut in Gestalt von formellen und informellen Kooperationen mit akademischen Einrichtungen, die, insofern sie auf »private« Drittmittel angewiesen sind, sich in einer ähnlichen Position befinden. Zum anderen aber treten neben und mit den ökonomischen Akteuren des weiteren auch verstärkt nationale und supranationale staatliche Akteure hinzu, die mit der politischen und juristischen (De-)Regulierung sowohl von Aspekten des Forschungsbetriebs (z.B. Sicherheits-/Genehmigungsvorschriften) als auch von institutionellen Rahmenbedingungen befaßt sind. Diese sind nicht zuletzt für die Art und Reichweite der gesellschaftlichen Implementation gentechnischer Errungenschaften gewiß von einiger Bedeutung (z.B. Patentgesetzgebung, Kennzeichnungs- und Produktzulassungsvorschriften/-kriterien).6

In diesem hier nur angedeuteten Zusammenhang sind die sukzessive hervorgebrachten, gehärteten und verbreiteten »Erkenntnisse der Molekulargenetik und Techniken der neuen Biotechnologie« als sozial verortbare historische Errungenschaften zu verstehen. Sie verdanken sich einer Reihe von selektiv aneinander anschließenden Einzel-Projekten, die eingebunden sind in übergreifende Forschungsbewegungen. Sie sind Resultat und Bestandteil von Forschungswegen, die sich im Zuge der Auseinandersetzung interessierter Akteure herauskristallisiert haben und durch den selektiven Ausbau von Ausbildungs- und Forschungskapazitäten in ein befestigtes Netz von Forschungsstraßen überführt worden sind. Als Verkehrsknotenpunkte und einstweilen unverzichtbares Pflaster dieses Forschungsstraßennetzes haben die in der Ausstellung vorgeführten Erkenntnisse und Techniken ihren Status als quasi-naturale Garanten einer erweiterten Akkumulation von Erkenntnissen und Techniken erlangt.

Kurz: Aus der hier skizzierten Perspektive heraus existieren die »Erkenntnisse der Molekulargenetik und die Techniken der neuen Biotechnologie« in ihrer spezifischen historischen Gestalt und Wertigkeit jeweils nur mit den von durchsetzungsfähigen Akteuren getragenen und infrastrukturell befestigten hegemonialen Forschungs(aus)richtungen, die in der werktäglichen Produktion von Fakten und Artefakten ihren Niederschlag finden und in Gestalt der produzierten Fakten und Artefakten ihrerseits zusehends »realer« werden.


Arte-Fakten schaffen

Insofern frau die Gesellschaft und die GesellschafterInnen des Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks nicht hinter den (Arte-)Fakten bzw. einer wahren Natur der Natur verschwinden läßt, ergibt sich auch ein etwas anderes Bild der Problematik, die den AusstellungsmacherInnen als Aufhänger für ihr Vermittlungsanliegen dient. Als »passiv« Betroffene innerhalb der Gesellschaft lassen sich dann nämlich in der Tat jeweils diejenigen ausmachen, die zum einen keinen nennenswerten Einfluß auf die Formierung des Natur-Wissenschafts-Blocks, die angelegten und ausgebauten Forschungswege und die daraus hervorgehenden Fakten und Artefakte haben und denen zum anderen wenig Chancen gelassen werden, sich dem Part, den sie als PatientInnen, KonsumentInnen etc. im Rahmen der mit Fakten und Artefakten bewehrten hegemonialen sozialen Projekte zuletzt doch noch zu spielen haben, zu entziehen. Schon möglich also, daß ein großer Teil der dialogisierenden Lindenstraßen-GesellschafterInnen in diesem Sinne letztlich wieder einmal passiv betroffen sein wird. Passiv betroffen aber sind die passiv Betroffenen eben nicht von am Ende in der wahren Natur der Natur gründenden »Erkenntnissen und Techniken der neuen Biotechnologie«, sondern von Erkenntnissen und Techniken, die Resultat und Bestandteil gesellschaftlicher Prozesse sind, in und mit denen realitätsmächtige gesellschaftliche Akteursverbünde Arte-Faktizitäten schaffen. Daß und wie vor diesem Hintergrund die passiv Betroffenen zukünftig eine aktive Rolle spielen sollen, das wäre in der Tat ein interessantes, aber eben doch ein wenig anders gelagertes Thema.

Eine solche Re-Interpretation der Themenstellung hängt mit der sozialwissenschaftlichen (Re-)Konstruktion der Ist-Zustände und herrschenden Verhältnisse in Sachen »Gen-Welten/-technik«, die im vorstehenden skizziert worden ist, aufs engste zusammen. Zum einen nämlich verdeutlicht diese (Re-)Konstruktion, daß generell im Hinblick auf die Art und Reichweite der gesellschaftlichen Produktion und Implementation von Gen-Welten allemal die gesellschaftlichen Er- und Entmächtigungsverhältnisse ausschlaggebend dafür sind, wer in welcher Weise an welcher Stelle und in bezug auf was einen Einfluß auf deren Durchsetzung hat bzw. haben kann. Statt, wie in der Ausstellung, die diesbezüglich relevanten Akteurs- und Interessenkonstellationen nicht allzu deutlich zu benennen, wäre in dieser Hinsicht eine Informationspolitik zu favorisieren, die ein »Wissen« um und über die gesellschaftlichen Er- und Entmächtigungsverhältnisse sowohl in den Vordergrund rückt als auch zu vermitteln versucht.

Zum anderen macht sie deutlich, daß es dabei im besonderen darauf ankommt, auch den Natur-Wissenschafts-Labor-Block als sozialen Komplex und als Bestandteil gesellschaftlicher Er- und Entmächtigungsverhältnisse auszuweisen. Die Ausstellung »Gen-Welten« präsentiert die naturwissenschaftlichen und technischen Artefakte schlicht als »objektiv« gegebene Fakten, die gleichsam als Abkömmlinge der wahren Natur der Natur nur von sich und für sich selbst sprechen und daher nicht Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte sein können und sollen. Im Gegensatz dazu sollte kenntlich gemacht werden, daß es sich hier um ein gesellschaftliches Terrain handelt, in und mit dem im Zuge der Produktion und Härtung von (Arte)Fakten eine mehr oder minder vielgestaltige, -gesichtige Natur der Natur (her-)ausgearbeitet wird. Diese fügt sich zwar gewiß nicht umstandslos beliebigen wissenschafts-, und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen und Interessen. Gleichwohl aber ist sie das Resultat spezifischer wissenschafts- und gesellschaftspolitischer Gestaltungsbestrebungen, die sich haben »umsetzen« lassen. Eine solche Kenntlichmachung wäre Teil einer Informationspolitik, die die »Gestaltbarkeit« und historische Variabilität der Natur der Natur - der Fakten und Artefakte - betont und sie zu einem Politikum macht.

Ex-Post-SIfKI (25 Aufgußbeutel)

[1] Vgl. den Begleitkatalog zur Bonner Ausstellung. Alle im folgenden nicht näher gekennzeichneten Zitate sind entweder diesem entnommen oder entstammen dem Faltblatt zur Bonner Ausstellung.
[2] Die Ausstellungen laufen noch bis zum 10. 1. 99.
[3] Zur Geschichte des Genbegriffs vgl. den Aufsatz von E. Fox-Keller im Ausstellungskatalog, S. 77 - 81.
[4] Vgl. H.G. Gassen (wissenschaftlicher Berater der Ausstellung) im »Gen-Welten«-Begleitband, S. 156 f.
[5] Vgl. zum folgenden etwa: Knorr-Cetina »Die Fabrikation von Erkenntnis« (1984); Latour »Science in Action« (1987)
[6] Vgl. zur Grobeinteilung der unterschiedenen Phasen, insbesondere aber zur Charakterisierung der letzten Phase dieser hier im Schnelldurchlauf abgehandelten Entwicklung die Ausführungen von Dolata, die immerhin einen Platz im Begleitband zum Gesamtprojekt »Gen-Welten« gefunden haben.