Heft 4/98

Wie man eine neutrale, dienende Position einnimmt
Zum Kampf ums Politische Mandat
der »Verfaßten Studierendenschaft«

Seit circa vier Jahren werden bundesweit Studierendenvertretungen (ASten, Fachschaften) systematisch von Klagen überzogen, die zum großen Teil von KlägerInnen aus dem rechtsradikalen Spektrum vorgetragen werden. Mit diesen Klagen soll Front gemacht werden gegen Äußerungen von ASten, AStA-Referaten oder Aussagen bei vom AStA unterstützten Veranstaltungen, die sich kritisch mit den hiesigen politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen. Die deutschen Gerichte berufen sich bei ihren Entscheidungen regelmäßig auf die »herrschende Lehre«, wonach die Studierendenschaft einen »rechtlich-öffentlichen Zwangsverband« darstellt, dessen Vertretung sich nicht allgemein-politisch äußern dürfe. Lediglich zu sogenannten hochschulpolitischen Themen seien Stellungnahmen erlaubt. Was dabei als »spezifisch hochschulpolitisch« gilt und was nicht, unterliegt der Definitionsmacht der Rechtssprechung. Ein Blick auf das dabei hervortretende Verständnis von Politik und Kritik und auf den Status, der Studierenden von staatlich-juristischen Institutionen dabei zugestanden wird, offenbart einen staatlicherseits vehementen Regulierungs- und Disziplinierungsbedarf. Dies läßt sich am Streit um das »politische Mandat« der Verfaßten Studierendenschaft (VSt) auch historisch ablesen. So scheint ein Konsens auf Seiten der »Entscheidungsträger« (Juristen, Politiker, Unipräsidenten) darüber zu bestehen, was in Zeiten des Neoliberalismus »die Interessen« von Studierenden sind: Studieren geht über Politisieren oder wie das Oberverwaltungsgericht Bremen im Dezember 1997 in der Urteilsbegründung formulierte: Gewählte StudentInnenvertreter hätten eine »neutrale, dienende Position« einzunehmen.

Der folgende Beitrag zeigt zum einen die verschiedenen Ebenen auf, auf denen der »Kampf um das politische Mandat« geführt wird. Zum anderen thematisiert er das darin implizierte Verhältnis von Kritik und Hochschule und fragt, was dies für einen »anderen« Politikbegriff bedeuten könnte.


Höchstrichterliche Maulkorbpolitik

Laut Gerichtsbeschluß (Az: OVG 1 B 120/97) wurde es dem AStA Bremen untersagt, sich zu folgenden Themen zu äußern: Energiepolitik einschließlich Castor-Transporte, Innere Sicherheit, allgemeine Arbeitsmarktpolitik, allgemeine Verkehrspolitik, Türkei und Kurdenfrage sowie Ausländerpolitik, soweit sie nicht direkt StudentInnen betrifft (FR, 3.12.97). Was es heißt, sich in der Einschätzung »legitimer Thematisierung« bzw. der »Selbsteinschätzung eigener Interessen«, zu verschätzen, erfuhr reichlich schmerzhaft unter anderem der Marburger AStA. Nach einer Klage des Rechtsradikalen Eike Erdel, der Mitglied der Burschenschaft »Normannia-Leibzig« ist, und den AStA seit mehr als einem Jahr mit Klagen überzieht, untersagte der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem AStA, Stellungsnahmen gegen studentische Verbindungen und Burschenschaften abzugeben, die »über eine weltanschauliche und politisch neutrale Sachdarstellung hinausgehen«. Nicht »Schmähkritik«, sondern nur »sachliche Kritik« sei zugelassen, maßregelte die dritte Gewalt in Gestalt des VGH den AStA und hob damit eine Entscheidung des Gießener VG auf, das die Auseinandersetzung mit Studentenverbindungen noch als hochschulpolitisch relevant eingestuft hatte.

Die Fachschaft Geschichte der Uni Münster veranstaltet seit vielen Jahren eine Reihe mit dem Titel »ZeitzeugInnen - wider das Vergessen«, bei der KZ-Überlebende und WiderstandskämpferInnen über ihre Erfahrungen während der Zeit des deutschen Faschismus berichten. Eines der Interviews mit einem Zeitzeugen erschien im »Semesterspiegel«, worauf Rene Schneider, der gegen den Münsteraner AStA bereits 24 (!) Verfahren angestrengt hat, gegen den AStA wegen unzulässiger allgemeinpolitischer Äußerungen klagte. Er bekam Recht mit einer bemerkenswerten Begründung, die da lautete:

Die Wahrnehmung fachspezifischer Interessen der Studierenden kann z.B. in Anregungen zum Lehrangebot oder Hochschule oder Stellungnahmen zu den Studien- und Prüfungsordnungen bestehen. Eine inhaltlich-wertende Auseinandersetzung mit den Gegenständen des Studienfaches, zu welcher der einzelne Studierende im Rahmen eines Studiums selbstverständlich berufen ist, ist jedoch von der Aufgabenzuweisung in § 71 Abs. 2 Satz Nr. 3 UG nicht erfaßt. (OVG NRW, 23.4.1997)

Diese Interpretation des OVG läßt ziemlich klare Rückschlüsse auf die Vorstellungen über den politischen Status der Studierenden zu: Die »inhaltlich-wertende Auseinandersetzung« stellt lediglich eine Paraphrase für »politische Äußerung« dar. Gleichzeitig wird andere Politik und politische Erfahrung zur Privatsache erklärt. Jeder/m Studierenden ist es gestattet, sich individuell und innerhalb des Studiums, also »fachgebunden und sachgerecht«, an einer »inhaltlich-wertenden Auseinandersetzung« zu beteiligen. Illegitim wird es erst, wenn der »Zwangsverband« in Gestalt des »Kollektivsubjekts Studierendenschaft« sich politisch, d.h. »wertend-inhaltlich« äußert. In den Urteilsbegründungen war es meist die »Wertneutralität«, die zur Grundlage einer legitimen Äußerung gemacht wurde oder die »Unangemessentheit« von Aussagen, die nicht den »studentischen Interessen« entsprach, die die Grenz-, sprich: »Kompetenzüberschreitung« des jeweiligen AStA nach höchstrichterlicher Ansicht deutlich werden ließ.

Die Verfaßte Studierendenschaft wird nach »herrschender Lehre« als öffentlich-rechtliche »Zwangskörperschaft« betrachtet, was dem Status nach einer normalen staatlichen Institution entspricht. Das hat zur Folge, daß die RepräsentantInnen dieser Körperschaft (AStA) sich nicht allgemein-politisch äußern dürfen, da der VSt kein »allgemein-politisches Mandat« zusteht. Darüber hinaus können die VSten nicht als »Grundrechtsberechtigte«, sondern nur als »Grundrechtsverpflichtete« auftreten und kommen somit lediglich als potentielle »Grundrechtverletzende« in Betracht.1 Ein AStA kann sich also nicht auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen (GG, Art. 5 Abs. 1), um eine allgemeinpolitische Meinungsäußerung zu begründen. Diesem etatistischen Verständnis der VSt setzen kritische JuristInnen eine »kollektivrechtliche Betrachtungsweise« entgegen. Nach Ansicht von Ulrich K. Preuß kann sich die VSt auf die grundgesetzlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit (Art. 5, Abs. 3 GG) berufen.2 »Herrschende Lehre« stellt dies aber nicht dar. Dieser zufolge hat sich ein »Zwangsverband« lediglich um sein »Gruppeninteresse« zu kümmern - und dies ist bekanntlich für die Gruppe der Studierenden: Studieren und nicht »Politisieren«. Wenn ein AStA sich demzufolge allgemein-politisch äußert, was das zunächst auch immer heißen mag, dann ergibt sich automatisch »subjektiv-rechtlich ein Unterlassungsanspruch der Mitglieder der Studierendenschaft gegen Kompetenzüberschreitungen des Verbandes«3. Ein Blick auf die historischen Auseinandersetzungen ums Politische Mandat und die staatlich-juristische Politik gegenüber der VSt enthüllt die Brisanz, die dabei hinter dem »Begriff des Politischen« steht.


Der Kampf um das Politische Mandat seit den 60er Jahren

Die Dominanz des RCDS an den deutschen Hochschulen in den 50er Jahren wurde erst Mitte der 60er Jahre gebrochen, wobei der »Sozialistische Deutsche Studentenbund« (SDS) eine entscheidende Rolle spielte. Der zunehmenden Politisierung von links begegnete die Westdeutsche Rektorenkonferenz bereits 1963 durch eine Erklärung, in der es hieß, daß ein allgemeinpolitisches Mandat der VSt gegen »die fundamentalen Grundsätze der Demokratie« verstieße. In der Folgezeit gab es zahlreiche Weigerungen von Rektoren, ASten Räume für politische Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Die deutschen Gerichte gingen mit dieser Praxis völlig konform und segneten sie, wie im Falle des Kölner VG, juristisch ab: Der »Solidaritätscharakter« einer Veranstaltung des Kölner AStA demonstriere, so die Begründung, daß es sich um eine »politische Betätigung« handelt, die »über den Rahmen der staatsbürgerlichen Bildung der Studenten und damit der Aufgaben der Studentschaft hinausginge«. Es ging dabei übrigens um eine Veranstaltung anläßlich der Ermordung Benno Ohnesorgs.

Die Liste der Maulkorburteile deutscher Gerichte ließe sich noch lange fortsetzen, wichtig für den Zusammenhang von VSt, politischem Verständnis und politischem Mandat ist aber, daß mit der Aufkündigung eines politisch zurückhaltenden Konsenses von Seiten der Studierendenschaft gegenüber der offiziellen Politik und der Entwicklung einer außerparlamentarischen Opposition die Versuche von Politik, Unileitungen und Justiz entsprechend zunahmen, Aktionen zu delegitimieren, die Studierendenschaft zu kriminalisieren und die ASten zu disziplinieren. Leitgedanklich und historisch konnte dabei an Bemerkungen des konservativen Verwaltungsrechtlers Ernst Forsthoff angeknüpft werden, der die öffentlich-rechtlichen Körperschaften zur »Disziplinierung von Sozialbereichen«4 empfahl, wie sie seinerzeit prägend für den »faschistischen Korporativismus« der Nazis gewesen waren.

1973 wurde per Verfassungsgerichtsurteil wieder die Mehrheit der ProfessorInnenschaft in allen Gremien eingeführt, wobei der »Kampf um die Hochschulreform« von Seiten des RCDS beispielsweise durch Klagen gegen den AStA Münster von 1974-1976 überhäuft wurde. Nicht zuletzt durch die sogenannte Mescalero-Affäre gerieten ASten zunehmend unter staatlich-juristische Aufsicht, Überwachung (Staatskommissar in Marburg 1975) und Repression. Das Jahr 1979 markiert mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das der VSt die Wahrnehmung von Grundrechten und das allgemeinpolitische Mandat absprach, das Ende dieser Phase.

Im Zeichen der neuen alternativen Bewegungen, vor allem der Friedens- und Ökologiebewegung, kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen politisch-kritisch agierenden ASten und den Unileitungen bzw. klagenden StudentInnen, wobei der repressionserprobte »Sicherheitsstaat« alle Mittel in Bewegung setzte (Durchsuchung, Kriminalisierung, Überwachung), um präventiv-repressiv Kontrolle auszuüben, welche der staatlich-politischen und juristischen Bevormundung und der verordneten Regelbefolgung der VSt »Nachdruck verlieh«.

Die gegenwärtige Fülle von Klagen macht deutlich, daß der Kampf um das politische Mandat nach wie vor mit allen erdenklichen Mitteln geführt wird.


Kritik und Politik I

Der Verband deutscher Studentenschaften konstatierte 1960: »Die deutsche Studentenschaft hat in den entscheidenden Situationen der letzten Zeit politisch verantwortungsbewußt gehandelt (...)«. Adorno hat in dem kleinen Aufsatz »Kritik« von 1969 den »Jargon der Antikritik« unter anderem folgendermaßen gekennzeichnet:

Kritik, so wird immer vorgebetet, soll verantwortlich sein. Das läuft aber darauf hinaus, daß zu ihr eigentlich nur diejenigen berechtigt seien, die in verantwortlicher Position sich befinden, so wie ja auch der Anti-Intellektualismus an beamteten Professoren bis vor kurzem seine Grenze hatte (...) Kritik wird gleichsam departementalisiert (...) Wer Kritik übt, ohne die Macht zu haben, seine Meinungen durchzusetzen, und ohne sich selbst der öffentlichen Hierarchie einzugliedern, der soll schweigen - das ist die Gestalt, in der das Cliche vom beschränkten Untertanenverstand variiert im Deutschland formaler Gleichberechtigung wiederkehrt (...) Durch die Teilung zwischen verantwortlicher und (...) unverantwortlicher Kritik (...) wird vorweg Kritik neutralisiert (...) durch die antikritische Struktur des öffentlichen Bewußtseins wird der Typus des Dissentierenden wirklich in die Situation des Querulanten gebracht ...5

Die Delegitimierung des Sprechers/der Sprecherin bzw. der Sprecherposition, von der aus eine Kritik vorgetragen wird, stellt eine gängige Strategie der Machterhaltung etablierter Instanzen dar. In diesem Sinne soll der VSt erst einmal gar keine Position als politisch handelndes Subjekt eingeräumt werden, weil, was der historische Gang der Ereignisse zeigt, diese sich zum Teil nicht »nationalpolitisch« hat verwerten und integrieren lassen.

Darüber hinaus wird auch mit juristischen Mitteln die oben erwähnte »Disziplinierung von Sozialbereichen« durch die symbolische Einhegung öffentlicher Räume realisiert. Was wessen Sache ist, welche Themen wann und wo auf die »Agenda« gesetzt werden, bestimmen nicht die »Betroffenen«, sondern übergeordnete Instanzen, wie sie die scheinbar neutralen Gerichte bilden. Mit der Einordnung der VSt als »Zwangsverband« wird nicht nur formal-juristisch ein Status festgelegt (der, wie abweichende Gutachten, etwa das von Preuß, zeigen, auch ganz anders aussehen könnte), sondern durch eine Interessenfestlegung »von oben« und der Definition der Gruppensprecherposition wird faktisch die politische Neutralisierung einer gesamten gesellschaftlichen Gruppe erreicht.

Die gegenwärtige Diskussion um das allgemeinpolitische Mandat leidet unter einer Art juristischer Vereinseitigung und präjudiziert den Ausgang einer auf solche Art geführten Auseinandersetzung, die nicht juristisch, sondern nur politisch zu gewinnen ist. So kann es nicht überraschen, daß der Anwalt des Marburger AStA Michael Breitenbach in seinem Referat auf dem »Kongreß für das Politische Mandat« zu dem Ergebnis kommt, daß juristisch der Kampf zuungunsten der ASten entschieden und argumentativ nichts mehr zu bewegen sei:

Die Weichenstellung ist: Ist die Studentenschaft ein Appendix der Verwaltung, ein Anhängsel, den man - na ja - so ein bißchen selbstbestimmen läßt, was sie als Serviceleistungen machen darf? Oder ist die Studentenschaft das, was Ridder und Preuß etwa gesagt haben: Ein vergesellschaftetes Feld, in dem der Studien- und Arbeitsalltag in einer vergesellschafteten, demokratischen Weise angegangen, gestaltet werden kann und deshalb demokratischen Strukturen folgt und daher die Ausübung von Grundrechten beinhaltet? (...) Deshalb meine These: Die Gutachtenschlachten sind geschlagen (...) Die Hoffnung, daß man ein Gericht - womöglich mit einer kunstvoll abgeleiteten Argumentation - überzeugen kann, sind wirklich gleich null.


Versuch über »Zensur« als politischer Begriff

Die Tatsache der Definitionsmacht »von oben« wird durch die Strategie juristischer Gegenwehr nicht unterlaufen oder außer Kraft gesetzt. Stattdessen müßte es darum gehen, die »studentische Kompetenz« in puncto Politik auszuweiten, indem zugewiesene Positionen und die Definitionsgrenzen thematisch-inhaltlich überschritten werden. Dieser Strategie hat das VG Berlin jüngst Rechnung getragen, als es in puncto Grenzüberschreitung von einer »Grauzone zweifelhafter Fälle« sprach, in die sich ASten quasi gezielt hineinbegäben, um »die Grenzen dieser Grauzonen auf das Äußerste« auszudehnen. Strategie- und Strategiefolgeabschätzung gehören ganz offensichtlich stets zum »Sprachspiel« dazu.

Die gegenwärtige Situation ist die, daß solche Versuche der »begrenzten Regelverletzung«, die beiweitem ja noch keine Revolution darstellen, mit der ganzen Härte des Gesetzes, wie es so schön heißt, geahndet werden, indem die die Grenze überschreitenden ASten regelmäßig abgestraft werden.

Der erwünschte Effekt ist klar: Die »Schere im Kopf« des Individuums soll Disziplinierungsformen repressiver Art dadurch ersetzen, daß die politische Selbstdisziplinierung schon im Vorfeld erreicht wird, was sich schließlich in entsprechende Praxisformen umsetzt (autoritäre Strukturen, Hierarchieverhältnisse, Selbstunterwerfungen usw).

Im Rahmen der aufgezeigten Problematik um einen »Begriff des Politischen« an der Hochschule durch die Studierendenschaft (sozusagen als »Kollektivsubjekt«) und unter den gegenwärtigen sozialhistorischen Verhältnissen (Umbau der Bildungsinstitutionen, also der Hochschulen und Schulen unter neoliberalen Vorzeichen) gegenwärtiger Politik könnte dies bedeuten, eine offensive Strategie der »Öffnung des politischen Feldes« zu verfolgen. Diese könnte darin bestehen beispielsweise eine Vernetzung von Aktivitäten mit außeruniversitären Initiativen, politischen Gruppen, zivilgesellschaftlichen Institutionen usw. zu versuchen, wie dies teilweise in Frankreich im Rahmen der Arbeitslosenbewegung bzw. der »sans papiers« realisiert worden ist. Hochschulen wie auch Metropolen, sind die Orte, an denen die neoliberale Modernisierung am radikalsten und ohne Rücksicht auf Verluste umgesetzt wird. Ausgrenzungen gegenüber marginalisierten sozialen Gruppen wie Obdachlosen, Älteren, MigrantInnen/Flüchtlingen, Arbeits-und Mittellosen und auch den Studierenden selbst (z.B. Wohnungssuche) sind seit Jahren an der Tagesordnung. Die »neue Sicherheit«, sogenannte Antigewaltinitiativen, Konzepte einer grundlegenden Umgestaltung der »City« nach den Bedürfnissen einer ökonomisch erfolgreichen und machtvollen Elite, Prozesse von Gentrifizierung und sozialer Polarisierung und vieles andere mehr wären mögliche politische Felder bzw. Themen, bei denen universitäre Gruppen mit außeruniversitären Gruppen kooperieren könnten, um die rassistischen, sexistischen und andere sozialökonomisch-diskrimierenden Effekte einer Politik rigider Metropolenmodernisierung deutlich zu machen und zu kritisieren.


Politik und Kritik II

»Das »politische Mandat« setzt die kritische Universität voraus und ist zugleich ihr Produkt.« (Oskar Negt)6

Ein so formulierter Begriff des Politischen konterkariert die Trennung von illegitimer weil privater »Subjektpolitik« einerseits, »offizieller Politik« andererseits. Zur Disposition steht damit der Begriff des »Politischen«. Zu Anfang seines Textes über Kritik verweist Adorno auf den Unterschied zwischen einem »engen« und einem »weiten« Politikbegriff:

Da jedoch Politik keine in sich geschlossene, abgedichtete Sphäre ist, wie sie etwa in den politischen Institutionen, Prozeduren und Verfahrensregeln sich manifestiert, sondern begriffen werden kann nur in ihrem Verhältnis zu dem Kräftespiel der Gesellschaft, das die Substanz alles Politischen ausmacht und das von politischen Oberflächenphänomenen verhüllt wird, so ist auch der Begriff der Kritik nicht auf den engeren politischen Bereich zu beschränken.7

Dieses »Kräftespiel der Gesellschaft« ist es, das nach dem Dafürhalten Adornos die »Substanz alles Politischen« ausmacht, und das gilt es, durch die Anwendung eines »weiten« Politikbegriffs deutlich zu machen. Hingegen stellt die begriffliche Verengung von Politik schon immer ein Ergebnis genau jenes »Kräftespiels« dar, in welchem die InnhaberInnen machtvoller Positionen in der Lage waren, den subaltern Positionierten nicht nur die »Inhalte«, sondern vor allem die Regeln, nach denen das Spiel abläuft, aufzudrücken. Dies ist das weite Feld der Legitimation/Delegitimation, der Bestimmung desjenigen, der mitspielen darf, der eine zugewiesene Position einnehmen muß.

Neben Adorno war es vor allem Foucault, der auf den »Nexus Macht-Wissen«8 hingewiesen hat. Dieser Nexus eröffnet ein »strategisches Feld«, innerhalb dessen die »Akzeptabilitätsbedingungen eines Systems« festgelegt werden. Darum wäre ein wesentlicher Schritt der politischen Analyse, diese Akzeptabilitätsbedingungen zunächst einmal herauszuarbeiten und die Regeln des strategischen Feldes, innerhalb dessen man/frau sich bewegt (beispielsweise an der Uni, in Seminaren, in Prüfungssituationen usw.), sichtbar zu machen. Die verborgenen Reproduktionsmechanismen der legitimen Macht (Institutionen, Personen, Funktionäre usw.) ließen sich durch gezielte »Regelverstöße« herausfordern und dabei genau die Grenzen identifizieren, die als akzeptabel vorausgesetzt werden.

Dies kann, wie Adorno zeigt, bereits in der Analyse der »gängigen« und »üblichen« Unterscheidung von »unverantwortlicher« und »verantwortlicher Kritik« und an der Subtilität der Mechanismen liegen, nach denen ein Rederecht verliehen wird:

Die unausdrückliche Aberkennung des kritischen Rechts denen gegenüber, die keine Position innehaben, macht das Bildungsprivileg, zumal die durch Examina eingehegte Karriere zur Instanz dafür, wer kritisieren darf, während diese Instanz allein der Wahrheitsgehalt der Kritik sein dürfte. All das ist unausdrücklich und nicht institutionell verankert, aber so tief im Vorbewußten Ungezählter vorhanden, daß eine Art sozialer Kontrolle davon ausgeht.9

Die hier ins Blickfeld gerückten Mikroprozesse »unkritischer« Praktiken sind zum einen institutionenspezifisch, aber zum anderen handelt es sich um Verlängerungen von Prozessen aus anderen sozialen Bereichen. Eine »Entpolitisierung« der Hochschule zum reinen Funktionsbetrieb ist das Resultat einer komplexen Entwicklung, die nicht erst gestern angefangen hat. Ob und wie sich diese Entwicklung fortsetzt, hängt nicht zuletzt von den Kämpfen um das Politische Mandat ab.

Thomas Höhne

[1] A. Keller: Neues aus der Zwangskörperschaft. http://stud-www.uni-marburg.de
[2] A. Keller, ebd.
[3] P.M., hg. v. Bundeskoordination FÜR das politische Mandat. Juli, 1998, S. 3 (c/o AStA Uni Münster, Schloßplatz 1, 48149 Münster).
[4] A. Keller, ebd.
[5] T.W. Adorno (1971): Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt/M., S. 14-15.
[6] O. Negt (1968): Über die Idee einer kritischen und antiautoritären Universität. In: Universität und Widerstand. Frankfurt/M., S. 166-195, hier S. 178
[7] T.W. Adorno, ebd., S. 10[8] M. Foucault (1992): Was ist Kritik. Berlin, S. 33[9] T.W. Adorno, ebd., S. 15