Seit circa vier Jahren werden bundesweit Studierendenvertretungen
(ASten, Fachschaften) systematisch von Klagen überzogen, die
zum großen Teil von KlägerInnen aus dem rechtsradikalen
Spektrum vorgetragen werden. Mit diesen Klagen soll Front gemacht
werden gegen Äußerungen von ASten, AStA-Referaten oder
Aussagen bei vom AStA unterstützten Veranstaltungen, die sich
kritisch mit den hiesigen politisch-gesellschaftlichen
Verhältnissen auseinandersetzen. Die deutschen Gerichte berufen
sich bei ihren Entscheidungen regelmäßig auf die
»herrschende Lehre«, wonach die Studierendenschaft einen
»rechtlich-öffentlichen Zwangsverband« darstellt,
dessen Vertretung sich nicht allgemein-politisch äußern
dürfe. Lediglich zu sogenannten hochschulpolitischen Themen
seien Stellungnahmen erlaubt. Was dabei als »spezifisch
hochschulpolitisch« gilt und was nicht, unterliegt der
Definitionsmacht der Rechtssprechung. Ein Blick auf das dabei
hervortretende Verständnis von Politik und Kritik und auf den
Status, der Studierenden von staatlich-juristischen Institutionen
dabei zugestanden wird, offenbart einen staatlicherseits vehementen
Regulierungs- und Disziplinierungsbedarf. Dies läßt sich
am Streit um das »politische Mandat« der Verfaßten
Studierendenschaft (VSt) auch historisch ablesen. So scheint ein
Konsens auf Seiten der »Entscheidungsträger«
(Juristen, Politiker, Unipräsidenten) darüber zu bestehen,
was in Zeiten des Neoliberalismus »die Interessen« von
Studierenden sind: Studieren geht über Politisieren oder wie
das Oberverwaltungsgericht Bremen im Dezember 1997 in der
Urteilsbegründung formulierte: Gewählte
StudentInnenvertreter hätten eine »neutrale, dienende
Position« einzunehmen.
Der folgende Beitrag zeigt zum einen die verschiedenen Ebenen
auf, auf denen der »Kampf um das politische Mandat«
geführt wird. Zum anderen thematisiert er das darin implizierte
Verhältnis von Kritik und Hochschule und fragt, was dies
für einen »anderen« Politikbegriff bedeuten
könnte.
Höchstrichterliche Maulkorbpolitik
Laut
Gerichtsbeschluß (Az: OVG 1 B 120/97) wurde es dem AStA Bremen
untersagt, sich zu folgenden Themen zu äußern:
Energiepolitik einschließlich Castor-Transporte, Innere
Sicherheit, allgemeine Arbeitsmarktpolitik, allgemeine
Verkehrspolitik, Türkei und Kurdenfrage sowie
Ausländerpolitik, soweit sie nicht direkt StudentInnen betrifft
(FR, 3.12.97). Was es heißt, sich in der Einschätzung
»legitimer Thematisierung« bzw. der
»Selbsteinschätzung eigener Interessen«, zu
verschätzen, erfuhr reichlich schmerzhaft unter anderem der
Marburger AStA. Nach einer Klage des Rechtsradikalen Eike Erdel, der
Mitglied der Burschenschaft »Normannia-Leibzig« ist, und
den AStA seit mehr als einem Jahr mit Klagen überzieht,
untersagte der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem AStA,
Stellungsnahmen gegen studentische Verbindungen und Burschenschaften
abzugeben, die ȟber eine weltanschauliche und politisch
neutrale Sachdarstellung hinausgehen«. Nicht
»Schmähkritik«, sondern nur »sachliche
Kritik« sei zugelassen, maßregelte die dritte Gewalt in
Gestalt des VGH den AStA und hob damit eine Entscheidung des
Gießener VG auf, das die Auseinandersetzung mit
Studentenverbindungen noch als hochschulpolitisch relevant
eingestuft hatte.
Die Fachschaft Geschichte der Uni Münster veranstaltet seit
vielen Jahren eine Reihe mit dem Titel »ZeitzeugInnen -
wider das Vergessen«, bei der KZ-Überlebende und
WiderstandskämpferInnen über ihre Erfahrungen während
der Zeit des deutschen Faschismus berichten. Eines der Interviews
mit einem Zeitzeugen erschien im »Semesterspiegel«,
worauf Rene Schneider, der gegen den Münsteraner AStA bereits
24 (!) Verfahren angestrengt hat, gegen den AStA wegen
unzulässiger allgemeinpolitischer Äußerungen klagte.
Er bekam Recht mit einer bemerkenswerten Begründung, die da
lautete:
Die Wahrnehmung fachspezifischer Interessen der Studierenden
kann z.B. in Anregungen zum Lehrangebot oder Hochschule oder
Stellungnahmen zu den Studien- und Prüfungsordnungen bestehen.
Eine inhaltlich-wertende Auseinandersetzung mit den
Gegenständen des Studienfaches, zu welcher der einzelne
Studierende im Rahmen eines Studiums selbstverständlich berufen
ist, ist jedoch von der Aufgabenzuweisung in § 71 Abs. 2 Satz
Nr. 3 UG nicht erfaßt. (OVG NRW, 23.4.1997)
Diese
Interpretation des OVG läßt ziemlich klare
Rückschlüsse auf die Vorstellungen über den
politischen Status der Studierenden zu: Die
»inhaltlich-wertende Auseinandersetzung« stellt
lediglich eine Paraphrase für »politische
Äußerung« dar. Gleichzeitig wird andere Politik und
politische Erfahrung zur Privatsache erklärt. Jeder/m
Studierenden ist es gestattet, sich individuell und innerhalb des
Studiums, also »fachgebunden und sachgerecht«, an einer
»inhaltlich-wertenden Auseinandersetzung« zu beteiligen.
Illegitim wird es erst, wenn der »Zwangsverband« in
Gestalt des »Kollektivsubjekts Studierendenschaft« sich
politisch, d.h. »wertend-inhaltlich« äußert.
In den Urteilsbegründungen war es meist die
»Wertneutralität«, die zur Grundlage einer
legitimen Äußerung gemacht wurde oder die
»Unangemessentheit« von Aussagen, die nicht den
»studentischen Interessen« entsprach, die die Grenz-,
sprich: »Kompetenzüberschreitung« des jeweiligen
AStA nach höchstrichterlicher Ansicht deutlich werden
ließ.
Die Verfaßte Studierendenschaft wird nach
»herrschender Lehre« als öffentlich-rechtliche
»Zwangskörperschaft« betrachtet, was dem Status
nach einer normalen staatlichen Institution entspricht. Das hat zur
Folge, daß die RepräsentantInnen dieser Körperschaft
(AStA) sich nicht allgemein-politisch äußern dürfen,
da der VSt kein »allgemein-politisches Mandat« zusteht.
Darüber hinaus können die VSten nicht als
»Grundrechtsberechtigte«, sondern nur als
»Grundrechtsverpflichtete« auftreten und kommen somit
lediglich als potentielle »Grundrechtverletzende« in
Betracht.1 Ein AStA kann sich also nicht auf das Grundrecht der
freien Meinungsäußerung berufen (GG, Art. 5 Abs. 1), um
eine allgemeinpolitische Meinungsäußerung zu
begründen. Diesem etatistischen Verständnis der VSt setzen
kritische JuristInnen eine »kollektivrechtliche
Betrachtungsweise« entgegen. Nach Ansicht von Ulrich K.
Preuß kann sich die VSt auf die grundgesetzlich verbürgte
Wissenschaftsfreiheit (Art. 5, Abs. 3 GG) berufen.2
»Herrschende Lehre« stellt dies aber nicht dar. Dieser
zufolge hat sich ein »Zwangsverband« lediglich um sein
»Gruppeninteresse« zu kümmern - und dies ist
bekanntlich für die Gruppe der Studierenden: Studieren und
nicht »Politisieren«. Wenn ein AStA sich demzufolge
allgemein-politisch äußert, was das zunächst auch
immer heißen mag, dann ergibt sich automatisch
»subjektiv-rechtlich ein Unterlassungsanspruch der Mitglieder
der Studierendenschaft gegen Kompetenzüberschreitungen des
Verbandes«3. Ein Blick auf die historischen
Auseinandersetzungen ums Politische Mandat und die
staatlich-juristische Politik gegenüber der VSt enthüllt
die Brisanz, die dabei hinter dem »Begriff des
Politischen« steht.
Der Kampf um das Politische Mandat seit den
60er Jahren
Die Dominanz des RCDS an den deutschen Hochschulen in den
50er Jahren wurde erst Mitte der 60er Jahre gebrochen, wobei der
»Sozialistische Deutsche Studentenbund« (SDS) eine
entscheidende Rolle spielte. Der zunehmenden Politisierung von links
begegnete die Westdeutsche Rektorenkonferenz bereits 1963 durch eine
Erklärung, in der es hieß, daß ein
allgemeinpolitisches Mandat der VSt gegen »die fundamentalen
Grundsätze der Demokratie« verstieße. In der
Folgezeit gab es zahlreiche Weigerungen von Rektoren, ASten
Räume für politische Veranstaltungen zur Verfügung zu
stellen. Die deutschen Gerichte gingen mit dieser Praxis völlig
konform und segneten sie, wie im Falle des Kölner VG,
juristisch ab: Der »Solidaritätscharakter« einer
Veranstaltung des Kölner AStA demonstriere, so die
Begründung, daß es sich um eine »politische
Betätigung« handelt, die »über den Rahmen der
staatsbürgerlichen Bildung der Studenten und damit der Aufgaben
der Studentschaft hinausginge«. Es ging dabei übrigens um
eine Veranstaltung anläßlich der Ermordung Benno
Ohnesorgs.
Die Liste der Maulkorburteile deutscher Gerichte ließe sich
noch lange fortsetzen, wichtig für den Zusammenhang von VSt,
politischem Verständnis und politischem Mandat ist aber,
daß mit der Aufkündigung eines politisch
zurückhaltenden Konsenses von Seiten der Studierendenschaft
gegenüber der offiziellen Politik und der Entwicklung einer
außerparlamentarischen Opposition die Versuche von Politik,
Unileitungen und Justiz entsprechend zunahmen, Aktionen zu
delegitimieren, die Studierendenschaft zu kriminalisieren und die
ASten zu disziplinieren. Leitgedanklich und historisch konnte dabei
an Bemerkungen des konservativen Verwaltungsrechtlers Ernst
Forsthoff angeknüpft werden, der die
öffentlich-rechtlichen Körperschaften zur
»Disziplinierung von Sozialbereichen«4 empfahl, wie sie
seinerzeit prägend für den »faschistischen
Korporativismus« der Nazis gewesen waren.
1973 wurde per Verfassungsgerichtsurteil wieder die Mehrheit der
ProfessorInnenschaft in allen Gremien eingeführt, wobei der
»Kampf um die Hochschulreform« von Seiten des RCDS
beispielsweise durch Klagen gegen den AStA Münster von
1974-1976 überhäuft wurde. Nicht zuletzt durch die
sogenannte Mescalero-Affäre gerieten ASten zunehmend unter
staatlich-juristische Aufsicht, Überwachung (Staatskommissar in
Marburg 1975) und Repression. Das Jahr 1979 markiert mit dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts, das der VSt die Wahrnehmung von
Grundrechten und das allgemeinpolitische Mandat absprach, das Ende
dieser Phase.
Im Zeichen der neuen alternativen Bewegungen, vor allem der
Friedens- und Ökologiebewegung, kam es zu zahlreichen
Auseinandersetzungen zwischen politisch-kritisch agierenden ASten
und den Unileitungen bzw. klagenden StudentInnen, wobei der
repressionserprobte »Sicherheitsstaat« alle Mittel in
Bewegung setzte (Durchsuchung, Kriminalisierung, Überwachung),
um präventiv-repressiv Kontrolle auszuüben, welche der
staatlich-politischen und juristischen Bevormundung und der
verordneten Regelbefolgung der VSt »Nachdruck verlieh«.
Die gegenwärtige Fülle von Klagen macht deutlich,
daß der Kampf um das politische Mandat nach wie vor mit allen
erdenklichen Mitteln geführt wird.
Kritik und Politik I
Der
Verband deutscher Studentenschaften konstatierte 1960: »Die
deutsche Studentenschaft hat in den entscheidenden Situationen der
letzten Zeit politisch verantwortungsbewußt gehandelt
(...)«. Adorno hat in dem kleinen Aufsatz »Kritik«
von 1969 den »Jargon der Antikritik« unter anderem
folgendermaßen gekennzeichnet:
Kritik, so wird immer
vorgebetet, soll verantwortlich sein. Das läuft aber darauf
hinaus, daß zu ihr eigentlich nur diejenigen berechtigt seien,
die in verantwortlicher Position sich befinden, so wie ja auch der
Anti-Intellektualismus an beamteten Professoren bis vor kurzem seine
Grenze hatte (...) Kritik wird gleichsam departementalisiert (...)
Wer Kritik übt, ohne die Macht zu haben, seine Meinungen
durchzusetzen, und ohne sich selbst der öffentlichen Hierarchie
einzugliedern, der soll schweigen - das ist die Gestalt, in
der das Cliche vom beschränkten Untertanenverstand variiert im
Deutschland formaler Gleichberechtigung wiederkehrt (...) Durch die
Teilung zwischen verantwortlicher und (...) unverantwortlicher
Kritik (...) wird vorweg Kritik neutralisiert (...) durch die
antikritische Struktur des öffentlichen Bewußtseins wird
der Typus des Dissentierenden wirklich in die Situation des
Querulanten gebracht ...5
Die Delegitimierung des Sprechers/der
Sprecherin bzw. der Sprecherposition, von der aus eine Kritik
vorgetragen wird, stellt eine gängige Strategie der
Machterhaltung etablierter Instanzen dar. In diesem Sinne soll der
VSt erst einmal gar keine Position als politisch handelndes Subjekt
eingeräumt werden, weil, was der historische Gang der
Ereignisse zeigt, diese sich zum Teil nicht
»nationalpolitisch« hat verwerten und integrieren
lassen.
Darüber hinaus wird auch mit juristischen Mitteln die oben
erwähnte »Disziplinierung von Sozialbereichen«
durch die symbolische Einhegung öffentlicher Räume
realisiert. Was wessen Sache ist, welche Themen wann und wo auf die
»Agenda« gesetzt werden, bestimmen nicht die
»Betroffenen«, sondern übergeordnete Instanzen, wie
sie die scheinbar neutralen Gerichte bilden. Mit der Einordnung der
VSt als »Zwangsverband« wird nicht nur formal-juristisch
ein Status festgelegt (der, wie abweichende Gutachten, etwa das von
Preuß, zeigen, auch ganz anders aussehen könnte), sondern
durch eine Interessenfestlegung »von oben« und der
Definition der Gruppensprecherposition wird faktisch die politische
Neutralisierung einer gesamten gesellschaftlichen Gruppe
erreicht.
Die gegenwärtige Diskussion um das allgemeinpolitische
Mandat leidet unter einer Art juristischer Vereinseitigung und
präjudiziert den Ausgang einer auf solche Art geführten
Auseinandersetzung, die nicht juristisch, sondern nur politisch zu
gewinnen ist. So kann es nicht überraschen, daß der
Anwalt des Marburger AStA Michael Breitenbach in seinem Referat auf
dem »Kongreß für das Politische Mandat« zu
dem Ergebnis kommt, daß juristisch der Kampf zuungunsten der
ASten entschieden und argumentativ nichts mehr zu bewegen sei:
Die
Weichenstellung ist: Ist die Studentenschaft ein Appendix der
Verwaltung, ein Anhängsel, den man - na ja - so ein
bißchen selbstbestimmen läßt, was sie als
Serviceleistungen machen darf? Oder ist die Studentenschaft das, was
Ridder und Preuß etwa gesagt haben: Ein vergesellschaftetes
Feld, in dem der Studien- und Arbeitsalltag in einer
vergesellschafteten, demokratischen Weise angegangen, gestaltet
werden kann und deshalb demokratischen Strukturen folgt und daher
die Ausübung von Grundrechten beinhaltet? (...) Deshalb meine
These: Die Gutachtenschlachten sind geschlagen (...) Die Hoffnung,
daß man ein Gericht - womöglich mit einer kunstvoll
abgeleiteten Argumentation - überzeugen kann, sind
wirklich gleich null.
Versuch über »Zensur« als
politischer Begriff
Die Tatsache der Definitionsmacht »von
oben« wird durch die Strategie juristischer Gegenwehr nicht
unterlaufen oder außer Kraft gesetzt. Stattdessen
müßte es darum gehen, die »studentische
Kompetenz« in puncto Politik auszuweiten, indem zugewiesene
Positionen und die Definitionsgrenzen thematisch-inhaltlich
überschritten werden. Dieser Strategie hat das VG Berlin
jüngst Rechnung getragen, als es in puncto
Grenzüberschreitung von einer »Grauzone zweifelhafter
Fälle« sprach, in die sich ASten quasi gezielt
hineinbegäben, um »die Grenzen dieser Grauzonen auf das
Äußerste« auszudehnen. Strategie- und
Strategiefolgeabschätzung gehören ganz offensichtlich
stets zum »Sprachspiel« dazu.
Die gegenwärtige Situation ist die, daß solche
Versuche der »begrenzten Regelverletzung«, die beiweitem
ja noch keine Revolution darstellen, mit der ganzen Härte des
Gesetzes, wie es so schön heißt, geahndet werden, indem
die die Grenze überschreitenden ASten regelmäßig
abgestraft werden.
Der erwünschte Effekt ist klar: Die »Schere im
Kopf« des Individuums soll Disziplinierungsformen repressiver
Art dadurch ersetzen, daß die politische Selbstdisziplinierung
schon im Vorfeld erreicht wird, was sich schließlich in
entsprechende Praxisformen umsetzt (autoritäre Strukturen,
Hierarchieverhältnisse, Selbstunterwerfungen usw).
Im Rahmen der aufgezeigten Problematik um einen »Begriff
des Politischen« an der Hochschule durch die
Studierendenschaft (sozusagen als »Kollektivsubjekt«)
und unter den gegenwärtigen sozialhistorischen
Verhältnissen (Umbau der Bildungsinstitutionen, also der
Hochschulen und Schulen unter neoliberalen Vorzeichen)
gegenwärtiger Politik könnte dies bedeuten, eine offensive
Strategie der »Öffnung des politischen Feldes« zu
verfolgen. Diese könnte darin bestehen beispielsweise eine
Vernetzung von Aktivitäten mit außeruniversitären
Initiativen, politischen Gruppen, zivilgesellschaftlichen
Institutionen usw. zu versuchen, wie dies teilweise in Frankreich im
Rahmen der Arbeitslosenbewegung bzw. der »sans papiers«
realisiert worden ist. Hochschulen wie auch Metropolen, sind die
Orte, an denen die neoliberale Modernisierung am radikalsten und
ohne Rücksicht auf Verluste umgesetzt wird. Ausgrenzungen
gegenüber marginalisierten sozialen Gruppen wie Obdachlosen,
Älteren, MigrantInnen/Flüchtlingen, Arbeits-und
Mittellosen und auch den Studierenden selbst (z.B. Wohnungssuche)
sind seit Jahren an der Tagesordnung. Die »neue
Sicherheit«, sogenannte Antigewaltinitiativen, Konzepte einer
grundlegenden Umgestaltung der »City« nach den
Bedürfnissen einer ökonomisch erfolgreichen und
machtvollen Elite, Prozesse von Gentrifizierung und sozialer
Polarisierung und vieles andere mehr wären mögliche
politische Felder bzw. Themen, bei denen universitäre Gruppen
mit außeruniversitären Gruppen kooperieren könnten,
um die rassistischen, sexistischen und andere
sozialökonomisch-diskrimierenden Effekte einer Politik rigider
Metropolenmodernisierung deutlich zu machen und zu
kritisieren.
Politik und Kritik II
»Das »politische
Mandat« setzt die kritische Universität voraus und ist
zugleich ihr Produkt.« (Oskar Negt)6
Ein so formulierter
Begriff des Politischen konterkariert die Trennung von illegitimer
weil privater »Subjektpolitik« einerseits,
»offizieller Politik« andererseits. Zur Disposition
steht damit der Begriff des »Politischen«. Zu Anfang
seines Textes über Kritik verweist Adorno auf den Unterschied
zwischen einem »engen« und einem »weiten«
Politikbegriff:
Da jedoch Politik keine in sich geschlossene,
abgedichtete Sphäre ist, wie sie etwa in den politischen
Institutionen, Prozeduren und Verfahrensregeln sich manifestiert,
sondern begriffen werden kann nur in ihrem Verhältnis zu dem
Kräftespiel der Gesellschaft, das die Substanz alles
Politischen ausmacht und das von politischen
Oberflächenphänomenen verhüllt wird, so ist auch der
Begriff der Kritik nicht auf den engeren politischen Bereich zu
beschränken.7
Dieses »Kräftespiel der
Gesellschaft« ist es, das nach dem Dafürhalten Adornos
die »Substanz alles Politischen« ausmacht, und das gilt
es, durch die Anwendung eines »weiten« Politikbegriffs
deutlich zu machen. Hingegen stellt die begriffliche Verengung von
Politik schon immer ein Ergebnis genau jenes
»Kräftespiels« dar, in welchem die InnhaberInnen
machtvoller Positionen in der Lage waren, den subaltern
Positionierten nicht nur die »Inhalte«, sondern vor
allem die Regeln, nach denen das Spiel abläuft,
aufzudrücken. Dies ist das weite Feld der
Legitimation/Delegitimation, der Bestimmung desjenigen, der
mitspielen darf, der eine zugewiesene Position einnehmen muß.
Neben Adorno war es vor allem Foucault, der auf den »Nexus
Macht-Wissen«8 hingewiesen hat. Dieser Nexus eröffnet ein
»strategisches Feld«, innerhalb dessen die
»Akzeptabilitätsbedingungen eines Systems«
festgelegt werden. Darum wäre ein wesentlicher Schritt der
politischen Analyse, diese Akzeptabilitätsbedingungen
zunächst einmal herauszuarbeiten und die Regeln des
strategischen Feldes, innerhalb dessen man/frau sich bewegt
(beispielsweise an der Uni, in Seminaren, in
Prüfungssituationen usw.), sichtbar zu machen. Die verborgenen
Reproduktionsmechanismen der legitimen Macht (Institutionen,
Personen, Funktionäre usw.) ließen sich durch gezielte
»Regelverstöße« herausfordern und dabei genau
die Grenzen identifizieren, die als akzeptabel vorausgesetzt werden.
Dies kann, wie Adorno zeigt, bereits in der Analyse der
»gängigen« und »üblichen«
Unterscheidung von »unverantwortlicher« und
»verantwortlicher Kritik« und an der Subtilität der
Mechanismen liegen, nach denen ein Rederecht verliehen wird:
Die
unausdrückliche Aberkennung des kritischen Rechts denen
gegenüber, die keine Position innehaben, macht das
Bildungsprivileg, zumal die durch Examina eingehegte Karriere zur
Instanz dafür, wer kritisieren darf, während diese Instanz
allein der Wahrheitsgehalt der Kritik sein dürfte. All das ist
unausdrücklich und nicht institutionell verankert, aber so tief
im Vorbewußten Ungezählter vorhanden, daß eine Art
sozialer Kontrolle davon ausgeht.9
Die hier ins Blickfeld
gerückten Mikroprozesse »unkritischer« Praktiken
sind zum einen institutionenspezifisch, aber zum anderen handelt es
sich um Verlängerungen von Prozessen aus anderen sozialen
Bereichen. Eine »Entpolitisierung« der Hochschule zum
reinen Funktionsbetrieb ist das Resultat einer komplexen
Entwicklung, die nicht erst gestern angefangen hat. Ob und wie sich
diese Entwicklung fortsetzt, hängt nicht zuletzt von den
Kämpfen um das Politische Mandat ab.
Thomas Höhne
[1] A. Keller: Neues aus der
Zwangskörperschaft. http://stud-www.uni-marburg.de
[2] A.
Keller, ebd.
[3] P.M., hg. v. Bundeskoordination FÜR das
politische Mandat. Juli, 1998, S. 3 (c/o AStA Uni Münster,
Schloßplatz 1, 48149 Münster).
[4] A. Keller, ebd.
[5] T.W.
Adorno (1971): Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft.
Frankfurt/M., S. 14-15.
[6] O. Negt (1968): Über die Idee einer
kritischen und antiautoritären Universität. In:
Universität und Widerstand. Frankfurt/M., S. 166-195, hier S.
178
[7] T.W. Adorno, ebd., S. 10[8] M. Foucault (1992): Was ist
Kritik. Berlin, S. 33[9] T.W. Adorno, ebd., S. 15