Heft 4/98

Toni Negri: READY-MIX
Berlin 1998; S. 37 - 40
Wir danken dem b_books Verlag
für die Abdruckgenehmigung.

Der garantierte Lohn
Es gibt reduktionistische Auffassungen vom garantierten Lohn wie jene, die wir in Frankreich gekannt haben, zum Beispiel beim RMI die eine der Formen darstellt, Elend zu entlohnen. Dies sind die Formen, mit denen Ausschluß entlohnt wird - neue Gesetze für die Armen. Einer Masse von Mittellosen, Menschen, die arbeiten, denen es aber nicht gelingt, sich dauerhaft in den Lohnkreislauf einzubinden, teilt man ein wenig Geld zu, damit sie sich reproduzieren können und keinen sozialen Skandal provozieren. Es existiert somit eine untere Grenze für den garantierten Lohn, für den Unterhalt, entsprechend der gesellschaftlichen Notwendigkeit, den Skandal der hohen Sterblichkeit zu vermeiden, den Skandal der »Pestilenz«, denn die Ausschließung kann sich in Pestilenz verwandeln. Genau angesichts dieser Gefahr entstanden im England des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts die Armengesetze. Es gibt also Formen des garantierten Lohns, die diesem Typus entsprechen. Aber das Problem des garantierten Lohns ist ein ganz anderes. Es geht darum zu begreifen, daß die Basis der Produktivität nicht die kapitalistische Investition, sondern die Besetzung des sozialisierten menschlichen Gehirns ist. Mit anderen Worten: Das Maximum an Freiheit und an Auflösung des Disziplinierungsverhältnisses der Fabrik wird zur absoluten Grundlage der Produktion von Reichtum. Der garantierte Lohn bedeutet die Verteilung eines großen Teils des Einkommens, wobei den produktiven Subjekten die Fähigkeit belassen wird, dieses Einkommen für ihre eigene produktive Reproduktion auszugeben. Der garantierte Lohn ist die Grundvoraussetzung. Er ist die Reproduktionsbedingung einer Gesellschaft, in der die Menschen durch ihre Freiheit produktiv werden. Ganz offensichtlich werden in diesem Augenblick die Probleme der Produktion und der politischen Organisation identisch. Führt man diese Überlegung zu Ende, hat das die Vereinigung der politischen Ökonomie und der Wissenschaft von der Politik und der Regierung zur Folge. Allein die Formen der Demokratie - eine radikale und absolute Demokratie, aber ich weiß nicht, ob der Terminus Demokratie hier noch verwendet werden kann - können Formen herausbilden, welche die Produktivität bestimmen: eine substantielle, wirkliche Demokratie, in der die Gleichheit der garantierten Einkommen immer größer, immer grundlegender werden würde. Man kann danach immer noch die einleitenden Maßnahmen angemessen diskutieren, aber das sind Probleme, die uns nicht wirklich interessieren. Das wahre Problem besteht heute darin, die Ansicht umzukehren - im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie -, daß die Notwendigkeit der kapitalistischen Investition sich von selbst entwickeln würde. Das ist nicht neu, jahrelang wurde über die grundlegende Wiedererfindung der produktiven Kooperation durch das Leben diskutiert, sei diese sprachlich, affektiv oder den Subjekten zugehörig. Als Reproduktionsbedingung dieser Subjekte in ihrem Reichtum wird der garantierte Lohn deshalb heute entscheidend. Es bedarf keiner Machtzentrale der Herrschaft, und nichts Transzendentales ist mehr nötig, und es gibt heute keine Investition, deren Funktion nicht darin besteht, sozusagen »die Beschäftigungen von morgen zu antizipieren«, sondern im Innern des Proletariats die Teilungen zwischen Arbeitslosen und Tätigen, zwischen Sozialhilfeempfängern und Produktiven, zwischen »Mitgliedern« und »Nichtmitgliedern« zu antizipieren und zu befehlen. Hier handelt es sich um eine Utopie, um eine Form von Utopie, die nur in Gang gesetzt werden muß, damit sie zur Maschine der Transformation des Wirklichen wird. Eines der erfreulichsten Dinge ist heute eben die Tatsache, daß dieser öffentliche Raum von Freiheit und Produktion sich zu definieren beginnt, der die Zerstörung dessen, was existiert, als Organisation produktiver Macht, folglich als Organisation politischer Macht in sich trägt.

Die Verkürzung der Arbeitszeit
Wenn die Verkürzung der Arbeitszeit zum Mythos wird, demzufolge die industrielle Beschäftigung beizubehalten ist, während sich die Arbeitszeit der Arbeitenden verkürzt, dann ist dem nichts hinzuzufügen: Sie ist ein Mythos. Die Rhythmen der Informatisierung und Automatisierung der produktiven fordistischen Arbeit sind so beschleunigt, daß keine Verkürzung der Arbeitszeit dem standhalten kann. Heute genügte es - um wiederaufzunehmen, was Gorz zum einen, Fitoussi, Caillé oder Rifkin zum anderen sagen - zwei Stunden am Tag zu arbeiten, um das Entwicklungsniveau und die Steigerungsrate der Automatisierungs- und Informatisierungsrhythmen zu garantieren, welche die Vollbeschäftigung ermöglicht haben. Das bedeutet zwei Tage, im Höchstfall zweieinhalb Tage pro Woche. Wenn die politische Linie einer gewissen Linken darauf abzielt, die Beschäftigung der garantierten Arbeitskraft beizubehalten, so handelt es sich bei ihr schlicht und ergreifend um eine Mystifikation.

Wechseln wir nun das Terrain, indem wir in Betracht ziehen, daß die Produktion nicht so sehr mittels der »garantierten«, in Lohnarbeit stehenden Arbeiterinnen und Arbeiter zustandekommt als vielmehr durch die Mobilität und Flexibilität, die Ausbildung und ständige Höherqualifizierung der gesellschaftlichen Arbeit. Und daß diese Produktion sich ebenso durch die sich unmittelbar auf die Arbeit beziehenden Tätigkeiten wie durch die wissenschaftliche Produktion und ihre Sprachen oder durch die Bildung einer Gemeinschaft von Affekten vollzieht. Wenn man diese dynamische, flexible, bewegliche, fließende, sich verzweigende Konzeption übernimmt, muß man sie garantieren. Und sie garantieren, was bedeutet das? Es bedeutet, jedem den garantierten Lohn zu geben. Mit drei grundlegenden Charakteristika: nicht nur den Lohn für alle, sondern zugleich gemäß einer Gleichheitsregel im Innern der Gesellschaft. Der garantierte Lohn darf nicht allein eine Regel sein, die allen gestattet, im Innern dieses Prozesses weiter zu existieren, ebenso sehr muß er eine Regel sein, die, auf diesem hohen Niveau von Bedürfnissen und produktiven Fähigkeiten einer größtmöglichen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern die Fähigkeiten zur Geldaneignung gestattet. Von diesem Standpunkt aus stellt sich das Problem des garantierten Lohns - und das ist der dritte Aspekt - nicht einfach als eines der Einrichtung der Arbeit und der Produktivität. Dieses Problem berührt unmittelbar das Steuer- und Rechnungswesen des Staates und betrifft die grundlegenden Elemente der Organisation: Es ist wirklich ein revolutionärer Prozeß. Und ich verstehe nicht, wie man dem widerstehen kann.