Studieren im IG Farben Gebäude:

Seit dem Sommersemester 2001 studieren die GeisteswissenschaftlerInnen der Frankfurter Johann Wolfgang-Goethe Universität im ehemaligen IG Farben Gebäude. Nachdem die US-Army ihr langjähriges europäisches Hauptquartier geräumt hatte, war die Liegenschaft zurück an den Bund gefallen und es wurde lange darüber gestritten, welcher weiteren Nutzung dieses "erste Hochhaus der Mainmetropole" zugeführt werden sollte. Nun öffnete sich in den letzten Jahren diese NoGo-Area zunehmend der Öffentlichkeit: Historische Führungen wurden veranstaltet, Kunst wurde ausgestellt, Theater gemacht. Scharen von Schaulustigen kamen, um die hellbraun schimmernde Burg zu begutachten, die bis dato hinter dem NATO-Zaun den Blicken der Bürger entzogen war. Die Idee, die Europäische Zentralbank dort anzusiedeln wurde schnell verworfen – die historische Belastung sei zu stark.

Anscheinend nicht für die Uni: Die Vision, aus der präfaschistischen Machtarchitektur einen "Tummelplatz der Reflexion" (Uni-Präsident Steinberg) zu machen bezog sicherlich auch daher ihren Charme, dass allen anderen Akteuren die historische Hypothek zu groß war – die Universität aber, als Ort der Forschung und Lehre für einen verantwortlichen Umgang mit der Nazi-Geschichte prädestiniert zu sein schien. Das mag sogar sein, jedoch wirft die Vorgeschichte des Uni-Umzugs ein anderes Licht auf das Unterfangen. Doch zuerst ein Blick zurück:

 

Treffen der Überlebenden der NS-Zwangs- und Sklavenarbeiter

Im Spätsommer 1998 hatte das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut hundert ehemalige Zwangs- und SklavenarbeiterInnen von Buna-Monowitz in das IG Farben Gebäude eingeladen. Der damalige Uni-Präsident und andere politische Offizielle versprachen den Gästen dort feierlich einen verantwortlichen Umgang mit der Geschichte und äußerten die Hoffnung, sie zur Eröffnung des neuen Campus der Uni wieder hier begrüßen zu können. Zur selben Zeit jedoch galt das ganze Bemühen der Universitätsleitung darin, das IG Farben Gebäude, das als solches auch im sog. "Volksmund" bekannt ist, umzutaufen in "Poelzig Ensemble". Über Jahre hinweg führten die im "Rat der Überlebenden" des Fritz-Bauer-Instituts organisierten Zeitzeugen einen ärgerlichen Streit mit der Uni-Leitung um die Formulierung der Inschrift für die große zentrale Gedenktafel. Gleichzeitig wurde versucht, den Umzug des Fritz-Bauer-Instituts ins IG Farben Gebäude abzublocken. Diese Bemühungen sind sämtlich gescheitert, jedoch nur aufgrund der Beharrlichkeit der Überlebenden und des Drucks der Studierenden.

 

Eröffnung des neuen Campus

Das ganze unwürdige Gezerre wurde wieder deutlich, als im Herbst 2001 die offiziellen Eröffnungsfeierlichkeiten begangen wurden: Am 27.10.2001 um 9.00 morgens wurde vor dem Haupteingang des sog. "IG Hochhauses" die Gedenktafel enthüllt. Eingeladen waren als RednerInnen der rechtskonservative hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der ehemalige hessische Ministerpräsident und jetzige Finanzminister Hans Eichel (SPD), die Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU), George A. Joulwan (General der US-Army, a.D.) und als Alibi-Studi der grüne AStA-Vorsitzende.
Während zur Enthüllung der Tafel immerhin noch Prof. Micha Brumlik als Leiter des Fritz-Bauer-Instituts stellvertretend für die ehemaligen Zwangs- und SklavenarbeiterInnen des IG Farbenlagers Buna-Monowitz eine Rede halten konnte, erhält bei den eigentlichen Feierlichkeiten im Anschluss im Casino kein Überlebender und keine Überlebende die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Fast völlig ausgeschlossen von der Veranstaltung war der größte Teil der an der Uni Aktiven: Studierende waren überhaupt nicht vorgesehen, es sei denn sie gehörten einer Handvoll ausgewählter Repräsentanten des Studentenparlaments oder der Fachschaften an. Doch die Studierenden waren trotzdem da: eine INITIATIVE STUDIERENDER im IG FARBEN HAUS verteilte Flugblätter, auf denen das Debakel, der Ausschluss der Studierenden von den Teilnahme und der Ausschluss der Überlebenden aus der Reihe der Rednerinnen und Rednern attackiert wurde – und die Unfähigkeit, bzw. Unwilligkeit der Uni-Leitung, ihrem Versprechen, die Überlebenden von Buna-Monowitz wieder einzuladen: Hatte doch noch kurz vor seiner Wahl im Frühjahr 2000 der neue Uni-Präsident Steinberg auf Anfrage von Studierenden die Umbennungsversuche seines Vorgängers verurteilt und die Einladung der Überlebenden von Buna-Monowitz versprochen! Die Zeitzeugen, die im "Rat der Überlebenden" dem Fritz-Bauer-Institut zur Seite stehen und die an den "Beratungen" über die Gedenktafel beteiligt waren, wurden zu Zuschauern degradiert: zu sehr fürchtete die Uni-Leitung kritische Worte von Persönlichkeiten wie Herrn Alfred Jachmann, der die Wahrheit über den unwürdigen Umgang und überflüssigen Ärger im Vorfeld hätte ansprechen können. Als man für Herrn Jachmann Ersatz suchte, telefonierte man kurzfristig mit Rudy Kennedy in London, nur um ihm ganz schnell wieder auszuladen, als man erfuhr, dass er sehr aktiv in der Entschädigungsdebatte gewesen war und auch die Neigung zum Aussprechen unangenehmer Wahrheiten hat.

 

Vergangenheitspolitik

Vor der Öffentlichkeit präsentiert sich natürlich auch der Uni-Präsident als würdiger Repräsentant mit Geschichtsbewusstsein: So kam er an diesem Morgen auf die viel beschworene "nicht ganz einfache Vergangenheit" des Hauses zu sprechen: "die Goethe-Universität eignet sich diesen Ort an im Bewusstsein der Geschichte, die in gewisser Weise historische Last darstellt." Die "historische Last" sei Grund gewesen, eine Gedenktafel anzubringen und eine Dauerausstellung zu eröffnen, "in der vor allem auch für die jungen Studierenden die Erinnerung an die wechselvolle Geschichte des Ortes wachgehalten wird."
Dann folgt ein kurzer Dank an Herrn Jachmann – ein Absatz von 13 Zeilen in einer vierseitigen Rede. Herr Jachmann ist dieses Jahr gestorben und die Universitätsleitung muss sich vor diesem Kritiker zumindest nicht mehr fürchten – wären da nicht die Studierenden, die sich mit den Anliegen der Überlebenden solidarisieren. Diese jedoch werden – in Abwesenheit - in Steinbergs Rede als die zu Belehrenden, zum Erinnern Anzutreibenden dargestellt. Eine pädagogische Perspektive und dennoch – eine verzerrte Wahrnehmung, mehr noch: eine Verdrehung.
Denn die Initiative, sich mit der Geschichte des IG Farben Gebäudes auseinanderzusetzen ging bisher vor allem von den Studierenden aus – zumeist gegen den Widerstand der Uni-Leitung. Das Anbringen der Gedenktafel und v.a. das Verfassen des Textes war nicht erstes Bedürfnis der Universität, sondern das Ergebnis zäher und mühseliger Verhandlungen zwischen dem "Rat der Überlebenden" am Fritz-Bauer-Institut und der Uni gewesen. Die Errichtung der von der Chefetage nun so gefeierten Dauerausstellung im IG Farben Gebäude geht auf einen studentischen Konventsantrag vom Januar 1999 zurück, ebenso wie die Festlegung auf den Namen "IG Farben Gebäude".

Vor zehn hatte man den Tafel-Teil abgehakt, also bevor die meisten Studierender einströmen würden, so das Kalkül. Alles bewegte sich durch das Hauptgebäude hindurch zum Casino. Doch auch schon im Vorraum und am Brunnen erwarteten Transparente die Polit-Prominenz. Sogar Forderungen nach einem Streik wurden laut angesichts der katastrophalen Studienverhältnissen. Im Casino müssen sich die anwesenden Überlebenden völlig fehl am Platze gefühlt haben: alle RednerInnen beschworen die "Standortqualität" des Prachtbaus und ergingen sich in neoliberalen Phrasen über die "modernste Universität Europas", die das mal werden soll: Immerhin sieht es nicht nur aus wie ein Ivy League School, sondern soll auch eine werden, Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen sind quasi schon beschlossene Sachen. Deswegen wurde der NATO-Zaun der Amis auch gleich stehen gelassen und ein Rund-um-die-Uhr-Sicherheitsservice angestellt, damit dieses "Denkmal der architektonischen Moderne" gar nicht erst zu einem öffentlichen Ort wird, so wie der alte Campus in Bockenheim einer ist (also auch Randgruppen wie Obdachlosen eine Bleibe bietet). Und zu dem neuen Konzept der Universität als 'standortgerechter Dienstleistungshochschule’ passt es auch: Studenten als Kunden. Einig sind sich alle: trotz aller Geschichte darf man sich hier wohlfühlen – so wohl wie einst Goethe, als hier noch seines Vaters Obstwiesen standen.

 

"Roland Koch – Du Scheissrassist!"

Als Roland Koch, der im Frühjahr 1999 die Wahl durch eine rassistische Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen hatte, ans Rednerpult trat, sprangen plötzlich Studierende auf, schmissen mit Flugblättern um sich und riefen dazu auf, die Veranstaltung zu verlassen (so wie zuvor bei einer Eröffnung im Jüdischen Museum). Sie wurden schnell und unsanft des Raumes verwiesen und schlossen sich den draußen wartenden studentischem Protest an. Die INITIATIVE STUDIERENDER im IG FARBEN HAUS hatte dazu aufgefordert, gegen die offiziellen Feierlichkeiten zu protestieren und zu einer Gegenveranstaltung eingeladen. Trotz massiven Polizeieinsatzes gegen die "Störer", die von außen gegen die Scheiben klopften und die Rede des Rassisten Kochs verhindern wollten, konnte eine Gegeneröffnung mit Peter Gingold stattfinden, der im Namen des "Bündnisses gegen IG Farben" sprach, die sofortige Auflösung der IG Farben i.A. (in Auflösung) forderte und an seine Familie erinnerte, die in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde.

Außer den Klopfgeräuschen an den Saalfenstern hatte der offizielle Uni-Report keine Zeile übrig für den antifaschistischen Protest der Studierenden. Und trotz anders lautender Beschlüsse herrscht in diesem und ähnlichen Verlautbarungsorganen eine heillose Namenskonfusion: immer noch geistert dort das "Poelzig-Ensemble" herum, erweitert um die neuere neutralere Wortkreation "Campus Westend" und der offiziellen Denkmalsbezeichnung "IG Hochhaus". Es ist selten, dass sich einmal ein Professor offen sein Ressentiment ausspricht, dass man "keine Auschwitz-Uni" wolle - nur hinter vorgehaltener Hand. Man solle doch nicht an dem alten Namen kleben, man wolle doch nicht die junge, unschuldige Generation mit dem besudelten Namen besudeln, etc.

Gerade jetzt, wo von studentischer Seite mit Nachdruck die Umbennung des "Grüneburgplatzes" in "Norbert-Wollheim-Platz" gefordert wird, um die nichtssagende Anschrift der Universität zu ersetzen durch die Erinnerung an einen Mann, der als erstes einen Rechtsstreit gegen die Verbrecher des IG Farbenkonzerns führte und da massiv zur Blockade gegen die alljährliche IG Farben i.A. Hauptversammlung in Frankfurt an der Uni mobilisiert wird, werden sich die Stimme dieser Kritiker einer aktiven Geschichtsarbeit wieder hörbar machen. Schlimmer jedoch sind die Heuchler: Außen Betroffenheit – Innen Ressentiment. Heute prahlt die Uni-Leitung vor ihren Gästen über die "intensive Zusammenarbeit mit den Überlebenden" beim Verfassen der Gedenktafel. Jedoch die mehrfach wiederholte Forderung der INITIATIVE STUDIERENDER im IG FARBEN HAUS nach der Einladung aller Überlebender von Buna-Monowitz wurde bisher barsch abgeblockt, die Beweislast umgekehrt: Wir sollen erst einmal beweisen, dass ein solches Versprechen überhaupt gegeben wurde. Nun, wir besitzen Tonbänder, auf denen Herr Steinberg einen Tag vor seiner Wahl die Idee der Wiedereinladung der Überlebenden ausdrücklich begrüßt und verspricht, sich persönlich dafür einzusetzen ... jedoch das ist müßig: Wer nicht von selbst auf die Idee kommt, die Überlebenden einzuladen, dem kann auch nicht geholfen werden.

Die Studierenden übernehmen jetzt die Initiative selbst übernommen und versuchen, ein großes Treffen für das kommende Semester zu organisieren.– ein guter Anlass, um die Anschrift des neuen Campus in "Am Norbert-Wollheim-Platz 1" zu ändern. Als Auftakt für die endgültige Auslösung von "IG Farben in Auflösung". Wir finden, es darf nur noch eine Hauptversammlung dieses Massenmördervereins geben: um sich selbst zu liquidieren, wie gehabt. Daher heißen ihre Geschäftsführer ja auch "Liquidatoren" statt Geschäftsführer: an die Arbeit, meine Herren!

 

Im Auftrag der Initiative Studierender im IG Farben Gebäude: Alexander Karschnia
(zuerst erschienen im Periodikum des Auschwitz-Komittees)





Veranstaltungen der Initiative Studierender im IGF:

WiSe 2001/02:

24.10.2001:
Flugblätterverteilen während der offiziellen Eröffnung der Dauer-Ausstellung

26.10.2001:
Flugblätterverteilen während der offiziellen Eröffnung der Gedenktafel
Gegeneröffnung mit Peter Gingold vor dem Casino Defa-Film "Rat der Götter" mit einer Einführung von Hanno Loewy

27.01.2002:
Lesung von Namen ermordeter Zwangs- und Sklavenarbeiter aus den Buna-Werken der IG Farben in der Vorhalle


SoSe 2002:

Veranstaltung mit dem Historiker Florian Schmaltz zur Kooperation von SS und IG Farben beim Bau des Vernichtungslagers Auschwitz "I was a slave labourer": Veranstaltung mit Rudy Kennedy und dem Filmemacher Luke Holland


WS 2002/03:

Lesung mit Fred Jerome: "The Einstein-File", zusammen mit der Buchhandlung Marx & Co.

18.12.2002:
Protest gegen die Hauptversammlung der "IG Farben i.A. (in Auflösung)" am Nachmittag Senatssitzung: Besprechung des Vorschlags der Umbennung desGrüneburgplatzes in Norbert-Wollheim-Platz

27.01.2003:
Fluglätterverteilen in Mensa

12.02.2003:
Flugblätterverteilen vor Casino und Unterschriftensammlung zur Wiedereinladung der Überlebenden

19.02.2003:
18h
Offizielle Vorstellung der Forderungen der Initiative

19h
Veranstaltung mit dem Historiker Andreas Kilian zu den Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau: "Zeugen aus der Todeszone"

geplant:
Veranstaltungen mit Esther Schapira (hr), Anne-Frank-Stiftung, kreative Aktionen Nazi-Farben Kontakt: igf.iniuni-frankfurt.NET


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