#07 .. 19-12-02
Three Records Changed my Life.


#06 .. 12-09-02
Unsichtbar am Flughafen.


#05 .. 12-08-02
11 Monate 11. September.


#04 .. 18-07-02
All Lost in the Supermarket.


#03 .. 27-06-02
Whiteface Performances.


#02 .. 16-05-02
SSS-Bahnhof: Drei 'S' für eine Ware?


#01 .. 18-04-02
Suit or Revolt, it's up to you.


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Dagegen - Dabei

Die Veranstaltung dient nicht nur dazu "postfordistische" Arbeitsverhältnisse zu hinterfragen, sondern soll auch eigene Verstrickungen in diese Verhältnisse reflektieren. Einerseits sind wir - also Nitribitt - Teil des linken, nonkonformistischen Boheme-Milieus in Frankfurt, andererseits arbeiten oder produzieren wir unter Bedingungen, die typisch für den flexiblen Kapitalismus sind.

Typisch insofern, daß sich beispielsweise einige auf dem "freien Markt" als Free Lancer durchschlagen, sprich für die Organisation des Arbeitsablaufs selbst verantwortlich sind, auf eigene Rechnung und ohne Sozialversicherung arbeiten. Unabhängig von den jeweiligen Tätigkeiten versuchen wir - mehr oder minder konsequent - ein effizientes Risikomanagement zu praktizieren: Wir qualifizieren uns permanent weiter, sind mobil, wechseln häufig die Tätigkeiten und kombinieren unterschiedliche Arbeitsfelder. Diese Strategien bringen eine Reihe von Konsequenzen mit sich, denen wir - mehr oder minder stringent - folgen: Erstens verstärkte Selbstkontrolle der Arbeit, d.h. zunehmende Eigenverantwortung auch bei formal fremdbestimmten Strukturen; zweitens erweiterte Selbst-Ökonomisierung, d.h. strategische Vermarktung des eigenen Humanvermögens, drittens Selbst-Rationalisierung und Verbetrieblichung der Lebensführung, die bisweilen Arbeit und Freizeit kaum noch unterscheidbar macht.

Kurz und gut - wir bilden das ideale Stammpersonal für die "New Economy". Postfordistische Werte wie Produktivität oder Flexibilität - von uns analytisch immer wieder als disziplinierende Normen des Systems verdammt - sind uns selbst zur zweiten Natur geworden. Ja, wir stellen in gewisser Weise die Avantgarde für dieses Regime dar, für das wir beständig neue Schneisen schlagen. Das Produktivitäts-Paradigma strukturiert im hohen Maße die sozialen Positionen innerhalb der "Szene" und in der sublimen Instrumentalisierung anderer Individuen für eigene Kalküle können wir wahre Meister sein. Ebenso ist die Karriere von Werten wie Autonomie und Selbstverwirklichung ohne die Vorläuferschaft von Boheme-Milieus nicht denkbar. Nonkonformismus scheint sich im flexiblen Kapitalismus zu einer stimulierenden Essenz gemausert zu haben. Folgt man den Diagnosen von Zizek oder Deleuze, dann ist gerade der sich selbst verwirklichende Einzelne ein besonders gut funktionierender Untertan. Die einstmals gegen die fordistische Verdinglichung mobilisierten Eigenschaften wie Gefühle, Erfahrungen und Kreativität haben sich zu wichtigen Rohstoffen einer "affektiven Ökonomie" transformiert. Nicht von ungefähr wird in der Managementliteratur oder Magazinen wie "brand eins" den leitenden Angestellten Nonkonformismus als Schlüssel zum beruflichen Erfolg geradezu ans Herz gelegt. Offensichtlich fungiert heute Nonkonformität als stimulierende Produktivkraft oder ist zu einem Gegenstand der Konsumtion und Distinktion verkommen. Ein Verdacht drängt sich auf: Sind wir nicht eher ein Teil des Problems und nicht - wie gedacht - ein Teil der Lösung?

Sozialkritik und Künstlerkritik

Wie konnte es dazu kommen, daß einstmals subversive Forderungen nach Autonomie und Selbstorganisation vom Kapitalismus aufgegriffen und produktivistisch transformiert wurden? Die französischen Autoren Luc Boltanski und Eve Chiapello bieten dafür eine ganz plausible Erklärung an. Demnach sind die verschiedenen kapitalistischen Regime entscheidend auch von der Art und Weise der jeweiligen Kritik geprägt, die sich gegen das vorherrschende Modell wendet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich grundsätzlich zwei Kritik-Strömungen erkennen: Die eine richtet sich gegen Ausbeutung und Ungleichheit ("critique sociale"), die andere thematisiert Aspekte der Autonomie und Selbstverwirklichung ("citique artiste"). Die "künstlerische Kritik", die sich zunächst in den kleinen Künstler- und Intellektuellenkreisen entwickelte, kritisiert die Herrschaft des Marktes, die Disziplinierung in der Fabrik, die Uniformierung in einer Massengesellschaft und die Transformation aller Objekte zu Waren. Demgegenüber propagiert sie das Ideal individueller Autonomie und Freiheit.

Die These von Boltanski und Chiapello besteht nun darin, daß der Kapitalismus, der in den siebziger Jahren in eine strukturelle Krise geriet, sich schon bald regenerieren konnte, weil er unter anderem von der Radikalität der "Künstlerkritik", der tiefen Ablehnung gegenüber jeder Art von Institution, Dauer und Bindung, gelernt hat. Die damalige Krise besaß nicht nur eine ökonomische Dimension, sondern auch die veränderten Alltagspraktiken der Kollektive und Individuen trugen entscheidend dazu bei, das damalige Vergesellschaftungsmodell zu erschüttern. Der Ausbau sozialer Sicherungen, das steigende Lohnniveau und die Förderung des Bildungssystems hatten in den sechziger Jahren zu einer Öffnung des sozialen Raums und zu einer Freisetzung von Subjektivität geführt. Die wachsende Konsumorientierung der Massen begann die geforderte Leistungsmoral in der Arbeit zu untergraben. Zudem rieb sich der ausbreitende Hedonismus der Jugendlichen an den rigiden Disziplinartechniken, die damals in Schule, Fabrik und in der Familie vorherrschen.

Als Ausdruck dieser veränderten Einstellungen kam es zu einer Reihe von sozialen Bewegungen, die die autoritären und hierarchischen Strukturen attackierten und für ihr Leben "Autonomie" und Selbstverwirklichung einforderten. Die Intensität der Kämpfe und die Freisetzung von "autonomer Subjektivität" führten jedoch nicht zu einer grundlegenden Veränderung des Systems, vielmehr konnten durch neue Identitäts- und Konsumangebote viele Wünsche oder Forderungen der neuen sozialen Bewegungen gesellschaftlich integriert werden. In gewisser Weise trug die "Künstlerkritik" direkt oder indirekt zur Überarbeitung und Modernisierung des Kapitalismus bei. So begannen Mitte der siebziger Jahre die Unternehmer die Arbeitsbedingungen zu verändern - die bislang durch Entfremdung, Unterforderung und verkrustete Hierarchien gekennzeichnet waren - indem sie auf Anreicherung der Arbeitsaufgaben, Teamarbeit, individuelle Leistungsanreize und partizipatives Management setzten. Als sich abzeichnete, daß ein wachsnder Anteil der Profite durch die Ausbeutung innovativer und imaginativer Ressourcen zustande kam, fand die Forderung nach mehr Kreativität ein Ausmaß an Anerkennung, das zuvor undenkbar gewesen wäre.

Der "neue Geist des Kapitalismus" zeichnet sich vor allem durch eine Generalisierung projektförmigem Managements aus. Das Unternehmens-Regime versucht alle zu Projektmanagern zu machen, die nicht mehr auf Lebenszeit definierte Aufgaben erfüllen, sondern sukzessive in Projekte involviert sind, die nichts miteinander zu tun haben. Wer sich in der Welt der Projekte nicht vernetzten kann, wer nicht teamfähig, polyvalent und begeisterungsfähig ist, für den wird es verdammt eng. Galt früher der passive, dem durchgeplanten Arbeitsprozeß vollständig unterworfene Arbeiter als Idealtypus, so sind heute Tugenden wie Selbständigkeit und Eigeninitiative gefragt. Die Mobilisierung der Subjektivität zielt darauf ab, die Fähigkeit und den Willen der Individuen zur Kooperation und Kommunikation aufzusaugen und zu verwerten. In diesem Modell tritt anstelle der Devise "wer arbeitet, produziert", die Formel "wer arbeitet, kommuniziert". Und die Antwort auf die Frage "Was hat Arbeit mit Autonomie zu tun?", würde lauten "Immer mehr!" Die Aufforderung zu Subjektivität und Kreativität ist im Kern Bestandteil eines autoritären Diskurses, der den Antagonismus zwischen Autonomie und Kommando nicht tilgt. Das postfordistische Unternehmen - vor allem in der "New Economy" - neigt dazu, die Unterschiedlichkeit der Interessenslagen von Kapital und Arbeit aufzuheben und die Beschäftigten vollständig unter die Kapitallogik zu subsumieren. Als ideologischer Idealtypus bildet sich so der "Arbeitskraftunternehmer" heraus, der durch Selbstverantwortlichkeit, Leistungsbereitschaft und Betriebsidentifikation gekennzeichnet ist. Zumindest dem programmatischen Anspruch nach soll die Trennung von "Arbeit" und "Alltag" aufgehoben werden. Dieses Konzept hat allerdings wenig mit der Marx'schen Entfremdungskritik gemein.

Die Entfremdung ist in solchen Firmen mitnichten aufgehoben, aber die Arbeitskräfte - seien sie Symbolanalytiker oder Kreative - haben dazu ein anderes Verhältnis entwickelt. Sie erleben die Nähe zwischen ihrer Fachkompetenz und ihrer psychischen Struktur als ständigen Umgang mit sich selbst. Dieser reflexiv-kontrollierende Selbst-Umgang stellt nichts anderes als die fortgeschrittenste Form dessen dar, was man in der marxistischen Terminologie als Verdinglichung bezeichnet. Allerdings muß man die meisten Betroffenen darüber nicht mehr aufklären, weil sie es eh schon wissen und zu diesen Verhältnissen häufig ein affirmatives oder zynisches Verhältnis einnehmen - shut up and dance. Das Problem scheint darin zu bestehen, daß die flexiblen Arbeitssubjekte vieles über sich wissen, aber wenig über den großen sozio-ökonomischen Kontext. Die linke Aufklärung weis viel über die strukturellen Zusammenhänge, aber wenig über die Leute, die wissen, wie sie funktionieren. Woher die Klassenkämpfer nehmen, wenn diese sich vorzugsweise nach der Arbeit in Clubs absetzen? Allgemeiner gesagt: Die "Sozialkritik" wurde durch die Veränderungen, die auf die "künstlerische Kritik" reagierten, zunehmend entwurzelt. Das Schleifen der industriellen Hochburgen, die Umverteilung der Arbeit in kleinere Unternehmen und im gewerkschaftlich nicht abgesicherten Dienstleistungsbereich wurden zur Grundlage des Machtverlustes der klassischen Arbeiterorganisationen. Außerdem erhielten die neuen Strategien der Partizipation, der Individualisierung der Löhne und der Arbeitszeitflexibilisierung die Unterstützung eines Teils der Arbeitnehmerschaft.

Die beiden kritischen Fronten wurden auf diese Weise gleichzeitig entkräftet: die eine durch die Aneignung und Integration, die andere durch die Transformation des kapitalistischen Alltags in eine Welt, die mit den herkömmlichen Mitteln der Sozialkritik offensichtlich nicht mehr interpretierbar war. Der Kapitalismus konnte sich neu entfalten - und dies ohne einen Großteil der Einschränkungen, die er bis dahin zu respektieren hatte.

Die rigorose Durchsetzung des neuen Unternehmensregimes mit allen seinen sozialen Verwerfungen - Ausgrenzung, Prekarität, Unsicherheit - hat allerdings in den letzten Jahren als Gegenreaktion zu einigen Versuchen geführt, die Kapitalismuskritik neu zu formulieren. Nach Ansicht von Boltanski und Chiapello stellen die Netzwerke der Anti-Globalisierungsbewegung eine zeitgemäße Kritikform des Kapitalismus dar, die sehr flexibel und stets vor Ort agieren. Sie reagieren auf präzise Ereignisse und verlangen von ihren Teilnehmerinnen projekthaftes Engagement, ohne sie auf Mitgliedschaft zu verpflichten oder auf Grundsatzprogramme einzuschwören. Es besteht somit eine Entsprechung zwischen diesen Formen kollektiven Handelns und den Praktiken der Vernetzung global operierender Unternehmen. Heißt die Parole heute also "Vernetzung" statt "Solidarität" ? Ich habe da meine Zweifel, ob das so aufgeht.

Die Rückkehr der Repression

Das "goldene Zeitalter" der New Economy ist vorbei und die Yuppie-Helden von einst sind müde geworden. Nicht wenige sind in der Galaxie des "self-employment" gestrandet, jenem regen Universum, in dem es vor allem darum geht, aus der Minderbeschäftigung und den befristeten Arbeitsverhältnissen herauszukommen, ohne dabei auf die staatliche Fürsorge zurückzugreifen. Mittlerweile sind nur noch zwei Drittel der Erwerbsläufe stabil, weshalb jede halbe Stelle schon als ein Geschenk des Himmels angesehen wird. Ewige Praktikanten, Werkvertragsgehilfen, Zeitarbeitskräfte, scheinselbständige Dienstleister und geringfügig Beschäftigte bilden eine riesige Reservearmee der Prekären. All dies belegt das epochale Phänomen des "Niedergangs der Lohnarbeit". Damit werden aber auch Denk- und Verhaltensweisen, Rechtsnormen und Kulturmodelle in Frage gestellt, die sich auf eben diese Lohnarbeit bezogen hatten.

Eine Frage, die sich daran anschließt: Sind die auf "Nonkonformität" basierenden Erfahrungen tatsächlich auf immer dazu verdammt vom System "neutralisiert" und in "Lebensstile" transformiert zu werden. Zunächst muß festhalten, daß die flexiblen Normalisierungsstrategien nur in einem bestimmten Spektrum der sozialen Realität zum Einsatz kommen. Die Rückkehr des "strafenden Staates" und disziplinierender Moral-Kampagnen sind eindeutige Indikatoren dafür, daß die klassischen Formen der Repression wieder im Kommen sind. Nicht nur in straf- und ordnungspolitischer Hinsicht. Auch die "Selbstverwirklicher" geraten unter Druck. Es gibt keine langen Studienzeiten mehr, keine experimentellen Lebensformen und keine große Unterbrechungen.

"Ich zieh mein Leben durch" heißt gezwungener Maßen die Devise. --Dietrich Diederichsen - von dem bereits einige Gedanken "eingespielt" worden - geht nun davon aus, daß die Diagnosen von Zizek oder Deleuze den Umstand ausblenden, daß sogar eine Selbstverwirklichung zu kommerziellen Zwecken immer noch mehr mit dem alten nonkonformistischen Modell gemein hat, als die im Gefolge des marktförmigen Nonkonformismus entstandenen neuen Imperative der aktiven und freiwilligen Selbstdisziplinierung. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung sei der alte Entstehungsgrund von subversivem Nonkonformismus, nämlich Repression und Erfahrungsverhinderung durch soziale Normen und Gebote, durchaus wieder gegeben. Die nicht hintergehbare Dimension des Politischen lasse sich überall da entdecken, wo Repression auch als Dementi wohlwollender Toleranz gegenüber anderen Lebensformen funktioniere. Es wäre also - so D. D. - danach zu fragen, was wem verboten ist und zu welchen Selbstverwirklichungen das flexible Subjekt vom Neoliberalismus angehalten wird - und zu welchen nicht. Das ist sicherlich ein wichtiger Maßstab für die Beurteilung gegenwärtiger Praktiken und Normen - allerdings sieht sich heute der "Nonkonforme" mit völlig anderen Bedingungen konfrontiert als vor zwanzig Jahren. Dank der "Segnungen" des fordistischen Wohlfahrtsstaates waren die verschiedenen Formen der selbstgewählten Marginaltät für die Mehrheit der "Abweichenden" nicht mit nachhaltigen ökonomischen oder sozialen Risiken verbunden. Historisch betrachtet erwies sich die dissidente Praxis für nicht wenige Akteure als symbolisches Kapital, das sich später gesellschaftlich auszahlte: Frankfurt bietet dafür ein reichliches Anschauungsmaterial. Heute hingegen gibt es eine Reihe von erzwungenen Marginalitäten, wo sich viele Betroffene trotz Erfahrungsverhinderung und Repression erst mal nichts anderes wünschen als eine sichere Alltäglichkeit. Angesichts dieser Tatsache und des Umstandes, daß gerade in den "kreativ-kommunikativen" Milieus Nonkonformität Bestandteil der persönlichen Vermarktungsstrategie ist, erweist sich die Suche der "verlorenen Subversion" als ausgesprochen schwierig.

Daß wir Teil des Systems - also dabei sind - ist klar, inwieweit wir dagegen sind, daran müssen wir wohl noch arbeiten.

Klaus Ronneberger (16.4.2002)
siehe auch Kommentare unten auf:
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