Plot: Godards La chinoise (1967)

Fünf junge Franzosen haben sich zum Studieren maoistischer Texte in eine große, »bourgeoise Wohnung zurückgezogen. Veronique ist Bürgertochter, studiert Philosophie in Paris-Nanterre. Sie schwankt zwischen der Erarbeitung der richtigen Theorien und dem Gewaltakt, der die entscheidende politische Polarisierung herbeiführen soll. Serge ist Maler, er will an der künstlerischen und an der politischen "Front" kämpfen. Als ihm der Gewaltakt vorenthalten wird, bringt er sich um. Henri ist Naturwissenschaftler; er distanziert sich vom Terror, bekennt sich zum sog. Revisionismus, also zur stalinistischen KPF. Er wird deshalb aus der Kommune ausgeschlossen. Danach will er in der Fabrik die Arbeiter politisieren oder seine Fähigkeiten der DDR zur Verfügung stellen. Yvonne kommt vom Lande; sie hat sich als Dienstmädchen und Prostituierte verkauft und lebt nun bei den Kommunarden in ähnlicher sozialer Funktion. Doch hier macht ihr die Arbeit Spaß. Guillaume schließlich träumt von einen nachbrechtschen sozialistischen Theater. Dabei orientiert er sich an der ästhetischen Praxis in "Rot-China". Veronique führt das von der Gruppe geplante Attentat schließlich durch, begeht aber einen großen Fehler. Ob der Terrorakt politische Folgen haben wird, bleibt offen. Veronique meint immerhin, sie habe "einen großen Sprung vorwärts getan, den ersten auf einem langen Marsch"«.

Der "Große Sprung nach vorn" stand für eine neue maoistische Ideologie: Betonung des Vorrangs der Politik vor Expertentum und der Glaube an die Selbstorganisationsfähigkeit der Massen. Angezielt wurden eine kostenlose Versorgung mit Gütern sowie eine Verlagerung von Familien- zu Kollektivaktivitäten. Doch die Kampagne (1957-60) erwies sich bald als ein völliges Desaster. Die Ökonomie der Volksrepublik geriet aus den Fugen und der Große Sprung nach vorn produzierte als Ergebnis eine Hungersnot, der zwischen 15 und 45 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Das Ausmaß der verursachten Zerstörungen wurden von der chinesischen Parteiführung gegenüber der Öffentlichkeit geheim gehalten. Die Faszination vieler westlicher Intellektueller in den späten 1960er Jahren für den Maoismus lag in dem Missverständnis, Kampagnen wie dem Großen Sprung und der sich daran anschließenden Kulturrevolution der Roten Garden, als anti-autoritäre und anti-etatistische Bewegungen zu deuten.

Der "Lange Marsch" wiederum stellt einen zentralen Gründungsmythos der chinesischen Volksrepublik dar. In den Jahren des Bürgerkrieges eroberten 1934/35 die überlegenen "weißen" Truppen die kommunistischen Stützpunkte in Mittel- und Südchina. Die Vertreibung der Kommunisten aus den politisch und wirtschaftlich wichtigsten Provinzen und die Vernichtung von mehr als zwei Dritteln der "Roten Armee" stellten eigentlich eine Niederlage für die chinesische KP dar. Doch die Fluchtmanöver der Partisanen, die sich immer wieder durch "Lange Märsche" einer völligen Vernichtung entziehen konnten, retteten die organisatorische Substanz der Partei. Eine wichtige Voraussetzung für den späteren Sieg der KP im Jahre 1949.

»Godard hatte den Film zuerst mit echten französischen Maoisten in ihren eigenen Rollen machen wollen, doch diese trauten dem bürgerlichen Filmemacher nicht genug. So arbeitete Godard wieder mit Schauspielern, allerdings mit neuen Gesichtern. Die fünf Darsteller von La Chinoise spielen Rollen, die mehr oder weniger von ihren eigenen Optionen des Jahres 1967 entfernt sind. Zweimal konfrontiert er seine Rollenträger mit echten politischen Figuren. Der schwarze Studentenführer Omar Diop (Mitglied des "Groupe du 23 mars") hält einen "Gastvortrag" im Kommune-Theater; und Veronique, die radikale Träumerin, wird von Godard den realistischen Einwänden von Francois Jeanson ausgesetzt, dem Chefredakteur der Temps modernes. Godard sieht den jungen Leuten bei ihren Übungen zu und stellt den Teilnehmern – meistens von außen, aber nicht nur skeptisch, sondern auch sympathisierend – Fragen. Die Antworten, muss man annehmen, sind zum großen Teil von ihnen selbst formuliert.

Obwohl La Chinoise alle Zeichen eines experimentellen Revolutionstheaters trägt, ist dieser Film als ein Bekenntnisfilm, als Parteinahme für die maoistische Jugendbewegung, missverstanden worden. Godard lässt vielmehr seine widerstreitenden Überlegungen sich konkretisieren in Schauspielern, die eine Rolle übernehmen. La Chinoise ist die kunstvolle Projektion eines Bewusstseinstandes, der von den Nachrichten über den Krieg in Vietnam, von den Nachrichten über die chinesische Kulturrevolution einerseits und andererseits von den westlichen Nachahmungsversuchen in der nächsten Nähe bestimmt ist. Ein Jahr nach den Dreharbeiten wurden viele der Sprüche, die die Kunstfiguren von La Chinoise auf Mauern gesprüht hatten, in den altehrwürdigen Kulturinstitutionen rezitiert. "Warum" fragt Veronique Yvonne, "wäschst du die Teller ab?" – "Damit sie sauber sind" – "Gut, Yvonne, du hast alles verstanden." – "Also, Frankreich im Jahr 1967, das ist ein wenig wie schmutzige Teller?" – "Ja."«

Bei dieser Plotbeschreibung handelt es sich um einen verdichteten und kommentierten Auszug aus: Reihe Film 19 Jean-Luc Godard, München 1979

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