Max Klebb – die Absage an die Nation kollektivieren

Der Text enstand als Ergbniss der Gruppendiskussionen von Max Klebb. Er versucht einige Punkte eines „neuen Nationalismus“ zu fassen und Möglichkeiten einer Organisierung unter Produzentinnen dagegen vorzuschlagen. Er lag dem Aufruf zum ersten Max Klebb Treffen am 21.2.09 bei.

MAX KLEBB – die Absage an die Nation kollektivieren.

Max Klebb will Künstler/innen und Kulturarbeiter/innen in einer antinationalen Debatte zusammenbringen.Kunst verstehen wir dabei als einen unter vielen Produktionszweigen innerhalb der Kulturindustrie. Diese Perspektive auf die Kunst als Teil der warenproduzierenden Gesellschaft formuliert nicht nur ihre Begrenztheit, sondern lässt erst die ihr zukommende potentielle Wirkmächtigkeit innerhalb sozialer Prozesse denken.Von hier aus kann Kunst zum Hebel werden, um die Widersprüche aufzubrechen, denen sie selbst ausgesetzt ist. Trotz des affirmativen Charakters der Kunst innerhalb kapitalistischer Gesellschaften versteht die antinationale Aktion Max Klebb die Politizität von Kunst in ihrem Potenzial, die Realität zu konfrontieren, statt ihr durch künstlerischen Romantizismus zu entfliehen.
Momentan will am Horizont keine Revolution auftauchen. In der Kunst jedoch gibt es – vielleicht gerade deswegen – eine ganze Welle künstlerischer Projektionen auf die Revolution. Die Machtverhältnisse unserer Realität kurzzeitig aus den Augen zu verlieren, mag zwar wie ein Glücksversprechen erscheinen, aber der Übermacht der Realität mit eingebildeter künstlerischer Allmacht zu begegnen, führt zurück in die lang schon ausgetretenen Pfade der Kunst: zur Reproduktion der kapitalistischen Nation. Dort darf die Kunst dann wieder einmal romantische, aber grundlegend unreale Traumwelten repräsentieren. Dagegen besteht die bestimmende Strategie von documenten und biennalen, in der Anrufung künstlerischer Avantgarden mit den Parolen längst untergegangener Revolutionen. Sie zeigen sich politisch unverantwortlich, sowohl gegenüber den historischen Revolutionen, als auch gegenüber der konterrevolutionären Gegenwart. Sie behaupten die Möglichkeit einer rein ästhetischen Revolution, die die Politik als Themenkatalog in sich hineingenommen hat, in erster Linie aber die Rolle der Kunst als ästhetische Kompensation für politisches Handeln stabilisiert. Kunst kann nicht an die Stelle einer revolutionären Politik treten. Sie kann noch nicht einmal eine revolutionäre, kollektive Bewegung ankündigen, weil sie in ihrem gegenwärtigen Zustand nur den Ausdruck konsequenzloser Formen der Individualisierung fortsetzt. Künstler/innen sind als Akteur/innen der kapitalistischen Produktion immer noch durch die Unregelmäßigkeit ihrer Arbeitsbeziehungen
und durch die Einzigartigkeit ihrer Produkte charakterisiert, auch wenn sie bestimmten Konventionen folgen müssen, um überhaupt sichtbar zu werden. “Kunstmarktkünstler” und “Ausstellungskünstler”, als stark ausdifferenzierte, manchmal sogar gegensätzliche Berufsbilder innerhalb des Kunstfelds, lehnen sich an die Trends und formalen Vorraussetzungen des Kunstmarktes an, oder sind auf staatliche Finanzierung angewiesen. Keine dieser Positionen kann jedoch gegen die andere ausgespielt werden; keine kann radikal abgelehnt werden; keiner der beiden kann entkommen werden: Beide erfüllen gemeinsam eine grundlegend repräsentative Funktion für die zeitgenössische kapitalistische
Gesellschaft.

Es bräuchte eine generelle revolutionäre Bewegung, um die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufzuheben und damit auch den Kunstmarkt und seine kontemplativen Darbietungen für die Gesellschaft abzublasen. Die Ausstellungskunst regrediert dagegen im europäischen Kontext mehr und mehr auf einen Status, in dem sie für das abgespaltene kritische Bewusstsein der Nation gehalten wird. Sie befriedigt die grundlegenden ideologischen Bedürfnisse des aktuellen europäischen Nationalismus durch die Repräsentation einer nur kulturellen und dabei vollständig selbstreferentiellen Kritikalität.
Wo sich Kunst vom Markt entfernt, gravitiert sie in die Richtung des Staates. Noch der individuelleEkel einzelner Künstler/innen im Angesicht einer Nationalkultur funktioniert heute – gewollt oder ungewollt – in diesem Schema kritischer Wertschätzung und wird so für die repräsentative demokratische Politik unter der Hand zu einem Beweismittel nationaler Fähigkeit zur Selbstkritik. Das ist der Grund, warum Max Klebb eine antinationale Organisierung in der zeitgenössischen Kunst für notwendig hält.

Ausstellungen wie die documenta 12 und Kulturpolitik, wie die des Siemens Arts Program, haben in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass sich der Ausstellungswert eines Künstlers oder Kunstwerks in Europa derzeit nach seiner Fähigkeit bemisst, politische Selbstverständigungsprozesse auszudrücken oder – wo eine rauere Oberfläche gewünscht ist – gar politischen Aktivismus. Solch kritische Haltungen
haben als selbstbezügliche Geste eine hegemoniale Stellung in der zeitgenössischen Ausstellungspraxis erobert. Die nationale Eintönung dieses Trends erscheint als zeitgenössischer Wiedergänger einer historisch zentralen Funktion der Kunst: Die Repräsentation und Konstruktion nationaler Kultur und Identität mit den Mitteln der Kunst.

In Deutschland, dem Land, in dem und gegen das Max Klebb diesen Aufruf zuerst formuliert, hat sich die kritische Wiedergeburt von Nationalismus als Kultur in den letzten Jahren auf breiter Front durchgesetzt. Das geplante ‘Humboldtforum’ im neu aufzubauenden Berliner Stadtschloss ist nur der durchschlagkräftigste und staatsunmittelbarste dieser Versuche. Hochkultur und vor allem die bildenden Künste spielen eine zentrale Rolle bei der subjektivistischen Neuschöpfung der Nationalkultur: Wir erleben die Rückkehr des deutschen Malerfürstentums in Figuren wie Daniel Richter und Jonathan Meese und die Einspeisung zeitgenössischer Kunst in historisierende nationale Kulissen wie es auch im Humboldtforum geplant ist.
Eine ganze Reihe von Gruppenaustellungen, organisiert von staatlich finanzierten Kunstinstitutionen, versuchten in den vergangenen Jahren zu definieren was ‚deutsch’ sei. So zum Beispiel die Austellung “Made in Germany” in der Kestnergesellschaft in Hannover 2007, von der aus Reisen in Künstlerateliers organisiert wurden, so dass dort deutsche Kunstproduktion live am Standort mitverfolgt werden konnte; die Austellung “German Angst” in der Berliner n.b.k. 2008, die historische Fragmente eines ‘besseren’ und ‘kritischeren’ aber im wesentlichen immer nationalen deutschen Bewußtseins zusammenstellte; schließlich die neoliberal größenwahnsinnige Ausstellung “Vertrautes Terrain” im zkm Karlsruhe 2008, die über 300 Werke und Objekte ansammelte, Diskussionen und Vorträge veranstaltete und neue Maßstäbe für die nationale Deutung künstlerischer Produktionen setzte. Zu all diesen Ausstellungsprojekten wurden auch Künstler/innen eingeladen, die in der Vergangenheit dezidiert antinationale Werke produziert hatten. Doch innerhalb der genannten Ausstellungen und im Kontext der zeitgenössischen Nationalisierung der kulturellen Produktion transformierten sich ihre individuellen Werke und Stellungnahmen in Beiträge zu einem „Vertrauten Terrain“. Diese vereinnahmende Geste illustriert das Projekt, das die Kuratoren der Ausstellung verfolgten: Alle Kunst gravitiert in Richtung der Nation.

Die historische Rolle der Kunst für die Stabilisierung der modernen kapitalistischen Nation erscheint heute in aktualisierter Form. Die zeitgenössische Form des Nationalismus lässt sich nicht länger in Kategorien von ‘Blut’ und ‘Boden’ charakterisieren, sondern tritt in neoliberaler Gestalt, als eines unter vielen individualisierten und subjektiven Verhältnissen auf. Dieser ‘subjektivierte’ Nationalismus
verschiebt den Fokus des traditionellen Nationalismus – von der Frage nach Zugehörigkeit und Ausschluss vom nationalen Kollektiv – auf die Selbstbefragung des einzelnen Subjekts in allen Lebensbereichen. Die künstlerisch nationale Repräsentation ist analog dazu nicht länger auf spezifische politische Symbole oder Themen begrenzt, sondern bietet das Nationale als Attribut eines jeden Feldes an. Alles ist ‚auch’ national, nichts ist ‚nur’ national. In zeitgenössischer Kunst erscheint jedes politische Verhältnis zur Nation als ein persönliches. Subjektivierung ist gleichzeitig weiterhin die ideologische Domäne der Kunst und so ist es besonders die Kunst, die für eine neue Konstellation zur Nation eintritt und eine tragende Rolle für deren Selbstverständigungsprozesse übernimmt. Diese Subjektivierung der Künstler/innen als unvereint Individualisierte schlägt sie als besonders wertvolles Ausdrucksmittel gegenwärtiger nationaler Repräsentation vor: jede künstlerische Stellungnahme, Affirmation oder Kritik wird, wie in „Vertrautes Terrain“ mustergültig geschehen, als individuelle Regung in Richtung der nationalen Gefühlslage gedeutet. Die Subjektivierung selbst, in Form einer kritischen Reflexion, erscheint wesentlich national und basiert auch weiterhin auf sozialer Ungleichheit und Ausschluss, den Strukturbedingungen kapitalistischer Reproduktion. Der aktualisierte nationale Konsens scheint es mit den heutigen Kulturproduzent/innen recht leicht zu haben: eine kollektive Absage steht aus.
Es ist diese Konstellation, gegen die wir zu einer entschlossenen und kollektiven antinationalen Organisierung in der Kunst aufrufen. Es gibt keine indifferente Position innerhalb der Nationalisierung der Kunstpraxen, die den politischen Streit in Kultur verwandeln und Kunst zu einem Aktivposten affirmativer Kritikalität machen. Kunstproduzent/innen müssen ihrer ungewollten Verantwortung gerecht werden und die ihnen zugeschobene Aufhebung von Politik in Kunst gemeinsam bekämpfen.

Deutschland steuert gegenwärtig auf ein Superjubiläumsjahr zu. Am 23. Mai 2009 wird die Bundesrepublik
60 Jahre alt und der Mauerfall jährt sich am 9.11. zum 20. Mal. Es ist absehbar, dass sich das nationale Triumphgeschrei zu neuen Höhen aufschwingen wird. Gegen diese Germanomanie wollen wir zu kollektivem Widerspruch aufrufen. Es genügt absolut nicht, solche Tendenzen nur innerhalb der Kunst zu thematisieren, sie zu Themen künstlerischer Arbeit zu machen. Es geht uns vielmehr um eine Diskussion, die zu klären versucht, inwiefern die warenproduzierende Gesellschaft auf der einen und deren Nationalismus auf der anderen Seite immer noch die Grundlage dessen bilden, was sich als zeitgenössische Kunst definiert. Einer Kunst, die Teil der Kulturindustrie ist, in ihr aber noch immer einen Sonderstatus beansprucht. Wir wollen genau diesen Status nutzen, und ihn gegen die Anmaßungen und ideologischen Gehalte der Kunst selbst wenden. Politische Handlungsfähigkeit muss sich an der realen Stellung der Kunst zur gesellschaftlichen Objektivität erweisen, und kann vor dieser Objektivität nicht romantizistisch flüchten. Wir versuchen uns zunächst in der Kunst zu organisieren, aber nicht nur für sie.

Max Klebb lebt und arbeitet in Berlin. Er ist der ungeborene Sohn von Max Perutz, eines exilierten Glaziologen,
der im zweiten Weltkrieg einen unsinkbaren Flugzeugträger aus Eis gegen Nazideutschland konstruieren wollte und Rosa Klebb, der russischen Agentin des SPECTRE, die hinter James Bond mit einem tödlichen Stöckelschuh in Europa umgeht.