Markt macht mobil


Der neoliberale Umbau der Hochschulen

Frage: Was haben McKinsey-Plan, Aufnahmestopp, Studiengebühren, Steinbergs Hochschulentwicklungsplan und das Hessische Hochschulgesetz gemeinsam? Antwort: Sie sind alle dazu da, die Hochschule nach neoliberaler Prägung umzustrukturieren. Frage: Was bedeutet das? Antwort: Weiterlesen.

I. The times they are a-changin'

Die heutige Situation an den Hochschulen lässt sich nur verstehen, wenn man sich die Entwicklung der Bildungspolitik in der BRD ins Gedächtnis ruft. Die letzten 30 Jahre waren dabei vor allem durch eine starke quantitative Bildungsexpansion gekennzeichnet. Studierten etwa in den 50ern des 20. Jahrhunderts gerade einmal 5 Prozent eines Altersjahrganges, sind es inzwischen mehr als 30 Prozent. Das Fehlen eines politischen Konsenses zwischen den gesellschaftlichen Interessengruppen und den inneruniversitären Fraktionierungen über den Charakter dieser Expansion und die sich daraus ergebenden notwendigen strukturellen und institutionellen Erfordernissen verhinderte adäquate politische Schlussfolgerungen. So wurde das Hochschulsystem durch labile politische Kompromisse und juristische Aushilfen halbwegs funktionsfähig gehalten. Die Hochschulentwicklung der vergangenen 30 Jahre lässt sich in diesem Zusammenhang grob in drei Phasen einteilen:

1. Anfang der 70er verlangt die Wirtschaft verstärkt nach hochausgebildeten Fachkräften. Es wird allgemein angenommen, dass der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften auch weiterhin zunehmen wird. Die wirtschaftspolitischen Motive harmonieren mit den sozialpolitischen, mehr Menschen, insbesondere ArbeiterInnenkindern, die Möglichkeit zum Studieren zu geben.
2. Mit der Krise des fordistischen Kapitalismus verschlechtern sich ab der Mitte der 70er die Beschäftigungsmöglichkeiten für AkademikerInnen, trotzdem steigt die Nachfrage nach Hochschulbildung weiterhin. Die Politik reagiert 1977 mit dem "Doppelbeschluss", mit dem die Hochschulen grundsätzlich für alle Studierenden offen gehalten werden, ihre Finanzierung aber auf dem bestehenden Niveau eingefroren wird.
3. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wird die Überlastproblematik in ein "Effizienzproblem" transformiert: Die bestimmenden hochschulpolitischen AkteurInnen - freiwillig oder unfreiwillig - fordern nicht mehr "mehr Geld", sondern eine "Optimierung der bereitgestellten Ressourcen" durch die "Einführung von Elementen des Wettbewerbs in das Hochschulsystem" (Hochschulrektorenkonferenz 1996). Aus fehlenden materiellen Ressourcen resultierende Schwierigkeiten werden einem internen Reformdefizit der Hochschulen angelastet. Dabei verbindet sich das Bemühen, staatliche Gelder "effizienter" einzusetzen, mit der Erschließung neuer privater Quellen (Drittmittel, Studiengebühren). Gleichzeitig steigt die Akzeptanz von Markt und Wettbewerb als adäquate Mechanismen zur Steuerung wissenschaftlicher und pädagogischer Abläufe.

Damit sind wir in der Gegenwart angelangt. Der hegemoniale aktuelle Hochschuldiskurs, im allgemeinen neoliberaler Strukturwandel genannt, verbindet zwei zentrale politische Ansatzpunkte. Erstens die schrittweise Transformation traditioneller Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsstrukturen in eine unternehmensähnliche Verfassung mit "effizientem" Top-down-Management, also die Verwandlung der Gruppenuniversität der 70er Jahre in ein marktorientiertes Dienstleistungsunternehmen. Zweitens die Umstellung einer traditionellen auslastungsorientierten Hochschulfinanzierung, deren Legitimationsquelle ursprünglich noch die soziale Nachfrage von Bildung war, zu einer leistungs- und wettbewerbsorientierten differenzierten Mittelvergabe. Unter "Leistung" versteht man dabei von vornherein das, was als Relation von Kosten und quantifizierbaren "Ergebnissen" (Abschlüsse, Studiendauer, Drittmitteleinwerbung und -nutzung) gemessen werden kann, womit sich das Motiv der Beschleunigung, die Ökonomie der Zeit tendenziell als Handlungsstimulans verselbständigt.

II. Sparzwang und Sachzwang

Befördert wurde und wird der neoliberale Bildungsansatz von der alle hochschulpolitischen Entscheidungen betreffenden Finanzmisere. Bereits der Zwang zum Sparen zeitigt eine selektive Betrachtungsweise der Leistungspalette des Hochschulsystems. Die damit verbundenen zielgerichteten Konzentrations- und Differenzierungsprozesse gehen einher mit impliziten wissenschaftspolitischen Annahmen und Prioritätensetzungen. Es ist kein Zufall, dass überdurchschnittlich häufig marxistische und feministische Wissenschaftsbereiche sowie Studienreformprojekte der 70er Jahre durch Kürzungen beschnitten oder beseitigt wurden. Wissenschaft wird weniger durch ihre Problemlösungskompetenz bewertet und mehr nach ihrer Verwertbarkeit sowie Kommerzialisierbarkeit. Unter dem Vorwand des Sparens werden permanent inhaltliche politische Entscheidungen in "ökonomischer" Form getroffen. Das entlastet diese von aufwendigem öffentlichen Legitimationsbedarf und erleichtert wiederum den Zwang zu noch mehr Sparen. Die gesellschaftliche und politisch konflikthafte Dimension einer Hochschulreform wird so auf die Perspektive einer "effizienten" Mittelvergabe verkürzt und entpolitisiert.

Unter der Bedingung wachsender Konkurrenz um immer knappere Mittel erscheinen (mehr oder minder) demokratische Verfahren der politischen Willensbildung und Verhandlung - sei es zwischen Staat und Hochschule, sei es innerhalb der Hochschule - als ineffektiver Zeit- und damit Kostenfaktor. Die politische Regulierung des Hochschulsektors kann so als das eigentliche Problem mangelnder "Produktivität" dargestellt werden. In den Worten des ehemaligen West-Berliner Wissenschaftssenators George Turners klingt das so: "Die Hochschulen sind nicht aufgabenorientiert, sondern politisch konstruiert." (Handelsblatt, 31.05.1996). Es wird suggeriert, es gäbe eine Aufgabe der Hochschule "an sich", die vor allen gesellschaftlichen und politischen Vereinbarungen feststellbar sei. Aus dieser ideologischen Problembeschreibung ergeben sich ganz praktische Konsequenzen: Aufgabenbestimmungen in Forschung und Lehre werden durch den Abbau politischer Partizipationsstrukturen aus der (hochschul-)politischen Öffentlichkeit in geschlossene ProfessorInnenzirkel zurückverlegt, außerdem können "Sachzwänge" des ökonomischen Systems von politischem Legitimationsdruck entlastet und hochschulintern als genuine "Aufgabe" der Wissenschaft "an sich" präsentiert werden.

III. Hochschulreform im Neoliberalismus

Der neoliberalen Logik zufolge müssen sich Bildungseinrichtungen verstärkt als Wirtschaftsbetriebe begreifen, wenn Bildungs- und Wissensproduktion einen optimalen Nutzen für den Standort Deutschland haben sollen. Hochschulen sollen also in einem Verhältnis des Wettbewerbes untereinander stehen und ihre internen Strukturen vor allem auf die Effizienzsteigerung der Relation von Kosten und Leistungen ausrichten. Das alles vollzieht sich bei gleichzeitig sinkenden staatlichen Bildungsausgaben, erfordert also die Fähigkeit, mit den vorhanden oder schrumpfenden Mitteln mindestens den status quo zu erhalten. Dies ist zwangsläufig verbunden mit der Delegation von (formaler) Verantwortung nach unten, z. B. von staatlichen Planungsstellen auf die einzelnen Hochschulen. Dafür werden neue Instrumente der Leistungs- und Erfolgskontrolle eingeführt (Budgetierung, Controlling, Ranking, Evaluation etc.). Private Finanzierungsquellen müssen anstelle der versiegenden staatlichen erschlossen werden, was eine zunehmende Privatisierung der Verantwortung für das öffentliche Bildungssystem zeitigt. Dazu gehören Maßnahmen wie Studiengebühren, Hochschulmarketing, Sponsoring, (Teil-)Privatisierungen einzelner Hochschulangebote etc.

Um das zu bewirken und auf Dauer zu erhalten, ohne dass es permanenter staatlicher Interventionen bedarf, erfordert es eine grundlegende Umwandlung der bestehenden Hochschulstrukturen. Deren Kern stellt die Umstellung der staatlichen Finanzierung vom input-orientierten bürokratischen Modell zur output-orientierten Steuerung dar. War bisher die Bemessungsgrundlage im wesentlichen der Grad der Auslastung (Studienplatznachfrage) bzw. die Beanspruchung qua Status (Professur), soll dieser Mechanismus in Richtung "Leistungsorientierung" umgebaut werden. Dazu müssen die an der Hochschule verrichteten Tätigkeiten zu vergleichbaren und messbaren "Produkten" gemacht werden. Das einzige Medium gegenseitiger Vergleichbarkeit ist der Faktor Zeit. Somit wird ein Wettbewerbsmechanismus installiert, der sich tendenziell gegen die inhaltliche Bestimmbarkeit und politische Legitimationspflichtigkeit von Wissenschafts- und Bildungsangeboten verselbständigt. Die "Qualität" von Lehre und Forschung kann so nur noch durch die wettbewerbliche Bewertung im Nachhinein bestimmt werden (insbesondere durch die kommerzielle Verwertbarkeit), ist ergo kein Kriterium ergebnisoffener demokratischer Verfahren, sondern eine Aufgabe des Management.

Diese Finanzierungs- und Steuerungsmechanismen bedürfen offensichtlich andere Entscheidungs- und Leitungsstrukturen als die bestehende akademische Selbstverwaltung. Gremien zum Aushandeln verschiedner Interessen werden überflüssig, wenn betriebswirtschaftliche Effektivitäts- und Effizienzkriterien die Steuerung bestimmen. Entscheidungsbefugnisse werden an der Spitze der jeweiligen Hochschuleinheit konzentriert, um dort Management- und Controllingaufgaben zu erfüllen. Entgegen aller Behauptungen von "Autonomie" und "Freiheit" werden die Hochschulen noch autoritärer als sie es bereits sind.

Damit der neuen Dienstleistungshochschule nicht völlig die Legitimationsbasis entzogen wird, kommt dann ein neues Gremium hinzu: der "Hochschulrat". Dieses Expertengremium "zwischen" Staat und Hochschule ähnelt stark dem Aufsichtsrat eines Wirtschaftsbetriebes, dem ohne irgendeine demokratische Legitimation Entscheidungskompetenzen übertragen werden. Das traditionelle Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Hochschule wird so in letzter Konsequenz abgeschafft.

IV. Neoliberalism is also a state of mind

Auch die "Bildungsobjekte", also die Studierenden können sich einer neoliberalen Neubewertung nicht entziehen. Werden Bildungskosten bzw. die Finanzierung von Studienplätzen als "Investition" begriffen, erhöht sich der Druck auf eine präzisere "Kalkulation" dieser Ausgaben. Der Übergang zu betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulationen wirkt somit in Richtung einer stärkeren formalen Leistungskontrolle (Verschulung, mehr Prüfungen etc.) und einer selektiv individuellen Differenzierung dieser Kosten nach Maßstäben persönlich zugeschnittener Leistungsfähigkeitsprognosen. Eine (potentiell) emanzipatorische Förderung von Entwicklungschancen und Handlungsmöglichkeiten wird ausgetauscht durch eine klassifikatorische Diagnostik invarianter "Eigenschaften" und "Anlagen". Die Konkurrenz der Hochschulen soll sich auch auf das Feld der Studierendenauswahl erstrecken, so wie sich jedes private Unternehmen seine "MitarbeiterInnen" selbst aussucht. Die politisch garantierte Bildungsbeteiligung, das "Recht auf Bildung" bzw. was davon übrig geblieben ist, wird durch eine individuelle Nachweispflicht persönlicher "Eignung" ersetzt.

Hier kommt dann auch der Hauptkonfliktpunkt der Hochschulpolitik der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ins Spiel: die Einführung von Studiengebühren. Entgegen mancher landläufiger Argumentation geht es bei Studiengebühren nicht um eine verbesserte Finanzierung der Hochschulen. Alle bisher angedachten Gebührenmodelle würden lediglich einen kleinen Zuschuss zur Bildungsfinanzierung ergeben, der durch zusätzliche Stipendien, Kredite etc. noch geringer ausfallen würde. Statt des behaupteten Finanzierungsaspektes ist viel mehr der Steuerungsaspekt von Studiengebühren das ausschlaggebende Moment. Gebühren sind das entscheidende Mittel zur Durchsetzung marktmäßiger Strukturen im Hochschulwesen. Sobald die StudentInnen Gebühren unterworfen sind, werden sie gezwungen, ihr individuelles Bildungsverhalten drastisch zu verändern. Sie müssen ihren Studienverlauf danach richten, ihre eigene finanzielle Investition möglichst gering zu halten und gleichzeitig darauf achten, eine möglichst hohe "Rendite" zu erzielen. Dass heißt, dass das Individuum - noch viel mehr als das heute bereits der Fall ist - danach strebt, in kurzer Zeit das Wissen zu erwerben, das ihm oder ihr die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Jetzt noch bestehende Emanzipationsperspektiven werden ersetzt durch die ökonomische "Effizienz" des individuellen Verhaltens, indem sich die Studentin/der Student an externe Standards, nämlich die kurzfristige berufliche "Verwertbarkeit" des Studiums anpasst. An die Stelle einer kritischen Aneignung des Wissens tritt die dosierte und rationierte Zuteilung eines begrenzten, scheinbar neutralen Stoffes. Abweichungen vom akademischen und beruflichen Mainstream erhöhen die persönlichen Kosten.

Infolge dieser Veränderungen werden die Hochschulen und die einzelnen Fachbereiche wiederum gezwungen, ihr Angebot stärker auf den Markt auszurichten, um StudentInnen anzuwerben. Es wird eine große Anzahl von Billig-Studiengängen (wie den Bachelor) für die Massen geben und einige wenige weiterführende, also länger dauernde und damit teuere Abschlüsse für die finanzkräftige akademische, politische und ökonomische "Elite". Es werden (fast) keinerlei Kontrollinstrumente mehr benötigt, um die faulen Studierenden zum konformen Verhalten zu zwingen, da diese sich entsprechend verhalten müssen, wenn sie systemimmanent die rational beste (also lohnendste) Entscheidung treffen wollen. In kurzer Zeit werden die meisten StudentInnen diesen Zwang verinnerlicht haben und sich vermutlich auch noch freuen, schneller und passgerechter in den gesellschaftlichen Verwertungs- und Ausbeutungsprozess integriert zu werden.

Demnach sind Studiengebühren das zentrale Kettenglied, ökonomische Selbstanpassung der Subjekte, institutionelle "Modernisierung" der Hochschulen und gesellschaftliche Märkte miteinander zu verkoppeln.

V. Die letzte macht das Licht aus

Seit es Universitäten im bürgerlichen Staat gibt, werden wissenschaftliche Ergebnisse wirtschaftlich verwertet. Die neoliberale Hochschulreform wandelt diese Nutzung als einen primär externen - neben anderen gesellschaftlich bestimmten und politisch legitimierten - Steuerungsmechanismus so, dass ökonomische Rentabilität zur zentralen Antriebskraft der Selbststeuerung wird und damit die Motivation und das Handeln der wissenschaftlichen Akteure leitet. Die Analyse des Modells enthält damit bereits implizit seine Kritik: Wissenschaft und Bildung werden zu funktionalen Restgrößen des internationalen Standortwettbewerbs. Die "leistungsbezogene" Finanzverteilung wird sich an den bestehenden akademischen Standards orientieren und so Konformismus und Stagnation reproduzieren. Neues, wissenschaftliche Innovationen werden so verhindert. Durch einen solchen betriebswirtschaftlichen "Wissenschaftsbetrieb" kann eine Gesellschaft langfristig ihre eigenen Reproduktionsgrundlagen untergraben.

Mario Como
unlike - unabhängige linke und raumspiel
Verwendete Literatur:

Bartz, Olaf: Zentraler Weg zur Marktanpassung. Zur strategischen Bedeutung der Einführung von Studiengebühren, Forum Wissenschaft 4/1999.
Bultmann, Torsten: Die standortgerechte Dienstleistungshochschule, PROKLA 104.
Bultmann, Torsten/Weitkamp, Rolf: Hochschule in der Ökonomie. Zwischen Humboldt und Standort Deutschland, Marburg 1999.
Hoff, Benjamin/Sitte, Petra (Hrsg.): Politikwechsel in der Wissenschaftspolitik, Berlin 2001.
Nohr, Barbara: Kritischer Ratgeber Wissenschaft, Studium, Hochschulpolitik, Marburg 2000.