Fundamente einer Bewegung

Zur Notwendigkeit einer Kritik an ATTAC

Ist ein Kaninchenzüchterverein antikapitalistisch? Wohl kaum. Er will es auch partout nicht sein. Ist dieser Umstand hinreichend, um eine geharnischte Kritik an Kaninchenzüchtervereinen in einer linken Zeitung zu veröffentlichen? Wohl kaum. Also warum, um Himmels willen, muss hier eine Kritik an Attac stehen?

Vielleicht, weil Attac sich derzeit hervortut als Speerspitze der Antiglobalisierungsbewegung, und weil sie darin in sehr bemerkenswerter Weise die ganze Bandbreite an Klischees und Ressentiments mobilisiert, die sich eine Bewegungslinke so ausdenken kann. Seit geraumer Zeit ist dies auch in einer deutschen Variante zu beobachten:

"We are ATTAC! You will be assimilated. Resistance is futile!"

Während allüberall mal wieder die wirtschaftliche Rezession verkündet wird, kann allein eine Gruppierung große Erfolge verkünden: "Attac - eine Bewegung im Aufschwung", titelte ein Artikel in der AStA-Zeitung vom Oktober letzten Jahres. Gefeiert wird dort vor allem die eigene Öffentlichkeitswirksamkeit, die freilich von der "Aufbruchstimmung" nach Genua herrühren soll. Und angesichts der eigenen "guten Organisation": Was liegt da näher als die Selbsternennung zum Sprachrohr der Antiglobalisierungsbewegung? Als Teil von "Attac International Inc.", 1998 in Frankreich gegründet, geben die bundesweit Organisierten gerne auch lokal Auskunft was Attac will. Nimmt man an einer solchen Kaffeefahrt teil, bei der zum Beispiel der Pressesprecher von Attac-Deutschland mit Hilfe eines Overheadprojektors hübsche Grafiken präsentiert, so findet man sich unversehens auf einer Aktionärsversammlung wieder: Denn verkauft werden dort keine Heizdecken, sondern die neuesten Mitgliederentwicklungszahlen. "Allein die Mitgliederzahl hat sich innerhalb weniger Wochen nahezu verdreifacht" - und die stetige Balkenvergrößerung an der Wand belegt dies.

Der Blick auf die öffentliche Präsenz des eigenen Logos gerät dem "Global Player" Attac zum Fetisch, weil die Macht der großen Zahl den Kern seines Organisationsprinzips ausmacht. Als Massenbewegung, als die man sich selbst sieht, bedarf es der "Massenbasis", und da darf es keinen Ausschluss von irgend jemandem geben. Das große Sammelsurium hat dann einen Namen: Es heißt "breites, gesellschaftliches Bündnis".1

Und so ist ein "ideologischer Pluralismus" fester Programmpunkt bei Attac. Diese Gleichgültigkeit im wörtlichen Sinn hat notwendig Methode, und mit ihr bricht sich die schlimmste Version des Pluralismus Bahn, in dem alle Meinungen vertreten sein dürfen, damit man groß, größer und noch größer wird. Kein Problem hat Attac damit, dies unumwunden einzugestehen: "Attac sieht sich als Bündnis zum Erreichen konkreter politischer Ziele und konzentriert sich auf einzelne Kernforderungen, um eine Verzettelung zu vermeiden. Komplexe Themen werden auf klare und vermittelbare Forderungen heruntergebrochen (sic!) und gleichzeitig eine fundierte Analyse im Hintergrund geboten." Und zwar soweit im Hintergrund, dass weder von "fundiert" noch von "Analyse" etwas zu sehen ist.

Wer solches kritisiert, gerät ins Visier der ideologischen Einhegung: Es soll mitgemacht werden; nicht nur destruktiv herumkritisieren, sondern sich konstruktiv beteiligen an dieser "Bewegung"! Antikapitalistisch will sie sich nicht nennen, aber antikapitalistisch dürfen die Leute sein, die sich einbringen sollen, und das sind tendenziell natürlich alle. Die "Mach doch mit"-Bewegung stellt Kritik an ihr kalt, indem sie sie assimiliert. Denn wer nur kritisiert und sich nicht "bewegt", macht sich des Sektierertums verdächtig und verfällt dem Verdikt dogmatischer Nörgler zu sein; darauf darf Attac zu Recht spekulieren.

Die Fundamentalisten der Antiglobalisierung

Wäre Attac nur reformistisch, wäre es der Mühe nicht wert, sich ausführlicher mit ihnen zu befassen. Doch selbst bei ungenauem Hinschauen muss man recht krude und obskure Thesen entdecken, die einem das Ignorieren von Attac verleiden und stattdessen das Gruseln lehren. Die "Analyse im Hintergrund" sollte man sich dann nicht mehr bieten lassen.

Die "thematische Vielfalt", die Attac gerne proklamiert, schrumpft auf populistische Ziele ihrer Kritik zusammen, denn das Kernübel, das sie in der "Globalisierung" zu entdecken glauben, ist das "internationale Finanzkapital". Für Attac steht beispielsweise fest, dass "rein spekulative Kapitaltransaktionen" dazu beitragen, "dass Wechselkurse eher durch die kurzfristigen Erwartungen der Spekulation als durch die ökonomischen Fundamentaldaten bestimmt werden. Dies ist eine Ursache für die Bildung von spekulativen Blasen, die sich in Finanzkrisen entladen (sic!) können..." Abgesehen von der Blödsinnigkeit der inzwischen allgemein üblichen physikalischen Metaphern (die hier auch noch recht derb verunglücken, denn wo hat man je eine Blase sich entladen sehen?) erscheint der Hauptfeind für Attac ausgemacht: Er wird sogleich mit den "Bankern und Finanzmanagern" spezifiziert und dingfest gemacht, denn die sind es, die durch ihre "ungezügelte Spekulation an den Börsen" die "Irrfahrten der Aktienkurse und Währungen" auslösen. Das ist zwar keine Kapitalismuskritik, kommt sich selbst aber antikapitalistisch vor.

Nicht zufällig beglückt Attac seine Anhängerschaft mit Karikaturen, in denen eine amorphe Masse von Globalisierungsgegnern wahlweise das Geld oder die Börse aushebeln. So als sei das Kapital kein Begriff für ein gesellschaftliches Verhältnis, sondern ein anderer Name für 500-Euro-Scheine in den Taschen der Börsenmakler.

Boykottiert den Big Mac...

Glaubt man Attac, dann geht mit der Globalisierung gleichsam eine kulturelle Globalisierung einher: Das gleichmachende Prinzip, das die "Vielfalt der Kulturen" bedroht, hat einen Namen: "Coca-Cola-Kultur".

Mit dem antiamerikanischen Ressentiments komplettiert Attac seine Bühne, auf der die USA die Hauptrolle unter den mächtigen "Global Players" spielen. Sich in kopfnickendem Einverständnis ereifernd, bekommt solches Schauspiel Beifall vom verhärmten Spießerehepaar, das sich zeitlebens ebenfalls von "Ami-Musik" imperialisiert fühlte und für das McDonald's immer schon Ausdruck für die globale amerikanische Unkultur war, die die "Kulturen der Welt" - vorzugsweise die der Deutschen - unterdrückte.

Hier rächt sich die notorische Unfähigkeit, Kapitalismus als Vergesellschaftungsprinzip zu denken: Was auf der Ebene der Ökonomie als "Unfassbares" und Unkontrollierbares mit der Finanzbörse konkretisiert wird, entspricht auf der politisch-kulturellen Ebene die westliche "Supermacht", die sich bei Attac für alle möglichen Projektionen eignet. "Amerikanisierung", als Kategorie in diese Form von Kapitalismuskritik eingefügt, soll als Begriff die weltweite"Aufpflanzung" der amerikanischen Kultur und die Durchsetzung des Geldprinzips brandmarken. Hollywood, Wallstreet und McDonald's sind dann die allerorten halluzinierten Repräsentanten, in denen das Ressentiment sein Objekt findet. Der "ideologische Pluralismus" von Attac ist dafür nicht nur offen, sie erzeugen mit dem Geschwätz von der "Coca-Cola-Kultur" ihre eigene Anschlussfähigkeit sowohl an den rechten Topos des "Untergangs des Abendlandes durch die amerikanische Schundkultur" als auch an die "linke" Tradition, den "amerikanischen Kulturimperialismus in aller Welt" anzuprangern. Insofern erreicht Attac tatsächlich eine breite Basis, die sich über "Amerika" negativ konstituiert.

...und das "Goldene Kalb"!

Für Attac gerät mit der Globalisierung alles außer Rand und Band, die "Deregulierung der Finanzmärkte" führe zu frei fließenden Kapitalströmen, die sich nicht mehr an nationale Grenzen halten. Mit dem Wegfall des "Bretton-Woods"-Systems in den Siebziger Jahren, fehlten die "festen Wechselkurse", die den Markt stabilisieren sollten. Und so gerät unversehens das internationale Finanzsystem zur allmächtigen Instanz, die alles beherrscht: "Das Diktat von Dax, Dow Jones und Shareholder Value bestimmt nicht nur das Denken von Börsenmaklern und Vermögensbesitzern, sondern nimmt Einfluss auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche."

Auf die Idee, dass eine fortschreitende Liberalisierung des Welthandels unter Umständen auch Projekt der nationalen Regierungen sein könnte, dass der Abbau von Sozialsystemen und die Forcierung des Umbaus von Bildungseinrichtungen nach Maßgabe von Effizienz und Nützlichkeit ein Programm von demokratischen Parteien ist, darauf mögen Attac-Analysten nicht kommen. Nein, lieber wird von der Ohmacht der armen Nationalstaaten gefloskelt, die sich der Macht der Großkonzerne ergeben, anstatt endlich die "Finanzmärkte in ihre Schranken zu verweisen". Konsequenterweise lautet die Forderung, "dass unsere Regierung sich nicht länger dem Druck der Kapitalanleger und Finanzkonzerne unterwirft, sondern nach Wegen sucht, um den Kasinokapitalismus zu stoppen."

Dem bösen spekulativen Kapital wird das rechtschaffene nationalisierte Kapital gegenübergestellt: Die nationalstaatlichen Institutionen werden zu rechtmäßigen Sachwaltern der Ökonomie. Politik soll wieder über Ökonomie gebieten. Die nationale Industrie und Wirtschaft, das sind die "ökonomischen Fundamentaldaten", denen dann gleichsam etwas Reales und Wirkliches (sprich Echtes) anhaftet, während die Börse und die Spekulation das "Künstliche" schlechthin sind, das verschwinden soll und das es zu bekämpfen gilt. Das ganze ist keine verunglückte "Kapitalismusanalyse" der Attac-VordenkerInnen, sondern macht ein System aus, das die Welt erklären soll. Es entspringt der Eigentümlichkeit des Kapitalismus selbst, in dem auf der Erscheinungsebene die Wert- und die Gebrauchswertseite verdinglicht auseinandertreten: Geld und die Ware bzw. die konkrete Arbeit. Als Ausdruck des bloß Abstrakten wird Geld zur "Wurzel allen Übels", während die Arbeit zum positiven "Natürlichen" fetischisiert wird. In diesem Denken bleibt das Geld, das sich an der Börse vermehrt, unfassbar (eben eine "spekulative Blase, die sich entlädt"). Der "jüdische Wucherer", der Spekulant, der Aktienhändler und der Börsenmakler werden dann zu "Agenten der Wertseite", die mit ihrem "Kasinokapital" die ökonomischen "Fundamente" der nationalen Industrie erschüttern.2

Diese klassisch-depperte Alternative von "raffendem" und "schaffendem" Kapital marschiert in den öffentlichen Bekundungen von Attac beständig mit. Das Schwert, mit dem Attac zu fechten gedenkt, heißt "Tobin-Steuer" und soll die Devisenumsätze an den Börsen und die "Steuerflucht" beschneiden: Die "wuchernde" Geldspekulation soll zugunsten des "natürlichen" Kreislaufs wieder gebändigt werden. Dem "schaffenden" Kapital, der realen Produktion, der Fabrik und der Arbeit soll wieder Geltung - so wie früher - verschafft werden. Dabei will Attac tatkräftig mittun, indem es als "Massenbewegung" auf breiter Basis operiert.

Der euphemistische Begriff der "Bewegung" ist der Name für die gedankliche Erstarrung in der Konformität mit den herrschenden Verhältnissen, weil sie vom Kapital als Vergesellschaftungsprinzip nichts wissen will, aber gleichzeitig den gängigen antisemitischen Reflex gegen das Finanzkapital provoziert. Die Forderung nach der "anderen Welt", die Attac für möglich hält, führt schnurstracks in die immergleiche nur umso schlimmer zurück!

Flimmerkiste

(Alle kursiv gesetzten Zitate sind den öffentlich zugänglichen Broschüren und
Texten von ATTAC entnommen.)