Innere Sicherheit:

Staat und Wirtschaft lassen vermessen

Neu ist sie nicht - die "Biometrie". Für Wirtschaftsunternehmen und Forschungsinstitute schon seit einigen Jahren ein potenzieller neuer Markt, ist sie mit den Sicherheitspaketen der Bundesregierung nach dem 11. September aber auch zum politischen Schlagwort geworden.

Der Begriff meint die Vermessung und Erfassung bestimmter Körpermerkmale, anhand derer sich Menschen möglichst lebenslang individuell wiedererkennen lassen. Neben dem klassischen Fingerabdruck zählen Handgeometrie, die Äderchen der Netzhaut oder der spezifische Aufbau einer Iris dazu. Ein anderer Bereich der Biometrie beschäftigt sich mehr mit variablen verhaltensorientierten oder physiologischen Eigenheiten eines Menschen wie etwa Sprache, Stimme oder aber auch (Unter-)Schrift. In Kombination mit dem Boom der elektronischen Datenverarbeitung gibt es zahlreiche Computersysteme, die zum einen mit Hilfe von Biometrie die Zugangsberechtigung eines bestimmten Menschen zu einem System prüfen (Verifikation) und zum anderen für die eindeutige, schnelle Identifikation von Menschen nutzbar sein sollen. Insbesondere zweitere Anwendung der Biometrie erfährt großen Zuspruch innerhalb von Staatsinstitutionen zur Kriminalitätsbekämpfung und Strafverfolgung, von Gesundheitsbehörden, Sozial- und Arbeitsämtern und ähnlichen Einrichtungen, die in irgendeiner Form auf Einzelpersonen Zugriff haben wollen.

Kritik und Ablehnung biometrischer Verfahren von DatenschützerInnen, BürgerrechtlerInnen oder TechnikerInnen gibt es in der öffentlichen und medialen Debatte kaum und häufig nur sehr eingeschränkt und kompromisslerisch. So geht es höchstens darum, unter welchen Bedingungen Biometrie aus Datenschutzperspektive noch akzeptabel ist oder um die Frage technischer Machbarkeiten. Doch da gibt es weitaus mehr zu sagen.

Wo ein Markt ist, ist auch ein Weg!

Unternehmen, die auf das vermeintliche Bedürfnis nach mehr Sicherheit reagieren und es befördern, gibt es wie Sand am Meer. Frau gebe in eine Internet-Suchmaschine den Namen "Biometrie" ein. Sie wird einen Haufen Klein-, Mittel- und Großkonzerne finden, die irgendwie als "Trust"-, "Security"- oder "Vision" - oder "New Technologies"-Firmen biometrische Sicherheitssysteme zu vermarkten suchen. Und nicht nur diese arbeiten an deren stetiger Verbesserung, sondern auch ganze Forschungszweige der Informatik, Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaft untersuchen in endlosen Studien die Bevölkerungsakzeptanz solcher Technologien, die technischen Unzulänglichkeiten und Potentiale.

Der bundesdeutsche Staat hinkt all dem eher hinterher. In den USA hat die amerikanische Polizei Anfang des Jahres per Videoüberwachung auf einem Football-Spiel mit 70.000 BesucherInnen via Gesichtserkennung gesuchte "Kriminelle" aussortiert. In Malaysia wird als weltweite Premiere der Personalausweis mit digitalem Fingerabdruck eingeführt. In London wird Gesichtserkennung und flächendeckende Videoüberwachung ebenso gekoppelt. Doch all das ist auch hier nun keine Zukunftsmusik mehr. Wir erleben gerade nicht allein den Durchbruch des Überwachungsstaates, sondern den der Überwachungsgesellschaft.

Aber die Technik, ist die nicht viel zu unsicher?

Der Kampf gegen die Biometrie bewegt sich leider oft entlang der Frage nach der technischen Realisierbarkeit. So wird viel diskutiert, ob der Speicherplatz für die riesigen Datenmengen von Stimmproben, Fingerabdrücken, Iris-Scans usw. überhaupt ausreicht, ob die mathematischen Verfahren zur Erfassung und Zusammenführung von biometrischen Daten effektiv genug sind oder wie sich die Fehlerraten bei biometrischer Erkennung von Menschen minimieren lassen. Abgesehen davon, dass solcherlei Diskussionen die Perfektionierung der Biometrie sehr produktiv vorantreiben, handelt es sich dabei nicht um eine politische Kritik an Überwachungsmechanismen.

Ob es technisch machbar ist, einen Menschen anhand der 266 charakteristischen Irispunkte eindeutig zu identifizieren, sollte höchstens als Frage des Boykotts zur Debatte stehen: Wie kann ich den Automaten, der meine Netzhaut scannt, bescheißen? Denn wenn jedeR potenziell verdächtig ist und niemand mehr weiß, welches finanzkräftige Unternehmen und welche Strafverfolgungsbehörde so ziemlich alles von ihm/ihr weiß, ist alles andere nur noch eine Frage der Zeit und der herrschenden Verhältnisse.

Der Staat und die Unschuldsvermutung, die Vorratsdatenhaltung und das Persönlichkeitsrecht

Die fortschrittliche Rechtssprechung geht immer davon aus, dass einem/r AngeklagteN die Schuld bewiesen werden muss - erst dann ist er oder sie schuldig. Diese sogenannte Unschuldsvermutung erübrigt sich, wenn von allen BürgerInnen zentral Daten angesammelt werden, als wären sie StraftäterInnen. Was heute als erkennungsdienstliche Behandlung nach der Festnahme durch die Polizei erfolgt, erledigt demnächst dann gleich standardmäßig der Ausweis für alle: Fahndungsfoto und Fingerabdruck.

Im Zweifel wird bei einer solchen Vorratsdatenhaltung immer irgendein Straftatbestand vorliegen können. Und weil ein großes Amt, eine staatliche Polizei oder ein Unternehmen immer mächtiger sind als der/die Einzelne, gibt und gab es eigentlich bestimmte Rechte auf persönliche Daten, auf informationelle Selbstbestimmung als Schutz vor willkürlichen Staatszugriffen. Die deutsche Geschichte selbst hat mit dem nationalsozialistischen Staatsterror gelehrt, wohin das Nichtvorhandensein dieser Rechte führt. Und wie das noch besser mit biometrischer Gesamterfassung der Bevölkerung geht, dürfen wir in Europa vielleicht bald erleben.

Und zuerst trifft es immer die Anderen

Viele meinen, sie seien doch nicht davon betroffen, wenn sie vermessen und gespeichert werden, weil sie doch nicht kriminell seien. Sie sind zum Glück keine AsylbewerberInnen. Die sind auch nicht kriminell, aber werden so behandelt. Die Erfassung ihrer Stimmen zur Feststellung ihrer Herkunft, ohne dass sie jemals selbst erfahren dürfen, was aufgezeichnet wurde, ist per Gesetz bald Alltag. In Kombination mit dem menschenunwürdigen Asylrecht wird das die herrschende Abschiebepolitik massiv befördern - Menschen werden zurückgebracht in den sicheren Tod in die vermeintlich "sicheren Drittstaaten".

Aber man gewöhnt sich an alles

Videoüberwachung ist in Großstädten schon beinahe Alltag. Über den Personalausweis wundert sich ohnehin keiner mehr, in Großbritannien mag er jetzt noch Innovation sein. Hier kommt einfach der Fingerabdruck hinzu. So unbemerkt wie vor 13 Jahren der maschinenlesbare Ausweis eingeführt wurde, wird auch dies schnell zur Selbstverständlichkeit. Gängig mag es werden, wenn alle erdenklichen Räume und Häuser nur noch für die richtigen Personen biometrisch zugänglich werden, wenn Krankenkassen, Banken und Kaufhäuser biometrisch korrekt die Einkommens- und Kaufkraft sowie den Grad des Gesundheitsrisikos herausfiltern, wenn die Kontrolle und Überwachung an jedem Lebensort für alle verinnerlicht ist und sie sich selbst so verhalten, wie es jeweilig von ihnen erwartet wird.

Wir sehen uns in der gesellschaftlichen Zuchtanstalt - also im Alltag - wieder, möchte eine schließen.
Doch nein: Es gibt sie noch, die Lücken im System. Daher: Boykott und radikaler Protest gegen die biometrische Erschließung aller Lebenswelten!

Andrea Knaut