So schön ist es hier...

...in den Zeilen der Eröffnungsrede des IG Farben Gebäudes von Uni-Präsident Steinberg

"Es ist mir eine große Freude und Ehre, dass wir das Ereignis der Einweihung des IG Farben-Gebäudes mit einer so großen Zahl bedeutender Persönlichkeiten aus nah und fern feiern können." Zu diesen für den Universitätspräsidenten bedeutenden Persönlichkeiten zählten die Überlebenden des Zwangsarbeiterlagers der IG Farben in Buna-Monowitz nicht. dabei ging es am 26. Oktober doch um die Eröffnung des ehemaligen Hauptsitzes der IG Farben als neuem Gebäude der Universität Frankfurt.

Die Rede beginnt mit dem Erwähnen der Nutzung durch das V. Corps der US-Army und einen herzlichen Dank an sie: Der Einsatz der Streitkräfte habe "das deutsche Volk von dem unseligen Naziregime befreit" und "den Weg dafür eröffnet, dass Deutschland seinen ideologischen Sonderweg beenden und den Weg zurück in die gemeinsame Tradition des westlichen Verfassungsstaates finden [kann]". Dass "das deutsche Volk" mit dem "unseligen Naziregime" zu einem Großteil deckungsgleich war, wird geschickt ausgeklammert. Und das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit mit "ideologischem Sonderweg" zu umschreiben ist unangemessen und euphemistisch.

Doch gibt es nichts, wo sich nicht ein Vorteil draus basteln ließe. Die Gunst der Stunde - der 11. September war gerade anderthalb Monate her - wird genutzt, um die militärischen Interessen Deutschlands zu artikulieren. Denn neben der obligatorischen Versicherung von Freundschaft und Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden wird auch gesagt, dass man nun den Kampf Amerikas "für Freiheit und Menschlichkeit" unterstützt. Das ging ja leider nicht immer so gut - schließlich steht in der gerade noch gelobten Verfassung, dass Deutschland schlichtweg keine Angriffskriege führen darf - doch auch da kann man mal getrost drüber hinweg sehen: "heute hat unser Land die - wenn auch bescheidene - Möglichkeit, diesen Kampf zu unterstützen."

Die Amis haben uns Deutschen gegen Hitler geholfen, jetzt helfen wir ihnen auch mal. So ist das in einer guten Freundschaft. Der Kampf gegen Nazi-Deutschland ist ungefähr dasselbe, wie das ärmste Land der Welt zu bombardieren.

Viel Dank geht auch an diejenigen PolitikerInnen, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Uni Frankfurt in das Gebäude ziehen darf. "Aus dem Palast des Geldes, später dem Palast der militärischen Macht, sollte der Palast des Geistes werden." Mal abgesehen davon, dass hier schon wieder die, hmm, ja zugegeben, nicht ganz so einfache Vergangenheit, verlegen grins, geschickt mit "Palast des Geldes" umschrieben wird: Wollen wir die Uni wirklich zum "Palast des Geistes" verkommen lassen? Dass in Palästen immer nur Eliten zuhause waren dürfte Steinberg bekannt sein. Slogans wie "Wir bauen die modernste Universität Europas" und "Die europäische Metropole Frankfurt/Rhein-Main braucht eine erstklassige Universität" legen die Interpretation nahe, die Uni zum Standortfaktor machen zu wollen, an dem nach wirtschaftlichen Kriterien studiert werden soll: Output-orientiert, effizient, schnell und vielleicht auch mit Studiengebühren. Von Studierenden, geschweige denn von ihren Interessen, ist übrigens im Zusammenhang mit der Uni keine Rede...

Die "historische Last"

Nach so viel Dank kommt man dann doch noch mal auf die, hmm, ja zugegeben, nicht ganz so einfache Vergangenheit, verlegen grins, zurück: "die Goethe-Universität eignet sich diesen Ort an, im Bewusstsein der Geschichte, die in gewisser Weise eine historische Last darstellt."

Die "historische Last" sei Grund gewesen, eine Gedenktafel anzubringen und eine Dauerausstellung zu eröffnen "in der vor allem auch für die jungen Studierenden die Erinnerung an die wechselvolle Geschichte des Ortes wachgehalten wird."

Die Studierenden werden hier als die zu belehrenden, zum Erinnern anzutreibenden Leute gesehen. Eine leicht verzerrte Wahrnehmung, denn die Initiative, sich mit der Geschichte des IG Farben Gebäudes auseinander zu setzen, ging bisher von Studierenden aus - meist gegen den Widerstand der Universitätsleitung. Das Anbringen der Gedenktafel und vor allem das Verfassen des Textes war der Uni-Leitung nicht erstes Bedürfnis gewesen, sondern ist zähes und mühseliges Verhandlungsergebnis zwischen dem Fritz-Bauer-Institut und dem Überlebendenrat gewesen. Die Einrichtung der von der Universitätsleitung nun so gefeierten Dauerausstellung im IG Farben Gebäude geht auf einen studentischen Konventsantrag vom Januar 1999 zurück, ebenso wie die Festlegung auf den Namen "IG Farben Gebäude".
Es folgt ein kurzer Dank an Herrn Jachmann, Mitglied im Rat der Überlebenden. Dieser Absatz nimmt gerade mal 13 Zeilen in einer vierseitigen Rede ein.

Es überrascht, dass Steinberg tatsächlich vom IG Farben Gebäude redet (den Platz drum herum nennt er konsequent "Campus Westend") - denn im UniReport, dem Presseorgan der Uni-Leitung, gibt man sich alle Mühe, den beschlossenen Namen zu vermeiden: Das "Poelzig-Ensemble" auf dem "Campus Westend" wird beschrieben; jede mögliche Wortschöpfung findet sich in der Extra-Beilage zur Eröffnung - außer der Name IG Farben Gebäude. Sicher ist der Name nicht alles, aber an ihm findet ein symbolischer Streit um die Erinnerung statt und deshalb ist es wichtig für die beschlossene Bezeichnung "IG Farben Gebäude" zu streiten.

Look and feel

Doch das Gedenken an die, hmm, ja zugegeben, nicht ganz so einfache Vergangenheit, verlegen grins, soll nicht der letzte Punkt in der Eröffnungsrede Steinbergs sein. Die Architektur des Gebäudes wird gelobt. Alles voll super. Von "einzigartiger Anmutung des IG Farben Ensembles" redet Steinberg, welche "die Erfolge der Forschung sowie von Lehre und Studium beflügeln" soll. Denn es ergebe eine tolle Gefühlsstimmung, welche "die konkrete Erfahrung vor Ort, die sich im Betrachten (look) und Erleben (feel) der Standortqualitäten ergibt".

Es war ohne Zweifel eine historisch kluge Entscheidung, nach dem Auschwitz-Lieferanten und der US Army statt der Europäischen Zentralbank die öffentliche Universität einziehen zu lassen. Architektonisch ist der Komplex jedoch geprägt von politischer Ambivalenz. Entgegen landläufigen Meinungen steht das Haus nicht für Nazi-Ästhetik, Star-Architekt Hans Poelzig entwarf einerseits ein Objekt der architektonischen Moderne mit seinem gebogenem Hauptgebäude, das von sechs Querriegeln unterbrochen wird. Andererseits wurde das damals höchste und größte Gebäude bewusst auf einem Hügel angelegt, damit alle Menschen in der Umgebung hinaufschauen müssen. Die Unterteilung zwischen Hauptteil und dem wiederum auf einer Anhöhe angelegten Casino lässt ebenso auf eine klare Herrschaftsarchitektur schließen, die sich nationalistischer Symbolik nicht verschloss. Die MacherInnen der Ausstellung "Macht und Monument", die Anfang 1998 im Architekturmuseum präsentiert wurde, fanden es ein derart idealtypisches Beispiel für einen Herrschaftsbau, dass sie ein Foto des IG Farben Hochhauses zum Titelbild des Ausstellungskataloges wählten. So schön ist es hier!

Zu einer Eröffnungsrede gehört natürlich auch den Bogen zu bekommen und zu versuchen, alles irgendwie miteinander in Verbindung zu setzen. Wie meistens misslingt es auch hier. Das Geschwafel von Goethes Lob der schönen Obstwiesen und der Aussicht von dem Platz, auf dem nun das IG Farben Gebäude steht, bricht eine Uni-Identität, fast schon Verwurzelung der Uni mit ebendiesem Platz, übers Knie. Soviel Identität tut gut: "Hier fühlt man sich trotz aller Veränderungen der letzten 200 Jahre auch heute noch wohl" resümiert Steinberg. Trotz der Veränderungen also. Trotz des Zauns, der verhindert, dass nicht wie damals jede über diesen Platz schlendern darf? Trotz des Sicherheitsdienstes und der Anwesenheit von bewaffneten Zivi-Polizisten auf der studentischen Vollversammlung? Oder einfach nur trotz der fehlenden Obstwiesen? "Ich beneide deshalb ein wenig die Glücklichen, die hier einziehen konnten" und die, die es nicht von vorneherein, Daumen oben, alles super finden, bei denen muss halt noch "die eine oder andere Kinderkrankheit überwunden werden".

Es bleibt zu hoffen, dass sich Steinbergs letzter Wunsch nicht erfüllt. Auf dass die Kinderkrankheiten zum festen Bestandteil des Unialltags werden!

Alle Zitate aus Der Eröffnungsrede von Steinberg, nach den Manuskripten der Uni-Pressestelle

Sarah Dellmann
Die Autorin ist in der unLike - unabhängigen Linke und in der Initiative Studierender im IG Farben Gebäude aktiv.