„Dieser Mensch ist z.B. nur Königin, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihr verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil sie Königin ist.“

Diskursordnung und Strategien der Verwüstung

Die formale und räumliche Struktur der Kommunikationssituation

Jede Gesprächssituation ist schon vorab mehr oder weniger rigide strukturiert, am augenscheinlichsten beim Militär, kaum subtiler in der Schule: Von der Sitzordnung über das Privileg der Zuteilung von Redeerlaubnis oder -pflicht, über die Einteilung in Leistungskategorien bis zur Kontrolle der Nahrungsaufnahme (nur in der „Pause“) und der Bewegung (Schülerinnen haben ruhig zu sitzen, Lehrerin kann im Raum umherlaufen). Die Kommunikationssituation an der Uni ist wenig anders. Selbst wenn hier die Tische oftmals im Kreis aufgestellt werden, ändert dies wenig an der einseitigen Redeordnung. Schon mit dieser noch rein formalen Struktur werden Autoritäten und Hierarchien festgelegt und reproduziert, Herrschafts- und Machtverhältnisse legitimiert und zementiert. Denn es scheint, daß nur die gegebene Vorgehensweise einen geregelten Ablauf des Unterrichts oder Seminars gewährleistet, das System von Macht und Unterordnung das einzige sei, diese soziale Beziehung zu organisieren – eine spätestens in der Uni formal völlig frei gewählte soziale Beziehung, die, so möchte mensch meinen, ohne Disziplinarmaßnahmen auskommen müßte, da sie eben freiwillig eingegangen wurde.

Doch von der Vereinssitzung über die Wahlveranstaltung bis zur Sitzordnung am familiären Mittagstisch versinnbildlichen sich Machtstrukturen und reproduzieren sich gleichzeitig. Diese Ordnung könnte mensch als das „Außen“ der Kommunikationsstruktur oder als räumliche Struktur der Kommunikation bezeichnen, nicht weil sie keinen Einfluß auf den Inhalt hätte bzw. selbst Teil des Inhalts (1) wäre, sondern weil sie dem Inhalt (hier: des gesprochenen Wortes) vorgängig ist. Was immer die Lehrerin, die Vereinsvorsitzende, die Politikerin oder das Familienoberhaupt sagt, werden – bleibt die gängige Struktur dieses Kommunikationsaktes bestehen – Herrschaftsverhältnisse darin ausgedrückt und repräsentiert sowie durch die Nicht-Thematisierung verinnerlicht und als normal, natürlich oder alternativlos verfestigt.

Die Ordnung des Diskurses

Einen Schritt näher an der direkt gesprochenen Aussage befinden sich weitere Mechanismen, die den Diskurs strukturieren. Diese beruhen auf dem Prinzip des Ausschlusses. Foucault erläutert in „Die Ordnung des Diskurses“ einige Praktiken dieser Diskurskontrolle. Ausschlüsse können zunächst durch das Verbot erreicht werden. Gewisse Themen können nicht oder nicht in jeder Situation angesprochen werden (Tabu des Gegenstandes); nicht jede Form gilt als „geeignet“, um über ein Thema zu sprechen (Ritual der Umstände); und nicht jede Beliebige kann über alles beliebige sprechen (bevorzugtes oder ausschließliches Recht des sprechenden Subjekts). Diese drei Typen von Verboten überschneiden sich, verstärken sich oder gleichen sich aus. Sie bilden ein komplexes Raster, welches sich ständig ändert. Offensichtlich ist der Diskurs keineswegs jenes transparente und neutrale Element, in dem die Politik sich befriedet, vielmehr ist er ein bevorzugter Ort, einige ihrer bedrohlichsten Kräfte zu entfalten. Der Diskurs mag dem Anschein nach fast ein Nichts sein – die Verbote, die ihn treffen, offenbaren nur allzu bald seine Verbindung mit dem Begehren und der Macht. Und das ist nicht erstaunlich. Denn der Diskurs ist nicht einfach das, was das Begehren offenbart (oder verbirgt): er ist auch Gegenstand des Begehrens; und der Diskurs ist dasjenige, worum und womit man kämpft.

Als weiteres Prinzip der Ausschließung fungiert die Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn. Auch diese Grenzziehung ist – wie alle anderen – abhängig von Raum und Zeit und den jeweiligen Kräfteverhältnissen, die die Definitionsmacht über das, was vernünftig oder wahnsinnig sei, bestimmt. Damit können unterschiedliche Strategien verbunden werden. So gibt es in der westlichen Welt Versuche, den Diskurs des Islam auf die Seite des Wahnsinns zu definieren: er wird zum „fundamentalistischen Islamismus“ und gilt erstens als nicht rational, zweitens wird ihm eine grenzenlose Aggressivität zugesprochen. Die Schlußfolgerung ist, daß nur mit blanker Gewalt dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten sei. Eine andere Strategie wird verfolgt, wenn der Nationalsozialismus als das Produkt einiger weniger Wahnsinniger beschrieben wird. Guido Knopp sezierte in einer mehrteiligen Fernsehserie die Biographien Görings, Goebbels’ etc., und fand bei allen „Männern hinter Hitler“ Traumata, ungelöste Ödipuskomplexe etc. Ziel der Wahnsinnsdefinition ist hier die Entschuldung von Volk und Vaterland.

Die formale Struktur der Kommunikationssituation und die Ordnung des Diskurses bilden zusammen ein Gestrüpp von Mechanismen, die konventionalisiert und/oder institutionalisiert sind und unsere täglichen Verhaltensweisen regulieren, gleichzeitig Herrschaftsverhältnisse implizieren und Machteffekte produzieren.

Interdiskurs, Katachresen und das Boot

Bisher sind die Diskurse über ihr „Außen“ bestimmt worden: formale Struktur, räumliche Anordnung, Ausschließung und Grenzziehung. Das Feld der positiven Aussagen selbst ist ebenso vielfältig strukturiert. Hierfür lohnt sich ein Blick auf die Diskursanalyse und ihre Begrifflichkeiten. Zunächst muß zwischen verschiedenen Diskursarten differenziert werden.

Spezialdiskurse sind Aussageformationen, die über ein jeweils eigenes typisches Vokabular, eigene Syntax und Rituale d.h. geregelte Redeweisen verfügen. Beispiele wären der juristische, der religiöse oder künstlerische Diskurs. Der Interdiskurs hingegen beinhaltet einerseits Elemente mehrerer Spezialdiskurse, andererseits integriert er diese bis zu einem gewissen Grade alltagskulturell.

Der Interdiskurs ist sozusagen der Kitt des gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Der Interdiskurs bezeichnet das Allgemeine der Spezialdiskurse und (re-)definiert sie zugleich. Der politische und journalistische Diskurs sind am stärksten im Interdiskurs verankert. Der Medien-Interdiskurs kann als Prototyp eines institutionalisierten Interdiskurses betrachtet werden. Seine Funktion ist es, die Spezialdiskurse zusammen und mit dem Alltagsdiskurs in Kontakt zu halten.

Der Interdiskurs wird von einem System kollektiver Symbole zusammengehalten, deren wichtigste Verkettungsregeln Katachresen (Bildbrüche) sind. Unter Kollektivsymbolen lassen sich Modelle verstehen, die metaphorisch funktionieren. Kollektiv deshalb, weil sie allen Menschen eines kulturellen Zusammenhangs „unmittelbar einleuchten“. Kollektivsymbolische Verknüpfungen können Assoziationen hervorrufen, die bestimmte Sachverhalte oder Personengruppen negativ kodieren, andere positiv. Z.B. „Asylantenflut stoppen.“ Flüchtlinge werden mit einer Flut, einer Naturkatastrophe, vor der es sich zu schützen gilt, in Verbindung gebracht und damit negativ kodiert, während dagegen „Deiche“ errichtet werden müßten, weil sonst das „soziale Netz” bedroht sei. „Deich“ und „soziales Netz“ werden positiv kodiert. Die diskursive, lockere Verkettung unterschiedlicher Symbole können als Katachresen-Mäander bezeichnet werden, d.h. Bildbrüche schlängeln sich durch die Diskurse. Mehrere Symbole werden aneinandergereiht und überziehen wie ein Netz die Diskurse und verleihen ihnen eine außerordentliche Festigkeit.

Die integrierende Wirkung erzielen die Symbolketten durch die Harmonisierung der widersprüchlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit, indem sie zwischen Normalität und Abweichung unterscheiden. Die Kollektivsymbole sind demnach nicht beliebig, sondern funktionieren durch Entgegensetzung, In-Opposition-Setzung. Als wichtigstes Gesamtsymbol fungiert das „Boot“. Es repräsentiert die Normalität im medialen Interdiskurs auf verschiedenste Weise: Sowohl als Körper des Individuums, als auch der „Nation“ oder des „Volks“. Klassisch dafür ist der im Asyl-Diskurs legendär gewordene Ausspruch: „Das Boot ist voll.“ Das Boot symbolisiert das „Innen“, es ist mit allem Positiven konnotiert und kann verkettet werden mit Land/Insel, Gesundheit, Sportmannschaft. Desweiteren hat es einen „Motor“, der den „Fortschritt/die Konjunktur“ „ankurbelt“. Das „Boot“ kommt „vorwärts“. Während der Orient „rückständig“ ist, und „islamistische Glaubenskrieger“ „Kreuzzüge” (!) veranstalten. Begriffe aus dem „dunklen“ Mittelalter werden der „hellen” westlichen Zivilisation gegenübergestellt. Das „Außen“ kann auf zwei verschiedene Arten symbolisiert werden; entweder als Gegensystem mit eigenem Subjektstatus. Dies sind heute beispielsweise andere Industrienationen mit dem der „Standort D“ im „Wettbewerb“ steht (insb. USA, Japan, die „Tigerstaaten“) oder früher die RGW-Staaten (Bilder und Metaphern die Hinterlist, aber dennoch Rationalität und Kalkulierbarkeit symbolisieren sind charakteristisch) – oder ohne Subjektstatus: als Chaos, Flut, Wüste, Virus, Massen, Ungeziefer. (Asylanten, ausländische Kriminelle, Mafia, Drogendealerbanden). Innerhalb des Eigensystems wird eine Unterscheidung zwischen gut und böse durch Symbole wie „Inneres Chaos“, „Subversion“, „Asylanten“ oder „Drogen“ angezeigt, die mit dem „Außen“ verbunden, oder durch ein „Loch“ in der „Bordwand“ „eingedrungen“ sind.

Kollektivsymbole sind heute ein bevorzugtes Mittel im Mediendiskurs, so daß kaum eine politische Aussage mediengerecht ist, wenn sie nicht symbolisch kodiert wurde. Zur anderen Seite hin tauchen die Kollektivsymbole aus den Medien häufig im Alltagsdiskurs auf. Die Kollektivsymbolik verbindet also den politischen, medialen und Alltagsdiskurs und fungiert so als Vehikel für politische Aussagen. Umgekehrt ist Politik in entscheidendem Ausmaß von kollektiven Bildern und Symbolen bestimmt; alle diese Elemente gesellschaftlichen Sinns sind ihrerseits eine Form von Politik. Mit Hilfe der Boot-Metapher wird unablässig Normalität produziert, indem Abweichung und Toleranz überprüft und symbolisiert wird. Wenn Diskurse sich als ein begrenztes „positives” Feld von Aussagen formieren, so gilt umgekehrt, daß mögliche andere Aussagen, Fragestellungen, Problematiken dadurch ausgeschlossen, dethematisiert oder negativ konnotiert werden. Damit erhalten Diskurse eine strategische Bedeutung, tragen zur Strukturierung von Machtverhältnissen bei und üben selbst Macht aus. Die Konstruktion von Normalität im Interdiskurs ist maßgeblicher Bestandteil einer „kulturellen Hegemonie” und aus diesem Grunde diskursiv umkämpftes Feld. Ebenso wie die Verfügung über Produktionsmittel und öffentlich-staatliche Ressourcen umkämpft ist, sind auch die materiellen Träger der symbolischen Prozesse, d.h. sprachliche und bildliche Zeichen, Gegenstand sozialer Auseinandersetzung. Und in dieser Auseinandersetzung wird auch erst noch festgelegt, was als Wirklichkeit überhaupt angesehen, wie Wirklichkeit definiert wird. Diskurse stellen einen aktiven Faktor im Kampf dar, indem in ihnen Sinn und Bedeutung erzeugt wird, wie die Individuen zu sich selbst, zueinander und der umgebenden Realität insgesamt stehen.

Der Interdiskurs, und in ihm die Konstruktion von Normalität vermittels der Kollektivsymboliken, sind wesentliches Instrument zur Herstellung und Festigung des Konsens, der Zustimmung zur Herrschaft. Der Konsens verbindet Herrschende und Beherrschte auf der Ebene der Ideen und Vorstellungen. Dieser Konsens ist selten widerspruchsfrei, sondern vereint heterogene Elemente und läßt Konflikte zu. Demzufolge ist der Interdiskurs wenig explixit geregelt oder systematisiert. Er beansprucht keine Widerspruchsfreiheit (im Gegensatz zum akademischen Diskurs), sondern lebt gerade durch seine relative Offenheit, da er die Reintegration in den Alltag bewerkstelligen muß. Der Interdiskurs erfüllt gerade dadurch seine hegemoniale Funktion, daß in ihm verschiedene diskursive Positionen möglich sind, so daß als „Mitte” des „Dialogs” immer soviel Hegemonie wie nötig und soviel Kritik wie möglich herauskommt. Innerhalb des „Boots” sind verschiedene „Meinungen” akzeptiert, die Grenze nach „außen” ist in bürgerlich demokratischen Staaten/Gesellschaften differenziert (Extremismus-, Fanatismus-, Terrorgrenze), je autoritärer der Staat/Gesellschaft, desto weniger differenziert die Grenze, bis im Faschismus nur noch Entweder/Oder übrigbleibt.

Andererseits definiert der Interdiskurs die Art, in der Kritik angebracht werden kann und Konflikte ausgetragen werden. An dieser Stelle verbinden sich die drei bisher beschriebenen Strukturierungen des Diskurses: formale Struktur, Ordnung des Diskurses und Kollektivsymbolik. Die Produktion von Hegemonie im Diskurs stellt sich also nicht nur verbal oder symbolisch her, sondern auch durch die unzähligen unausgesprochenen, unbewußten Regeln und Verkehrsformen der Kommunikation.

Die Gesamtheit solcher Regeln, die gesellschaftliche Beziehungen und Interaktionen strukturieren, kann als Kulturelle Grammatik bezeichnet werden. Diese enthält ästhetische Codes und Verhaltensregeln, die das gesellschaftlich als angemessen empfundene Erscheinungsbild von Objekten und den normalen Ablauf von Situationen bestimmen. An unterschiedlichen Orten, in Schulen, Vereinen, auf Tagungen, am Arbeitsplatz, in der Uni, in Alltags- und Freizeitwelten, bringt sie oft ähnliche Formen des gesellschaftlichen Umgangs hervor und regelt Abstufungen und Differenzierungen. Sie ermöglicht den Menschen, sich im gesellschaftlichen Raum zu orientieren. Die kulturelle Grammatik liefert Handlungsanweisungen, vor allem aber legt sie bestimmte Interpretationen von Situationen, Orten, Texten und Gegenständen nahe. Wenn die Kulturelle Grammatik einerseits die Menschen den bestehenden Verhältnissen unterwirft, so bietet sie andererseits auch Identifikationsangebote, die die Teilhabe an der Macht für einige Subjekte und Situationen selbst erlaubt. So kann sich, wer mit dem Boot-Schema argumentiert, sich einer gewissen Zustimmung sicher sein, in vielen Fällen an einen gesamtgesellschaftlichen Konsens anknüpfen und sich dieser Macht bedienen.

Gegendiskurs ...

Zum Interdiskurs und untereinander können sich Spezialdiskurse gegendiskursiv verhalten, d.h. daß die Dominierung des Interdiskurses umkämpft ist und nicht als statisch oder gar ewig zu gelten hat. Gegendiskurse sind nicht hegemonial bzw. nicht über diskursive Strategien und Anknüpfungspunkte in den hegemonialen Block eingebunden. Um einem relevanten Gegendiskurs – ebenso wie dem hegemonialen – eine gewisse Stabilität zu geben, gehören Institutionen und Infrastruktur, von Zeitungen bis Kneipen sowie eigene Symbolfelder, Rituale etc. kurz: eine eigene kulturelle Grammatik zu ihm (vgl. dazu Artikel Party-Politics: Subkultur und Subversion). Wobei der Gegendiskurs nicht nur in dieser „Gegenkultur” zirkuliert, sondern auch in den hegemonialen Interdiskurs „hineinragt“, Felder und Themen besetzt. So war in den frühen 80er Jahren das Thema „Ökologie“ ein relevanter Gegendiskurs, der sich in zunehmendem Maße auch in den Interdiskurs einklinken konnte und mit ihm verschmolz, bzw. in einer gewissen und auch heute noch umkämpften Form hegemonial wurde. Dieser Diskurs produzierte eine eigene Infrastruktur (Bürgerinitiativen, Naturschutzorganisationen, Greenpeace, Ökoläden etc.), alte Infrastrukturen wurden umgeordnet (Reformhäuser wurden grüne Reformhäuser), brachte eigene Zeitungen und Zeitschriften zur Welt, produzierte Subjekte, die im Interdiskurs aktiv waren (Öko-BiologInnen, Juristinnen mit Spezialgebiet Umweltrecht, Redakteure von Fachmagazinen, Aktivistinnen etc.), war Teil einer neuen Partei, machte Demos, etablierte bestimmte Protestformen, Rituale, brachte Codes aller Art hervor oder übernahm alte (Latzhosen, Strickjacken, Jesuslatschen). Eine eigene Musikrichtung etablierten sie nicht, wenn auch einzelne Bands sich des Themas annahmen und als Öko-Bands galten (Midnight Oil, teilweise R.E.M.). Dies funktionierte aber eher über Texte, als durch eine spezielle Instrumentierung oder andere nicht-sprachliche Symbolsysteme.

Der Öko-Diskurs kooperierte auch mit anderen älteren Gegendiskursen bzw. war gleichzeitig umkämpftes Feld anderer Inter-, Spezial-, oder Gegendiskurse (Friedensbewegung, marxistischer Diskurs etc.). Übrigens artikulierte sich auch der Öko-Diskurs teilweise über ein Boot-Schema („Wir sitzen alle im selben Boot“, Bedrohungsformel Gefahr der ökologischen Selbstzerstöung der „Gattung Mensch“ beschwört die globale Schicksalsgemeinschaft), verschränkte sich mit rassistischen Argumenten (etwa bei Hoimar v. Ditfurth, der bei einer Fahrt durch Kalkutta angesichts der vielen Menschen die „Erkenntnis“ gewann, daß die gefährliche Überbevölkerung in der Dritten Welt zu einer ökologische Katastrophe führen müsse), war also keineswegs „an sich“ „links“ oder „emanzipativ“.

... und Subversion

Das Prinzip der Subversion, bzw. der Kommunikationsguerilla bezüglich Diskursen arbeitet mit einer anderen Technik. Kommunikationsguerilla geht davon aus, daß politsche Inhalte nicht nur wegen ihrer Richtigkeit oder Wahrheit akzeptiert werden, sondern daß linksradikale Politik immer auch die Bedingungen politischer Rezeption berücksichtigen muß. Subversion und Kommunikationsguerilla will die bestehende kulturelle Grammatik des Interdiskurses (manchmal auch die von Gegen- oder Spezialdiskursen) instrumentalisieren oder umdrehen, für eigene Zwecke benutzen, in ritualisierte Gewänder schlüpfen, sich fremde Rollen anmaßen, will die ästhetischen Momente von Herrschaft dekonstruieren, die Regeln kultureller Grammatik durcheinanderwerfen.

Ziel einer subversiven Aktion ist es, die Macht sichtbar zu machen, die von der kulturellen Grammatik getragen wird und sie reproduzieren hilft. Sie will das „selber denken“ initiieren, indem sie durch ein Eingreifen die Frage „was tue ich hier“ oder „was ist das für eine Situation“ aufwirft. Das Gerüst von Normalitäten soll durch unerwartete Aktionen durcheinandergebracht, Erwartungen enttäuscht oder weit übertroffen werden. Die Hoffnung dabei ist, daß auch ohne „Klartext“, ohne „Gegendiskurs“ Inhalte transportiert werden, die wahrgenommen und verstanden würden, weil an ein Alltagswissen angeknüpft werden könne, das sich aus täglichen Erfahrungen der Einzelnen speise, die ein feines Gespür für Macht und Unterdrückung hätten. Dieses Alltagswissen äußere sich manchmal weniger durch die „korrekte” Analyse, als durch ein spontanes Lachen, so die Hoffnung der Kommunikationsguerilleros/as.

Doch das Alltagswissen kommt nicht aus dem nichts, nicht durch einen quasi-anthropologischen revolutionären Impuls, sondern auch dieses basiert auf einem Diskurs, der aber oft eher über Symbole oder Mythen transportiert wird, als über Klartext. Denn das „spontane Lachen” kann auch nach einem rassistischen Witz erschallen. Deshalb ist jede Subversion darauf angewiesen, auf ein anderes Zeichensystem zu verweisen und damit wiederum an einen Gegendiskurs anzuknüpfen. Darüber hinaus ist die Subversion dem unendlichen Rauschen des hegemonialen Diskurses ausgesetzt und droht sofort wieder in ihm unterzugehen. (2)

Wenn der linksradikale Diskurs als relevanter Gegendiskurs 1989 schwere Einbrüche zu verzeichnen hatte, diverse Diskursfelder räumen, Niederlagen unglaublichen Ausmaßes hinnehmen mußte, so brach gleichzeitig sein Symbolsystem – das feine und auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Netz von Konnotationen und Zeichen – zusammen. Einige Beispiele: Der Ökodiskurs wurde zunehmend mit einem „Blut und Boden” und Esoterik-Diskurs gekoppelt, Punkrock verlor seine eindeutig linke Konnotation (auch ohne Texte!) durch Nazi-Punk-Bands. Demo-Folklore, wie Kapuzenpullis, Hasskappe, Mollis und Steine schmeißen kann in den Medien mit Hoyerswerda und Rostock gekoppelt werden. Der Friedensdiskurs rutschte in einen Frieden-durch-deutscheWaffen-Diskurs (hier besonders bemerkenswert die Grünen Partei und der diskursive Knoten Joschka Fischer). Wer heute sagt, wir brauchen Frieden auf dem Balkan, meint nur allzu oft Bomben auf Belgrad. Der Nationalsozialismus war einst Paradethema der Linken und vom Interdiskurs jahrzehntelang krampfhaft verschwiegen oder als Fanatismus (Hitlerismus) einiger weniger mehr de- als thematisiert. Heute wird mit gewaltigen Gedenkorgien der Schlußstrich vollzogen, die Stigmatisierung des Gegners als Faschist dient der Legitimierung von weltweiten Einsätzen der Bundeswehr.

Im Rahmen der Verschiebungen von Kräfteverhältnissen gingen auch einige Begriffe diskursiv verloren, die eine linke Analyseform kennzeichneten und gleichzeitig als sprachliches Symbol fungierten. Wer heute von „Kapitalismus“, „Imperialismus“, „Widerspruch“ und „Herrschaft“ spricht, wird meist belächelt. Es muß zumindest ein Casino- oder Turbokapitalismus sein, um zu schockieren; Widersprüche sind Konflikte, und Herrschaft muß eben durch Gesetze und Zivilgesellschaft gedämpft und kontrolliert werden.

Subversion und Gegendiskurs im Uni-Streik

Als maßgebliches subversives Instrument diente die Blockade. Sie sprengte die Normalität des Unialltags und eröffnete Freiräume, gleichzeitig machte sie Machtstrukturen sichtbar: mensch erinnere sich nur an die Rede des Dekans Allerbeck bei einer der Vollversammlungen im Turmfoyer. Sein krampfhafter Versuch, die Herrschaft der ProfessorInnen wieder zu erlangen, indem er die Normalität beschwor, wirkte lächerlich oder gar peinlich. Bei Prof. Esser provozierte die Situation sogar den „Ausrutscher” der unverhohlenen Drohung, er werde sich die „Rädelsführer” schon merken und bei etwaigen Bewertungen berücksichtigen. Die kurzfristige Ohnmacht der Mächtigen wirkte teilweise euphorisierend auf die im Uni-Alltag normalerweise Ohnmächtigen: befreites und befreiendes Lachen war die Antwort. (3) Durch die Blockade löste sich punktuell die Trennung von Privatsphäre und öffentlichem Raum Universität auf. Studis schliefen nicht in ihren Betten, sondern in Hörsälen. Tische und Stühle stehen nicht im Seminarraum, sondern blockieren Eingangstüren. Gerade bei der Lahmlegung von Seminaren, Vorlesungen und Verwaltungsakten verspürten viele verblüfft wie sie Selbstverständlichkeiten aushebeln konnten, Geschichte schien machbar.

Praxis und Symbol Blockade konnte aber nur als Rahmen zur Initiierung eines Gegendiskurses dienen, sie hatte über den oben erwähnten Effekt hinaus keinen eigenen „Klartext-Inhalt“. Die Studierenden konnten Zeit gewinnen, um diesen in Gang zu setzen. Durch das Aufbrechen der Alltagssituation wurden überhaupt wieder Flugblätter wahrgenommen, die unter „normalen“ Umständen nur lästigen Müll darstellen. An einem bestimmten Punkt war die Blockade denn aber auch hinfällig. Zwar konnte vor Weihnachten durch den reaktionären studentischen Widerstand, der die Blockaden auflösen wollte, nochmal ein „wir” konstruiert werden, doch letztlich war die Technik der repressiven Toleranz von Politik, Unileitung und dem Großteil der ProfessorInnenschaft ausschlaggebend; das Symbol verlor seine Wirkung.

Jetzt beginnt wieder die Zeit mühsamer Kleinarbeit. Zwar kann die „Turmfamilie” (Siehe Text (ohne Sub) Kultur und Subversion (mit Sub)) Knotenpunkt eines Gegendiskurses sein, jedoch ist sie, will sie nicht nur zur Selbstvergewisserung (negativ: Selbstbeweihräucherung) ihrer Mitglieder dienen, darauf angewiesen, „Außenwirkung” zu entfalten – durch Subversion + Klartext: Nach dem Streik ist vor dem Streik. (4)

Lutz

Fußnoten:

1) So bedient sich eine Wahlveranstaltung der kulturellen Form des Vortrags, ohne daß dabei tatsächlich eine inhaltliche Diskussion stattfindet. Der Inhalt des Vortrags selbst ist relativ unwichtig; die Aussage der ganzen Veranstaltung ist vor allem: Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, in der alle das Recht haben, ihre Meinung zu äußern – solange sie dies in einer Weise tun, die den Regeln dieser Veranstaltung entspricht, solange sie sich in Thema und Wortwahl an die gesellschaftlich akzeptierten Konventionen halten.

2) Lenin, hat dieses Verhältnis relativ gut auf den Punkt gebracht, auch wenn uns heute seine Arbeiterbewegungsprosa durchaus etwas verstaubt erscheinen mag: Die Beherrschten (die Proletarier, bei Lenin) sind zwar aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage die Adressatinnen, dennoch muß kritisches Denken (Lenin: der Sozialismus als Theorie) den Beherrschten (Lenin: Arbeitern) gelernt (Lenin: von außen gebracht) werden. Sie haben nur Alltagswissen in Gramscis Sinn (Lenin: Instinkt), welches durch Arbeitsgruppen (Lenin: die Partei), Demos und Blockaden (Lenin: Erfahrungen des Kampfes) durch Aufklärung; Diskussionen, Flugis (Lenin: ökonomische wie politische Agitation) politisiert (Lenin: zu Klassenbewußtsein weiterentwickelt) werden muß. Linke Politisierung (Lenin: das sozialistische Bewußtsein) ist also etwas in die Auseinandersetzungen (Lenin: den Klassenkampf des Proletariats) von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes.

3) Der Haß, den die BlockiererInnen des Hörsaalgebäudes bei einer Vollversammlung des FB Wirtschaftswissenschaften auf sich zogen, war ebenso „spontan“ wie das befreiende Lachen bei obigem Beispiel – nur wurde dort an einen anderen Diskurs angeschlossen. Auch hier zeigt sich, daß es mit der revolutionären Spontaneität nicht sehr weit her ist, wenn die Grundlagen nicht vorhanden sind.

4) Um nicht zu akademisch zu wirken, und die „kulturelle Grammatik“ des akademischen Diskurses etwas weniger zu reproduzieren, insbesondere sein Faible für das Autorsubjekt, verzichtet dieser Text auf Literatur und Zitatangaben. Bei folgenden diskursiven Knoten/Subjektkonstruktionen möchte ich mich dennoch bedanken: Luther Blissett/Sonja Brünzels und die autonome a.f.r.i.k.a gruppe mit ihrem Handbuch der Kommunikationsguerilla (Jetzt helfe ich mir selbst), Alex Demirovic, Michel Foucault, Siegfried Jäger, Thomas Kunz, Wladimir Iljitsch Lenin, Jürgen Link, Karl Marx.