Das eine oder das andere

„Hitler war nicht doktrinär. Er hatte Verständnis dafür, daß eine Autobahnraststätte oder ein Hitler-Jugendheim auf dem Lande nicht aussehen konnte wie ein städtischer Bau. Auch wäre es ihm nie eingefallen, eine Fabrik in einem Repräsentationsstil bauen zu lassen; für einen Industriebau in Stahl und Glas konnte er sich geradezu begeistern. Aber ein öffentlicher Bau in einem Staat, der sich anschickte ein Imperium aufzurichten, mußte, wie er meinte, ein ganz besonderes Gepräge haben."

Albert Speer

Bhaktapur. In der Diskussion um den Einzug der Universität in das I.G. Farben-Gebäude und den adäquaten Umgang mit dessen Geschichte sind etwas überspitzt formuliert zwei einander gegenüberstehende Positionen auszumachen: Während die Vertreter der einen glauben, durch die verschleiernde Umbenennung in Poelzig-Ensemble (als handele es sich um sein Wohnhaus) und das Anbringen einer Gedenktafel sei die Vergangenheit „bewältigt" und somit vergessen, (1) scheinen die anderen den Versuch zu unternehmen, das Bauwerk selbst für das, was darin geplant und verwaltet wurde, haftbar zu machen - so als hätte Poelzig 1927 die Rolle der I.G. Farben im Nationalsozialismus antizipiert und ihr in vorauseilender Zustimmung architektonisch Ausdruck verliehen; mit einem Wort: das Gebäude sei protofaschistisch.

Von der schlichten These ausgehend, daß groß gleich monumental und monumental gleichbedeutend mit Herrschaft sei, ist zwar der angeblich faschistoide Gehalt von Poelzigs Architektur in der Tat schnell bewiesen, (2) der verbrecherische Charakter der I.G. Farben enthüllt sich durch diese Etikettierung jedoch nicht. Mystifizierung war noch selten hilfreich und ist es auch in diesem Fall nicht. Was damit in erster Linie - wenn auch sicher unbeabsichtigt - bewirkt wird, ist, daß über die Geschäfte der I.G. Farben selbst kaum mehr gesprochen wird, es keine handelnden Personen und keine Kapitalinteressen mehr gibt, sondern nur noch ein Gebäude, das dunkel von Macht und Herrschaft wispert und dessen Wände schlimme Geschichte ausdünsten.

Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, etwas Aufklärung zu betreiben und zunächst an die ursprüngliche Funktion des Gebäudes zu erinnern: Das I.G. Farben-Haus ist ein großes Büro- und Verwaltungsgebäude, geplant für den damals größten deutschen Konzern von einem der zu dieser Zeit berühmtesten deutschen Architekten. Nicht mehr und nicht weniger mit allen sich daraus ergebenden - auch mörderischen - Implikationen. Daß ein solches Gebäude notwendig von Herrschaft spricht, liegt am Kapitalismus und ist eine ziemlich banale Feststellung. (3) Interessanter wäre es der Frage nachzugehen, welcher Mittel sich der Architekt bedient, um das Repräsentationsbedürfnis eines Großkonzerns zu befriedigen und warum gerade Poelzigs Entwurf den I.G. Farben-Chefs diesen Zweck am besten zu erfüllen schien. Aber das ist nicht Thema dieses Artikels, zumindest nicht explizit. Weder geht es mir um eine Rehabilitierung Poelzigs vom Faschismusvorwurf (der ist mir egal, auch wenn es nicht stimmt) noch um eine ästhetische Würdigung seines Werks (das ich nicht besonders mag). (4)

Hier handelt es sich um den Versuch, sich dem I.G. Farben-Gebäude sozusagen von hinten und in der Hoffnung auf eine schärfere Sichtweise zu nähern und zwar mit einer Beschreibung dessen, was eigentlich das Charakteristische ist an NS-Architektur oder vielmehr - und mit dieser Ergänzung sind wir schon mitten im Thema - an Architektur während des Nationalsozialismus. Man beachte den feinen Unterschied, denn er soll besagen, daß es eine genuin nationalsozialistische Architektur nicht gibt. Das ist nicht revisionistisch gemeint und hat nichts zu tun mit der beliebten Gleichsetzung von stalinistischer und Nazi-Architektur oder mittlerweile gängigen Behauptungen à la „Zu der Zeit haben schließlich alle so gebaut und am xy-Gebäude in Sowieso (beliebige Stadt außerhalb Deutschlands) sind vorne auch Säulen dran."

Diese Einschränkung besagt lediglich, daß die Nazis weder einen neuen Stil erfunden, noch sich auf einen einzigen schon vorhandenen zur Erfüllung sämtlicher Bauaufgaben beschränkt hätten. „Es ist überhaupt falsch, von einem zu suchenden ,neuen' Stil zu reden." (Hitler, 1933) und das aus verschiedenen Gründen: Zum einen war eine solche Suche überhaupt nicht nötig, da eine ausreichende Zahl geeigneter Stile zur Verfügung stand, zum anderen wurde damit dem Konservatismus des „Volkes" Rechnung getragen, das man als Adressat der architektonischen Botschaften nicht mit einem neuen ungewohnten Stil überfordern wollte (ganz abgesehen davon, daß kulturelle Innovationskraft im Dritten Reich nicht eben gefragt war). Das „Wort aus Stein" (so Gerdy Troost, die Chef-Architekturideologin der Nazis) sollte tatsächlich von allen unmittelbar verstanden werden; was nur möglich war, wenn auf Bekanntes zurückgegriffen wurde.

Die Architektur des Nationalsozialismus schöpfte also aus einem Repertoire verschiedener Stile, wie es sich in der Weimarer Republik etabliert hatte. Diese Feststellung scheint auf den ersten Blick die oben angeführten revisionistischen Betrachtungsweisen zu stützen. Was also ist das Spezifische an NS-Architektur, wenn doch scheinbar alles beim Alten bleibt? Und wissen wir nicht zudem, daß die Nazis moderne Architektur Scheiße fanden und sie deswegen irgendwie gut ist (wenn wir auch diese blöden flachen Dächer immer noch nicht leiden können)? Tatsächlich hatten Konservative und Rechte in der Weimarer Republik heftigst gegen die Moderne polemisiert, sie abwechselnd als „jüdisch", „baubolschewistisch" oder „artfremd" gekennzeichnet und auch zu Beginn des Dritten Reiches riß diese Polemik zunächst nicht ab. Was - nebenbei bemerkt - viele moderne Architekten nicht davon abhielt, sich erstmal an die neuen Machthaber heranzuschleimen und wie zum Beispiel Ludwig Mies van der Rohe noch 1934 Ergebenheitsadressen an Hitler zu richten (Aufruf der Kulturschaffenden, veröffentlicht im Völkischen Beobachter vom 18.8. 1934) oder wie Walter Gropius Wettbewerbsentwürfe mit Hakenkreuzfahnen in großer Anzahl zu schmücken.

Auf jeden Fall waren spätestens Anfang der Dreißiger Jahre bestimmte Baustile eindeutig politisch konnotiert und wurden in diesem Sinne von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen genutzt: als politische Bekenntnisse. Die Moderne galt in diesem Zusammenhang als links, weswegen ihre Auftraggeber mehrheitlich einem linken oder auch liberalen Spektrum (Gewerkschaften, sozialdemokratisch, bzw. liberal regierte Städte usw.) zuzuordnen waren. Unabhängig von diesem politischen Kontext aber gab es bestimmte Baubereiche für die die Moderne aufgrund ihrer funktionalen Grundrisse und der sparsamen Materialverwendung geradezu prädestiniert schien, zu nennen wären hier Fabrik- und Wohnungsarchitektur, aber auch Verkehrsbauten. Firmenzentralen und Verwaltungsgebäude waren dagegen meist in einem gemäßigt modernistischen oder aber neoklassizistischen Stil gehalten, der sich besser für Repräsentationszwecke eignete als die meist doch recht nüchterne Moderne, während betont konservative Auftraggeber sich meist des Heimatstils bedienten, um so ihr Festhalten an deutschen Traditionen demonstrieren zu können. Die Heimatschutzbewegung mit ihrem Bekenntnis zu regionalen Baustilen und handwerklichen Fertigungsmethoden wandte sich während der Weimarer Zeit am entschiedensten gegen die „volksfremde" Moderne, was politisch zu einer immer stärkeren Annäherung an die NSDAP führte - weshalb ihre Protagonisten nach der „Machtergreifung" auf eine Belohnung hofften: Ihrer Meinung nach sollte der Heimatstil zur offiziellen Baudoktrin des neuen Staates werden.

Dies war grob skizziert der Fundus, aus dem die Nazis zur Bewältigung ihrer Bauvorhaben schöpfen konnten, so daß die Differenz also nicht im Gebauten selbst, sondern in der spezifischen Handhabung der verschiedenen Baustile lag. Was in der Weimarer Zeit dem Geschmack oder der politischen Präferenz des Bauherrn überlassen geblieben war - er sich „seinen" Stil also frei wählen konnte - wurde jetzt von einer stark zentralisierten und durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums „rassisch" und politisch gesäuberten Bauverwaltung dirigistisch gesteuert. Die ebenfalls „gleichgeschaltete" private Architektenschaft wurde durch das Architektengesetz von 1934 verpflichtet „die weitere Verschandelung deutschen Landes und deutscher Städte durch Bauwerke, die in keiner Weise deutscher Baugesinnung und dem Verantwortungsgefühl für gemeinsame Arbeit Rechnung tragen," zu vermeiden. Die Definition dessen, was „deutsche Baugesinnung" eigentlich sei, besorgte die Partei und, als „größter Bauherr und genialster Architekt" (Robert Ley, 1940), Hitler selbst.

Den klar abgegrenzten einzelnen Bauaufgaben - unterschieden nach der Hierarchie ihrer politischen Wertigkeit, aber auch nach ihrer Situierung in einer ländlichen oder städtischen Umgebung - waren die einzelnen Baustile ebenso hierarchisch zugeordnet. Ein „programmatischer" Eklektizismus trat so an die Stelle eines zuvor frei verfügbaren, privater Willkür überlassenen Stilpluralismus. Eine Vermengung der verschiedenen Stilebenen mußte unter allen Umständen vermieden werden, da sie die erstrebte Eindeutigkeit der architektonischen Aussage beeinträchtigt hätte.

Wie waren nun die einzelnen Baubereiche definiert und welcher Baustil wurde ihnen zugeordnet? An oberster Stelle standen die Kultbauten der Partei, also die sogenannten Gau- und Kreisforen, gebaut (oder zum größten Teil nur entworfen) in einem vergröberten Modernismus, der sich vor allem durch Ornamentlosigkeit, Massigkeit, Addierung gleicher Elemente und die Verwendung von Naturstein auszeichnet. Zu nennen wäre hier als prominentestes Beispiel das Nürnberger Reichsparteitagsgelände (geplant von Albert Speer) mit seinen gigantischen Ausmaßen, seinen riesigen Aufmarschachsen und Versammlungsplätzen. Die gewünschte Wirkung beschreibt 1936 die Bauzeitung: „Wer das Reichsparteitagsgelände in seiner heutigen keineswegs vollkommen abgeschlossenen Größe und Ausdehnung betrachtet, der hat das Gefühl, daß der Nationalsozialismus, daß das Dritte Reich in diesen gewaltigen Baudenkmalen und Anlagen seinen Ewigkeitswert dokumentiert."

An zweiter nur wenig nachgeordneter Stelle standen die Repräsentationsbauten für Staat und Partei, der als adäquat angesehene Stil war eine nun doch nazitypische Form des Neu-Klassizismus, der außer der Verwendung von Säulen nicht mehr viel mit seinem Vorbild gemein hatte. Klassisches (man verzeihe den Kalauer) und immer wieder angeführtes Beispiel ist das von 1933-37 mit Spendengeldern der Großindustrie erbaute Haus der Deutschen Kunst in München. Auffällig an diesem „Ehrentempel deutscher Kunst" (Hitler, 1937) ist vor allem die etwa hundert Meter lange parallel zur Straße verlaufende Säulenreihe. Scheint die flache vorgelagerte Freitreppe zunächst die einfache Betretbarkeit des Gebäudes zu signalisieren (als im wörtlichen Sinne „niedrigschwelliges" Angebot), so wird dieser erste Eindruck durch die zu passierenden, eng zusammenstehenden Säulen und den dahinter verborgenen, im Gegensatz zur Größe des Gebäudes äußerst kleinen Eingang bald korrigiert. Anstatt den Zutritt freizugeben, bilden die Säulen ein ihn behinderndes Gitter; nicht Öffnung, Einschüchterung soll hier demonstriert werden.

Der Wohnungsbau war praktisch ausschließlich Domäne des Heimatstils, konnte doch mit ihm am ehesten die von den Nazis erwünschte Bindung an die „Scholle" und den „deutschen Boden" sichtbar gemacht werden. Aus ideologischen Gründen und in bewußter Abgrenzung zur Weimarer Republik wurde der Geschoßwohnungsbau zunächst zugunsten des „aus bevölkerungspolitischen, nationalsozialistischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten" (Bauen, Siedeln, Wohnen, 1936) bevorzugten Siedlungshauses mit Garten abgelehnt. Das änderte sich mit der immer mehr Geld verbrauchenden Aufrüstung schon ab 1936, weshalb die „Volkswohnung" im Mehrfamilienhaus zunehmend zum Leitbild des sozialen Wohnungsbaus wurde. Aus Kostengründen scheute man sich auch nicht auf die „Rezepte" der Moderne, wie Standardisierung von Grundrissen und Verwendung normierter Teile, zurückzugreifen, wobei die Qualität der Ausstattung und die Größe der Wohnungen meist weit unter dem Niveau der Weimarer Zeit lag. All dies durfte den Häusern aber auf keinen Fall von außen anzusehen sein und so wurden die Bodenständigkeit suggerierenden, regionalistischen Elemente des Heimatstils, die wiederum selbst oft schon normiert und daher in jeder Region gleich waren, eben als Versatzstücke an die Fassade geklebt.

Als Beispiel für den Wohnungsbau im Nationalsozialismus möchte ich kurz auf die SS-Kameradschaftssiedlung in Berlin-Zehlendorf, heute als Waldsiedlung Krumme Lanke bekannt, eingehen, denn diese, auf den heutigen Betrachter - sofern er nicht allergisch auf Jägerzäune und steile Dächer reagiert - idyllisch wirkende Siedlung, ist mindestens ebenso „typisch" für das Bauen im Nationalsozialismus wie die allseits als typisch rezipierten monumentalen Großbauten. Die von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte finanzierte - SS und NSDAP lehnten eine Beteiligung an den Kosten ab - und von der Gemeinnützigen Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) von 1937-39 geplante und errichtete Siedlung wurde ausschließlich von sorgfältig ausgewählten SS-Männern und deren Familien belegt. Die Gestaltung der Siedlung folgte den Prinzipien des Heimatstils: eine an die Geländeformation angepaßte Straßenführung, die Ausrichtung der Häuser auf einen zentralen Platz („Dorfanger") sowie die Abschottung der Siedlung nach außen durch die als „Stadtmauer" fungierenden Geschoßbauten. Dabei ergab sich ein den verschiedenen Dienstgraden angepaßtes Bauprogramm, das vom dreietagigen Geschoßbau bis zum freistehenden Einfamilienhaus fein abgestuft die Umsetzung der SS-Hierarchie in Stein widerspiegelt. Die Straßennamen wurden im Anschluß an einen Wettbewerb im Schwarzen Korps, der Zeitschrift der SS, von Himmler persönlich ausgewählt: Dienstweg, Treuepfad, Ahnenzeile, Führerplatz, Brautpfad, Im Kinderland... Schon die Benennung der Straßen macht deutlich, daß die Idylle, die die Siedlung heute darstellt, sich nicht im Laufe von fünfzig Jahren zufällig eingestellt hat, sondern schon damals bewußt herbeigeführt war, daß dort nämlich die „harten Kämpfer der SS (...) bei ihren kleinen Lieblingen ihr Glück im Winkel finden," (5) sich vom Vernichtungswerk erholen sollten.

Nach diesem etwas längeren Exkurs komme ich nun auf die Rolle der Moderne im Dritten Reich zu sprechen. Wenn in diesem Zusammenhang von Moderne die Rede ist, dann ist damit allerdings nicht das Neue Bauen der Weimarer Republik gemeint, für das neben einer bestimmten Entwurfshaltung (das berühmte „form follows function") sozialer Anspruch und utopischer Gehalt von entscheidender Bedeutung waren. Vielmehr handelt es sich hier um eine ihres gesellschaftspolitischen Ethos beraubte Moderne, deren Vertreter sich auf einen technizistischen, größter Sparsamkeit verpflichteten Funktionalismus beschränkten (und mit dieser Haltung ihre Karriere in den Fünfziger Jahren bruchlos fortsetzen konnten). Entsprechend ihrer Stellung am unteren Ende der Hierarchie der Baustile waren für die Moderne die meisten Baubereiche tabu, ihre „Zuständigkeit" erstreckte sich allein auf Verkehrs- und andere Zweckbauten, wie Sportanlagen, Fabriken und ähnliches. Gerade im Bereich der Verkehrsbauten konnte allerdings eine moderne Gestaltung auch aus repräsentativen Gründen durchaus erwünscht sein, ließen sich auf diese Weise doch am augenfälligsten technischer Fortschritt, Geschwindigkeit und Zukunftsbeherrschung signalisieren. So sollte der neue Zentralbahnhof in Berlin als mit Glas ausgefachte Stahlskelettkonstruktion errichtet werden und für München war ein Bahnhof mit einer Kuppel aus Stahl und Glas geplant. Ähnlich verhielt es sich beim Fabrikbau, wo jenseits aller durch eine funktionalistische Konstruktion am einfachsten zu erfüllenden Nützlichkeitserwägungen, ebenfalls gerne „Höchstleistung" demonstriert wurde - besonders wenn es sich um große, immer auch als Ausweis der wirtschaftlichen Potenz des neuen Staates verstandene Industrieanlagen handelte.

Daß ein Architekt sich dabei auch innerhalb eines Bauprojektes verschiedener Stile bedienen konnte - abhängig vom jeweiligen Zweck des einzelnen Gebäudes - zeigt das Beispiel Herbert Rimpls. Der während des Dritten Reichs überaus erfolgreiche frühere Assistent Walter Gropius' plante die ab 1936 errichteten Flugzeugwerke der Heinkel AG in Oranienburg bei Berlin. Dieses unter staatlicher Kontrolle stehende Großprojekt bestand neben den Flugzeug- und Fertigungshallen aus einem Verwaltungsgebäude mit angeschlossenem Werksmuseum, einem Heizwerk, einer Wohnsiedlung für die Arbeiter und Angestellten sowie einem Gemeinschaftshaus mit davorliegendem Versammlungs-, bzw. Appellplatz. Ausgesprochen modern sind nur die Teile der Anlage, bei denen ein funktionales Äußeres ausdrücklich erwünscht war, nämlich die Produktionsgebäude, während das Verwaltungsgebäude wie ein Vorgriff auf die gemäßigte Moderne der Fünfziger Jahre wirkt (mit geschwungener Treppe und recht viel Glas), wenn auch mit einem leicht klobigen Äußeren. Die Wohnungsbauten dagegen sind traditionell mit Steildach und Fensterläden sowie den mittig an die Schmalseite angesetzten „Führerbalkonen" ausgestattet - damit sich auch der einfache „Volksgenosse" beim Betreten seines Balkons wie der „Führer" bei der Abnahme einer Parade fühlen konnte. Das Gemeinschaftshaus macht Anleihen beim üblichen Nazi-Repräsentationsstil: Axialität und protziger Pfeilerportikus, wenn auch mit einem für solche Bauten eher untypischen - da gemeinhin eher „Heimeligkeit" symbolisierenden - Walmdach.

Mit diesem erfolgreich ausgeführten Projekt qualifizierte Rimpl sich für weitere Großaufgaben, wie den Entwurf für die Stadt der Hermann-Göring-Werke, dem heutigen Salzgitter. Sein Büro, das schließlich siebenhundert Mitarbeiter beschäftigte, wurde als kriegsnotwendiger Wehrwirtschaftsbetrieb anerkannt, was seinen Mitarbeitern die Befreiung vom Kriegsdienst eintrug und ihn dazu befähigte, sofort nach dem Krieg neue Aufträge anzunehmen: Unter anderem von der französischen Besatzungsarmee, für die er Pläne für den Wiederaufbau von Mainz entwarf, in deutlicher Anlehnung an Le Corbusier und selbstverständlich streng funktional.

Auch andere Architekten konnten ihre im Dritten Reich begonnene Karriere nach dem „Zusammenbruch" bruchlos fortsetzen. Dabei halfen schon während des Krieges bestehende Netzwerke, wie der 1943 von Speer gegründete Arbeitsstab Wiederaufbauplanung, dessen Mitglieder sich auch nach Kriegsende gegenseitig unterstützten und so wieder auf einflußreiche Positionen gelangen konnten. Nur sehr wenige Architekten hatten sich durch eine allzu offensichtliche ideologische Nähe zu den Nazis so gründlich desavouiert, daß ihre Karriere nach 1945 einen ernsthaften Knick aufwies. Zwar waren bestimmte Stile jetzt erstmal tabu, der Neo-Klassizismus zum Beispiel restlos erledigt, aber eine elastische Entwurfshaltung hatten sie ja allesamt gelernt in den letzten zwölf Jahren. Das aber ist dann schon eine andere Geschichte...

Heike Heer

1) Was dieser revisionistischen Position eine hübsche ironische Wendung verleiht, ist die Tatsache, daß gerade die „unheilvolle" Vergangenheit überhaupt erst die universitäre Nutzung des Gebäudes ermöglicht hat: Liebend gerne hätte die Bundesvermögensverwaltung das I.G. Farben-Haus an meistbietend verscherbelt, anstatt es für einen Dumpingpreis dem Land Hessen zu überlassen. Das Problem war nur, daß weder ein internationaler Konzern noch die Europäische Zentralbank sich mit dieser Adresse schmücken wollte,

2) Und daß das I.G. Farben-Haus monumental ist, wissen wir, weil es auf dem Umschlag des Macht und Monument-Ausstellungskataloges des Architekturmuseums abgebildet war. Anscheinend war es aber doch nicht monumental genug, um auch im Text des Kataloges noch einmal erwähnt zu werden.

3) Nebenbei gesprochen gibt es keine herrschaftsfreie Architektur, also eine die dem Benutzer nicht ihren Willen aufzwänge oder einer bestimmten Ideologie sichtbar Ausdruck verliehe.

4) Auch wenn ich es mir nicht verkneifen kann, darauf hinzuweisen, daß Poelzig wirklich niemals im Heimatstil gebaut hat.

5) Aus dem Brief einer Mutter und SS-Frau an Das Schwarze Korps vom 22. 12.1938, zitiert nach Machule (1985)