„Sentimentality is a kind of fascism too"

"Ich habe sehr viele Briefe auch von Deutschen bekommen: es wäre der erste Film über den Holocaust, der ihnen nicht diese düstere Stimmung vermittelte, sondern auf eine ganz neue, leichte Art dazu bewegt hätte, über dieses Thema neu nachzudenken." [Roberto Benigni]

* Erster Teil: Von Fabeln und Märchen

Roberto Benigni ist nicht der Regisseur, den ein Bildungsbürger oder eine Intellektuelle so ohne weiteres zur Kenntnis nimmt. Eigentlich ist er das genaue Gegenteil. Er macht Klamauk und alberne Witzchen zum Schenkelklopfen und tritt auch schon mal bei Jim Jarmusch auf, zum Beispiel in Night on Earth. Wer sich diese filmische Katastrophe jemals zu Gemüte geführt hat, erinnert sich bestimmt: der dümmlich-obszön plappernde italienische Taxifahrer, der einen kirchlichen Würdenträger mit Geschichten über seine sexuellen Abenteuer zu Tode schwätzt. Und ausgerechnet der macht nun einen Film über einen Juden, der in ein KZ verschleppt wird.

Die aufgeweckte und an der Aufarbeitung der Vergangenheit interessierte Linke (und auch ihr männliches Pendant) nimmt das leicht erstaunt zur Kenntnis und überlegt sich vielleicht eine Rezension zu schreiben. Wozu man sich den Film leider angucken muß. So beginnt alles Unglück und die Folge sind fünfundzwanzigtausend Buchstaben auf drei dicht bedruckten Zeitungsseiten. Selbstverständlich liest der Rezensent, bevor er sich den Film ansieht, aufmerksam andere Rezensionen (aus denen er dann munter nicht ein Wort abschreibt), denn es ist immer verkehrt, sich allzu unvorbereitet dem medialen Overkill eines Kinofilms auszusetzen. Die Reflexion leidet unter dem Hagel schneller Schnitte und lauter Musik nur allzu leicht und so manche radikale Linke hat schon bei der (mit Verlaub) größten Scheiße Rotz und Wasser geheult. Nun, Rezensionen gelesen und Folgendes erwartet:

Der Held in Roberto Benignis Das Leben ist schön ist also ein „assimilierter Jude" (1), von Benigni selbst „grandios gespielt", der fürchterlich komisch-romantisch um die Liebe einer vielleicht „assimilierten" jedenfalls aber nicht jüdischen toscanischen Lehrerin wirbt (gespielt von Nicoletta Braschi deren einzige Aufgabe mangels schauspielerischer Qualitäten im glubschäugigen Anhimmeln des Hauptdarstellers und Regisseurs besteht), die leider mit einem faschistischen Beamten verlobt ist, sich aber schnell „vom liebenswerten Charme des unbeschwerten Traumtänzers berühren läßt." Es folgt nun eine „wunderbar zelebrierte Liebesgeschichte", an deren Ende die Entführung der Braut in die Laube des Helden steht. Dies alles ist „umwerfend komisch"; jedoch: „You'll laugh until you cry."

Sobald er ihre Liebe erobert hat (und fünf Jahre vergangen sind), kommt das glückliche Paar samt Sohn in ein KZ, wo alles gar nicht mehr komisch-romantisch ist sondern tragisch. Der tragische Held rettet seinem Sohn das Leben, weil er ihm ein Spiel als Realität einredet und sich dann für ihn erschießen läßt. Damit beweist er allerlei über die Macht der Liebe.

So ungefähr jedenfalls wird der Film rezipiert. Mit dem tatsächlichen Werk hat das aber kaum mehr zu tun als die Geschichte des Vaters mit der Realität im KZ.

Zuerst einmal ist da Klamauk. Meinetwegen auch Slapstick. Zwei Männer fahren in einem Auto eine Straße entlang, die Bremse versagt, sie rauschen durchs Gebüsch und sind mit Ästen übersät. Sehr komisch. Etwa genauso komisch wie von Fensterbänken auf Faschistenköpfe purzelnde Blumentöpfe, auf ebendenselben zermatschte Hühner- und Straußeneier und stolpernde Kellner. Das Grimassieren des Kellners ist mindestens ebenso famos. Das Kino-Publikum jedenfalls lacht wie entfesselt und bestätigt den ebenfalls anwesenden arroganten Linken in seiner Auffassung, daß im dunklen Kinosaal immer nur die schlimmsten Persönlichkeitsanteile zum Vorschein kommen. Vorausgesetzt die ihn umgebenden Lachsäcke und -innen sind sonst schlauer. (2)

Der Spaß dauert eine geschlagene Stunde, während der einem das Lächeln im Gesicht gefriert (so man sich Mühe gibt gut gelaunt zu scheinen). Sehr lehrreich aber hat Benigni in seine „Farce" einige Wahrheiten über den Antisemitismus und die Menschenverachtung des Faschismus eingebaut, über die sich Filmheld Guido

herzerfrischend lustig machen darf. Bis hierhin mag einem das gefallen oder auch nicht. Leichtes Befremden erzeugt dann schon die Szene, in der Guido samt Sohn vor einem Laden steht, zu dem „Juden und Hunden" der Zutritt verboten wird (soweit so real, natürlich), worauf dem Sohne (ihn vor der schrecklichen Realität in Schutz nehmend - warum eigentlich?) erklärt wird, manche Leute könnten nun mal Hunde und Juden nicht leiden, andere verspürten Abscheu vor Ägyptern und Gürteltieren oder Chinesen und Schlangen. Guido und Sohn einigen sich auf Westgoten und Spinnen, denen wohl zu Recht ihr Laden verschlossen bleiben müsse. Warum nur, warum sind Juden immer und überall Ausländer? Weshalb setzt Benigni nicht Juden mit Vegetariern oder Radfahrern gleich? Könnte man sich fragen.

Endlich ist dann Schluß mit lustig, so hofft der dem italienischen Humor nichts abgewinnende Konsument, jetzt kommt die echte, die wirkliche, die herzzerreißende Tragik. Pustekuchen!

Im KZ angekommen geht das Rumchargieren weiter, und wie schon im ersten Teil des Films ist der Held die einzige Person, die überhaupt etwas ähnliches wie Charakter besitzt. Alle anderen sind Staffage. Was im KZ um so schlimmer erscheint als eben Guido der einzige ist, der sich nicht lethargisch mit der Realität abfindet, sondern sich aufopfernd um seinen Sohn kümmert. Der Rest ist

noch kürzer erzählt: Benigni muß zwangsarbeiten, tut das nicht weniger clownesk als alles vorherige, reißt im Angesicht eines Leichenbergs schlüpfrige Gürtellinienwitze (boshaft interpretiert; in Wirklichkeit wollte der Regisseur uns sicher mittels des Kontrastes die Tragik vor Augen führen), und muntert via Grammophon und Lautsprecher anlage seine immer noch glubschäugige und nur durch ihn am Leben erhaltene Ehefrau auf, während er seinen Sohn durch diese Aktionen in Lebensgefahr bringt (was uns der Regisseur aber vergessen hilft).

Am Ende dann wird Guido auf der Suche nach seiner Frau erschossen. Hinter einer Mauer, von einem SS-Mann. Hinter der Mauer, weil Blut nicht gezeigt werden darf in jugendfreien Komödien; eigentlich wird hinter der Mauer die Wirklichkeit erschossen.

Guido scheint also tot zu sein, man vergißt ihn aber ganz schnell, angesichts des geretteten und mit einem echten Panzer beschenkten Knaben, der seiner gutgenährten und also ebenfalls geretteten Mama in den Arm fallen darf. Und am Schluß denkt man dann eventuell doch noch mal an den toten Vater, drückt ein Tränchen ab und geht „sonderbar erfrischt und optimistisch" (3) aus dem Saal in die Dunkelheit der Nacht.

Soweit so polemisch. Was soll man davon nun halten?

* Zweiter Teil: von Märchen und Fabeln

Hoffnung und Lebensmut sind wirklich schöne Dinge. Im Kino sind sie auch schön, und tatsächlich ist es so, daß man es kaum wird dahin bringen können, nicht um einen auch nur leidlich sympathischen Filmhelden zu bangen und sein Durchkommen zu erhoffen. Zu verhindern, daß das Publikum sich in einem Film mit dem Helden identifiziert, scheint fast unmöglich. Und auch die Enttäuschung der Hoffnung, etwa beim schließlichen Tod des Helden im Kugelhagel (Western, Krimi, Thriller) oder durch Krankheit bzw. Unfall („Love Story" und dergl.) ist nicht leicht. Immerhin gibt es einige Beispiele in der Filmgeschichte, die zeigen, daß das geht. Ob auch eine Slapstick-Komödie darunter ist, weiß ich nicht. Diese Komödie jedenfalls zählt nicht dazu.

Die Perfidie der „Endlösung" liegt nicht zuletzt auch in der Unmöglichkeit ihrer dramatischen oder filmischen Darstellung: Fast stets erliegt der Versuch dem Problem der Konzentrierung auf das Schicksal einer Überlebenden, oder der zu stark individualisierenden Perspektive, die das Drama des Einzelschicksals auf Kosten der übrigen Opfer in den Vordergrund stellt. Unwillkürlich wirft die Beschäftigung mit dem einzelnen Schicksal die Frage danach auf, inwiefern die persönliche Konstitution des Opfers etwas mit seinem Ergehen zu tun habe. Ein Film wie Das Leben ist schön erliegt dem gleichen Dilemma. Selbst wenn die Mitgefangenen nicht nur als amorphe und lethargische Gruppe dargestellt würden, die Ehefrau des Helden nicht nur aus dessen Aufmerksamkeiten ihren Lebensmut bezöge: formuliert nicht jede neue Schliche, jeder Einfall Guidos den unausgesprochenen Vorwurf an die Toten „Hättet Ihr nur nicht Euren Lebensmut verloren, nicht alle Hoffnung fahren lassen! Auch Ihr hättet die Chance gehabt, Leben zu retten und selbst gerettet zu werden!"

Nun waren aber die Möglichkeiten zu überleben und zu helfen sehr dünn gesät. Jede Solidarisierung mit einem Mitgefangenen, jedes Zögern, jede falsche Geste einem SS-Mann gegenüber konnte den sofortigen Tod bedeuten. Zudem kamen die allermeisten Juden vor ihrer Ermordung gar nicht erst in ein Lager, wurden entweder sofort erschossen oder gleich nach einer langen und oft selbst schon tödlichen Zugfahrt in die Gaskammern gejagt. Die Möglichkeit Mut zu schöpfen oder Mitgefangenen zu helfen, ergab sich meist nur aus Zufällen, in Situationen, in denen die Todesmaschinerie mal nicht perfekt funktionierte. Hoffnungslosigkeit und die Notwendigkeit die eigene Möglichkeit zu überleben vor die Chance zu stellen anderen zu helfen wurden vom System der Deutschen Mörder oktroyiert, und nur Wenige konnten sich einen Handlungsspielraum erkämpfen.

Wenn nun Benigni seinem jüdischen Helden nicht nur die Möglichkeit gibt, vor den Augen der SS Kapriolen zu treiben, seinen Sohn zu verstecken, über das Lagermikrofon Durchsagen zu machen oder sogar in der Offiziersmesse zu kellnern (was in der Realität mehr als nur unrealistisch gewesen wäre: Welcher deutsche Offizier hätte sein Essen von einem Juden berühren lassen?), dann hat das leider nur einen Grund: Die Geschichte vom edlen Witzbold, der seiner Frau und seinem Sohn das Leben rettet, braucht das harmlose KZ und die blöden Bewacher, weil sonst einfach alle tot aber nicht lustig wären.

Wenn man von der Richtigkeit des Argumentes ausgeht, daß jede Bebilderung des Holocaust, jede Dramatisierung der Vernichtung beim Publikum nicht nur eine Konfrontation mit dem Schrecken, sondern auch seine Verharmlosung zur Folge hat, weil jedes Bild bei allem Realismus, um den man sich bemühen mag, doch nur einen Bruchteil der tatsächlichen Schrecken zu zeigen in der Lage ist, ergeben sich für einen Film wie diesen (wie auch für die Serie Holocaust und dergl.) Schwierigkeiten, denen unser Regisseur versucht aus dem Wege zu gehen, indem er die Darstellung eines KZs einfach leugnet: „Wie sollte ich realistisch das zeigen, von dem zu reden ich nicht einmal den Mut hatte?" Sein Film-KZ sei ganz offensichtlich kein reales KZ, da er sich „weder mit dem Namen noch sonstwie konkret auf ein KZ in Italien, Deutschland oder Polen beziehe." Das ist natürlich ein sehr albernes Argument. Genauso gut kann man von Batman behaupten, er zeige keine Stadt, weil Gotham City nicht existiere. Das Film-KZ ist aber ebenso real wie alles, was der Film zeigt: Nichts, so behaupte ich, kann in einem Film so dargestellt werden, daß es dem Publikum als nicht real, abstrakt oder nur symbolisch erscheint. (4) In diesem Film zumal wird nichts wirklich so verfremdet, daß man den Eindruck hat, es wäre tatsächlich nicht real. Nur mit viel Mühe und Vorwissen mag man sich das einreden.

Benigni vergeigt seinen angeblichen Verfremdungs-Versuch aber auch immanent. Ein Lager wie seins, harmlos ordentlich wie ein Fabrikgelände aussehend, erschiene auch dann nicht wirklich irreal, wenn es nicht über die dem breiten Publikum bekannten Insignien eines KZs verfügte. Ein Bahngleis, ins Lager hineinführend, schreiende SS-Männer, Unterkünfte mit den bekannten Etagenbetten, Gaskammern mit den nun wirklich fast jedem Kind bekannten Umkleideräumen. Daß dieses KZ, das im Film ausreichend deutlich nicht nur als Arbeits-, sondern auch als Vernichtungslager deklariert wird, denjenigen, die sich mit der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie beschäftigt haben, durchaus irreal, da in erschreckender Weise viel zu harmlos und friedlich, erscheint, tut dem keinen Abbruch. Dies KZ ist in der Rezeption des Kino-Publikums ohne Zweifel ein „richtiges" KZ. Das Hauptargument gegen Benignis Behauptung, das KZ sei nicht real, fußt aber auf der Struktur des Films: Die erste Hälfte, die „komödiantische Exposition", ist so offenkundig realistisch (wenn auch komisch und zuweilen Karikatur), daß kein Publikum der Welt bewußt oder unbewußt den zweiten Teil als nicht real verstehen wird.

Versuche den Realismus des Films zu brechen, um den ZuschauerInnen klar zu machen, daß es sich beim Film-KZ nur um einen Platzhalter handelt, gibt es nicht allzu häufig. Lediglich der Leichenberg fällt mir ein, auf den Guido, seinen Sohn im Arm, im Nebel stößt. Dieser Leichenberg ist gemalt, die Leichen nur undeutlich zu erkennen. Für den nötigen Grusel im Publikum sorgt er trotzdem und es erscheint doch sehr fraglich, ob durch dieses hinter Nebelschwaden auftauchende Gemälde irgend etwas ins Irreale verschoben wird. Aber eigentlich ist auch das Unfug: Im Gespräch mit Bekannten, die den Film zum Teil mehrfach gesehen hatten, wurde klar, daß der Leichenberg wohl nur eine Wirkung auf das Publikum hat: Er bestätigt den Eindruck, daß Guido sich in einem Vernichtungslager befindet. Benignis Gründe für diesen Bruch mit dem sonstigen Realismus des Films mögen ohnehin andere gewesen sein. Er wollte wohl einer Altersbeschränkung seines Werkes entgegenwirken; in Deutschland ist der Film jedenfalls frei ab einem Alter von sechs Jahren.

Häufig hört man auch, die Szene mit dem SS-Arzt (gespielt von Horst Buchholz), von dem Guido seine Befreiung erwartet, der aber nur ein albernes Rätsel (5) nicht lösen kann und dazu Guidos Hilfe benötigt, mache die Hoffnungslosigkeit der Situation so unmißverständlich klar, daß bei den ZuschauerInnen das Bewußtsein über die Tragik der den Juden angetanen Verbrechen sich durchsetze. Dafür müßten aber mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müßte die Hoffnung, daß Guido von einem SS-Arzt gerettet werden könnte ausreichend stark sein. Dazu bedürfte es beim Zuschauer allerdings eines erheblichen Ausmaßes an Unwissen über das Wesen der SS. Weshalb sich die Hoffnung bei den BetrachterInnen überhaupt so stark auf diesen deutschen Arzt konzentriert, bleibt ohnehin unklar. Der Gedanke, daß ausgerechnet dieser Arzt für das Happy End sorgen könnte, war für mich und einige meiner Freunde schon im Kino so ärgerlich, daß die Enttäuschung dieser Hoffnung uns nur mit Beruhigung erfüllen konnte.

Abgesehen davon verlangt die Darstellung der Enttäuschung auch nach einer gewissen schauspielerischen Fertigkeit. Da Benigni in diesem Moment auf das übliche Grimassieren verzichten zu wollen scheint, bliebe ihm nur die übliche Film-Verzweiflung, mit der nötigen Musik untermalt, ohne die Gefühle im Kino selten funktionieren. Aber was macht er: Er glotzt sekundenlang starr in die Kamera und verzieht sein Gesicht leicht in Richtung einer Mimik, die er offenbar für verzweifelt hält, die aber auf nichts anderes als Bauchschmerzen schließen läßt. Außerdem hätte die Hoffnungslosigkeit der Situation schon vorher ausreichend klar sein müssen. Daß das nicht funktionieren kann, habe ich schon geschrieben. Weder scheint die Situation vorher hoffnungslos noch nachher, zumal sich Guido ja auch frei im Lager bewegen kann und offenkundig keiner Repression ausgesetzt ist.

Schon durch die Anlage der Rolle als Slapstick-Komödiant ist Guido geradezu die Verkörperung der Hoffnung. Der prototypische Durchwurstler der er ist, erliegt zwar am Ende doch dem Tötungswillen der SS, rettet aber immerhin Frau und Kind, die Hoffnung wird also im weiteren Sinne durchaus erfüllt. Und darin drückt sich am beispielhaftesten das Realismus-Dilemma (nicht nur) dieses Films aus. „Realistisch" wäre allein die Darstellung der fast totalen Hoffnungslosigkeit, das Scheitern des Helden, der Tod aller Beteiligten. Das aber ist filmimmanent unmöglich. Hier ist der Film offenkundig irreal. Ebenso irreal, wie das gezeigte KZ tatsächlich ist. Trotzdem kann der Film nicht anders als „realistisch" gesehen werden, es sei denn, man verweigert sich jeder Identifikation mit dem Helden, sitzt als wandelndes Filmlexikon im Kino und versucht sich gleichzeitig immer wieder einzureden, daß ja alles nur ein Märchen sei.

Die Folge daraus ist (wie eigentlich fast immer im Kino), daß das Bild von der Realität, das die BetrachterInnen in ihren Köpfen haben, verschoben wird in Richtung der Film-Realität, die in diesem Fall aber nunmal ein harmloses KZ zeigt. Diese Verschiebung geschieht jedenfalls dann, wenn man für die Mehrheit des Publikums voraussetzt, daß es sich nicht en detail mit den deutschen KZs beschäftigt hat, ihm nicht die Bilder aus Auschwitz, Bergen-Belsen und Mauthausen präsent sind, eine Rezeption der vielen Biographien Überlebender nicht stattgefunden hat.

Was also bleibt in den Köpfen:

Ein auch zum Ende des Films nicht auffallend schlecht genährter Held, ein gesundes, wenn auch gelangweiltes, etwas glubschäugiges Kind, die langhaarige blendend aussehende Mutter, dämliche und nicht besonders grausame Hotzenplotz-Nazis und die zwar lethargischen, aber weder besonders abgehärmten, noch verlausten oder kranken Mitgefangenen. Was dieses Bild mit einem wirklichen KZ zu tun hat, vor allem was das Verhalten der Bewacher, das komplexe und auf totale Entmenschlichung abzielende System der Capos und Blockwarte angeht, kläre jede für sich.

All diese Abweichungen vom Wirklichen lassen sich selbst mit dem besten Willen nicht als Verfremdungsabsicht des Regisseurs deuten. Er zeigt kein Blut, keine Toten, keine zerstörten Menschen, keine wirkliche Grausamkeit, weil „es nicht seine Art" ist, derartiges zu zeigen. Er verharmlost das erbarmungslos grausame KZ-System, damit sein Held überhaupt die Möglichkeit hat, Held zu sein.

* Dritter Teil

Nun gab es in der Vergangenheit viele Filme und Theaterstücke, die sich direkt oder indirekt mit der Ermordung der europäischen Juden beschäftigten. Nach meinem Eindruck waren sie aber stets zum Scheitern verurteilt, sobald sie versuchten das Geschehene abzubilden. Was in Romanen und Biographien noch funktionieren kann, weil jederzeit eine Metaebene einführbar ist, die reflektierend mit dem Beschriebenen umgeht, weil des Autors oder der Autorin Betroffenheit oder Gedanken auch explizit zum Ausdruck gebracht werden können, sind Dramatisierungen fast stets auf einen Realismus zurückgeworfen, der zur Verharmlosung, wenn nicht zur Lächerlichmachung werden muß. Nun mag man einwenden, daß den Menschen besser noch ein Holocaust light nahegebracht werden solle, als daß eine Beschäftigung mit dem Thema gänzlich unterbliebe. Ich halte das aber für ein eher dümmliches Argument. Der „Genuß" der Light-Version hält zudem gerade von einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema ab, verschafft ein gutes Gewissen und nur scheinbar eine Ahnung von der realen Geschichte der Ermordung der Juden. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann ohnedies auch anders geschehen als über ihre Bebilderung und Ausstattung mit kitschiger Tragik.

Die besten Beispiele für eine gelungene Vermittlung sind für mich Maus von Art Spiegelman und Shoah von Claude Lanzmann. Shoah ist natürlich kein Spielfilm und die Länge wie auch die Form des Dokumentarfilms machen die Auseinandersetzung nicht eben einfach. Einer flachen Gefühlsduselei, wie sie Das Leben ist schön provoziert, ist das aber allemal vorzuziehen. Der Schrecken der Judenvernichtung wird von Lanzmann niemals in Bilder gefaßt, was man sieht, sind Zeugen: jüdische Überlebende, deutsche Mörder (nicht immer ganz freiwillig im Bild), Polen, die in irgendeiner Form ebenfalls in das KZ-Sytem einbezogen waren, etwa als Lokführer. Interviewt werden sie oft an den Orten der Vernichtung. Im Wald bei Treblinka oder an den Bahnstrecken zu den KZs. Der Schrecken wird nur symbolisch eingefangen durch Blicke auf Orte, denen man ihre Vergangenheit nicht mehr ansieht. Viel beeindruckender und das wahre Ausmaß der Tragödie viel eindringlicher zeigend als jeder Rehblick von Benignis Filmheldin (6) sind die Gespräche mit ehemaligen Gefangenen, die von Lanzmann oft mit großer Eindringlichkeit aufgefordert werden, ihre Erinnerung offenzulegen und Erlebnisse, die zu vergessen ihnen nie wirklich gelungen ist, zu erzählen.

Ein Comic wie Maus kommt von seiner Erzählstruktur einem Film oft viel näher als einem Roman. Nur bietet das Medium der Zeichnung Möglichkeiten von der Realität zu abstrahieren, die ein Film niemals bietet: Die Juden sind als Mäuse dargestellt, die Deutschen als Katzen; das Buch ist eine Fabel, nicht auf den ersten Blick einfach nur real wie ein Film. Natürlich kann eine Zeichnung Realität anders, treffender oder pointierter darstellen als ein Film, der ja immer auf seine Darsteller angewiesen ist. Und sei es nur (um mal was wirklich Banales zu nennen), daß kein Schauspieler und sei er auch Anhänger des intensivsten method acting, jemals bereit sein dürfte, sich in einen körperlichen Zustand zu versetzen, der dem eines KZ-Häftlings gliche.

Indem Spiegelman mit sehr vielen Rückblenden auf die von seinem Vater erzählte Vergangenheit arbeitet, immer wieder unterbrochen von den Geschehnissen der amerikanischen Nachkriegsgegenwart, in der Wladek Spiegelman als alter Mann lebt, ermöglicht er viel eher eine Reflexion des Erzählten, als dies ein Film in seiner Atemlosigkeit erlaubte. Des Vaters psychische Zerbrochenheit, sein Geiz, seine Zwangsneurosen werden in der Perspektive des Erzählers verständlich als Auswirkungen der Verfolgung durch die Nazis und der Ermordung fast der gesamten Familie Wladeks. Erst durch diese Reflexion hebt sich Maus von der einfachen Wiedergabe des Geschehenen ab. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, daß es vor allem die Geschichte des Vaters nach dem Kriege ist, die es dem Buch ermöglicht, die Schrecklichkeit des Holocaust deutlich zu machen; nicht über eine Darstellung der vielen Tode, sondern des Leidens der Überlebenden, die diese Tode auf ihren Schultern zu tragen haben.

Wenn der Holocaust in Filmen oder Theaterstücken, zumal in deutschen, überhaupt vorkommt, dann fast niemals ohne Funktion, ohne daß er entweder selbst Inhalt des Films oder zumindest Motivation für die Handlung wäre. Daß aber die Vernichtung der Juden, als Teil deutscher Geschichte fast niemals auch Bestandteil deutscher Geschichten ist, macht schon sehr deutlich, wie es um die Realität in diesem Lande bestellt ist. Vergessen, „nicht mehr hören und nicht mehr sehen wollen" (wir denken an Martin Walser), sind Hauptbestandteile des deutschen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Das spiegelt sich in Filmen und Romanen wider. Wenn die Shoah dann doch einmal, sozusagen als Nebenereignis oder einfach als mehr oder weniger selbstverständlicher Bestandteil der Lebensgeschichte einer Protagonistin oder eines Protagonisten auftaucht, verdient das besondere Beachtung. Es mag merkwürdig erscheinen, wenn ich als Beispiel ausgerechnet einen Film aus der Reihe Tatort auswähle; zumindest kann ich hier damit rechnen, daß viele ihn rezipiert haben. (7)

Im Tatort Ein ehrenwertes Haus von 1995, produziert vom MDR mit Peter Sodann als Kommissar Ehrlicher, geht es nicht um die Vernichtung der Juden, sie ist auch nicht das Mordmotiv. Ermordet wurde ein der Trunksucht verfallener Musiker in einem alten Haus. Er hat viele seltsame Nachbarn, darunter eine alte Frau. Im Gespräch mit Kommissar Ehrlicher erzählt sie, daß sie als einzige im Hause den Toten gemocht habe. Sie selbst käme aus Wilna, das ihre Eltern im Jahr 1912 nach einem Pogrom hätten verlassen müssen. Die Nachbarn hielten sie für meschugge, was sie aber nicht sei. Ihre Mandelplätzchen seien selbstgebacken, im übrigen hätten alle den Musiker ermordet. „Alle?!" „Na, alle, das ganze Haus!" „Das Haus hat ihn umgebracht?!" „Ja, sie haben ihn gehaßt, weil er anders war als sie. So wie sie mich auch hassen. Ja - die werden sich nie ändern die Deutschen. A nachtiger Tog!" „Na, ich versteh` schon Frau..." Der Kommissar guckt genervt, will aufstehen. Sie, enttäuscht: „Ach, ich dachte, wir plaudern noch ein bißchen, und ihre Plätzchen haben Sie doch auch nicht gegessen!" „Vielleicht ein andermal, ja." Lächelt beschwichtigend, steht auf, geht zur Tür. Die alte Dame ruft ihm hinterher, eine ihrer zwanzig Katzen im Arm: „Aber ich bin nicht meschugge!" Sie flüstert, eigentlich nur noch zu ihrer Katze: „Ich bin nicht meschugge." (8)

Das ist rührend, dahinter verbirgt sich Tragik. Was kann uns ein Hampelmann wie Roberto Benigni mit seinem platt aufdringlichen rührseligen KZ-Filmchen mehr vermitteln als diese alte Frau in diesem Fernsehkrimi?

Es ist zwar kein wirkliches Argument gegen ein Kunstwerk, wenn man die Absichten und Äußerungen des Künstlers kritikabel findet, immerhin ist es ja die Rezeption, worauf es ankommt; trotzdem muß man Benigni aus Interviews zitieren, nicht zuletzt gibt er das Verständnis des Films auch vor, indem er sagt, was seine Botschaft ist. Wiedergabe und Interpretation des Films in den Medien sind jedenfalls fast immer auf der von Benigni und dem Verleih vorgegebenen Linie. „Eine unvergeßliche Fabel über die Liebe, die Familie und die Macht der Vorstellungskraft." So wird der Film international annonciert. Mit dem identischen Text könnte man einen der vielen langweiligen Santa Claus-Filme ankündigen jede andere x-beliebige Schnulze. In diesem Zusammenhang von der „Macht der Vorstellungskraft" zu sprechen ist wohl einigermaßen zynisch. Und doch scheint es Benigni um nichts anderes zu gehen: „Für mich ist dies vor allem eine wunderschöne Geschichte über die Liebe. Gibt es etwas Bewegenderes als die Liebe der Eltern zu ihrem Kind? Dieses Grundprinzip, ein Kind zu beschützen, gehört zu den ältesten, großartigsten und tiefsten Gefühlen, zu denen ein Mensch fähig ist." Später beruft er sich dann auf Primo Levis Ist das ein Mensch?; vermutlich nur, um zu belegen, daß er Levi nicht verstanden hat. Levi beschreibt sehr genau, wie das System des KZs die Funktion hatte, den Gefangenen alle Menschlichkeit zu nehmen, sie zu Tieren herabzuwürdigen, denen Egoismus und die nackte Überlebensangst jede „menschliche" Regung verbietet. Daß „großartige und tiefe Gefühle" in Auschwitz keine Chance hatten, dafür haben die Deutschen sehr konsequent gesorgt. Natürlich gab es auch in den schlimmsten KZs Momente, in denen sich gegenseitig zu helfen möglich und sinnvoll war. Eine Lektüre der Bücher Levis, Langbeins und anderer ist da aber weit aufschlußreicher als dieser Film - und rührender allemal.

Zu den Reaktionen Deutscher auf seinen Film sagt Benigni an zwei Stellen sehr Aufschlußreiches. Zum einen ist da dieser Satz mit der „düsteren Stimmung", den ich als Motto vorangestellt habe. Dieser Satz bedarf keines Kommentars. Noch etwas anderes aber ist mir aufgefallen: „Einige in Italien lebende Deutsche sagten mir, dies sei der letzte Film über den Holocaust." Nicht nur, daß Benigni sich hier wie auch an vielen anderen Stellen in fast unerträglicher Weise stilisiert; über die Deutschen, die ihm das mitgeteilt haben, kann ich nur eines sagen: die hoffen, daß das der letzte Film über den Holocaust ist, mit dem sie sich befassen müssen. Ein letztes Mal noch damit beschäftigt, ein paar Tränen abgedrückt und endlich wieder unbelastet von der Vergangenheit deutsch sein dürfen, wie schön.

Nicht nur von Benigni, sondern auch überall in den Medien, von Freunden und Bekannten, hört man, der Film müsse „gut" sein, nicht nur weil er zu Tränen rühre, sondern auch weil er von den jüdischen Überlebenden gutgeheißen worden sei. So erzählt der Regisseur, daß er das Drehbuch der Mailänder jüdischen Gemeinde vorgelegt hätte, die begeistert gewesen sei. Ein jüdisches Ehepaar aus Italien hätte in Israel Bäume zu seinen (Benignis) Ehren gepflanzt und auch auf dem Filmfestival von Jerusalem hätte der Film großen Anklang gefunden und schließlich habe er dort auch einen wichtigen Preis gewonnen. Natürlich ist das nicht gelogen. Die Penetranz, mit der Benigni und andere diese Absolution durch die Opfer, als die sie das wohl empfinden, vor sich hertragen, spricht aber Bände.

Über die Motive jüdischer Überlebender, sich über diesen Film zu freuen, möchte ich hier nicht spekulieren; eine Rolle mag spielen, daß dieser Film gerade nicht zeigt, wozu die Gefangenen in der Realität permanent gezwungen waren: Entsolidarisierung mit ihren Mitgefangenen. Natürlich spricht es nicht gegen diesen Film, wenn jüdische Gemeinden ihn gut finden. Daß der Film von einer Mehrheit der Überlebenden nicht als Verächtlichmachung empfunden wird, ist immerhin beruhigend. Wenn sie aber als Argument herhalten müssen, sozusagen als Experten für die Darstellung der eigenen Verfolgung, muß man schon nachschauen, ob da nicht vielleicht einzelne Äußerungen herausgenommen werden um dem Film die kommerzielle Verwertung zu erleichtern. Nicht selten dienen derartige Argumente dazu, Kritik zu unterbinden oder sich den Ausweis des Gutmenschen auszustellen.

Und wer die (ausländische) Presse aufmerksam liest, wird feststellen, daß es sehr wohl eine ganze Reihe von jüdischen Kommentatoren gibt, die diesen Film heftig verreißen und für seinen Umgang mit der Realität des Holocaust kritisieren. Diese KritikerInnen werden natürlich ignoriert.

Bleibt zu sagen, daß Benigni vielleicht einen Film hätte machen können, über den man sich zumindest nicht ärgern müßte. Ich hätte mir den Konsum erspart, Benigni weiter einen albernen Blödmann sein lassen (der noch dazu eine erschreckende Ähnlichkeit mit DJ Bobo aufweist) und den Kinogang den Leuten überlassen, die auch Bud Spencer zum Brüllen finden. Hätte er seine Tragödie nur am Nordpol, im Weltall, im Dschungel oder sonstwo spielen lassen.

Mit diesem Film jedenfalls wird Auschwitz auf einer höheren Stufe zum verschwinden gebracht.

Ralph Teckentrup

Fußnoten:

1) Was seltsamerweise fast jede deutsche aber fast keine ausländische Rezension meint erwähnen zu müssen. Dem Deutschen ist nur der bis zur völligen Unkenntlichkeit „assimilierte" Jude auch ein guter Jude (mag man boshaft denken und denkt wohl nicht einmal verkehrt).

2) Natürlich darf man über Geschmack nicht rechten; meinetwegen sollen die Leute auch über den dümmsten Unfug auch bei der zweitausendsten Wiederholung noch lachen; meine Sympathien haben sie nicht.

3) Auch dies Zitat ist keine Fälschnung.

4) Das ist allerdings ein nicht unerhebli

ches rezeptionsästhetisches Problem. Wird, was bewußt als irreal erfahren werden muß - etwa Sankt Nikolaus auf Geschenktour -, auch unbewußt als irreal rezipiert? Darauf gehe ich hier natürlich nicht weiter ein.

5) Welche Bedeutung dieses Rätsel hat, bleibt im Film völlig im Dunkeln. Die Lösung ist offensichtlich eine Ente. Manche behaupteten, „Juden" seien des Rätsels Lösung, weshalb der Moment besonders tragisch sei. Ich denke, es war wirklich nur eine Ente.

6) Guidos Versuche der Kontaktaufnahme mit seiner Frau haben mich ohnehin immer an Maus erinnert.

7) Ohnehin ist die Reihe Tatort nicht nur zeit- sondern auch filmgeschichtlich hoch interessant.

8) Und sie ist auch nicht meschugge. Recht hat sie, die anderen Mitbewohner haben den Musiker ermordet. Später im Film - der übrigens voll ist mit Skurrilitäten, ansonsten sehr unaufdringlich und einfühlsam - erzählt sie dem Kommissar, daß alle ihre Verwandten ermordet worden sind, sie als einzige überleben konnte, da sie einen „arischen" Mann hatte, der zu ihr hielt und sich weigerte, die Scheidung einzureichen.