Kein starker Terrorismus

Ted Honderich sprach in Leipzig

VON FRITZ VON KLINGGRÄFF



"Die Tötung eines israelischen Kindes durch eine Selbstmordattentäterin kann ein legitimer Widerstandsakt durch das palästinensische Volk sein": Mit diesem Satz ließ der wegen seines Buches Nach dem Terror umstrittene britisch-kanadische Philosoph Ted Honderich am Sonntag in der Leipziger Universität lautstarke Protestrufe an sich vorbeirauschen, um nochmals metaphysisch nachzulegen: "Ich betone: Der Selbstmordattentäterin war es erlaubt zu tun, was sie tat, weil sie von einem grundlegenden moralischen Prinzip gestützt wird." Nicht weniger als die geballte Macht seiner Moralphilosophie nahm Honderich in Anspruch, um im Rahmen des ersten Leipziger Sonntagsgespächs am 19. und 20. Oktober an die deutsche Öffentlichkeit zu treten.

Nach einer kurzen Phase der Erregung, die der offene Brief des Leiters des Fritz Bauer Instituts, Micha Brumlik, in der FR ausgelöst hatte, war es wieder ruhig um den Londoner Philosophen geworden, der in Leipzig mediengerecht als "weltweit führend" in Sachen "Determinismus und Willensfreiheit" vorgestellt wurde. Doch der angegraute Professor emeritus ließ zu Beginn der Veranstaltung keinen Zweifel daran, dass er nicht klein beigeben wollte. Was in seiner moralphilosophischen Abhandlung über die Bedingungen eines "guten Lebens" noch als Ausrutscher am Rande gelten mochte, rückte Honderich mit der Rechtfertigung palästinensischer Terrorakte gegen die israelische Zivilbevölkerung nun in den Mittelpunkt seiner Rede.

Keine Zweifel für den radikal-protestantischen Professor aus streng mennonitischem Elternhaus, dass er dabei den Minderheitsschutz reklamieren durfte: "Die Uni Leipzig", so bedankte er sich artig bei seinem Gastgeber, dem Philosophen Georg Meggle, "will eine unpopuläre Meinung hören" - die sollte sie bekommen. Mit sichtlichem Wohlgefallen ließ der Redner die empörten Rufe aus dem Publikum über sich ergehen und fixierte die Kontrahenten über seinen graurosa Schlips hinweg mit strengem Blick. Zu einer Diskussion sollte es nicht kommen. Der Gast durfte trotz vehementer Proteste seine Theorie vom "moralischen Recht auf Terrorismus" in Ruhe entwickeln. Ansatzweise streifte Honderich so nochmals seine moralphilosophischen Fundamente für eine entschlossene "Humanität", das Recht des Schwächeren, des Bedürftigeren, des Ärmeren auf Selbstverwirklichung und Widerstand, um den Terrorismus anschließend binärlogisch in sein Recht zu setzen: "Verhandeln ist das Recht des Stärkeren", so der Professor für Moralphilosophie: Gewalt hingegen sei das probate Mittel der Schwachen. Seine logische Konsequenz: Einzig und allein der Weg der Gewalt könne deshalb die Sache der Palästinenser zum Erfolg führen. Zum Glück nahm niemand der protestierenden Studenten diese These als Aufforderung, dem gut geschützten Professor schwach, aber gewaltsam an den Hals zu gehen. Wahllos reihte Honderich statt dessen "im Rekurs auf historische Tatsachen" Beispiele zur Unterstützung seiner These aneinander - eines wie das andere so "gültig" wie der Vergleich des Aufstandes im Warschauer Ghetto mit dem Kampf palästinensischer Terrorgruppen.

Während der Protest eines 20-köpfigen "Bündnis für Israel" in einem etwas hilflosen "Nie wieder Deutschland!" endete, ließ sich die Mehrheit im Hörsaal das Schauspiel nahezu kommentarlos gefallen. Inszeniert durch den Leipziger Professor für Kognitionswissenschaften, Georg Meggle - aus Saarbrücker Zeiten nicht zuletzt durch ähnliche "Tabubrüche" zur Unterstützung des Bioethikers Peter Singer bekannt -, goutierte das vorwiegend studentische Publikum die Show mit dem Hinweis auf die notwendige "Bildung der eigenen Meinung".

Diese formulierte jedoch nur noch der Moderator, nachdem seine Wunsch-Kontrahenten für Honderich - Micha Brumlik und Jürgen Habermas - abgesagt hatten. Trotz vieler "Gemeinsamkeiten" wollte Meggle gegen Honderich lieber zwischen einem schwachen, legitimen Terrorismus (mit zivilen Toten als "Kollateralschäden") und einem illegitimen, starken Terrorismus gegen unschuldige Dritte unterschieden wissen. Dem wollte sich dann auch Honderich nicht verschließen und schwor damit allem zuvor Gesagten nebst zugehörigem Theoriegebäude ab. Damit sei "dieser Punkt geklärt", fand Georg Meggle: Auch Honderich vertrete keinen starken Terrorismus. Punkt, Ende der Veranstaltung.

Die Diskussion fand am nächsten Tag in der gesitteten Stille eines Montag-Vormittag-Seminars statt. Als selbst ernannter "Konsequentialist" betonte Honderich hier nochmals den Vorrang des Ziels eines palästinensischen Staates vor aller Kritik an den Mitteln, um dieses Ziel zu erreichen. Georg Meggle

hingegen war voll des Lobes für die Uni Leipzig als Ort der freien Kommunikation. Widerrede blieb aus. Die Diskussion aber kann trotzdem weitergeführt werden, wie ein Teilnehmer ankündigte: Am 9. November diskutieren Micha Brumlik, Beate Klarsfeld und Günther Jacob zum Thema "Antisemitismus und die Nahostkontroverse" in Weimar.