Zornige Menschen können nicht denken

Malaysias Premier Mahathir rät den Moslems zum strategischen Rückzug und zur Sammlung gegen die angebliche jüdische Weltherrschaft
Die Moslems haben die intellektuelle Entwicklung verpasst, sind weltweit gespalten, und sie führen ihren Kampf gegen den Westen und die Juden mit den falschen Mitteln - sie sollten innehalten und über neue Strategien nachdenken: Die umstrittenen Thesen des Regierungschefs von Malaysia, Mahathir, beim Islam-Gipfeltreffen.




1. Alhamdulillah, alles Lob sei Allah, durch dessen Gnade und Segnungen wir, die Führer der Organisation der Länder der Islamischen Konferenz uns heute hier versammelt haben, um zu beraten und uns hoffentlich auf einen Kurs für die Zukunft des Islam und die weltweite moslemische Umma (die Gemeinschaft aller Moslems, d. Red.) zu verschwören.

2. Im Namen der Regierung und des Volkes vieler Rassen und Religionen von Malaysia darf ich ein herzliches Willkommen ausdrücken an alle und jeden bei dieser Zehnten Sitzung der Islamischen Gipfelkonferenz in Putrajaya, der Regierungshauptstadt Malaysias.

3. Es ist in der Tat eine große Ehre für Malaysia, Gastgeber dieser Sitzung zu sein und den Vorsitz der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) zu übernehmen. Ich danke den Mitgliedern für ihr Vertrauen in Malaysias Vorsitz.

4. Ich darf diese Gelegenheit auch wahrnehmen, dem Staat Katar und speziell Seiner Hoheit Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani, dem Emir des Staates Katar, besondere Anerkennung für seine herausragende Verwaltung unserer Organisation während der vergangenen drei Jahre zu bezeugen.

5. Als Gastgeber ist Malaysia erfreut über die starke Beteiligung von Mitgliedsstaaten. Dies demonstriert ganz klar unseren andauernden und beständigen Glauben an unsere Organisation und unsere Bindung an sie sowie unseren gemeinsamen Wunsch und Entschlossenheit, unsere Rolle für die Würde und das Wohlergehen der Umma zu stärken.

6. Ebenfalls willkommen heißen möchte ich die Führer und Repräsentanten der vielen Länder, die wegen ihres bedeutenden moslemischen Bevölkerungsanteils Beobachter bei diesem Treffen sein wollen. Ob sie nun Moslems sind oder nicht, wird ihre Gegenwart bei diesem Treffen zu einem besseren Verständnis des Islam und der Moslems führen und damit helfen, die Vorstellung vom Islam als einer Religion der Rückständigkeit und des Terrors zu widerlegen.

7. Die ganze Welt schaut auf uns. Gewiss setzen 1,3 Milliarden Moslems, ein Sechstel der Weltbevölkerung, ihr Hoffnungen auf uns, auf dieses Treffen, selbst wenn sie vielleicht unserem Willen und unserer Fähigkeit misstrauen, uns auch nur zu entschließen, die Ehre des Islam und der Moslems wiederherzustellen - geschweige denn, ihre Brüder und Schwestern aus der Unterdrückung und Erniedrigung zu befreien, unter der sie heute leiden.

8. Ich werde hier nicht die einzelnen Fälle unserer Erniedrigung und Unterdrückung aufzählen, noch werde ich erneut unsere Verleumder und Unterdrücker verurteilen. Das wäre eine sinnlose Übung, weil diese ihre Verhaltensweisen nicht ändern werden, nur weil wir sie verurteilen. Wenn wir unsere Würde und die des Islam, unserer Religion, wirklich wiedererlangen wollen, dann sind wir es, die entscheiden müssen, und wir sind es, die handeln müssen.

9. Um einen Anfang zu machen, können die Regierungen aller moslemischen Länder zusammenrücken und einen gemeinsamen Standpunkt einnehmen - falls nicht zu allen Problemen, dann wenigstens zu einigen der wichtigsten, wie etwa zu Palästina. Wir sind alle Moslems. Wir sind alle unterdrückt. Wir werden alle erniedrigt. Und doch haben wir, die wir von Allah über unsere Mitmoslems erhoben worden sind, um in unseren Ländern zu herrschen, niemals wirklich versucht zusammenzuarbeiten, um auf unserer Ebene die Brüderschaft und die Einheit vorzuzeigen, die der Islam uns vorschreibt.

10. Doch nicht nur unsere Regierungen sind gespalten, auch die moslemische Umma ist gespalten, und wieder und wieder gespalten. Im Laufe der letzten 1400 Jahre haben die Interpreten des Islam, die Gelehrten, die Ulama, die einzige islamische Religion, die uns vom Propheten Mohammed S.A.W.(Friede sei mit ihm, d. Red.) gebracht wurde, immer wieder neu ausgelegt, und zwar so unterschiedlich, dass wir jetzt tausend Religionen haben, die sich oft so sehr widersprechen, dass wir uns oft bekämpfen und gegenseitig umbringen.

11. Wir haben es uns erlaubt, dass wir aus einer einzigen Umma aufgespalten wurden in zahlreiche Sekten, Mazhabs (Rechtsschulen, d. Red.) und Tarikats (mystische Bruderschaften, d. Red.) - und alle sind mehr damit befasst, den wahren Islam für sich zu reklamieren, als mit unserer Einheit als die islamische Umma. Wir bemerken nicht, dass es unseren Verleumdern und Feinden egal ist, ob wir wahre Moslems sind oder nicht. Für sie sind wir alle Moslems, Anhänger einer Religion und eines Propheten, die sie zu Förderern des Terrorismus deklarieren, und wir sind alle ihre Todfeinde. Sie werden uns angreifen und töten, in unsere Gebiete eindringen, unsere Regierungen stürzen, ob wir nun Sunniten oder Syiahs, Alawiten oder Drusen sind oder was immer. Und wir helfen ihnen und ermuntern sie, indem wir uns gegenseitig attackieren und schwächen, und zuweilen, indem wir nach ihrer Pfeife tanzen, als ihre Stellvertreter handeln und moslemische Glaubensbrüder angreifen. Wir versuchen, unsere Regierungen mit Gewalt zu stürzen, mit dem Erfolg, dass wir unsere Länder schwächen und arm machen.

12. Wir ignorieren gänzlich, auch heute noch, die Anweisung des Islam, uns zu vereinen und einander Brüder zu sein - wir, die Regierungen der islamischen Länder und die Umma.

13. Aber dies ist nicht alles von den Lehren des Islam, das wir ignorieren. Wir sind angehalten zu lesen, das heißt: Iqraq, um Wissen zu erwerben. Die frühen Moslems haben darunter verstanden, die Werke der Griechen und anderer Gelehrter zu übersetzen und zu studieren. Und jene Moslems haben auch durch ihre eigenen Studien das gesammelte Wissen vergrößert.

14. Die frühen Moslems brachten große Mathematiker und Wissenschaftler hervor, Gelehrte, Ärzte, Astronomen usw., und sie haben sich auf allen Feldern des Wissens ihrer Zeit hervorgetan, neben dem Studium und der Ausübung ihrer eigenen islamischen Religion. Im Ergebnis waren die Moslems fähig, aus ihren Ländern und durch ihren Welthandel Reichtum zu schöpfen, sie waren fähig ihre Verteidigung zu stärken, ihre Leute zu schützen und ihnen die islamische Lebensweise zu geben, Addin (der Glaube, d.Red.), wie vom Islam vorgeschrieben. Zu jener Zeit waren die Europäer des Mittelalters noch abergläubisch und rückständig; die aufgeklärten Moslems hatten bereits eine bedeutende moslemische Zivilisation erbaut, die geachtet und mächtig war - mehr als fähig, mit dem Rest der Welt zu konkurrieren, und fähig, die Umma vor ausländischer Aggression zu schützen. Die Europäer mussten zu Füßen der moslemischen Gelehrten knien, um Zugang zu ihrem eigenen scholastischen Erbe zu erhalten.

15. Die Moslems wurden geführt von großen Führern wie Abdul Rahman III, Al-Mansur, Salah El Din Al Ayubi und anderen, die an der Spitze ihrer Truppen auf die Schlachtfelder zogen, um moslemisches Land und die Umma zu schützen.

16. Doch auf halbem Weg beim Aufbau der großen islamischen Zivilisation kamen neue Interpreten des Islam, die lehrten, dass Wissenserwerb durch Moslems allein im Studium der islamischen Theologie liege. Vom Studium der Wissenschaft, Medizin etc., wurde abgeraten.

17. Die Moslems begannen sich intellektuell zurückzuentwickeln. Mit der intellektuellen Regression begann die große moslemische Zivilisation zu wanken und zu welken. Wären nicht die ottomanischen Krieger erschienen, wäre die moslemische Zivilisation mit Fall Granadas 1492 verschwunden.

18. Die frühen Erfolge der Ottomanen waren nicht von einer intellektuellen Renaissance begleitet. Vielmehr beschäftigten sie sich mehr und mehr mit unwichtigen Fragen, etwa ob enge Hosen und Spitzhüte islamisch seien, ob Druckmaschinen erlaubt sein sollten oder ob man in Moscheen elektrisches Licht verwenden dürfe. Die Industrielle Revolution wurde von den Moslems völlig verpasst. Und die Regression ging weiter, bis die von Briten und Franzosen angestiftete Rebellion gegen die Türkenherrschaft den Fall der Ottomanen auslöste, der letzten moslemischen Weltmacht, und sie durch Kolonien der Europäer ersetzte - und nicht wie versprochen durch unabhängige Staaten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Kolonien unabhängig.

19. Außer den neuen Nationalstaaten akzeptierten wir auch das westliche demokratische System. Auch dies spaltete uns, weil die von uns formierten politischen Parteien und Gruppen, von denen einige den Islam für sich allein reklamieren, den Islam anderer Parteien ablehnen und sich weigern, die Ergebnisse demokratischer Verfahren anzuerkennen, wenn nicht sie selbst die Macht erringen können. Sie greifen zur Gewalt und destabilisieren und schwächen damit moslemische Länder.

20. Mit all diesen Entwicklungen wurde die Umma und die moslemische Zivilisation über die Jahrhunderte so schwach, dass es zu einer bestimmten Zeit kein einziges moslemisches Land gab, das nicht von den Europäern kolonialisiert oder hegemonial beherrscht war. Doch auch die Rückgewinnung der Unabhängigkeit half nicht, die Moslems zu stärken. Ihre Staaten waren schwach und schlecht verwaltet, ständig in einem Zustand der Aufruhr. Die Europäer konnten mit moslemischen Territorien machen was sie wollten. Es überrascht nicht, dass sie moslemisches Land dafür nahmen, den Staat Israel zu schaffen und ihr Juden-Problem zu lösen. Gespalten, konnten die Moslems nichts Effektives tun, um den Übergriff von Balfour und der Zionisten zu verhindern.

21. Manche möchten uns glauben machen, dass trotz alledem unser Leben besser ist als das unserer Verleumder. Manche glauben, dass Armut islamisch ist, dass Leiden und Unterdrücktsein islamisch sind. Diese Welt ist nicht für uns. Unser sind die Freuden des Himmels im Jenseits. Alles was wir tun müssen, ist bestimmte Rituale auszuführen, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen und ein bestimmtes Äußeres zu zeigen. Unsere Schwäche, unsere Rückständigkeit und unsere Unfähigkeit, unseren unterdrückten Brüdern und Schwestern zu helfen, sind Teil des Willens Allahs - die Leiden, die wir erdulden müssen, ehe wir im Jenseits den Himmel genießen können. Wir müssen dieses Schicksal akzeptieren, das uns widerfährt. Wir brauchen überhaupt nichts zu tun. Wir können nichts tun gegen Allahs Willen.

22. Aber ist es denn wahr, dass dies Allahs Wille ist und dass wir nichts tun können und sollen? Allah hat in Sure Ar-Ra'd Vers 11 gesagt, dass Er das Schicksal einer Gemeinschaft nicht ändern wird, bis die Gemeinschaft versucht hat, ihr Schicksal selbst zu ändern.

23. Die frühen Moslems waren ebenso unterdrückt wie wir jetzt. Aber nach ihren ernsthaften und entschlossenen Anstrengungen sich selbst zu helfen, in Übereinstimmung mit den Lehren des Islam, half ihnen Allah, ihre Feinde zu besiegen und eine große und mächtige moslemische Zivilisation zu schaffen. Doch welche Anstrengungen haben wir unternommen, speziell mit den Mitteln, mit denen Er uns ausgestattet hat?

24. Wir sind jetzt 1,3 Milliarden Menschen stark. Wir haben die größte Ölreserve der Welt. Wir haben großen Reichtum. Wir sind nicht so unwissend wie die Jahilliah (die Unwissenden, d. Red.), die sich (zur Zeit des Propheten, d. Red.) dem Islam anschlossen. Wir sind vertraut mit den Funktionsweisen der Weltwirtschaft und Finanzen. Wir kontrollieren 57 der 180 Länder der Welt. Unsere Voten können internationale Organisationen schaffen oder zerstören. Und doch scheinen wir hilfloser zu sein als die kleine Zahl von Jahilliah-Konvertiten, die den Propheten zu ihrem Führer annahmen. Warum? Weil es Allahs Wille ist oder weil wir unsere Religion falsch ausgelegt haben oder weil wir uns nicht an die richtigen Lehren unserer Religion gehalten haben oder weil wir die falschen Dinge getan haben?

25. Unsere Religion verpflichtet uns, uns auf die Verteidigung der Umma vorzubereiten. Bedauerlicher Weise legen wir das Gewicht nicht auf Verteidigung, sondern auf die Waffen aus der Zeit des Propheten. Diese Waffen und Pferde können uns nicht mehr helfen, uns zu verteidigen. Wir brauchen Gewehre und Raketen, Bomben und Kriegsflugzeuge, Panzer und Kriegsschiffe für unsere Verteidigung. Aber weil wir vom Erlernen der Wissenschaft und Mathematik etc. abrieten, weil es keine Meriten für das Akhirat (das Jenseits, d. Red.) bringe, haben wir heute nicht die Kapazität, unsere eigenen Waffen für unsere Verteidigung herzustellen. Wir müssen unsere Waffen von unseren Verleumdern und Feinden kaufen. Das kommt von einer oberflächlichen Interpretation des Koran, die nicht die Substanz der Sunnah des Propheten und der Verfügungen des Koran betont, sondern vielmehr die Form, die Art und die Mittel, wie sie im Ersten Jahrhundert der Hidschra (Auszug des Propheten von Mekka nach Medina, d. Red.) angewandt wurden. Und genauso ist mit anderen Lehren des Islam. Wir befassen uns mehr mit den Formen statt mit der Substanz der Worte Allahs und kleben an der wörtlichen Übersetzung der Brauchtümer des Propheten.

26. Wir mögen das Erste Jahrhundert der Hidschra wiedererschaffen wollen, die Lebensweise jener Zeit, um zu praktizieren, was wir für die wahre islamische Lebensweise halten. Aber das wird uns nicht erlaubt werden. Unsere Verleumder und Feinde werden die draus resultierende Rückständigkeit und Schwäche ausnutzen, um uns zu beherrschen. Der Islam ist nicht nur für das 7. Jahrhundert vor Christus da; der Islam ist für alle Zeiten. Und die Zeiten haben sich geändert. Ob wir es mögen oder nicht, wir müssen uns ändern, nicht indem wir unsere Religion ändern, sondern indem wir seine Lehren im Kontext einer Welt anwenden, die radikal verschieden ist von jener des Ersten Jahrhunderts der Hidschra. Nicht der Islam ist falsch, sondern die Auslegungen durch unsere Gelehrten, die keine Propheten sind und sich irren können, selbst wenn sie sehr gelehrt sind. Es ist nötig, dass wir zu den fundamentalen Lehren des Islam zurückkehren um herauszufinden, ob wir tatsächlich den Islam glauben und ausüben, den der Prophet predigte. Es kann nicht sein, dass wir alle den richtigen und wahren Islam praktizieren, wenn unsere Glaubensvorstellungen so verschieden sind.

27. Heute werden wir, die ganze moslemische Umma, mit Verachtung und Entehrung behandelt. Unsere Religion wird verunglimpft. Unsere heiligen Stätten entweiht. Unsere Länder sind okkupiert. Unsere Völker ausgehungert und umgebracht.

28. Keines unserer Länder ist wirklich unabhängig. Wir stehen unter dem Druck, den Wünschen unserer Unterdrücker zu entsprechen, wie wir uns benehmen sollten, wie wir unsere Länder regieren sollten, ja sogar wie wir denken sollten.

29. Wenn sie heute unser Land überfallen wollen, unsere Völker töten, unsere Dörfer und Städte zerstören, gibt es nichts Wesentliches, was wir tun können. Ist es der Islam, der all das verursacht hat? Oder ist es so, dass wir unsere Pflicht nicht getan haben, die unserer Religion entspricht?

30. Unsere einzige Reaktion ist, dass wir immer zorniger werden. Zornige Menschen können nicht richtig denken. Deshalb reagieren manche unserer Leute irrational. Sie starten ihre eigenen Attacken und bringen schier jeden um, moslemische Glaubensbrüder eingeschlossen, um ihrem Zorn und ihrer Frustration Luft zu verschaffen. Ihre Regierungen können nichts tun, sie zu stoppen. Der Feind rächt sich dafür und setzt die Regierungen noch stärker unter Druck. Und die Regierungen haben keine andere Wahl als nachzugeben, die Anordnungen des Feindes zu akzeptieren und buchstäblich ihre Unabhängigkeit im Handeln aufzugeben.

31. Daher werden ihre Völker und die Umma noch zorniger und wenden sich gegen ihre eigenen Regierungen. Jeder Versuch einer friedlichen Lösung wird sabotiert durch noch mehr wahllose Attacken, die darauf angelegt sind, den Feind zu erzürnen und jegliche friedliche Einigung zu verhindern. Aber die Attacken lösen gar nichts. Die Moslems werden einfach noch stärker unterdrückt.

32. Es gibt ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit unter den moslemischen Ländern und ihren Völkern. Sie haben das Gefühl, dass sie nichts richtig machen können. Sie glauben, dass die Dinge nur schlimmer werden können. Die Moslems werden auf ewig von den Europäern und den Juden unterdrückt und beherrscht werden. Sie werden auf ewig arm, rückständig und schwach sein. Manche glauben, wie ich gesagt habe, dass dies Allahs Wille ist, dass es der angemessene Status der Moslems ist, in dieser Welt arm und unterdrückt zu sein.

33. Aber ist es wahr, dass wir nichts für uns tun sollen und können? Ist es wahr, dass 1,3 Milliarden Menschen keine Macht ausüben können, um sich selbst vor der Erniedrigung und Unterdrückung zu retten, die ihnen von einem viel kleineren Feind zugefügt wird? Können sie nur in blinder Wut zurückschlagen? Gibt es keinen anderen Weg als unsere jungen Leute aufzufordern, sich selbst in die Luft zu sprengen und Leute umzubringen und Massaker an noch mehr unserer eigenen Leute heraufzubeschwören?

34. Es kann nicht sein, dass es keinen anderen Weg gibt. 1,3 Milliarden Moslems können nicht von ein paar Millionen Juden besiegt werden. Es muss einen Weg geben. Und wir können einen Weg nur finden, wenn wir innehalten, um nachzudenken, unsere Schwächen und unsere Stärken einzuschätzen, zu planen, Strategien zu entwickeln und dann den Gegenangriff zu führen. Als Moslems müssen wir die Anleitung im Koran und der Sunnah des Propheten suchen. Bestimmt kann uns der 23-jährige Kampf des Propheten einige Anleitungen geben, was wir tun können und sollen.

35. Wir wissen, dass er und seine frühen Anhänger von den Qhuraish (die Herrscher in Mekka, d. Red.) unterdrückt wurden. Hat er Vergeltungsschläge ausgeführt? Nein. Er war bereit, strategische Rückzüge vorzunehmen. Er schickte seine frühen Anhänger in ein christliches Land und zog selbst später nach Medina. Dort sammelte er Anhänger um sich, baute seine Verteidigungsfähigkeit auf und gewährleistete die Sicherheit seiner Leute. In Hudaibiyah war er bereit, ein unfaires Abkommen zu akzeptieren, gegen den Wunsch seiner Begleiter und Anhänger. Während des darauf folgenden Friedens festigte er seine Stärke, und schließlich war er fähig, Mekka zu erobern und für den Islam zu beanspruchen. Selbst da suchte er keine Rache. Und die Völker von Mekka akzeptierten den Islam, und viele wurden seine mächtigsten Unterstützer, welche die Moslems gegen alle ihre Feinde verteidigten.

36. Das ist, kurz gefasst, die Geschichte des Kampfes des Propheten. Wir reden so viel davon, der Sunnah des Propheten zu folgen. Wir zitieren die Beispiele und Gebräuche reichlich. Aber tatsächlich ignorieren wir sie alle.

37. Wenn wir die Fähigkeit des Denkens benutzen, die Allah uns gegeben hat, dann sollten wir wissen, dass wir irrational handeln. Wir kämpfen ohne jedes Ziel, ohne jeden Zweck außer die Feinde zu verletzen, weil sie uns verletzen. Naiverweise erwarten wir, dass sie kapitulieren. Wir opfern unnötig Leben, ohne etwas anderes zu erreichen, als weitere massive Vergeltung und Erniedrigung auf uns zu ziehen.

38. Es ist gewiss an der Zeit, dass wir innehalten um nachzudenken. Aber wird das Zeitverschwendung sein? Weit über ein halbes Jahrhundert lang haben wir wegen Palästina gefochten. Was haben wir erreicht? Nichts. Wir sind schlechter dran als vorher. Hätten wir innegehalten um nachzudenken, dann hätten wir einen Plan entwerfen können, eine Strategie, die uns den Endsieg bringen kann. Innehalten und in Ruhe nachdenken ist keine Zeitverschwendung. Es ist nötig, dass wir einen strategischen Rückzug vornehmen und in Ruhe unsere Situation einschätzen.

39. Tatsächlich sind wir sehr stark. 1,3 Milliarden Menschen können nicht einfach vernichtet werden. Die Europäer haben 6 von 12 Millionen Juden getötet. Aber heute beherrschen die Juden diese Welt mittels ihrer Stellvertreter. Sie lassen andere für sich kämpfen und sterben.

40. Vielleicht sind wir nicht imstande, das zu tun. Vielleicht sind wir nicht imstande, alle 1,3 Milliarden Moslems zu vereinen. Vielleicht sind wir nicht imstande, alle moslemischen Regierungen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Doch selbst wenn wir nur ein Drittel der Umma und ein Drittel der moslemischen Staaten dazu bringen, gemeinsam zu handeln, können wir schon etwas tun. Erinnert euch daran, dass der Prophet nicht viele Gefolgsleute hatte, als er nach Medina ging. Aber er vereinigte die Ansars und die Muhadschirins und wurde schließlich stark genug, den Islam zu verteidigen.

41. Neben der partiellen Einheit, die wir brauchen, müssen wir Inventur über unsere Aktiva machen. Unsere Anzahl und unseren Ölreichtum habe ich bereits erwähnt. In der heutigen Welt haben wir eine Menge politisches, ökonomisches und finanzielles Material in den Händen - genug, um unsere militärische Schwäche auszugleichen.

42. Wir wissen auch, dass nicht alle Nicht-Moslems gegen uns sind. Manche sind uns wohlgesonnen. Manche sehen sogar unsere Feinde als ihre Feinde an. Sogar unter Juden sind viele, die nicht gut heißen, was die Israelis machen.

43. Wir dürfen nicht alle gegen uns aufbringen. Wir müssen ihre Herzen und Köpfe gewinnen. Wir müssen sie auf unsere Seite holen, nicht indem wir um Hilfe betteln, sondern in der ehrenhaften Weise, dass wir uns mühen, uns selbst zu helfen. Wir dürfen nicht den Feind stärken, indem wir durch unverantwortliche und unislamische Taten alle in sein Lager treiben. Erinnert euch an Salah El Din und die Art, wie er gegen die so genannten Kreuzfahrer kämpfte, besonders gegen König Richard von England. Erinnert euch an die Besonnenheit des Propheten gegenüber den Feinden des Islam. Wir müssen das Gleiche tun. Den Kampf zu gewinnen ist das Wichtige, nicht zornige Vergeltung, nicht Rache.

44. Wir müssen unsere Stärke auf allen Feldern aufbauen, nicht allein unsere Waffenmacht. Unsere Länder müssen stabil und gut verwaltet sein, ökonomisch und finanziell stark, industriell kompetent und technologisch fortgeschritten. Das wird seine Zeit brauchen, aber es kann erreicht werden und es wird gut angewandte Zeit sein. Unsere Religion gibt uns auf, geduldig zu sein. Innallahamaasabirin. Offensichtlich ist es tugendhaft, geduldig zu sein.

45. Jedoch muss die Verteidigung der Umma, der Gegenangriff, nicht erst beginnen, nachdem wir unsere Häuser in Ordnung gebracht haben. Schon heute haben wir ausreichende Mittel, die wir gegen unsere Verleumder einsetzen können. Es ist an uns, sie zu erkennen, und auszuarbeiten, wie wir sie verwenden, um das Blutbad zu stoppen, das der Feind anrichtet. Dies ist durchaus möglich, wenn wir innehalten, um zu denken, zu planen, eine Strategie zu entwickeln und die paar ersten entscheidenden Schritte zu tun. Selbst diese paar Schritte können positive Ergebnisse bringen.

46. Wir wissen, dass die Jahilliah-Araber dazu neigten, sich zu befehden, einander zu töten, nur weil sie aus verschiedenen Stämmen kamen. Der Prophet predigte ihnen die Bruderschaft des Islam, und es gelang ihnen, ihren Hass aufeinander zu überwinden, sich zu vereinen, und sie trugen zur Gründung der großen moslemischen Zivilisation bei. Sollen wir sagen, was die Jahilliah tun konnten, das können wir, die modernen Moslems, nicht tun? Wenn nicht wir alle, so können es doch wenigstens manche von uns tun. Wenn nicht die Wiedergeburt unserer großen Zivilisation, so doch wenigstens die Sicherheit der Umma gewährleisten.

47. Um die vorgeschlagenen Dinge zu tun, ist es nicht einmal nötig, dass alle von uns ihre Differenzen untereinander aufgeben. Wir müssen nur einen Waffenstillstand ausrufen, damit wir zusammenarbeiten können, um nur bestimmte Probleme von gemeinsamem Interesse anzugehen, zum Beispiel das Palästina-Problem.

48. In jedem Kampf, in jedem Krieg ist nichts wichtiger als gemeinsames und koordiniertes Vorgehen. Ein gewisser Grad an Disziplin ist alles, was nötig ist. Der Prophet unterlag in Jabal Uhud, weil seine Truppen aus der Reihe traten. Das wissen wir, und doch sind wir nicht willens uns selbst zu disziplinieren und unsere irregulären und unkoordinierten Aktionen aufzugeben. Wir müssen tapfer sein, aber nicht tollkühn. Wir müssen nicht nur an unsere Belohnung im Jenseits denken, sondern auch an die weltlichen Resultate unserer Mission.

49. Der Koran sagt uns, dass wir positiv reagieren müssen, wenn der Feind Frieden einklagt. Es ist wahr, dass das angebotene Abkommen nicht günstig für uns ist. Aber wir können verhandeln. Der Prophet tat das, in Hudaibiyah. Und am Ende triumphierte er.

50. Mir ist bewusst, dass all diese Ideen nicht beliebt sein werden. Jene, die zornig sind, würden sie gerne sofort zurückweisen. Sie würden gerne jeden zum Schweigen bringen, der diesen Kurs verfolgt oder unterstützt. Sie würden gerne weitere junge Männer und Frauen losschicken, damit sie das höchste Opfer bringen. Aber wohin wird all dies führen? Bestimmt nicht zum Sieg. Während der vergangenen 50 Jahre des Kämpfens in Palästina haben wir keinerlei Erfolg erzielt. In Wirklichkeit haben wir unsere Situation verschlechtert.

51. Der Feind wird diese Vorschläge wahrscheinlich begrüßen, und wir werden daraus schließen, dass ihre Befürworter für den Feind arbeiten. Aber denkt nach. Wir sind mit einem Volk konfrontiert, das denkt. Sie überlebten 2000 Jahre Pogrome nicht mittels Zurückschlagen sondern mittels Denken. Sie erfanden und förderten mit Erfolg Sozialismus, Kommunismus, Menschenrechte und Demokratie, damit es falsch erschiene, sie zu verfolgen, damit sie sich der gleichen Rechte erfreuen dürfen wie andere. Mit denen haben sie nun die Kontrolle über die mächtigsten Länder gewonnen, und sie, diese winzige Gemeinschaft, sind eine Weltmacht geworden. Wir können sie nicht allein mit den Muskeln bekämpfen. Wir müssen auch unsere Gehirne benutzen.

52. Wegen ihrer Macht und ihres scheinbaren Erfolgs sind sie in jüngster Zeit arrogant geworden. Und arrogante Leute werden ebenso Fehler machen wie zornige Leute und vergessen zu denken.

53. Sie beginnen schon, Fehler zu machen. Und sie werden noch mehr Fehler machen. Es kann jetzt und in der Zukunft Spielraum für uns geben. Wir müssen diese Gelegenheiten ergreifen.

54. Aber dazu müssen wir das Richtige tun. Rhetorik ist gut. Sie hilft uns, die an uns verübten Beleidigungen aufzuzeigen, und verschafft uns vielleicht etwas Sympathie und Unterstützung. Sie kann unseren Geist stärken, unseren Willen und unsere Entschlossenheit, dem Feind zu trotzen.

55. Wir können und sollten zu Allah S. W. T. (Er ist rein und erhaben) beten, denn letztendlich ist Er es, der bestimmt, ob wir Erfolg haben oder scheitern. Wir brauchen Seinen Segen und Seine Hilfe bei unseren Bemühungen.

56. Aber es hängt davon ab, wie wir handeln und was wir tun, ob Er uns hilft und uns den Sieg schenkt oder nicht. Das hat er schon im Koran gesagt. Wiederum Sure Ar-Ra'd, Vers 11.

57. Wie ich schon zu Beginn gesagt habe: die ganze Welt schaut auf uns, die ganze moslemische Umma setzt ihre Hoffnungen in diese Konferenz der Führer der islamischen Nationen. Sie erwarten von uns, dass wir nicht nur unseren Frustrationen und unserem Zorn durch Worte und Gebärden Luft verschaffen; dass wir nicht nur um Allahs Segen beten. Sie erwarten, dass wir etwas tun, dass wir handeln. Wir können nicht sagen, dass wir nichts tun können - wir, die Führer der moslemischen Nationen. Wir können nicht sagen, dass wir uns nicht vereinen können, nicht einmal angesichts der Zerstörung unserer Religion und der Umma.

58. Wir wissen, dass wir es können. Es gibt vieles, was wir tun können. Es gibt viele Mittel, die wir zur Verfügung haben. Nötig ist lediglich der Wille, es zu tun. Als Moslems müssen wir dankbar sein für die Anleitung durch unsere Religion, wir müssen tun, was getan werden muss, willig und mit Entschlossenheit. Allah hat uns, die Führer, nicht über die anderen erhoben, damit wir die Macht nur selbst genießen können. Die Macht, die wir ausüben, ist für unsere Völker, für die Umma, für den Islam. Wir müssen den Willen haben, diese Macht vernünftig, klug, gemeinsam zu gebrauchen. Insyaallah (so Gott will), werden wir am Ende triumphieren.

59. Ich bete zu Allah, dass diese 10. Konferenz der OIC in Putrajaya, Malaysia, uns eine neue und positive Richtung geben wird und mit Erfolg gesegnet sein wird von Ihm, Allmächtiger Allah, Arahman, Arahim (Barmherziger, Gnädiger, d. Red.).

(Übersetzung aus dem Englischen: Werner Neumann)




aus: Frankfurter Rundschau online 2003 vom 24. Oktober 2003