Identitäten und Wahrnehmung nach dem Holocaust

Veranstaltung mit Jo Schmeiser (Wien)

 

„Die gesellschaftliche Position, aus der wir denken, sprechen und handeln, bestimmt auch unsere Wahrnehmung. Wie schauen wir auf gesellschaftliche Themen, auf Geschichte, auf aktuelle Politik? Was sehen wir? Was wollen oder können wir aus einer lokal und historisch bedingten Blickposition vielleicht gar nicht sehen? Und wer ist „wir“?

Die Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoah wird von den Nachkommen der beiden Seiten unterschiedlich wahrgenommen und auch bearbeitet. Die Nachkommen der TäterInnen und MitläuferInnen z.B., so meine Beobachtung, vermeiden oft den kritischen Blick auf die eigene Geschichte und Identität. Sie beschäftigen sich mit dem Judentum oder mit jüdischer Identität, während ihre Verstricktheit in deren heutige Definitionen,(und) die Geschichte von Familie und Herkunftsland als machtvoller Rahmen ihres Blicks unerforscht bleiben.“

Jo Schmeiser

 

Anhand von Filmbeispielen wird Jo Schmeiser untersuchen, wie die Positionen der Nachkommen in Bildern und Texten sichtbar werden. Sie will zeigen, wie diese Positionen die Produktion und Rezeption von Wissen bestimmen, und darüber diskutieren, wie tradierten, anti-semitischen Stereotypen und Strukturen entgegen gearbeitet werden kann. In diesem Rahmen will sie über eine Identitätspolitik der weißen, nicht-jüdischen Mehrheitsangehörigen nachdenken, und fragen, was sie von jüdischen Frauen lernen können, wie sie sich mit ihren oft widersprüchlichen und brüchigen Definitionen jüdischer und weiblicher Identität beschäftigen können, ohne damit die eigene, meist allzu eindeutige und ungebrochen tradierte Geschichte und Identität auszublenden.

 

“Es geht mir also um die Frage, wie jene Krise der eigenen Wahrnehmung herbeizuführen ist, die für die Arbeit gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus aus der Position der nicht-jüdischen Mehrheitsangehörigen in post-NS-Gesellschaften grundlegend ist.“

Jo Schmeiser

 

Die Veranstaltung findet am 28.10.2005 um 19:00 Uhr im 3. Welt Haus Falkstrasse 74, Frankfurt Bockenheim statt!

 

 

 

Things. Places. Years

Dokumentarfilm von Klub Zwei, Simone Bader, Jo Schmeiser

(Österreich 2005, 70 min.)

 

„Erfahrungen von Vertreibung, Emigration und Holocaust werden oft in der Vergangenheit verortet. Der Dokumentarfilm „Things. Places. Years“ bringt diese Vergangenheit in die Gegenwart und zeigt, wie sie das Leben von 12 in London beheimateten Frauen durch drei Generationen prägt. „Things. Places. Years.” konstruiert keine homogene, weibliche Identität. Der Film gibt den Frauen Raum um über ihre Identität zu sprechen, die komplexer ist als die Feststellung, dass manche von ihnen Jüdinnen sind. Eine Feststellung, die im Nationalsozialismus zu Vertreibung und Ermordung führte. Eine Feststellung, die Menschen mit jüdischem Hintergrund zu Juden und Jüdinnen macht. Wie sie sich selbst sehen, hat sie bis zu diesem Film kaum jemand gefragt.“

Rosa Reitsamer

 

„Things. Places. Years“ überzeugt durch seine präzise Fotografie und lange, ungeschnittene Kamerafahrten durch Suburbia, die sich zwischen die Interviews schieben, die Erzählungen der Frauen interpunktieren, ihnen einen Raum geben, um noch lange nachzuhallen.“

Michael Omasta

 

Filmvorführung „Things. Places. Years“, Beamer auf Leinwand, am 24.11.2005 um 20:00 Uhr im Hörsaal des Sigmund-Freud-Instituts, Myliusstraße 20, Frankfurt Westend!