flugblatt, verteilt auf der demonstration gegen sozialabbau am 18.11. in wiesbaden


Hetzen, schweigen, tolerieren –

verschiedene Ausdrucksweisen der Sehnsucht nach der Barbarei


Mit seiner rede von den „juden als tätervolk“ wärmte der cdu-mdb martin hohmann in aller öffentlichkeit virulente antisemitische ressentiments auf. Er schrieb damit den schier endlosen nationalen selbstfindungsprozess weiter, dessen conclusio doch stets a priori feststeht: deutsch = unschuldig /gut, jude = täter/schlecht.

Die ungewohnte offenheit, mit der sich der hohmannsche antisemitismus bahn bricht, mag verwundern, waren derartige regungen zuletzt in die sphäre des tuschelns, raunens und der vorgehaltenen hand abgedrängt, verfügte die antisemitin doch über ein ausreichendes repertoire an codes und anspielungen, etwa die vorgebliche kritik an der israelischen regierung, was allzu direkte statements überflüssig machte. Letztendlich stellen die jüngsten antijüdischen hetztiraden jedoch nur den vorläufigen endpunkt einer logischen entwicklung dar, deren startschuss mit der reinstallation großdeutschlands 1989 gegeben wurde und in deren verlauf eine rückbesinnung der deutschen auf ihre eigentliche tugend, den kollektiv sanktionierten hass auf „volksschädlinge“ wie jüdInnen und migrantInnen, stattfand.

Der sich als „debatte“ inszenierende selbstverständigungsprozess, etwa in form der walser- oder möllemann-„kontroverse“, kann kaum über die basale einigkeit der allermeisten beteiligten hinwegtäuschen. Lediglich in details besteht noch ein gewisser abstimmungsbedarf; vor allem über stilistische aspekte und die frage, wie weit mensch schon gehen „dürfe“, ohne „das ausland“ zu sehr zu provozieren, wird noch beraten.

Bezeichnend, dass die rede des martin hohmann ohne beanstandung einen ganzen monat lang frei verfügbar im internet stehen konnte, bis sich amerikanische juden über die enthaltene hetze mokierten.

Und auch dann wurde von der cdu-führung ein schlingerkurs gefahren, der primär darauf bedacht war, möglichst schaden von der partei abzuwenden. Während große teile der basis den schulterschluss mit dem inkriminierten abgeordneten probten und in onlineforen, tv-interviews und leserinbriefen über die „macht der reichen juden“ lamentierten, konterte angela merkel die allzu klare ansage mit der ankündigung einer patriotismusdebatte. Als ob pathischer nationalismus und gesundes nationalgefühl fein säuberlich zu scheiden wären, wo doch schon durch die markierung eines „eigenen“ das „andere“ ausgeschlossen, herabgesetzt, als minderwertig gekennzeichnet wird.

In besonders übler weise tat sich roland koch hervor, der zu beginn der affäre durch tagelanges abtauchen sein grundsätzliches einverständnis mit dem im rampenlicht stehenden hinterbänkler kundtat. Am 9. november, dem 65. jahrestag der reichspogromnacht, brach der hessische ministerpräsident sein schweigen und setzte sich in seiner rede vor der jüdischen gemeinde zu frankfurt für den neuhofer judenhasser ein, den er nicht „ausgegrenzt“ sehen wolle. Daraufhin kam es zu turbulenten szenen, dutzende juden und jüdinnen verließen unter buh-rufen die westendsynagoge.

Hoch her geht es zur zeit auch sonst in frankfurt und resthessen: flugblätter werden verteilt, demonstrationen veranstaltet, kreuzungen blockiert. Das feindbild, eben roland koch, scheint gut gewählt. Doch angeklagt wird dieser nur selten wegen seiner rassistischen doppelpass-kampagne, der affäre um angebliche „jüdische vermächtnisse“ oder den aktuellen vorgängen: zumeist beschränkt sich die kritik auf den von koch vorangetriebenen „sozialen kahlschlag“, die nicht selten mit der staatstragenden sorge um die durch eine solche politik gefährdete "zukunft hessens" argumentativ unterfüttert wird.

Der eklat während der gedenk-

veranstaltung zur reichspogromnacht blieb der bisher einzig wahrnehmbare, öffentlich

artikulierte protest gegen den wahn der kochs und neuhofmänner. Somit vollzieht sich unausgesprochen ein weiteres mal der ausschluss der jüdInnen aus der deutschen gemeinschaft, denen nicht nur ihre einsamkeit im kampf gegen den antisemitismus demonstriert, sondern auch die kumpanei der mehrheitspopulation mit ihren erklärten feinden vor augen geführt wird. Das bunte schauspiel, begleitet von lautem getöse, mit dem die demonstration gegen sozialabbau am 18.11. durch wiesbaden ziehen wird, kann nicht über den geräuschlosen und darum umso erschreckenderen schulterschluss der deutschen, die es sein wollen, hinwegtäuschen. Auch zwischen 1933 und 1945 wurde sich beschwert, lamentiert, gestritten, gar verbotenerweise streiks und arbeitsniederlegungen organisiert; gegen die vernichtung der europäischen jüdInnen erhob sich jedoch kein wahrnehmbarer einspruch. Der rebellische gestus, der oppositionelle chic, an dem sich die demonstrantInnen heute laben, offenbart nichts weiter als den willen zum alternativen mitbasteln an der gemeinschaft, der den nationalen konsens schon voraussetzt.


Arretez les boches – stop the krauts!

Für den kosmopolitischen kommunismus!

sinistra!