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"Für so wenig Geld arbeite ich nicht mehr"

Interview zur Lebens- und Arbeitssituation von Arbeitsuchenden aus Osteuropa in der BRD


com.une.farce


Bei dem folgenden Interview handelt es sich um ein Gespräch mit Jerzy (22) aus Klodzko und Piotr (25) aus der Wojewodschaft Nowy Sacz, beides Orte in der Republik Polen. Jerzy und Piotr sind gelernte KfZ-Mechaniker, die mit anderen Arbeitsuchenden tagtäglich entlang einem Teilstück der Hanauer Landstraße (einer Hauptverkehrsstraße im Osten Frankfurts) stehen und darauf hoffen, von vorbeifahrenden Interessenten für sehr befristete und äußerst niedrig bezahlte Gelegenheitsarbeiten angeworben zu werden. Der Sachverhalt, daß sie entlang besagter Hauptverkehrsstraße stehen, um sich für wenig Geld und oftmals für nur wenige Stunden "auf den Markt" zu bringen, gipfelt im öffentlichen Sprachgebrauch in der Rede vom sogenannten Polenstrich.

Das Interview für die com.une.farce führten Lutz Eichler und Joanna Mankowska, letztere hat auch die Übersetzung ins Deutsche vorgenommen (Vielen Dank!).


Habt ihr Familien?
Piotr: Ich nicht, ich bin alleinstehend.
Jerzy: Ich habe eine Frau und ein Kind.

Wie oft kommt Ihr nach Deutschland?
Piotr: Ich bin schon das zweite Mal hier. Im vergangenen Jahr war ich einen Monat und in diesem bin ich schon zwei Monate da. Jetzt läuft der dritte.
Jerzy: Ich komme ziemlich oft hierher. Ich muß auch für meine Familie sorgen. Meine Frau kann nicht arbeiten, weil wir ein krankes Kind haben.

Arbeitet Ihr auch in Polen?
Piotr: Ich habe in einer Werkstatt gearbeitet, auch im Service, aber der Betrieb hat pleite gemacht. Dann zwei Monate auf einer Baustelle.

Wie sind die Chancen, in Polen eine Stelle zu finden?
Piotr: Chancen gibt’s schon, aber welche Löhne werden da gezahlt im Vergleich zu hier. In Polen verdiene ich umgerechnet 300 DM im Monat.

Und du Jerzy?
Jerzy: Ich habe acht Jahre bei einer großen Firma gearbeitet, dann kam ein Stellenabbau. Im Nachhinein bin ich froh, daß sie mich entlassen haben, weil ich in den ganzen acht Jahren eigentlich zu nichts gekommen bin.

Seid ihr schon in anderen deutschen Städten gewesen?
Piotr: O ja. Im vorigen Jahr bin ich per Anhalter gereist. Ich war in Flensburg und in der Nähe von Holland. Da habe ich bei einem Bauern gearbeitet.

Welche Arbeit hast du dort gemacht?
Piotr: Heuernte, für acht Mark die Stunde, aber ich hatte auch Verpflegung und Unterkunft. Es war insgesamt ganz gut.

Welche Arbeiten bekommt ihr hier?
Jerzy: Es ist nicht so, daß wir eine feste Arbeit bekommen. Vor allem sollte man erwähnen, daß wir hier schwarz arbeiten.
Piotr: Ein Risiko. Ich erzähle dir eine Geschichte: Ich habe auf einem Rummelplatz gearbeitet, 1000 Mark im Monat mit Übernachtung und Zigaretten. Wir schufteten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Dann hatten wir zwei Stunden frei und schufteten weiter bis zwei Uhr nachts. Ich war dort wie ein Sklave. Morgens wurden wir um elf Uhr geweckt und mußten bis sechs Uhr früh arbeiten. Ich habe mich fortgemacht und 250 Mark für die Woche bekommen. Meine Kumpels sind zwei Wochen länger geblieben und als sie weggehen wollten gab es Probleme mit dem Chef und sie erhielten nichts. Das waren eingedeutschte Amerikaner, sehr unangenehm.
Jerzy: Es gibt welche, die die Jüngeren, d.h. Unerfahrenen mitnehmen. Ich wäre nicht gegangen oder am zweiten Tag zurückgekehrt. Man muß hier ein Gespür für die Leute haben. Mal gibt’s Arbeit, mal gibt’s keine. Mal gibt’s Geld, mal gibt’s keins. Es ist ein beständiges Risiko ob der Auftraggeber auch tatsächlich zahlen wird. Und es gibt die Polizei...

Was meinst du damit?
Jerzy: Die Polizei weiß, daß hier an der Hanauer Leute stehen, die Arbeit suchen. Sie jagen die Leute weg und tragen mit Kugelschreiber "angetroffen am soundsovielten" in den Paß ein. (zu P.) Zeig doch mal! (Piotr zeigt uns seinen Paß)
Piotr: Die Polizei darf das eigentlich nicht, es ist eine Gesetzesverletzung, aber sie machen es trotzdem. Ich habe schon sechs Eintragungen.

Und warum wird das eingetragen? Will die Polizei überprüfen, ob ihr schon länger als drei Monate hier seid?
Piotr: Wenn sie einen zum zweiten Mal festnehmen und ich habe schon so eine Eintragung im Paß, dann geben sie Dir einen Stadtplan, damit Du diese Straße hier, wo Dich die Arbeitgeber treffen können, meidest. Ein Kumpel hat so einen Plan auf der Polizeistelle bekommen, er durfte sich sieben Tage lang hier nicht aufhalten.

Und wenn jemand diesen Stadtplan hat, trotzdem hier steht und festgehalten wird?
Jerzy: Dann wird er mit auf die Polizeiwache genommen und ausgewiesen.
Piotr: Gegen die Polizei gewinnt man nicht, nirgendwo, in keinem Land.

Welche Konflikte gibt’s noch mit der Polizei?
Jerzy: Wenn Du ihnen antwortest, Du bist ein Tourist und machst einen Spaziergang, dann bringen sie Dich in den Wald, tief in die Pampa. Das heißt, ich habe so was nicht erlebt, aber ein Bekannter hat es erzählt. Sie setzen Dich im Wald aus, weil, wenn Du Tourist bist, dann könntest Du ja da wandern...
Manchmal sind sie sogar sehr brutal, mit Handschellen und gewalttätig, sie werfen Dich gegen die Wand. Dann fahren sie zur Wache und lassen Dich wieder frei, wenn sie nichts gegen Dich in der Hand haben. Wenn sie Dich häufiger erwischen, schleifen sie Dich aufs Ordnungsamt und schicken Dich ab nach Polen. D.h. man muß wieder zur polnisch-deutschen Grenze fahren um anschließend zurückzukommen. Du mußt nur die Grenze passieren, bekommst einen Stempel und darfst dann wieder für drei Monate hier sein.
Piotr: Die Kriminalpolizei, das sind die schlimmsten.

Wo schlaft Ihr hier?
Piotr: Ich schlafe bei einem Bekannten in einem Kämmerchen. Er ist schon fünfzehn Jahre hier. In der Wohnung gibt es keinen Strom und keine Heizung. Am Anfang war alles okay, aber er hat nachts Phantasien, er ist Alkoholiker... Es ist schon hart.

Und du Jerzy?
Jerzy: Unterschiedlich, in verschiedenen Wohnungen. Es gibt große Wohnungen, die den besser gestellten Polen gehören. Sie vermieten dann manchmal ein Zimmer und man schläft zu dritt oder zu viert für 200 oder 300 DM (pro Person) im Monat.

Wie ist sonst der Kontakt zu Polen, die hier schon länger legal sind und eine Arbeitserlaubnis haben?
Jerzy: Sie sondern sich ab. Sie wollen selten Kontakt zu solchen wie uns haben, sie halten sich lieber an die Deutschen.

Wieviel verdient Ihr durchschnittlich?
Jerzy: Zehn bis zwölf Mark die Stunde. Manchmal gibt’s ein Essen dazu, das ist dann schon sehr gut. In einem Monat kann man auf 2500 DM kommen, aber wenn man Pech hat sind es nur 500.

Wie läuft die Arbeitsvermittlung hier vor Ort?
Piotr: Die Leute fahren mit dem Auto vorbei und fragen, ob wir Arbeit suchen. Wir fragen dann, was zu tun ist und was dabei rausspringt.

Gibt es auch längerfristige Jobs?
Piotr: Ich habe mal eineinhalb Monate auf einer Baustelle als Gehilfe gearbeitet.

Passiert es auch, daß Ihr einen Job ablehnt?
Jerzy: Wenn ein Typ mir einen sehr harten Job für wenig Geld anbietet, dann sag‘ ich gleich, daß ich nicht arbeiten werde. Das hat keinen Sinn, soll ich hier für weniger Geld arbeiten als in Polen?!
Zum Beispiel kam vor kurzer Zeit ein Typ vorbei. Es war eher kein Deutscher. Ich glaube ein Türke, so schien es mir zumindest, und er brauchte zwei kräftige Männer und bot zehn Mark die Stunde an. Ich weiß nicht genau für welche Arbeit. Von den Polen ist niemand gegangen und dann ging er etwas weiter die Straße runter und nahm drei oder vier Russen mit.

Stehen außer Russen auch Leute aus anderen Ländern hier?
Jerzy: Ja, ja aus Moldavien, Littauen,...

Gibt es Konkurrenz untereinander?
Piotr: Nein, sie stehen woanders. Die Polizei verfolgt die Russen auch mehr. Die meisten sind illegal hier, sie brauchen ein Visum. Die Polizei sammelt sie aus verschiedenen Städten ein und schickt sie mit dem Flugzeug nach Rußland zurück.
Jerzy: Sie arbeiten für noch weniger: fünf oder sechs Mark die Stunde. Wenn einer für 100 Mark in seinem Land einen ganzen Monat leben kann, dann sind sechs Mark die Stunde für ihn viel Geld. Für uns ist es nichts.

Es gibt polnische Firmen, die mit deutschen Unternehmen Verträge abgeschlossen haben, um polnische Arbeitskräfte nach Deutschland schicken zu können. Habt Ihr davon gehört? Ist das für Euch eine Möglichkeit?
Piotr: Das ist sehr undurchsichtig, man muß Erledigungen machen und Beträge zahlen und dann stellt sich heraus, daß aus der Arbeit vielleicht doch nichts wird. Ich habe mal auf einer Baustelle gearbeitet, da war so eine polnische Firma, die 10 Menschen aus Polen angestellt hatte. Sie haben Marmor verlegt. Um an so was dran zu kommen, da muß man schon Beziehungen haben.
Jerzy: Ich hatte mal so einen Job bei der Lufthansa. Man durfte seinen Mund nicht aufmachen, man hat einfach keine... ich weiß nicht wie ich das nennen soll. Da ist man einfach ein Niemand. Dann lieber gleich komplett schwarz.

Was ist, wenn ihr Euch hier bei der Arbeit verletzt oder krank werdet?
Jerzy: Bei einem Unfall würden uns die Deutschen helfen. Hier ist so eine Marienmission. Aber für eine richtige Behandlung im Krankenhaus, da müßte man wohl nach Polen fahren. Denn dann wird’s teuer. Es sei denn, man hat eine Versicherung in Polen abgeschlossen, dann kann man sich hier für bis zu 700 DM behandeln lassen. Nur ist so eine Police eine sehr teure Angelegenheit.

Wer bezahlt denn die deutsche Notambulanz?
Jerzy: Also ich könnte das nicht bezahlen. Die Rechnung wird ausgestellt und nach Polen geschickt oder die Stadt bezahlt es.

Die Stadt Frankfurt?
Jerzy: Na, ich hab doch kein Geld. Was könnten sie denn mit mir machen, sie werden mich doch nicht einsperren, oder? Sie können doch nichts machen. Auf der Straße werden sie mich doch nicht liegenlassen, oder? Das Rote Kreuz wird’s bezahlen, oder so was. Ich habe das noch nicht erlebt, aber ich habe so etwas gehört.

Stehen hier an der Straße auch Frauen, um Arbeit zu bekommen?
Piotr: Ich habe mal eine Russin gesehen.
Jerzy: Ja, manchmal standen hier auch Polinnen, aber jetzt nicht mehr. Man weiß doch nicht, wer vorbeifährt, vielleicht ein Perverser...

Welche Arbeiten haben sie bekommen?
Jerzy: Einmal hat ein Türke eine Polin angestellt und das war zunächst o.k. Doch am Abend hat er sie eingesperrt... Es gelang ihr wegzurennen. Meistens werden sie zum Putzen angestellt. Wenn sie deutsch können, dann auch im Restaurant.

Habt Ihr Kontakte zu deutschen Arbeitern, zum Beispiel auf Baustellen?
Piotr: Sie lachen uns oft aus. Sie machen sich lustig über uns, weil wir nichts verstehen. Aber manchmal helfen sie uns auch. Wenn ich zum Beispiel keine Zigarette habe, dann geben sie mir eine.
Jerzy: Ach, die Deutschen sind nicht so schlimm, aber... es gibt Ausnahmen, so wie in Polen: der eine ist so, der andere so.

Was macht Ihr bei Razzien auf Baustellen?
Jerzy: So etwas gibt’s nur auf Großbaustellen und die vermeide ich grundsätzlich. Da nehme ich keine Arbeit an, das hat keinen Sinn.
Piotr: Das ist doch normal. In Polen ist es das Gleiche. Da werden die Schwarzarbeiter auch kontrolliert. In Polen arbeiten viele schwarz. Für den Unternehmer lohnt es sich nicht, sie zu registrieren, Versicherung und so. Ich habe auch so in Polen gearbeitet, habe Arbeitslosengeld bekommen und schwarz gearbeitet. So habe ich halbwegs was verdient. Hier in Deutschland ist es aber besser.

Was passiert, wenn man in Deutschland bei der Schwarzarbeit erwischt wird?
Piotr: Na, dann bekommt man ein "misia" (=Bärchen). Das ist ein Stempel im Paß und bedeutet Einreiseverbot für 5 Jahre.

Muß man auch eine Geldstrafe zahlen?
Piotr: Nein, aber sie nehmen einem alles ab, was man dabei hat.

Wie sehen Eure Zukunftspläne aus?
(längeres Schweigen)
Piotr: Ich möchte was beiseite legen und etwas eigenes aufmachen. Eine Werkstatt. Ich hab‘ schon etwas gespart.
Jerzy: Mit den bloßen Händen ist es schwer etwas zu erreichen. Wenn man nicht gebildet ist... Ich kämpfe mich hier schon vier Jahre durch... Ich weiß es nicht, ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht.

Wie oft siehst Du Deine Frau, Jerzy?
Jerzy: Alle zwei bis drei Monate fahre ich rüber und manchmal kommt sie auch hierher. Ich würde sehr gerne in Polen arbeiten, aber wenn mir das polnische Arbeitsamt einen Job für 600 Zlotys (umgerechnet rund 300 DM) anbietet, dann vielen Dank für so einen Job. Nur um Essen und Wohnen zu können werde ich nicht mehr arbeiten. Die Zeiten sind vorbei. Gut, ich habe keine Ausbildung, um am Computer zu arbeiten, aber für so wenig Geld arbeite ich nicht mehr. Es sei denn, das Leben zwingt mich dazu...

Wollt Ihr noch lange so weitermachen?
Piotr: Ich hoffe, ich komme nochmal hierher.
Jerzy: Ich möchte nicht, aber das Leben zwingt mich, immer wieder hierher zurückzukehren. Zurück nach Polen und wieder ein Niemand sein, nein, das schaffe ich nicht. Ich rege mich zwar jedesmal auf, wenn ich hier her muß, aber es geht nicht anders.

Meint Ihr, die Situation ändert sich bei einem Beitritt Polens in die Europäische Union?
Piotr: Es wird alles stabiler.
Jerzy: Ich hab doch hier in Deutschland schon die EU. In Polen wird es das Gleiche sein. Daß einer ‘nen Mercedes fährt und der andere auf der Straße sitzt, das ist in Polen jetzt schon so. Mich überrascht gar nichts mehr.




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