"Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche"
Zur Kampagne gegen die doppelte Saatshörigkeit der CDU

von Sonja Brünzels
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1. Vorbemerkung

Anfang dieses Jahres führte die CDU gegen die Pläne der neuen rot-grünen Bundesregierung zur Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts eine einigermaßen erfolgreiche Unterschriftensammlung durch. Aufhänger war dabei die Frage, ob Einwanderern eine doppelte Staatsangehörigkeit ermöglicht werden sollte. Einige linksradikale Politclowns konterten mit einer Gegenaktion, der "Kampagne gegen die doppelte Staatshörigkeit und für die Integration der CDU". Der folgende Text diskutiert einige Erfahrungen, die bei dieser Gegenkampagne gemacht wurden.

Um den Erfolg der CDU-Kampagne und auch die Beobachtungen bei den Gegenaktionen zu verstehen, ist vorab ein Blick auf die diskursive Struktur des bundesdeutschen Rassismus hilfreich. Herausragendes Merkmal des Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland ist, daß er im herrschenden politischen und medialen Diskurs begrifflich gar nicht existiert. Während in Großbritannien Tony Blair unlängst parlamentsöffentlich sagen konnte "Of course there is a problem with racism in this country", werden wir auf eine entsprechende Feststellung von Schröder bzw. dessen Nachfolgern wohl noch einige Jahrzehnte zu warten haben. Eine öffentliche Diskussion über strukturellen Rassismus in Polizei und Behörden, wie sie zur Zeit in Großbritannien geführt wird, ist in Deutschland undenkbar: Hierzulande heißt Rassismus 'Ausländerfeindlichkeit', ein Wort, das die Ausgrenzung der hier lebenden Migrantinnen von vorneherein als gegeben hinnimmt. Rassismus erscheint im bundesdeutschen Diskurs nicht als Problem, das die Mitte der Gesellschaft tangiert, sondern als eine Randerscheinung: Ausländerfeindlich sind die anderen, die Ossis, die Skinheads, die Neonazis. Die banale Tatsache, daß Millionen hier lebender Einwanderer durch ein strukturell rassistisches Staatsbürgerrecht zu Menschen zweiter Klasse gestempelt werden (und daran wird sich, wie's aussieht, wohl nicht viel ändern), ist der Rede nicht wert.

Dennoch gibt es ein Problem mit "den Ausländern": Nachdem die 'Fluten' der Flüchtlinge bzw. 'Asylanten' erfolgreich trockengelegt wurden, heißen die Schlagworte 'Innere Sicherheit', 'Ausländerkriminalität', 'Organisierte Kriminalität', 'Drogenkriminalität' etc. Dabei ist die Struktur des Diskurses durch eine zugleich grundlegende und stets prekäre Trennung zwischen 'guten Ausländern' und 'bösen Ausländern' gekennzeichnet: Der gute Ausländer ist legal im Lande, arbeitet hart und zahlt unsere Renten. Im Idealfall ist er vom Deutschen nicht zu unterscheiden; es wird ihm dann erlaubt, nach einigen Jahrzehnten Arbeit in Deutschland seine bisherige Staatsangehörigkeit sowie einen Sprachtest abzulegen und sich (nach Nachweis gelungener Integration) durch Erwerb eines deutschen Passes aufzulösen. Der böse Ausländer dagegen ist illegal, Krimineller, Drogenhändler und Sozialschmarotzer. Er wird abgeschoben. Durch institutionelle Regelungen wird sichergestellt, daß die Trennung zwischen beiden Kategorien auch materielle Realität besitzt: Das Arbeitsverbot für Flüchtlinge zeigt dies ebenso wie die Bedingungen ( bspw. keine Vorstrafen, keine Arbeitslosen- oder Sozialhilfe), welche Schilys Gesetzentwurf für eine Einbürgerung fordert. Der Rassismus, der sich in diesem Diskurs offenbart, ist zugleich ausschließend und integrationistisch. Dabei bleibt die Trennung zwischen Innen und Außen der bundesdeutschen Gesellschaft, was die Positionierung 'der Ausländer' angeht, prekär: ganze Gruppen von Menschen können sich, wie unlängst 'die Kurden' nach dem Verbot der PKK, von der einen Seite der unsichtbaren Trennlinie unversehens auf die andere Seite verfrachtet sehen.

An den Stammtischen fehlen dagegen oft die subtilen Unterscheidungen, die den öffentlichen und offiziellen Diskurs kennzeichnen: Es gibt zuviele Ausländer hier in Deutschland, sie bedrohen unsere Kultur und nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Sie machen sich überall breit und ihr Nachwuchs rempelt unsere Omas auf der Straße an. Basta così. Während sich dieser dumpfdoitsche Populärrassismus an den Stammtischen immer wieder selbst bestätigt, leidet er allerdings an öffentlicher Sprachlosigkeit. Wer die Parole "Ausländer raus!" nämlich auch im öffentlichen, politischen oder medialen Raum krakeelt, ist ein Rechtsextremist und damit in der bundesdeutschen symbolischen Ordnung draußen. In der Politik bedeutet das: solche Leute werden nicht gewählt und wenn doch, so wie in Sachsen-Anhalt die DVU, werden sie anschließend in der BILD-Zeitung medial geschlachtet. Der deutsche Stammtischrassist hat daher ein Problem. Er weiß, daß alle genauso denken wie er. Und er weiß auch ganz genau: sagen darf er's nicht, zumindest nicht allzu laut.


2. "Die Menschen dort abholen, wo sie stehen": Die Kampagne der CDU

Angesichts dieser Gegebenheiten unternahmen die Christdemokraten nach ihrer katastrophalen Wahlniederlage letzten Herbst den Versuch, das Gesetz des politischen Handelns zurückzugewinnen, indem sie den populären Stammtischrassissmus unter ihren Fahnen gegen die Pläne der neuen Bundesregierung zur Reform des Staatsbürgerrrechts mobilisierten. Die Vorgeschichte ihrer Kampagne ist interessant, zeigt sie doch die Integrationsfähigkeiten einer deutschen Volkspartei von ihrer besten Seite: Zuerst preschte Stoiber als Rechtsaußen vor, indem er die hier lebenden Migranten im Zusammenhang mit den rot-grünen Reformplänen als Gefahr für die innere Sicherheit, "schlimmer als die RAF", etc. denunzierte und dabei die politbranchenüblichen Differenzierungen (siehe oben) einmal außen vor ließ. Diese rechte Flanke wurde dann an Schäuble und die politischen Zentrumsspieler der CDU weitergegeben, die im besten Besinnungsaufsatzstil den Integrationsdiskurs beschworen und die einigermaßen logikfreie Forderung "für Integration, gegen doppelte Staatsangehörigkeit" erhoben. Zu diesem Zeitpunkt mußte freilich auch dem letzten Bierdimpfl klar geworden sein, daß die CDU endlich einmal etwas "gegen die Ausländer" zu tun im Begriff war. So gelang den Christdemokraten, durch einen diskursiven Fallrückzieher die Ausländer-Raus-Rassisten zu mobilisieren, ohne sich dabei im respektablen Feld legitimer politischer Forderungen ins Abseits zu stellen. Nachdem der Ball zwischen rechter Flanke und Zentrum ein paarmal hin- und hergewandert war, brauchte Koch/Hessen bekanntlich unter Beifall des staatsbürgerlichen Publikums nur noch zu verwandeln. Es soll im folgenden dahingestellt bleiben, ob dieser CDU-Doppelpaß nun Resultat genialer Planung oder schlicht Dummenglück war. Ein anderer Aspekt ist möglicherweise interessanter: Hier wurde bewußt oder unbewußt mit der "Interpretationsvariabilität" gearbeitet, mit der Fähigkeit des Empfängers einer Botschaft, diese abweichend vom oder sogar entgegen dem Wortlaut zu interpretieren. Konkret gesprochen läßt sich die These aufstellen, daß diejenigen, die die Forderungen der CDU zur "Integration von Ausländern" unterschrieben, damit "Ausländer Raus" meinten und nichts anderes, daß die Unterschriftensammlung also in erster Linie darauf hinauslief, den Stammtischrassismus endlich auch in die respektableren Sphären des politischen Diskurses zu integrieren und ihm dort eine Stimme zu verleihen.


3. "Gegen die doppelte Staatshörigkeit und für die Integration der CDU"

Angesichts der anlaufenden Unterschriftensammlung der CDU unternahmen es einige linke Politaktivistinnen, die Richtigkeit dieser zunächst gewagt erscheinenden These empirisch zu überprüfen und praktisch zu demonstrieren. Das Prinzip war dabei denkbar einfach: Wenn die Unterstützer der CDU nicht für deren politische "Forderungen", sondern in erster Linie gegen Ausländer unterschrieben, sollte es möglich sein, ihnen auch andere Texte unterzujubeln. Entgegen mancher böswilligen Unterstellung ging es dabei nicht darum, zu zeigen, daß die deutschen "mündigen Staatsbürger, die hier ihren politischen Willen zum Ausdruck bringen" (O-Ton Erwin Teufel, CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg) des Lesens nicht mächtig seien. Eher schon zeigte sich, daß diese Bürger zwar lesen können, aber das Geschreibsel der CDU, das sie unterschrieben und als Ausdrucksmittel ihres politischen Willens benutzten, selbst des Lesens nicht für wert hielten. Es war also nur nötig, sich ein Original der CDU-Unterschriftenliste zu verschaffen, welche von der CDU-Bundesgeschäftsstelle auf ihrer Homepage dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde, und diese Liste in angemessener Weise zu editieren. Dabei wurde darauf geachtet, den Tenor des integrationistischen Diskurses ebensowenig zu verändern wie die wichtigsten Buzzwords oder das allgemeine Schriftbild. Lediglich das Objekt der Integrationsbegierde wurde ausgetauscht: Statt der "ausländischen Mitbürger" waren es die Deutschen bzw. die CDU, die sich integrieren sollten, anstatt gegen die doppelte Staatsangehörigkeit für Migrantinnen ging es nun gegen die "doppelte Staatshörigkeit" der Deutschen. Die Kritik linker Diskurspuristen, daß hierbei der integrationistische Diskurs strukturell verdoppelt werde, wurde einigermaßen achselzuckend in Kauf genommen. In der Tat ist die modifizierte Unterschriftenliste ebenso für rotgrüne Zivilgesellschaftlerinnen kooptierbar, von denen sich vermutlich auch einige an der Gegenkampagne beteiligten. And so what? Ziel des Unternehmens war es, zu zeigen, daß es den CDU-Unterstützerinnen vor allem um den performativen Akt des Unterschreibens "gegen die Ausländer" ging und der CDU, die sich dessen sehr wohl bewußt war, um die politische Mobilisierung eines doitschen Dumpfrassismus. Und es ging darum, die daran Beteiligten so gut wie möglich (medien)öffentlich zu blamieren.


4. Die unsichtbare Verschwörung - das Internet als Medium einer Kampagne

Ein interessanter Aspekt der Kampagne gegen die doppelte Staatshörigkeit und für die Integration der CDU lag in den Möglichkeiten, das Internet als Medium zur (Selbst)organisation der Aktivistinnen zu nutzen. Das Prinzip, nach dem die "Organisation" der Kampagne ablief, war denkbar einfach: Ein paar Leute hatten die Grundidee, fabrizierten mit Unterstützung der CDU-Homepage und eines PC die modifizierte Unterschriftenliste und stellten diese im Netz zur Verfügung. Dazu kam noch eine SPAM-Aktion (also eine massenhaft verschickte, unerwünschte bzw. nicht angeforderte Mail), mit der auf das Ganze aufmerksam gemacht wurde. Das war's auch schon.

Interessant war der Prozeß, der sich danach abspielte: Menschen griffen die Idee auf, modifizierten sie (es existieren mittlerweile einige ziemlich abstruse Varianten der Unterschriftenliste), ergänzten sie oder entwickelten eigene Aktionen. Es fand sich jemand, der eine Homepage einrichtete, auf der sich Erfahrungsberichte, Vorschläge und Medienechos sammelten. Die Möglichkeiten des Netzes als Medium reziproker Kommunikation erwiesen sich in diesem Zusammenhang als wesentlicher Faktor: Die Kampagne, die zu Unterschriftensammlungen in knapp 30 meist süddeutschen Städten führte, erhielt ihre konkrete Form in einem Kommunikationsprozeß im Netz, in dem sich Aktivistinnen von den Ideen anderer inspirieren ließen, eigene Aktionen entwickelten und ihre Erfahrungen zur Verfügung stellten. (Die Dokumentation findet sich auf der obengenannten kulturserver-Adresse)

Aus Sicht der Aktivistinnen hebt sich die Kampagne durchaus vorteilhaft von früheren Erfahrungen ab. Der Prozeß der Organisation einer Kampagne läßt sich ja böswillig so karikieren: Die üblichen Verdächtigen leiern ein Vorbereitungstreffen an. Fall A: Niemand kommt. Es wird ein zweites Vorbereitungstreffen organisiert, usw. Fall B: Alle kommen (oh weh). Es wird ein Wochenende lang ohne Ergebnis auf Konsens diskutiert und/oder es werden Arbeitsgruppen eingerichtet. Dann wird ein weiteres Treffen angesetzt, zu dem natürlich völlig andere Leute erscheinen, usw. Zum guten oder schlechten Ende fassen dann durch niemand legitimierte In-Zirkel Beschlüsse, in die sich andere Menschen einklinken oder auch nicht. Die oben skizzierte Cyberspace-Version des ganzen hat zwar den Nachteil, daß nur NetUserinnen sich unmittelbar am Kommunikationsprozeß beteiligen können, ist aber ansonsten weniger nervig und in einem gewissen Sinne auch demokratischer. (Nebenbei bemerkt: Was ist eigentlich das härtere Ausschlußkriterium: all diejenigen auszuschließen, die keinen Internetaccount haben, oder all die Leute, die sich kein Wochenende radikallinker Diskussionskultur antun wollen oder können?) Wichtig erscheint dabei, daß sich die konkrete Gestalt der Kampagne aus den Aktivitäten der lokalen Gruppen ergab, aus dem Zusammenspiel von Internetkommunikation und konkretem Handeln im "real space", an dem natürlich nicht nur Netzfuzzis beteiligt waren.


5. Der gute Name des Bürgers: Erfahrungen beim Unterschriftensammeln

Die Erwartungen, die an die alternative Unterschriftensammlung geknüpft waren, wurden von der Realität bestätigt, wenn nicht sogar übertroffen. Die Bürgerinnen rissen sich geradezu darum, ihre Unterschrift zu hinterlassen: "Kann ich hier gegen die Türken unterschreiben?" lautete der Tenor. Die Freunde der CDU ließen sich weder durch gutgemeinte Hinweise ("Wir sind aber nicht von der CDU", "haben Sie unsere Forderungen auch genau gelesen") noch durch ein CDU-untypisches Outfit der Unterschriftensammlerinnen irritieren - selbst dann nicht, wenn diese erkennbar selbst Migrantinnen waren. Zu Beginn waren die alternativen Unterschriftensammlerinnen noch davon ausgegangen, es sei notwendig sich zu tarnen, also im gepflegtem JU-Look und mit dümmlichem Gesichtsausdruck aufzutreten. Selbst das Original CDU-Logo fand sich zunächst noch auf einigen der alternativen Unterschriftenlisten. Doch die Erfahrung zeigte schnell, daß solcher Feinsinn nicht nötig war. Egal ob in Lederhosen oder Punkoutfit, als CDU oder als Initiative "C.S.U. - Clowns Sammeln Unterschriften" - Unterschriften bekamen alle, und das nicht zu knapp. Daß die C.S.U. im badischen Freiburg antrat, wunderte die irregeleiteten CDU/CSU-Fans ebensowenig wie die in Nürnberg am Infostand der Gegenkampagne aufgestellte Forderung "Deutsche kauft deutsche Bananen". An vielen Orten führten die Aktivisten bei Unterschriftskandidaten zunächst dialektfeindliche "Sprachtests für Deutsche" durch. Auch das vermochte die Freunde der CDU nicht zu irritieren: Die alternativen Unterschriftensammlerinnen wurden überall, egal wie sie aussahen oder was sie sagten, für ihr Engagement gelobt, mit rassistischen Stammtischparolen zugetextet, und hatten endlich einmal Gelegenheit, sich so richtig in die Volksgemeinschaft einbezogen zu fühlen. I'll never miss that feeling.

Erschütternde Szenen spielten sich allerdings ab, wenn Aktivbürger schließlich doch mitkriegten, wofür sie mit ihrem guten Namen unterschrieben hatten, und denselben dann zurückhaben wollten. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen die CDU-Unterstützer ihre mangelnde Vertrautheit mit den Spielregeln der bürgerlichen Zivilgesellschaft ("Unterschreib' nie etwas, ohne es vorher durchgelesen zu haben - haben Ihnen das Ihre Eltern nicht beigebracht?") oft handfest unter Beweis stellten.

Die Beobachtungen, die sich bei der Unterschriftensammlung machen ließen, liefern natürlich jede Menge Stoff für Anekdoten. Sie haben aber auch einige durchaus beunruhigende Implikationen. Natürlich läßt sich in diesem Zusammenhang leicht die eigene Arroganz, der Blick von oben auf den dummdeutschen Pöbel, pflegen. Wir wissen aber auch, daß dieselben Menschen in anderem Zusammenhang durchaus in der Lage sind, kulturelle Zeichen sehr differenziert zu lesen. Es ist genau diese Fähigkeit, die dafür sorgt, daß sie in einer anderen Situation ein linkes Flugblatt, von denselben Aktivistinnen verteilt, noch nicht einmal in die Finger nehmen würden. Es stellt sich die Frage, was im Falle der alternativen CDU-Unterschriftensammlung die Fähigkeit der mündigen Bürger zur Wahrnehmung kultureller Zeichen so stark in den Hintergrund treten ließ. Niemand geht davon aus, daß es die Abstumpfung durch's Fernsehen war, es hilft auch nicht die Tatsache, daß angesichts postmoderner Beliebigkeit kulturelle Zeichen ohnehin keine festen Bedeutungen mehr hätten: handelt es sich doch bei Stammtischrassisten um eine Klientel, die üblicherweise vom "anything goes" meilenweit entfernt ist. Eher schon dürfte die Feststellung wichtig zu sein, daß Informationen nicht dann geglaubt werden, wenn sie plausibel sind, sondern dann, wenn sie dem Begehren der Menschen entsprechen. Auf die vorliegende Situation übertragen, hieße das: Bei den CDU-Unterstützern war das Begehren, dem eigenen rassistischen Ressentiment Ausdruck zu verleihen, so stark, daß jegliche kognitiven Dissonanzen bei der Befriedigung dieses Begehrens schlicht ausgeblendet wurden. Noch zugespitzer formuliert: Sie waren so geil darauf, es "den Ausländern zu zeigen", daß sie weder sahen noch hörten. Auch die Reaktionen derer, die schließlich merkten, daß sie hinter's Licht geführt worden waren, scheinen uns diese These zu stützen. Anyway, lustig war's nicht gerade, was die Unterschriftensammlung im Hinblick auf diese Form von deutschem Populärrassismus so gezeigt hat.


6. Fazit

Im Nachhinein betrachtet hat die CDU mit der Unterschriftenkampagne ihre politischen Ziele weitgehend erreicht. Von dem ohnehin bescheidenen Reformentwurf zum Staatsbürgerrecht werden nur die rassistischen Kröten (keine Einbürgerung für Erwerbslose, Straffällige, "Verfassungsfeinde", etc.) übrigbleiben. Daß die Gegenkampagne gegen die doppelte Staatshörigkeit nicht "gewinnen" konnte, war angesichts der Kräfteverhältnisse - zwar nicht 5 gegen 50 Millionen, aber ca. 500 beteiligte AktivistInnen gegen 500.000 CDU-Mitglieder und deren Anhang - nicht anders zu erwarten. Spannend ist aber, denken wir, ein anderer Aspekt der Kampagne: Es ist gelungen, in einer Situation zu intervenieren, in der sich aus unserer Sicht mit "vernünftigen" politischen Forderungen wenig oder gar nichts erreichen ließ. Eine Unterstützung der rot-grünen Reformpläne war angesichts der oben genannten rassistischen Populismen unakzeptabel. Der rot-grüne Gesetzesentwurf sollte aus Regierungssicht zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche politischen Kampagne für ein neues nicht-völkisches Staatsbürgerrecht lostreten - ansonsten hätte rot-grün auch gegen den eigenen Wohlstandschauvinismus mobil machen müssen. Die banale Feststellung, daß jeder Mensch, der hier lebt, auch die gleichen (Bürger)rechte haben solle, bleibt zwar korrekt, kann derzeit aber vor dem Hintergrund der oben skizzierten rasisstischen Struktur des Diskurses über Einwanderer in der BRD und den Interessen des rot-grünen Regierungsbündnissses kaum wirkungsvoll in die politische Diskussion eingebracht werden.

Angesichts der offen rassistischen Mobilisierung durch die CDU war es sinnvoller (und sei's nur, um selbst keine Magengeschwüre zu kriegen), diese durch Nadelstiche zu stören und die Protagonisten so gut wie möglich zu blamieren. Das ist mancherorts durchaus gelungen: kleine Erfolgserlebnisse also, immerhin. Zudem war es durch die Form der Gegenaktionen auch für linksliberale Journalistinnen möglich, sich einzuklinken - ein Aspekt, der die relativ breite Mediencoverage erklärt. In manchen bürgerlichen Zeitungen fanden sich treffende Analysen der Kampagne, während es so gut wie keine "negativen" Berichte gab. Presseschreiber, die etwas gegen die Ziele der Aktionen hatten, hielten sich in der Regel ebenso zurück wie die CDU selbst. Daß die lokalen Christdemokraten meist intelligent genug waren, sich empörte Dementis und ähnliches zu sparen, war nicht zu erwarten. Es gab natürlich einige leuchtende Ausnahmen vor allem in Bayern. Eine Lieblingsgeschichte: Als die CSU in Regensburg die Initiative "C.S.U. - Clowns Sammeln Unterschriften" per Rechtsanwalt aufforderte, das Kürzel nicht mehr zu verwenden, löste sich diese auf und benannte sich unter dem Gejohle der bundesweiten Medien in "C.D.U. - Clowns Danken für die Unterschriften" um. In Erlangen verteilten Aktivistinnen die alternativen Unterschriftenlisten, noch bevor die lokale CSU mit dem Sammeln begonnen hatte. Daraufhin schickte der CSU-Bezirksverband nicht nur ein wütendes Dementi durch die Presse, sondern begann auch öffentlich nach der undichten Stelle zu suchen, durch die der Feind in den Besitz der Bögen gelangt war. (Tip: http://www.cdu.de/).

In dieser Art netter Anekdoten, die sich über die Aktionen erzählen lassen, liegt ein wichtiger Aspekt verborgen. Gerade in Bayern wurde die Kampagne gegen die doppelte Staatshörigkeit mit einiger Begeisterung aufgegriffen: In einer Situation, in der die politischen Kräfteverhältnisse hoffnungslos sind und die Repressionsmechanismen gegen jede Form widerständiger Aufmüpfigkeit brachiale Formen angenommen haben, bot die Kampagne die begeistert genutzte Gelegenheit, den Spieß einmal umzudrehen, die machtarroganten Herrschaften von der CSU vorzuführen und den rassistischen Aktivbürgern ihre eigene Unterschrift in das vorlaute Mundwerk zu stopfen. So ließ sich immerhin demonstrieren, daß nicht jeder rassistische Mist widerstandslos durchgeht und daß sich Formen (para)politischen Widerstands finden lassen, angesichts derer die eingespielten Repressionsmechanismen nicht so recht funktionieren. In diesem Sinne war die Kampagne zumindest lokal durchaus erfolgreich darin, Unruhe in die Provinz zu tragen in einem Land, in dem die Ruhe unerträglich zu werden droht.

*Zum Autor:
Der intellektuelle Desperado Sonja Brünzels versteht sich selbst als Hausmann von Luther Blissett (Kommissarin für die korrekte Verwendung der Zeichen im öffentlichen Raum). Die Kampagne zeigte, daß Sonja Brünzels nicht nur eine binäre Enität ist, sondern einem Rhizom gleich, die Datenautobahn zwischen Leonberger Dreieck, Viernheimer und Hermsdorfer Kreuz bevölkert. In Sachen "Staatshörigkeit" war er in den Monaten Januar, Februar und März 1999 "face to face" im ganzen Land unterwegs.
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