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Keine postautonomen
Bohème-Phantasien
Der Kongreß "Existenzgeld und radikale
Arbeitszeitverkürzung" (19.-21.3.99,
Berlin)
von Serhat Karakayal
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Das Thema Existenzgeld und damit die von der Berliner
Gruppe fels veranstaltete Arbeitskonferenz haben in den
letzten Monaten einiges an Publizität erfahren.
Neben Veröffentlichungen in verschiedensten linken
Zeitschriften sowie kontroversen Diskussionen in den
verbliebenen politischen Szenen, wurde sogar von manchen
Gruppen (etwa JungdemokratInnen /Junge Linke)
unabhängig vom VorbereiterInnenkreis zum
Kongreß mobilisiert. Darüberhinaus wurde der
Aufruf auch von diversen europäischen Initiativen
und Einzelpersonen übersetzt und verbreitet.
Auch die diversen Gralshüter linker
Gewißheiten mischten sich ein. Werttheoretiker im
Geiste des Freiburger ISF oder die deutsche
Operaismus-Sektion in Gestalt der Wildcat ließen
es sich nicht nehmen, wahlweise den strukturellen
Antisemitismus oder den klassenkampfverhindernden
Charakter von Existenzgeld nachzuweisen.
Unklar war auch daher, welches Spektrum sich auf
einem Kongreß sammeln würde, daß
einerseits ein eher traditionell-linkes Thema,
nämlich "Arbeit", in den Vordergrund zu
stellen schien, dieses andererseits jedoch mit einer
politischen Forderung verknüpfte, mit der selbst
linke GewerkschafterInnen eher wenig anfangen
können. Man wußte also nicht, wer kommen
würde und wieviele es sein würden.
Die ca. fünfhundert Leute, die dann zur
Auftaktveranstaltung am Freitagabend kamen, schienen
sämtlich Studierende zu sein: Wer sonst hört
sich, ohne zu stöhnen oder den Saal zu verlassen,
zwei Stunden lang schlechte Vorträge an? Die
Podiumsbeiträge waren nicht nur zu lang, woran man
ja gewöhnt ist, sondern in der Mehrheit langweilig
und hatten mit Existenzgeld wenig zu tun. So hat etwa
Brigitte Young, "trotz" akademischen
Gütesiegels, sich anscheinend mit der Debatte um
Grundsicherung nur oberflächlich beschäftigt.
Sonst hätte sie vermutlich kaum im Kern doch sehr
unterschiedliche Konzepte wie beispielsweise das vom
"Bürgergeld" mit dem Existenzgeld synonym
verwendet. Die Vertreterin der Euromärsche
wußte zum Existenzgeld auch nur zu sagen,
daß es sich letztlich um eine neoliberale
Forderung handle, frei nach dem Motto, neoliberal ist,
was irgendwie gegen den fordistischen Sozialstaat
gerichtet ist. Laurent Guilleteau von der
französischen Erwerbsloseninitiative AC! (agir
contre la chomage) hat eher die Geschichte der Arbeits-
bzw. Erwerbslosenbewegung in Frankreich referiert und zu
berichten gewußt, daß dort die Forderung
nach einem von Arbeit unabhängigen Einkommen von
einem nicht unerheblichen Teil der gegenwärtigen
Bewegung getragen wird. Cora Molloy von der
Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen
wollte dann eine Bresche für das Existenzgeld
schlagen, ihr Beitrag hat dann aber eher noch mal die
prekäre Situation von
SozialhilfeempfängerInnen dargestellt. Einzig das
Referat zweier Frauen der Gruppe "Glanz der
Metropolen" hatte eine inhaltlich fundierte Kritik
an der Existenzgeldforderung vorzutragen. Fragen
nämlich wie die, ob mit der Forderung nach einem
von Lohnarbeit entkoppelten Einkommen, nicht wieder die
Arbeit von Frauen unsichtbar gemacht würde, werden
vom Existenzgeld nicht nur notwendig aufgeworfen,
sondern die Diskussion darüber muß in
gewissem Sinn selbst Teil der Existenzgeldforderung
werden. Aber dazu später mehr.
Nachdem das Podium gesprochen hatte, fühlte sich
der Moderator dann verpflichtet, doch noch eine
"Lanze fürs Existenzgeld" zu brechen,
weil keineR der RednerInnen die Existenzgeldforderung
inhaltlich begründen zu wollen oder koennen schien.
Kein Wunder, daß das Publikum die
zwanzigminütige Pause, in deren Anschluß eine
Diskussion stattfinden sollte, zur Kneipensuche nutzte.
Dennoch haben sich am nächsten Tag noch zwischen
250 und 300 Leute im Mehringhof eingefunden, um an den
Arbeitsgruppen (auch "Foren" genannt)
teilzunehmen. Von den angekündigten sechs waren zu
diesem Zeitpunkt noch vier übriggeblieben:
"Feministische Ökonomiekritik",
"Prekarisierung", "Ende der
Lohnarbeit?" und "Sozialstaatskritik".
Da es aus organisatorischen (Platz)Gründen
anscheinend nicht möglich war, ein gemeinsames
Abschlußplenum zu veranstalten, bestand für
die meisten auch am darauffolgenden Tag nicht die
Möglichkeit, einen Einblick in die Diskussionen der
jeweils anderen Foren zu bekommen. So kann hier nur ein
partieller Eindruck gegeben werden. Was
übereinstimmend aus allen Foren berichtet wurde
war, daß - mit wenigen
Ausnahmen - ein insgesamt
freundlicher und solidarischer Diskussionsstil gepflegt
wurde. Das konnte erstaunen, hatten die Debatten im
Vorfeld doch eher den Eindruck erweckt, daß
sozusagen mit harten Bandagen gekämpft werden
würde. Zugleich war ein eher breites Spektrum auf
dem Kongreß vertreten. Zwar fanden im Nachhinein
die jeweiligen VertreterInnen der Spektren sich unter-
und die anderen überrepräsentiert, aber eine
auschließlich etwa linksradikal-postautonome
Konferenz war es sicher nicht. Schlecht
repräsentiert waren bestenfalls diejenigen, die auf
solche Treffen nur gehen, um zu missionieren und den
Teilnehmenden klarzumachen, welchen diversen Geld-,
Lohn- und Staatsfetischen sie denn gerade
aufsässen. Vielleicht waren sie aber da und haben
sich nur nicht geäussert, als doch recht bald
deutlich wurde, daß kaum jemand dorthin gekommen
war, um die Existenzgeldforderung unkritisch abzufeiern.
Im Forum "Ende der Lohnarbeit" ging es
beispielsweise eher darum, jenseits der eingefahrenen
Reformismus/Revolution-Linie, sowohl den utopischen, als
auch den realpolitischen Gehalt der Forderung zu
diskutieren. Gefragt wurde dabei, ob und inwiefern
Existenzgeld eine politisch sinnvolle Strategie sein
kann angesichts der aktuellen Restrukturierung des
Kapitalismus, des Um- und Abbaus des fordistischen
Sozialstaats und der in diesem Zusammenhang wichtigen
Bedeutungsverschiebung von Lohnarbeit zum Angelpunkt
jener Neuordnung. Die eigene politische Position auf der
Grundlage einer Situationsbestimmung vorzunehmen,
heißt aber auch, sich klarzumachen, daß mit
so etwas wie Existenzgeld gerade nicht
"Arbeit" ins Zentrum linker Politik
gerückt werden darf. Wichtig waren daher die
(häufig als "bloß im Nachhinein
drangehängt" kritisierten) Diskussionen etwa
um Geschlechterverhältnisse und Rassismus bzw.
Migration, weil deutlich wurde, daß mit
Existenzgeld ein ganzes Bündel an
gesellschaftlichen Verhältnissen tangiert wäre
und man sich eben über die Konsequenzen
verständigen muß, die eine Einführung
von Existenzgeld hätte. Allerdings haben manche
diese Verknüpfung nicht gesehen. Als im Forum
"Ende der Lohnarbeit?" nachmittags
Unterarbeitsgruppen u.a. zu den oben genannten Themen
gebildet werden sollten, meinten nicht wenige
TeilnehmerInnen, damit würde das Thema Existenzgeld
"überfrachtet". Spontan wurde die
Unterarbeitsgruppe "Strategie" gebildet, an
welcher dann die meisten Leute teilnahmen. Daran wird
deutlich, daß es anscheinend teilweise eine
relativ eng gefasste, tendenziell ökonomistische
Vorstellung davon gibt, in welchem gesellschaftlichen
Feld man sich mit der Forderung nach Existenzgeld
bewegt. Dabei ist von enormer Bedeutung, eine Verbindung
zwischen den auch in der Linken voneinander isolierten
Aspekten hinzubekommen, die über das
unbefriedigende Aneinanderreihen von diversen
Anti’s hinausgeht.
Wichtig ist dies vor allem, um anhand einer
Diskussion gemeinsame Kriterien für eine politische
Praxis entwickeln zu können. Im Kern ist
Existenzgeld wohl weniger eine rein monetäre
Forderung, als vielmehr ein Modus der politischen
Artikulation, der Verbindung von Themen und die
Herausbildung von Kriterien, mit denen wir angemessen in
die gesellschaftliche Entwicklung intervenieren
können.
Allein die Tatsache, daß überhaupt so
viele Leute aus den unterschiedlichen Bereichen mit
unterschiedlichen Schwerpunkten anhand der
Existenzgeldforderung zusammen diskutiert haben, kann
bereits als politischer Erfolg gewertet werden, auch
wenn die "Mischung" durchaus hätte besser
sein können. So sind wohl "Betriebslinke"
tendenziell zur "AG Prekarisierung" und
FeministInnen tendenziell zur "AG Feministische
Ökonomiekritik" gegangen. Allerdings
wechselten auch viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer
nach der Mittagspause die Foren.
Leider hat die Forderung nach radikaler
Arbeitszeitverkürzung, die ebenfalls im Titel der
Veranstaltung stand, keine nennenswerte Rolle in den
Diskussionen gespielt. Dabei wäre es wesentlich
gewesen, deutlich zu machen, daß mit Existenzgeld
eben keine, wenn auch fortschrittliche "Reform der
Sozialhilfe" gemeint ist, sondern unter anderem ein
Angriff auf die Zentralität der Lohnarbeit. Es
hätte diskutiert werden müssen, warum gerade
eine sehr einschneidende Verkürzung wichtig ist,
damit die Verkürzung der Arbeitszeit nicht durch
Intensivierung der Arbeit durch die Unternehmen
kompensiert wird. Nicht zuletzt ist radikale
Arbeitszeitverkürzung von Bedeutung, weil das
sogenannte Arbeitsethos, insbesondere in Deutschland,
eines der zentralen Hindernisse ist, mit denen eine
Forderung konfrontiert ist, die Einkommen und Lohnarbeit
entkoppeln möchte. Anerkennung und Teilhabe am
sozialen Leben wird in dieser Gesellschaft in erster
Linie über Lohnarbeit organisiert. Daher geht es
nicht nur darum, den Zwang zur Lohnarbeit zu mindern,
sondern - weil wir auch
mittelfristig nicht damit rechnen können, daß
das aufzubrechen ist - allen
die es wollen, diese Option auch zu ermöglichen.
Weiterhin ist es ein politisches Signal an die Linke in
den Betrieben und Gewerkschaften, daß hier nicht
bloß postautonome Bohème-Phantasien
gepflegt werden.
In den Abschlußplena am Sonntag wurde vor allem
darüber diskutiert, welches die politischen
Konsequenzen seien, die aus der Debatte um das
Existenzgeld folgen. Dabei standen mehrere Aspekte im
Raum. Die Rede vom Existenzgeld als
"Aneignungsbewegung" wollte in erster Linie
mit der Staatsorientierung brechen und die Forderung
eher als Ausdruck einer selbstbewußten
"sozialrevolutionären" Praxis verstanden
wissen, während andere die Frage stellten, ob es
nicht gerade darum gehen müsse, sich mit
Finanzierungsproblemen zu befassen, um so auch in die
Diskussion um die Umverteilung von Reichtum zu kommen.
Ein Genosse aus Spanien, der von der dortigen
Existenzgeldbewegung berichtete, machte noch einmal
deutlich, daß eine mindestens europäische
Perspektive bei der Forderung nach Existenzgeld
unumgänglich ist. Unmittelbare praktische Fragen
waren weniger Gegenstand der Debatte, vielleicht wegen
der Abstraktheit der Forderung und weil klar geworden
ist, daß es nicht um so etwas wie eine
"Existenzgeld"-Kampagne geht. Es wird sicher
keine "Existenzgeldbewegung" geben, eher wird
Existenzgeld möglicherweise zu einem Modus der
politischen Verständigung, etwas worüber man
sich durchaus streitet und dabei die eigene Position
schärfer justieren kann, wobei gleichzeitig
analytische Instrumentrarien zur präziseren
Situationsbestimmung entwickelt werden können.
Dennoch wird Existenzgeld nie bloß ein Vehikel
für die innerlinke Kommunikation sein, sondern auch
eine offensive politische Forderung, die eine brauchbare
Alternative zu den nicht gewinnbaren
Verteidigungskämpfen der letzten Jahre darstellt
und mithin weniger "Bauchschmerzen" als diese
verursacht. |
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