no.4 inhalt

Informationen

Kostenloses
Erststudium


HRZ

Careering

Uni-Shop

Unsere Sponsoren

Farce Academy for Applied Applications:
Studium Generale


 



Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Nachdruck aus: Buero für angewandten Realismus (Hg.): MaoDada. "Die Dinge in der Welt sind kompliziert." Ventil Verlag, Mainz 2000.

cocomao Su Montoya
Cocomao

Mode und Geschichte
Geschichte hat keine ihr selbst innewohnende Dauerhaftigkeit. Die Vergangenheit wird ständig neu interpretiert und re-präsentiert um sie auf aktuelle Notwendigkeiten und Bedürfnisse zurechtzuschneidern. Findet sich einmal ein kleiner Fakt, ein Photo, eine Tonbandaufnahme die im Gegensatz zur herrschenden historischen Sichtweise stehen, ist das immer sehr unbequem. Die modernen Massenmedien wurden u.a. geschaffen um solche lästigen Unstimmigkeiten auszuschalten. Sie üben die absolute hegemoniale Kontrolle über die Interpretation vergangener Ereignisse aus.. Eine historische Tatsache hat keine ewige, verifizierbare Wahrheit, im Gegenteil ,sie ist zu jedem Zeitpunkt top-aktuell, "der letzte Schrei".

Daten, man sollte sie eigentlich für solide, beruhigende historische Wegsteine halten, haben nur Bedeutung in Beziehung zueinander; sie bilden die Knoten zwischen denen eine Geschichte gestrickt wird. Historische Zusammenhänge werden ständig zu Kunstprodukten geschminkt, zu "Restposten" der Vergangenheit, deren Bedeutung immer wieder neu aufgefrischt, überpudert oder revidiert werden kann. Die Beliebtheit von Teilobjekten oder ganzen Gruppen solcher Kunstprodukte kommen ins Schwanken wenn neue Entdeckungen oder Wieder-Entdeckungen gemacht werden. Andere Objekte geraten ganz in Vergessenheit, werden aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt.

Mode ist natürlich auch Objekt dieser Populartätsschwankungen, aber anders als den kurzlebigen Daten und Fakten der erinnerten Vergangenheit, haftet der Kleidung, wie auch dem Essen, eine intime, physisch erfahrbare Konstante an. Kleidung wird getragen und abgelegt und spiegelt die Gedanken, die Persönlichkeit und den Körper des Trägers wieder. Jemandes Garderobe ist immer ein Ding der Gegenwart. Was in der Vergangenheit paßte, muß heute nicht mehr kleidsam sein bzw. die Körperformen des jeweiligen Trägers oder der Trägerin nicht mehr adäquat bedecken. Kleidung muß immer mit dem aktuellen Klima Hand in Hand gegen, sei es das klimatische, das politische, das soziale oder emotionale. Modeidee müssen, wie jede andere kulturelle Idee, auf fruchtbaren oder brachliegenden Boden fallen. Ihre Akzeptanz ist ungeheuer abhängig von der Bereitschaft der Gemeinschaft der "eingeweihten", der "wissenden" einen neuen oder abweichenden Trend zu erkennen oder mit dem alten zu brechen. Eine Moderevolution findet dann statt, wenn diese somit offiziell abgesegneten Änderungen, die Grenzen die ihr von einer modebewußten, intellektuellen Elite gesetzt werden durchbrechen und die Massen dazu aufgewiegelt werden ihre Kleidung zu wechseln. Diese revolutionären Kleidungsstücke haben eine symbolische, aber auch eine materielle Bedeutung. Die Träger kommen und gehen, die symbolische Aussage eines Kleidungsstücks bleibt bestehen.

Coco Chanel und Mao Tse-tung waren zwei revolutionäre Modeschöpfer, die nicht nur den Kleidungsstil ihrer Generation verändert haben ,sondern die ganze Welt.

Die verblüffenden Übereinstimmungen zwischen ihren Kreationen - Chanels zweiteiligem Damen-Tweed-Kostüm und Maos Markenzeichen dem baumwollenen, blauen Volksanzug, aber auch die Parallelen in ihrer persönlichen Entwicklung und in ihrer Karriere sind bis heute kaum bemerkt worden. Vielleicht sind frühere Versuche diese Parallelen zu ziehen als künstliche Konstrukte, als Hirngespinste einer hyperaktiven strukturalistischen Schule abgetan worden. Bis zum heutigen Tag jedenfalls, versucht die moderne historische Forschung diese herausragenden Persönlichkeiten streng getrennt zu halten.

Die Kommunisten können kein Interesse daran haben, daß einer ihrer politischen Führer, wenn auch nicht vollkommen, doch wenigstens zu einem sehr großen Teil über seinen Kleidungsstil definiert wird. Schließlich ist Mode ein Produkt der Bourgeoisie. Für den westlichen Kapitalismus bildet die Modebranche einen integralen Bestandteil der Kulturindustrie. In der Tat heizt die permanente Sehnsucht, nicht nur nach dem was als aktuelle Mode gilt, sondern auch nach dem was der kommende Trend sein wird, die Kessel einer mächtigen Wunschmaschine mit einer Gewalt an, von der andere Branchen nur träumen können. Es scheint untragbar zu sein eine kapitalistische Kultfigur wie Loco Chanel mit einem Roten wie Mao zu verknüpfen. Allein ein Verdacht in diese Richtung hätte schwerwiegende Folgen für ganze Generationen von Frauen vorallem in den 50er und 60er Jahren gehabt. Ein Beispiel: Jacqueline Kennedy Onassis trug anläßlich des Attentats auf ihren Gatten John Fitzgerald, am 22.November 1963 ein bezauberndes, kleines Chanel-Jackenkleid ( weiß, mit schwarzem Samt abgesetzt und mit Goldknöpfen bestückt). Man kann sich vorstellen, welchen Aufschrei es in der Modewelt gegeben hätte, wäre bekannt geworden, daß dieses Kleid unter kommunistischem Einfluß entstanden ist. Auch Jackie O´s roter Lippenstift und Nagellack wären unter Verdacht geraten! Hätte Marilyn Monroes berühmter Satz: "Im Bett trage ich nur Chanel N0 5", nicht gleichzeitig impliziert, daß sie mit dem Feind schläft?


kulturrevolution? kult?
Ist die Kulturrevolution Mode oder nur Kult? Mao und Chanel 1968 auf der Höhe ihrer Popularität
  Die Entdeckung
Im Frühjahr 1998 wurde in einem Landhaus nahe Peking von einer dort beschäftigten Reinemachefrau namens Sui Mo ein Bündel alter Briefe aus dem Besitz Mao Tse-tungs gefunden. Ob wohl von der Partei als "außerordentlich zufriedenstellendes Mitglied" eingeschätzt, waren Sui Mos Kenntnisse der Welt außerhalb des Radius den das kleine rote Buch beschrieb, beschränkt. Die Papiere waren verblaßt und wurden von einem blauen Band zusammengehalten, dem der Duft von altem französischen Parfüm entstieg. Definitiv waren sie nicht in chinesischer Sprache verfaßt. Ein spontanes Gefühl riet ihr die Briefe draußen im Garten zu vergraben oder zu verbrennen, aber ihre Loyalität gegenüber ihrem verstorbenen Arbeitgeber, dem Vorsitzenden Mao, lies das nicht zu.
Ratsuchend wandte sie sich an einen alten Genossen mit dem sie, Jahrzehnte waren seitdem vergangen, eine glückliche Zeit in einer landwirtschaftlichen Kommune verbracht hatte. Dieser (der Mann forderte nachdrücklich, daß sein Name, nach Sui Mos plötzlichem Verschwinden, in diesem Artikel nicht genannt wird) zeigte das Bündel Papier seinem Bruder, der als Sekretär der KP CH in Peking arbeitete. Der Sekretär, besser ausgebildet, als die beiden ehemaligen Volkskommunarden, entschied, daß es sich bei der fremden Sprache um französisch handeln müsse und eilte unverzüglich zu einer ziemlich gutaussehenden Fremdsprachensekretärin, Fräulein Bho Zhu "Betty" Donchu.

Fräulein Donchu wiederum nahm die Briefe mit zu ihrem Arbeitsplatz bei der Botschaft der Volksrepublik China in Paris, Frankreich und begann nachzuforschen. Die Verfasserin, alle Briefe waren mit Gabrielle gezeichnet, mußte ein ausgezeichnetes Gespür für Mode gehabt haben, den immer wieder tauchten sachkundige Bezüge und Bemerkungen zu diesem Thema auf. Diese Tatsache und eine rasche Überprüfung der in den Papieren genannten Daten, ließen sie zu der Überzeugung gelangen, daß es sich bei Gabrielle um niemand anders handeln könne, als um Gabrielle "Coco" Chanel.

Fräulein Donchus Hände, sie selbst war modevernarrt, begannen bei dieser Entdeckung zu zittern.

Ihr nächster Schritt war Verbindung zum Hauptquartier des Hauses Chanel in der Pariser Rue de Cambon aufzunehmen. Es war im Januar 1999, als Karl Lagerfeld endlich die Zeit fand ihren Anruf zu beantworten. Obwohl er enttäuscht war, daß die chinesische Botschaft keinen Posten seiner Herbstkollektion ordern wollte, stimmte er einem Treffen zu. Man kann es als Schicksalsstunde der Geschichte bezeichnen (Zufall oder Fügung), daß Herr Lagerfeld am verabredeten Termin indisponiert war. Mittlerweile von der Vorstellung beseelt, die China-Vogue wolle die Arbeitsathmosphäre und das exquisite Interieur des Hauses Chanel featuren, gab er seinem Privatsekretär die Anweissung: "Laß Sie herumschnüffeln". Fräulein, gleichwohl etwas verstört über diese Offerte, ergriff die Gelegenheit beim Schopf.

Zwei Tage später hatten sich all ihre Hoffnungen übererfüllt. In ihren Händen hielt sie ein ähnliches Bündel vergilbter Papiere mit 14 oder 15 Briefen, diesmal in englischer Sprache verfaßt und mit Mao Z. gezeichnet. Auf jeder Seite befanden sich außerdem bezaubernde Zeichnungen von kleinen Mickey Mouse Ohren. Am nächsten Tag nahm Fräulein Donchu Kontakt zu ihrem Pekinger Freund auf und weihte ihn -unter dem Siegel der Verschwiegenheit- in ihre neuerliche Entdeckung ein. Überraschenderweise meldete sich kurze Zeit später die Kommunistische Partei Chinas selbst bei ihr. Die Genossen zeigten sich hocherfreut Orginalmanuskripte des frühen Mao erhalten und wie sie sagten "Möglicherweise" veröffentlichen zu können. Warum auch immer zeigten sie kein Interesse an den Briefen die Chanel an Mao gerichtet hatte.

Ähnlich, wenn auch spiegelverkehrt, reagierte das Haus Chanel: "Der China-Look war letztes Jahr, diese Jahr gelten unsere Bemühungen dem Accessoire."

Ein französischer Bekannter riet ihr die Briefe an einen Verleger in New York zu schicken und in den Verhandlungen über ihre Veröffentlichung auch die Filmrechte zur Sprache zu bringen. Fräulein Donchu fühlte, daß es richtig sei die Briefe zusammen zu lassen. Sie gehörten zusammen, wie ein altes Liebespaar, daß sich im Herbst des Lebens noch einmal wiedergefunden hat. Pragmatisch veranlagt, fühlte sie auch, daß sie das Geld gut brauchen könne.

Sie teilte ihre Entscheidung der ursprünglichen Entdeckerin, Frau Sui Mo mit und versprach ihr großzügig sie mit 10% am Reingewinn zu beteiligen.

Ich kann den verwunderten Gesichtsausdruck der Leser vor meinen Augen sehen. Wo ist das Buch mit dem Briefwechsel zwischen Mao und Chanel. Wo ist der Spielfilm? Wo sind die Schlagzeilen die diese phänomenale, so überaus überraschende Entdeckung von internationaler Bedeutung hinaus in die Welt schreien?

Man kann nur vermuten, daß die "große Wunschmaschine" in dieser Zeit kein Interesse an diesem Buch, an dieser Wahrheit hat. Zu viele Korrekturen, zu viele Revisionen in anerkannten Texten wären von Nöten, fundamentale Sichtweisen und Glaubensbekenntnisse müßten über den Haufen geworfen werden - die Mühe würde sich womöglich nicht auszahlen. Vielleicht transportieren die Namen von Mao und Coco bei einer jüngeren Generation von Mode- und Politaktivisten keine Bedeutung mehr. Vielleicht ist ihre Zeit einfach vorbei.

Als ich das letzte Mal New York besuchte, fand ich eine Kopie der Briefe unter zwanzig anderen Manuskripten auf dem Schreibtisch von D.M. einer Freundin die als Lektorin für verschiedene Verlage arbeitet. Sie hatte sie mit einem dicken roten Stift markiert: "unleserlich, nicht zu verkaufen". Sie ließ mich die Kopie als Souvenir mitnehmen und rief mir noch in der Tür nach "Niemand wird das Zeug vermissen". Als ich die Herausgeber dieses MaoDada-Buches mit meiner Entdeckung konfrontierte, reagierten sie zwar offen, aber mit Skepsis. Sie sagten sofort, daß es unmöglich sei alle 34 Briefe abzudrucken (darunter 14 von Mao Tse-tung an Coco). Sie teilten mir ebenso mit, daß ich trotz des knapp bemessenen Platzes den sie mir für die Nacherzählung der Geschichte einräumten auch noch damit rechne müsse, daß jemand ein "dadaistisches Element" hineinschmuggle. In dieser Stimmung habe ich 6 Briefe aus den 34 ausgewählt, indem ich mit verbundenen Augen eines der Manuskripte dreimal öffnete und danach die Antwortbriefe aus dem anderen Manuskript zuordnete.
Leider werden es wohl die einzigen 6 Briefe sein die zu meinen Lebzeiten veröffentlicht werden. Nun, der du das liest fühle den Hauch der Geschichte! Lang lebe der Vorsitzende Mao Tse-tung. Lang lebe das Haus Chanel!

Bemerkung der Herausgeber: Entgegen der Darstellung der Autorin enthält dieser Beitrag nur zwei Briefe von Frau Chanel, dagegen vier des Vorsitzenden Mao. Ein Schreiben Chanels beschäftigte sich hauptsächlich mit der Hutmode des Jahres 1919, ein Thema das unseren LeserInnen nicht sehr nahestehen dürfte.

Die Briefe
(obwohl zufällig ausgewählt in chronologische Ordnung gebracht)
  coco chanel
Gabrielle 'Coco' Chanel
Moderevolutionärin, Designerin, Sängerin
19.8.1883 - 10.1.1970




Mlle Gabrielle Chanel,
HsiangHsiang, Hunan 1909
Bon jour cherie.
Ich schreibe Dir aus der Distriktschule in HsiangHsiang, China. Wir haben eine Namensliste eurer Schule erhalten, aus der ich deinen Namen herausgezogen habe. Du bist ein Mädchen oder nicht? Wir sind aufgefordert worden die Briefe in Französisch zu schreiben, aber ich liebe die Sprache der Zaren und Aristokraten nicht; außerdem ist Englisch viel moderner.

Soll ich dir meine Scheiß-Schule beschreiben? Ich hoffe du bist hübsch. Bitte schick mir ein Bild von dir. Ich bin weit von Zuhause weg und die Nächte sind hier sehr kalt. Oh, meine Schule.

Der erste Tag. Nachdem ich meinen Vater endlich überreden konnte, daß er mich zur Mittelschule gehen läßt (und endlich weg von unserem Bauernhof), kam ich in meinen Arbeitsklamotten hier an, mein ganzer Kram war in zwei Bündeln die lustig an den Enden einer Bambusstange baumelten, die ich auf den Schultern trug. Mein Gott, haben die mich abblitzen lassen. Zuerst bin ich größer und älter als meine Klassenkameraden (im Vertrauen : auch mehr sexy), sie nennen mich "den Ochsen". Und dann sind meine Kleider alle verkehrt. Nichts davon ist hip in der Stadt. OK, ich war barfuß (die Strohschuhe die meine Mutter für mich gemacht hat hab ich in meinem Bündel getragen, damit sie sich nicht abnutzen). Vielleicht hab ich ja wirklich ein bißchen komisch und verdreckt ausgesehen als ich da hineingeschneit bin. Weißt Du, am meisten hat mich überrascht, daß die Jungens auf der Mittelschule ihre Schuhe wirklich tragen! Na ja, ich werds ihnen schon zeigen. Eines Tages werden alle so angezogen sein wie ich, dann wird so was nicht mehr passieren.

Schluß für heute. Denke daran mir wirklich ein Photo zu schicken, damit ich entscheiden kann ob ich dir weiter schreibe.

Adieu cherie
dein Brieffreund
Mao Zedong

P.S. Ich hoffe du denkst nicht daß ich verheiratet bin. Als ich vierzehn war haben sie mich mit einer alten, häßlichen Kuh verkuppelt. Ich mußte, aber sie konnten mich nicht zwingen sie anzurühren. Also, mir macht das nichts aus, ich hoffe dir auch nicht.



Saumur, France 1909
Mein lieber Mao
Ich freue mich sehr einen Brieffreund aus China zu haben, es klingt jedenfalls sehr aufregend. Ich wohne wie Du auf dem Lande und vielleicht ist es ja überall, in China wie in Frankreich das Gleiche. Ich meine die Armut. Gerade ist mein Bruder gestorben und anstatt in einem hübschen schwarzen Sterbekleid, starb er in einen Putzlumpen gewickelt. Nie will ich so ärmlich aussehen wie meine Mutter, die ständig krank ist und sich so gehen läßt. Warum kann nicht alles ein wenig sauberer und eleganter sein. Ich weiß, es wäre vielleicht gerechter und auch einfacher wenn alle gleich gekleidet wären, aber ich persönlich würde es nicht ertragen wie alle anderen auszusehen. Ich leide darunter, daß meine Schuluniform eine andere Farbe haben muß, als die der reichen Mädchen in der Klasse. Waisenkinder und Arme müssen sich von den bezahlenden Schülerinnen unterscheiden. Auf der anderen Seite würde es mir auch Spaß machen ein bißchen aufzufallen. Du solltest deine Kleidung vielleicht einfach als etwas besonderes tragen, als ob du sie dir selbst ausgesucht hättest. Strohschuhe, das klingt doch sehr interessant - und so praktisch!!

Schreib doch noch mehr über China, was die Menschen dort so tragen und über alles was Du schön findest. Ach ja, ich weiß nicht so viel über Aristokraten und Zaren, aber Du kannst mir ja erklären, warum Du sie nicht magst. Bis bald.

Deine Brieffreundin Gabrielle



Tschangtscha, Hunan 1911
Liebe Gabrielle
Manchmal frage ich mich selbst warum ich das alles mache. Ich bin mit ein paar anderen aus der Schule abgehauen um in die Kuomintang einzutreten! Ich dachte die neue Uniform würde ganz gut zu meinem neuen Haarschnitt passen. Hab ich Dir schon von unserer Haarschneide-Performance erzählt? Mein bester Kumpel und ich haben uns die Zöpfe abgeschnitten und dann haben wir mit der ganzen Klasse weitergemacht. Die meisten hatten die Schnauze voll vom alten konfuzianischen Pferdeschwanz-Look. Einem alten chinesischen Aberglauben nach, wird man von den Ahnen am Zopf in den Himmel gezogen.

Mensch Coco, kannst Du dir vorstellen wie lange es dauert bis langes Haar trocknet? Und dann immer dieses Flechten!

Pustekuchen! Eine Uniform hab ich nicht mehr ergattert, sie waren alle aus und mit den Kuomintang war es in der Stadt kurz darauf auch aus! Jetzt steh ich hier mit alten Klamotten und neuem Haarschnitt. Aber es ist verrückt, es kommt mir vor als ob alle meine alten Vorstellungen und Ziele mit meinen geschorenen Haaren abgefallen sind. Meine Gedanken rasen, meine Haarspitzen vibrieren. Ich steh voll unter Strom. Wo soll ich nur mit all der Energie hin. Eines ist sicher, die nächste Armee die hier durchkommt und eine ordentliche Uniform anzubieten hat, hat einen neuen Mitkämpfer gewonnen. So scharf bin ich auf Tschiang Kai-Tschek nun auch wieder nicht.

Bei der Gelegenheit: Glückwunsch zu deinem neuen Hutladen. Vielleicht kannst du ja mal eine Mütze oder so was entwerfen die zu meiner neuen Frisur paßt. Blau ist meine Lieblingsfarbe!

Dein Mao Z.



Paris, 1926
Mao, mein Schatz
Ich habe lange nichts von Dir gehört. Es muß anstrengend sein den ganzen Winter in diesen Bergen herumzuspringen. Wenn man auf der Reise ist kann man sich nie ordentlich anziehen. Aber deine Abenteuer haben mich auf die Idee für einen neuen Freizeit-Dress für Damen gebracht. Ich habe ihn in einem neuen Material das Jersey genannt wird entworfen. Ein wunderbarer Stoff! Noch nie ist eine Textilie entwickelt worden die so strapazierfähig ist. Ideal für die Dame und den Revolutionär in der freien Natur. Der Stoff wiegt wenig, wäscht sich auch im Flußwasser gut und knittert nicht. Ich werde dir einige Rote Armee-Uniformen in Jersey machen, mit vielen kleinen Taschen für die Notizen die du ständig machst.

Ich selbst habe mittlerweile meine Aufmerksamkeit auf das weibliche Proletariat gerichtet. Mit Parolen wie "Gut angezogen sein ist kein Privileg mehr!" versuche ich die ärmeren Frauen und ihr erwachendes Modebewußtsein zu ermutigen. Ich habe diese ganze überladene, bürgerliche Linie, diese ganzen Spitzen und Corsettagen satt. Einfachheit heißt die Devise! Die große Abendgarderobe kann nicht länger Brennpunkt weiblicher Schönheit sein! Die Vorstellungen der Frauen sollen vielmehr in ihre alltägliche Kleidung eingewebt werden.

Ich sehe die Frauen in ein Auto einsteigen, ich sehe sie die Treppen zum Büro hinauf laufen, unabhängig von der Belastung alter Traditionen, das ist meine Vorstellung von der Frau des 20.Jahrhunderts. In dieser Stimmung habe ich eine absolut minimalistische Modelinie entwickelt, die meinen derzeitigen revolutionären Idealen perfekt entspricht und die hoffentlich bald in den Kleiderschränken aller Büromädchen und Fabrikarbeiterinnen zu finden sein wird. Sogar die englische Presse spricht schon von " Chanel´s little black dress".

Soll ich eines davon der aktuellen Frau Mao schicken, der Nummer 2 wenn ich richtig zähle?

Bitte schreib mir wenn Du Zeit findest.

Deine Gabrielle



irgendwo in den Jinggangshan-Bergen, 1929
Liebe Gabrielle
Verzeih, daß es solange dauert bis ich Dir antworte. Dein letzter Brief hat mich sehr inspiriert. Auch ich suche nach Wegen meine Gedanken und Vorstellungen zu sammeln und sie den Massen in einer einfachen, du würdest sagen minimalistischen Art und Weise zu vermitteln. Meiner Meinung nach wird die Revolution nicht von den großen Städten ausgehen, sie wird auch nicht in Moskau beschlossen werden. Meine Vorstellungen waren immer die einer "Graswurzel-Bewegung". Die Zukunft gehört den ländlichen Massen. Um sie zu erreichen, denke ich darüber nach einige Essenzen meiner Schriften in einem kleinen Buch zusammen zu fassen. Es könnte "Meine Gedanken" oder so ähnlich heißen und müßte in fetziges, knallrotes Leder eingebunden sein. Und so wie dein kleines schwarzes Kostüm die Herzen der arbeitenden Massen erreicht hat, wird es eines Tages auch mein kleines rotes Buch tun!

Ich habe mich mit Zhu De, einem meiner Freunde über deine Vorschläge für eine neue Armeeuniform unterhalten, er meint, und mein Liebes ich muß ihm da recht geben, eine Jersey-Fabrikation ist in Zeiten der Hungersnot einfach nicht drin. Natürlich würden die Soldaten darin besser aussehen, aber sie schaffen ja schon heute nur die Hälfte der Marschvorgabe. Die Idee mit den vielen kleinen Taschen ist freilich großartig. Niemand würde eine Entschuldigung haben, warum er mein kleines rotes Buch nicht mit sich trägt. Hier in den Bergen ist es natürlich beinahe unmöglich die Ressourcen für Massenpublikationen zu entwickeln, aber Genosse Lin Biao hat mir versichert, daß er das zu seiner Hauptaufgabe machen wird, wenn wir endlich hier raus sind.

Wie du siehst habe ich mich kurzgehalten. Das Ziel steht klar vor Augen, es gilt keine Zeit zu verlieren. Marschieren! Laß von Dir hören.

Liebe Grüße, dein Mao Z.




Unglücklicherweise ist es mir nicht erlaubt die weiteren, eng verwobenen Schicksalswege der beiden Helden weiter zu dokumentieren. Beider Popularität sank während des II.Weltkriegs. Chanel mußte ihre Boutique schließen, Mao wurde gezwungen eine Koalition mit den schlecht angezogenen Kuo Mintang einzugehen. Die späten 50er Jahre brachten für Chanel, die mittleren 60er Jahre für Mao ein Comeback . Natürlich strickten sie zusammen an ihrer neuen Karriere, indem sie einige ihrer älteren Ideen auffrischten und für eine junge Nachkriegsgeneration tragbar machten. Den Gipfel ihrer Popularität bei den Massen erreichten beide im Jahr 1968. Mao-Kult und Chanel-Kult standen in höchster Blüte. Beide waren hip, ihre Bilder gingen um die Welt.

Ich habe, auf Bitten der Herausgeber einen letzten Brief Mao Zedongs herausgezogen. der mehr als 30 Jahre nach den vorherigen entstand. Es kommen darin Töne zum Klingeln, die das Altern beschreiben, ein menschliches Phänomen, dem sich nicht einmal der Große Vorsitzende entziehen konnte.

Coco Chanel starb im Jahr 1971, 86 Jahre alt und bis zum Tod gut angezogen. Mao verschied 1976. Er wurde vor einer unüberschaubaren, weinenden Menge von Menschen aufgebahrt, die alle den gleichen blauen Anzug trugen, den er für sie geschaffen hatte.



Peking, 17.Juli 1966
Liebste Gabi
Gestern habe ich es getan. Ich habe den Yangtse überwunden, die Partei und das Alter.

Über die Jahre bin ich fett geworden. Ich habe meine Zähne ebenso verloren wie die Unterstützung durch die Partei. Ich habe meine Tage am Pool verbracht. Ein bißchen schwimmen, ein bißchen in der Sonne dösen, ein paar Zeilen lesen. Ich bin nicht einmal zum Ankleiden gekommen. Ich habe die Uniform und den roten Stern gegen den bequemen roten Froteebademantel eingetauscht, den Du mir einst geschenkt hast. Wirklich, es ist das einzige Ding das mir steht und mein dickes Bäuchlein verdeckt. Meine Geliebten haben sich manchmal über meinen Gestank beschwert, aber so etwas hat nie berührt. Wenn ich mein Leben an mir vorbeiziehen lasse frage ich mich ob ich nicht besser Leibwächter geworden wäre, oder der Mann der den Pool sauber hält, anstatt Politiker.

All diese vertanen Tage, als ich durch die Berge marschierte, anstatt am Ufer eines Sees zu ruhn!

Wie dem auch sei. Nun mache ich einen neuen, persönlichen "großen Sprung nach vorn" und tauche in den Yangtse! Ein tapferer Entschluß angesichts der Tatsache, daß alle in den Fluß pinkeln und überall Kadaver schwimmen. Ich schwamm, ich lüge nicht, ungefähr 65 km mit der Strömung und entstieg dem Fluß als neuer Mensch.. Meine Popularität schießt in die Höhe. Niemand kann sich vorstellen, daß ein 73 Jahre alter Mann eine solche Energie hat und so elegante Badehosen trägt. Ich bin bereit neu anzufangen. Ich werde in die Hauptstadt zurückkehren und gründlich saubermachen. Adieu Lin Biao. Hello alter Mao! Coco, alles ist möglich wenn du nur an dich glaubst und einen guten Werbemanager hast.

Liebe und Küsse
dein Mao