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Lufthansa: Gemeinschaftsportal mit Airlines noch immer in der Planungsphase
01.06.2001  Das Online Travel Portal acht europäischer Fluglinien soll im Oktober 2001 in Betrieb gehen.  Handelsblatt

Weltbank verzieht sich in den Cyberspace
29.05.2001  Eine wegen angekündigten Protesten abgesagte Weltbank-Konferenz soll online stattfinden.  telepolis

Abschiebungen bald in Käfigen?
27.05.2001  Immer öfter verweigert der BGS seine Mithilfe bei Abschiebungen. Der Einsatz von Abschiebekäfigen wird diskutiert.  WDR-online

Tod aus Angst vor Polizeibeamten
23.05.2001  Am 15. Mai sprang in Berlin-Spandau eine afrikanische Frau aus Angst vor der Polizei aus dem Fenster ihrer Wohnung und verletzte sich tödlich.  Antirassistische Initiative e.V.

Demonstranten besetzen Ausländerbehörde
19.05.2001  Friedlicher Protest gegen Residenzpflicht für Asylbewerber.  Berliner Zeitung

Tod an der Grenze
16.05.2001  Im April ist ein junger Vietnamese auf der Flucht vor Bundesgrenzschützern an der sächsischen Grenze ums Leben gekommen.  jungle world

Hacker attackieren Webseite des Weißen Hauses
06.05.2001  Unbekannte Hacker haben die Webseite des Weißen Hauses am Freitag für mehrere Stunden lahm gelegt.  dpa

Bundesregierung will Firmen gegen Angriffe aus dem Internet schützen
02.05.2001  Die Bundesregierung plant ein nationales Frühwarnsystem gegen Angriffe aus dem Internet. Mit dem System sollen nicht nur Behörden, sondern auch Industrieunternehmen und Banken geschützt werden.  Handelsblatt

Todesfall bei Abschiebung aus der Schweiz
01.05.2001  Ein 27-jähriger Nigerianer ist am frühen Dienstagmorgen bei der Ausschaffung aus der Anstalt in Granges gestorben.  AP/BaZ

Cissé darf nicht rein
28.04.2001  Madjiguène Cissé darf nicht nach Deutschland einreisen. Die im Senegal lebende vormalige Sprecherin der französischen "Sans Papiers" erfuhr am vergangenen Mittwoch, dass sie am 22. Mai vergangenen Jahres mit unbefristeter Wirkung aus Deutschland ausgewiesen worden sei.  taz

Otto Schily: Im Notfall mit Hackermethoden gegen Neonazis?
06.04.2001  Innenminister Otto Schily erwägt, ausländische Nazi-Websites mit Hackerangriffen lahm zu legen. Dafür will sich das Ministerium so genannter Denial-of-Service-Attacken bedienen.  spiegel online

Internet wird bei der Lufthansa zur Chefsache
21.12.2001  Lufthansa-Chef Jürgen Weber hat die Möglichkeiten des Internets erkannt. Jetzt trimmt er mit aller Macht den Konzern auf e-Business.  Net-Business




 



Gemeinschaftsportal mit Airlines noch immer in der Planungsphase: Lufthansa erwägt weiter niedrigere Provisionen für Onlinereisebüros


01.06.2001  jgo, Handelsblatt. Über die zukünftige Entlohnung für die Vermittler von Flugtickets hat die Lufthansa AG noch keine abschließende Einigung erzielt. Weiterhin im Gespräch sei eine Kürzung der Provisionen für Onlinereisebüros, sagt Pressesprecher Markus Rüdiger. Anders als bei der US-Fluggesellschaft Northwest Airlines werde es bei der Lufthansa aber auf keinen Fall zu einem kompletten Wegfall der Provisionen für die Internetanbieter kommen. Die Ankündigung der amerikanischen Fluggesellschaft hatte bei den börsennotierten Onlinereisebüros Travelocity und Expedia im März zu deutlichen Kurseinbrüchen geführt. Lufthansa hatte daraufhin am Rande der Tourismusmesse ITB in Berlin signalisiert, ebenfalls über einen vergleichbaren Schritt nachzudenken.

Das bisherige Provisionsmodell, das Reisebüros 5 Prozent des Ticketpreises sichert, wird Anfang kommenden Jahres in jedem Fall durch eine Stückvergütung umgestellt. Wie sich der Anteil für die Reisebüros errechnen soll, sei aber noch nicht geklärt, sagt Rüdiger. Im Gespräch sind Staffelsätze, die sich an Buchungsklasse, Zielort und Umsatz der Reisebüros orientieren könnten.

Sehr viele Unwägbarkeiten begleiten auch den Start des Reiseportals, das die Lufthansa gemeinsam mit 8 weiteren Fluggesellschaften initiieren will. Im Augut vergangenen Jahres hatten sich dazu Aer Lingus, Air France, Alitalia, Austrian Airlines, British Airways, Finnair, Iberia, KLM und Lufthansa auf ein Gemeinschaftsunternehmen verständigt, mit dem sie zusätzlich zum Direktvertrieb den Onlinereisebüros Konkurrenz machen wollen. Im Februar war der frühere Alitalia-Chef Giovanni Bisignani zum Vorstandsvorsitzenden berufen worden.

Große Neuigkeiten werde es bis auf die Bekanntgabe des Markennamens für das Projekt auch in den nächsten Wochen nicht geben, sagt Pressesprecherin Natasha Tobin. Erst im Herbst dieses Jahres, wahrscheinlich im Oktober, wird das Reiseportal nach ihren Worten den Betrieb aufnehmen. Zurzeit befinde man sich noch in Verhandlungen mit externen Partnern, die die Technik und Inhalte zuliefern sollen.

Das Portal, das nach mehrfachen Umzügen im Netz derzeit unter einer vorläufigen Einführungsadresse zu finden ist, wird Tobin zufolge ein Portal mit umfassendem Informationsangebot werden. In diese Richtung werde sich in der nächsten Zeit auch das Gemeinschaftsprojekt Orbitz der Fluggesellschaften United Airlines, Delta Air Lines, Continental Airlines, Northwest Airlines and American Airlines bewegen, glaubt die Pressesprecherin.



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Weltbank verzieht sich in den Cyberspace
Eine wegen angekündigten Protesten abgesagte Weltbank-Konferenz soll online stattfinden


 29.05.2001  Nick Lüthi in telepolis

Erstmals haben es Globalisierungsgegner geschafft, ein hochkarätiges Treffen der Weltbank platzen zu lassen. Das aus Furcht vor gewalttätigen Demonstrationen annullierte Weltbank-Treffen über Entwicklungsökonomien [0] soll nun als virtuelle Konferenz im Internet stattfinden. Die angekündigten Proteste werden von der Weltbank und den spanischen Medien mit den Bücherverbrennungen im Dritten Reich verglichen.

Die Ankündigung aus Paris kam einigermaßen überraschend. Weltbank-Sprecherin Caroline Anstey ließ am 19. Mai verlauten, dass das für Ende Juni in Barcelona geplante Treffen der Weltbank nicht in der katalanischen Metropole stattfinden wird. Auch an keinem anderen Ort. Schlicht und einfach abgesagt wurde die dritte Konferenz über Entwicklungsökonomien. Die Begründung für die Annullierung lautete, "eine Konferenz über die Reduktion der Armut sollte in einer friedlichen Atmosphäre stattfinden und nicht von Gewalt und Einschüchterung beeinträchtigt werden." Gemeint sind damit die vielfältigen Mobilisierungen gegen den Weltbank-Anlass, die in ganz Spanien schon seit Monaten auf Hochtouren laufen. Als Ersatz für die abgesagte Konferenz sollen nun die Tagungsdokumente ins Internet gestellt und online über die Geschäfte debattiert werden.

Die Organisatoren der geplanten  Proteste [1] reagierten mit Genugtuung auf den Entscheid aus Paris. Für sie ist die Absage der Konferenz, "der klare Bewies, dass die Mobilisierung von Bürgern ausschlaggebend ist, um eine Abkehr vom vorherrschenden neoliberalen Gesellschaftsmodell zu erreichen." Die Initiative für die Einführung der sogenannten Tobinsteuer auf Kapitaltransaktionen  Attac [2] sieht im Annulierungsentscheid "den realen Beweis für die politische Leere" der kritisierten Finanzinstitution.

Den Globalisierungskritikern schlägt von Seiten der Weltbank und einem Teil der spanischen Presse - die bedauert, dass dem Land nun ein Prestigeanlass verloren ging - ein gehässiges Klima entgegen. Historische Vergleiche, die nicht über alle Zweifel erhaben sind, werden etwa bemüht, wenn Caroline Anstey, Sprecherin der Weltbank, die Aktionen der Globalisierungsgegner mit den Bücherverbrennungen im Dritten Reich gleichsetzt: "Vor Jahren wurden Bücher verbrannt um gegen die Freiheit der Wissenschaft vorzugehen - nun versuchen sie die Wissenschafter daran zu hindern die Versammlungsräume zu erreichen." Die Argumentation wurde vom Kommentator in der Barceloneser Zeitung "La Vanguardia" aufgenommen und sogar noch zugespitzt. Xavier Sala i Martin erinnert daran, dass der Entscheid der Weltbank, die Konferenz abzusagen, genau 68 Jahre nach den ersten Bücherverbrennungen unter Hitler getroffen wurde. Als totalitär, anti-demokratisch und gewalttätig werden die Mittel der Globalisierungskritiker - im spanischsprachigen Raum despektierlich "Globophobe" genannt - denunziert.

Dieses Vokabular entspringt nicht zuletzt einer gewissen Ernüchterung auf Seiten der Weltbank. Vergeblich hatte sich die Bretton Woods-Institution im Vorfeld der Konferenz von Barcelona um einen Dialog mit ihren Kritikern bemüht - allerdings erfolglos. Die letzte Hoffnung auf eine Teilnahme der kritischen Sektoren platzte am 9. Mai. An einem Treffen mit der Beraterin der Weltbank für Südeuropa, Susan Esteban, verzichteten die katalanischen Entwicklungs-NGOs auf ein Angebot für eine direkte Teilnahme am Treffen. Das Angebot wurde als Spaltungsversuch interpretiert. Nach dem Motto: Die "guten" Globalisierungskritiker drinnen - die "bösen" auf der Straße.

Dass in letzter Zeit nervös und mit Verunsicherung auf die äußerst flexible und taktisch gewiefte Anti-Globalisierungsbewegung reagiert wird, ist etwa auch im Jahresbericht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie  BDI [3] für das vergangene Jahr nachzulesen: "Es kann nicht sein, dass Nichtregierungsorganisationen, die durch nichts außer ihr Engagement legitimiert sind, die öffentliche Diskussion um die Globalisierung beherrschen."

Wenn wie im aktuellen Fall das "Wundermittel Dialog" gegen die Definitionsmacht der Globalisierungskritiker nicht seine erhoffte Wirkung entfaltet, und das Risiko für Negativpropaganda aufgrund von spektakulären Demo-Bildern besteht, bleibt offenbar nur noch die Flucht in den Cyberspace. Dafür, dass auch das Weltwirtschaftsforum und die G-8 Staaten für ihre bevorstehenden Treffen in  Salzburg [4], respektive  Genua [5], die gleiche Taktik anzuwenden gedenken, gibt es noch keine Hinweise.

Links:
[0] http://www.worldbank.org/abcde-europe
[1] http://www.nodo50.org/25juniobarcelona/ale.htm
[2] http://www.attac.org
[3] http://www.bdi-online.de/online/BDI/index.html
[4] http://www.weforum.org/whatwedo.nsf/Documents/What+We+Do+-+Regional+Activities
[5] http://www.genoa-g8.it/g8ita.htm



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Bisse gegen Grenzschützer: Immer öfter verweigert der BGS deshalb seine Mithilfe bei der Abschiebung aggressiver Ausländer

27.05.2001  Werner Czaschke in WDR-online - Nordrhein-westfälische Städte klagen über die rapide steigende Zahl fehlgeschlagener Abschiebungen. Wer sich am Flughafen mit massiver körperlicher Gewalt wehre, könne damit rechnen, dass er den Flug in sein Heimatland nicht antreten müsse, klagt der Duisburger Beigeordnete Jürgen Brandt. Hintergrund sei, dass sich immer häufiger Bundesgrenzschutzbeamte weigern, ihre Gesundheit zu riskieren. Diese Praxis werde auch durch Bundesinnenminister Schily gedeckt. Allein in den ersten zehn Wochen des neues Jahres seien deshalb drei Abschiebungsversuche bei illegalen Ausländern aus Duisburg gescheitert. "Dies demotiviert und macht die Arbeit der Ausländerbehörden schwieriger", erklärte Brandt gegenüber Westpol. Außerdem kämen bei jedem solchen Fall zusätzliche Kosten in fünfstelliger Höhe auf die betroffenen Städte zu.

Verbot von Sicherungsfesseln und Beißschutz
Nachdem ein Sudanese im Fesselgriff der Grenzschützer erstickt war, hatte Bundesinnenminister Otto Schily 1999 die Verwendung von Sicherungsfesseln und Beißschutz untersagt. Seither häufen sich Fälle, in denen sich Ausländer mit massiver körperlicher Gewalt gegen ihre Abschiebung wehren. Beim Deutschen Städtetag fürchtet man nun eine "Negativauslese": Wer sich als Ausländer einer Ausweisungsverfügung füge, verlasse das Land und sei weg. Wer dagegen heftig um sich schlage und beiße, habe Chancen nach Ablauf seiner höchstens 18-monatigen Abschiebehaft ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen. Falls sich solche Fälle häufen, werde der Staat nur in zweierlei Weise reagieren können, fürchtet der Duisburger Dezernent Jürgen Brandt: "Entweder verschärft der Staat seinerseits das Klima und lässt härter zupacken. Oder er lässt alles durchgehen. Beides wäre gleichermaßen verheerend."

Abschiebung in transportablen Zellen?
Der Bundesgrenzschutz weist derweil die Vorwürfe der Städte zurück. Abschiebungen seien weiter möglich, zum Beispiel in transportablen Zellen. Die aber passen nicht in ein Linienflugzeug. Die Städte müssten extra Maschinen chartern. Zu teuer. Unterstützung gegen den Schily-Erlass dürfen sich die Kommunen auch nicht von NRW-Innenminister Fritz Behrens erhoffen. Er spricht von "wenigen Einzelfällen, in denen das Scheitern der Abschiebung hingenommen werden müsse, um die Gefährdung der Grenzschützer in Grenzen zu halten."

Besserer Schutz für BGS-Beamte
Eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz soll nun nach Möglichkeiten suchen, um die Beamten besser zu sichern. Bis dahin allerdings müssen die Städte weiter schlucken, dass Abschiebungen immer öfter abgebrochen werden, weil Otto Schily alles zugleich schützen will: die Ausländer, die Grenzschützer, doch am wenigsten die Interessen der Städte.



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Angst vor deutschen Beamten führt zum Tod einer afrikanischen Frau

23.05.2001   Berlin, Antirassistische Initiative e.V.

MigrantInnen, Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere erfahren alltäglich rassistische Bedrohung und Gewalt - nicht nur auf der Straße, sondern auch durch Gesetze und deren Umsetzung durch Verwaltung, Polizei und Bundesgrenzschutz. Eine Folge davon sind verzweifelte Fluchtversuche, die zu Verletzungen oder zum Tod der Flüchtenden führen. Am 15. Mai sprang eine afrikanische Frau aus Angst vor der Polizei aus dem Fenster ihrer im zweiten Stock liegenden Wohnung in Berlin-Spandau und verletzte sich tödlich. Dieser Tod ist kein Einzelfall - sondern ein Resultat der täglichen Angst, mit der Flüchtlinge, MigrantInnen und Menschen ohne Papiere hier leben müssen. Auffällig ist die um sieben Tage verspätete Mitteilung der Polizei zum Tode der afrikanischen Frau. Wurde die Meldung bewußt bis nach der Beendigung der "Aktionstage gegen die Residenzpflicht vom 17. bis 19. Mai" zurückgehalten? Aktionstage, zu denen ca. 600 Flüchtlinge aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Um gegen die flächendeckenden Kontrollen von BGS und Polizei und die damit verbundene Kriminalisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen zu demonstrieren, hatten Flüchtlingsorganisationen am vergangenen Wochenende zu bundesweiten Protestaktionen in Berlin aufgerufen. Auch vor, während und nach den drei "Aktionstagen gegen die Residenzpflicht" kam es zu Festnahmen und verstärkten Kontrollen. In Jena wurde ein ganzer Bus für mehrere Stunden an der Weiterfahrt nach Berlin gehindert. Die rassistischen Gesetze gegen MigrantInnen, Flüchtlinge und Menschen ohne Papier verschärfen die bestehenden Feindbilder in der Gesellschaft. Sie kriminalisieren einen großen Teil der hier lebenden Menschen und rechtfertigen den staatlichen Kontrollapparat. Sie führen zu unzähligen Schikanen und gewalttätigen Übergriffe durch deutsche Beamte auf MigrantInnen und Flüchtlinge.



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Demonstranten besetzen Behörde
Friedlicher Protest gegen Residenzpflicht für Asylbewerber


19. Mai 2001  Berliner Zeitung.

Rap-Musik und Sprechchöre haben am Freitag die Besucher der Ausländerbehörde am Friedrich-Krause-Ufer empfangen: Rund 70 Mitglieder der Organisation "Kein Mensch ist illegal" besetzten gegen 10.30 Uhr die Behörde am Westhafen in Wedding. Eine kleine Gruppe drang in das Büro des Leiters der Ausländerbehörde, Harald Bösch-Soleil, ein. Die Besetzer forderten ihn auf, eine Erklärung zur Residenzpflicht zu unterzeichnen. Damit hätte er seine Mitarbeiter angewiesen, die Residenzpflicht großzügig im Sinne der Antragsteller auszulegen. Bösch-Soleil verweigerte die Unterschrift. Für eine Stellungnahme zur Besetzung stand er am Freitag nicht zur Verfügung.

Die Residenzpflicht betrifft alle Asylbewerber. Diese werden nach einem Quotenschlüssel auf die Bundesländer verteilt und dürfen sich bis zum Abschluss des Asylverfahrens nur innerhalb eines bestimmten Landkreises aufhalten. "Diese Bestimmung macht uns das Leben in Deutschland sehr schwer", sagte ein Angolaner, der am Freitag einen Termin in der Behörde hatte. Er befürwortete die Protestaktion.

Der Protest blieb friedlich. In den meisten Räumen der Behörde wurde weiter gearbeitet. Die Besetzer waren in der Mehrheit Studenten. Sie entrollten Plakate gegen Rassismus und Abschiebung. Gegen 13.30 Uhr holte die Polizei die Besetzer aus dem Haus. Die kleine Kundgebung auf dem Vorplatz löste sich bald auf. Die Demonstranten verstanden ihren Protest als Beitrag zu den bundesweiten "Aktionstagen gegen die Residenzpflicht", die noch bis Sonnabend dauern.

Ebenfalls am Freitag protestierten auf dem Schlossplatz in Mitte rund 600 Flüchtlinge aus über 30 Ländern gegen die Residenzpflicht. Fast alle Flüchtlinge seien ohne die Erlaubnis ihrer jeweiligen Ausländerbehörde nach Berlin gereist, um in einem Akt des "gemeinsamen zivilen Ungehorsams" ihr Recht auf Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands einzufordern, sagte der Sprecher der bundesweiten Flüchtlingsorganisation "The Voice", Cornelius Yufanyi. Er bezeichnete die Residenzpflicht als "staatlichen Rassismus".

Ein weiteres Anliegen der Aktionstage ist es, das öffentliche Bild von Flüchtlingen zu verbessern, sagte Yufanyi. Asylbewerber seien keine Kriminellen, auch wenn durch häufige Polizeikontrollen ein anderer Eindruck erweckt würde. Viele der Passanten auf dem Schlossplatz seien überrascht über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland, sagte eine Unterstützerin der Flüchtlingsorganisationen. Die erste Reaktion, wenn sie von der Residenzpflicht hörten, sei meist ungläubiges Kopfschütteln. (mit Reuters und epd)



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Immer im Dienst

16.05.2001  Dominique John in jungle world.

Im April ist ein junger Vietnamese auf der Flucht vor Bundesgrenzschützern an der sächsischen Grenze ums Leben gekommen.

Hier, auf dem Gelände des Asphalt-Mischwerks, ist es geschehen. Da hinten, im Wald, liegt der alte geflutete Steinbruch, erzählt ein Arbeiter. Dort habe man den Mann tot im Wasser schwimmend gefunden. Nein, er selbst wisse von nichts, er wundere sich nur, wie man da reinfallen könne, der Steinbruch sei doch umzäunt.

Der Lärm der Mischanlage lässt sofort nach, wenn man sich in die Nähe des Steinbruchs begibt. Irgendwie scheint der tiefe Graben den Schall zu schlucken. Zwischen den Bäumen, die am Rand des Steinbruchs stehen, sind zur Sicherung zwei Kabel gespannt. Wenn man darüber steigt, wird es gefährlich. An einer Stelle sind die Kabel durchgeschnitten. Das war vermutlich die Feuerwehr, die den Toten abtransportieren musste.

Von hier geht es senkrecht hinunter, acht bis zehn Meter dürften das sein. Unten sieht man Wasser, dessen Tiefe nicht zu schätzen ist. Das muss die Stelle sein: Zwei weiße Einweghandschuhe, wie sie von Rettungssanitätern benutzt werden, liegen noch da. Außerdem die Gebrauchsanweisung einer Rettungsdecke und eine Zahnbürste, original verpackt. "Made in Czech Republic" steht auf der Rückseite. Hier ist der 25jährige Vietnamese auf der Flucht vor der Polizei und dem Bundesgrenzschutz (BGS) am frühen Abend des 18. April verunglückt. "Rücken- und Lungenprellungen aufgrund eines Sturzes aus drei bis zehn Metern Höhe und geringe Ertrinkungserscheinungen", zitiert die Pressesprecherin der Polizeidirektion Bautzen, Petra Kirsch, aus dem Obduktionsbericht.

Schmölln-Putzkau heißt der Ort im ostsächsischen Grenzgebiet. Ungefähr 40 Kilometer sind es von hier nach Dresden, 20 Kilometer nach Tschechien. Das Asphalt-Mischwerk liegt auf einem bewaldeten Hügel zwischen den beiden Gemeinden, die durch eine holprige, schmale Straße verbunden sind. Die Gegend gehört zu jenem Gebiet, das das Bundesinnenministerium als "Brennpunkt der illegalen Einreise" bezeichnet. Zumindest stiegen hier, im sächsischen Teil der deutsch-tschechischen Grenze, die vom BGS veröffentlichten "Aufgriffszahlen" illegal Eingereister seit 1998 deutlich an.

Im Sommer fliege hier jede Nacht der Hubschrauber des BGS, erzählt eine Anwohnerin aus Schmölln. Das sei laut und manchmal ärgerlich, diene aber, so ihre Meinung, der Sicherheit aller. Von ihrem kleinen Haus kann man auf den Hügel mit dem Asphalt-Mischwerk blicken. Nein, von der Fluchtgeschichte weiß sie nichts zu berichten, da sei sie nicht zu Hause gewesen. Aber andere in der Straße wüssten Bescheid, und natürlich habe man viel darüber gesprochen.

Einer, der sich gut erinnern kann, ist Henri B., 40 Jahre, von Beruf Feuerwehrmann. Es war so gegen 18.30 Uhr, mit einem Freund arbeitete er gerade in seinem Garten. Plötzlich sei ein weißer VW-Transporter, dicht gefolgt von einem Geländewagen, mit hoher Geschwindigkeit auf das abschüssige Feld gegenüber seinem Haus gefahren. Sie hätten erst an Jugendliche gedacht, bis jemand um Hilfe rief. Der Rufende sei einem anderen Mann nachgerannt, habe ihn dann eingeholt und zu Boden geworfen. "Ich habe schon ganz schön gestaunt", erinnert sich B. Sie seien dann auf das Feld gelaufen, dort sah B., dass der VW-Transporter gegen einen Baum gefahren war. Im hinteren Teil des Fahrzeugs lagen eine Frau und zwei Männer mit zum Teil schweren Verletzungen. Der Feuerwehrmann leistete erste Hilfe, ein anderer Anwohner informierte über Handy die Polizei und rief einen Krankenwagen.

Der Mann auf dem Boden war zwischenzeitlich fachmännisch gefesselt worden. Der Verfolger, bei dem es sich um den Fahrer des Geländewagens handelte, entpuppte sich später als Bereitschaftspolizist. Er trug weder eine Uniform, noch war er bewaffnet, auch hatte er kein Funkgerät oder Handy bei sich. Später wurde B. klar, dass der Mann außer Dienst gewesen sein musste. Es dauerte eine Weile, bis der Krankenwagen, die Polizei und der BGS am Unfallort eintrafen. Der Polizist erzählte B. davon, dass noch mehr Leute im VW-Transporter gesessen hätten, die aber weggerannt seien. "Er wollte, dass ich mit ihm gehe, um die anderen zu verfolgen, das habe ich aber abgelehnt, damit wollte ich nichts zu tun haben."

Die anderen, das waren sieben Vietnamesen. Bevor der Transporter verunglückte und gegen den Baum fuhr, war es ihnen gelungen, aus dem Wagen zu springen. Was davor geschah, lässt sich den dürftigen Auskünften der Polizeidirektion Bautzen kaum entnehmen. Nur so viel: Auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Sebnitz sei dem Bereitschaftspolizisten das Fahrzeug aufgefallen, weil die Zulassung auf dem Nummernschild abgelaufen war. Der Beamte habe sich ausgewiesen und das Fahrzeug kontrollieren wollen. Dazu sei es aber nicht gekommen, da der Transporter plötzlich losgefahren sei. Der Polizist nahm mit seinem privaten Geländewagen die Verfolgung auf.

Rund 30 Kilometer fuhr der offensichtlich vom Jagdfieber gepackte Mann dem mit elf Personen besetzten Transporter nach. Die Jagd führte von Sebnitz über Hohwald nach Steinigwolmsdorf, bis Putzkau und dann Richtung Schmölln. Wegen Bauarbeiten an der Strecke ist der Ort nur über eine Umgehungsstraße zu erreichen. Nimmt man den direkten Weg, wie es der Fahrer des VW-Transporters tat, ist am Ortseingang zu Schmölln die Fahrt zu Ende.

Ebenso ungeklärt wie der Ablauf der privaten Verfolgungsjagd ist der Verlauf dessen, was sich am Abend im Wald um das Asphalt-Mischwerk abspielte. B. glaubt sich erinnern zu können, dass eine Gruppe von ungefähr 20 Polizeibeamten eintraf. Das müsse so gegen 19.30 Uhr gewesen sein, bestätigt eine Nachbarin, die auf die ganze Sache erst aufmerksam wurde, "als die da oben schon gejagt haben".

Dietmar Kottwitz, der Pressesprecher des zuständigen Bundesgrenzschutzamtes in Pirna, bestätigt, dass sich der BGS "im Zuge der Nachsuche an der Aktion beteiligt" habe. Jedoch will Kottwitz nur von fünf oder sechs eingesetzten Beamten und ein bis zwei Hunden etwas wissen. B. wiederum spricht von mindestens vier Hunden, von großer Aufregung, vom Lärm des Polizeihubschraubers, der immer wieder, bis in die Dunkelheit hinein, über dem Waldstück kreiste. "Wie bei einer Treibjagd ist hier ein Mensch zu Tode gehetzt worden."

Aber auch zum Verlauf der weiteren Verfolgungsjagd liegen dem Grenzschützer Kottwitz "keine Erkenntnisse vor". Er verweist auf die Pressemitteilung der Polizeidirektion Bautzen. Darin heißt es lapidar: "Im Rahmen der Suchmaßnahmen durch Kräfte des Bundesgrenzschutzes wurde dann festgestellt, dass ein geflüchteter Vietnamese in einen Steinbruch gestürzt war. Durch diesen Sturz verletzte er sich tödlich. (...) Insgesamt konnten noch fünf weitere Personen gestellt werden." Ein sechster Flüchtling wurde am nächsten Morgen von einer Polizeistreife in Putzkau aufgegriffen und verhaftet.

Doch auch hierüber wollen die zuständigen Polizei- und BGS-Sprecher keine Auskünfte erteilen. Bei der Polizeidienststelle Bautzen ist zu erfahren, dass weder der Bereitschaftspolizist noch die anderen Beamten sich zu dem Einsatz äußern wollen. Und Hartmut Schindler, leitender Oberstaatsanwalt in Bautzen, sieht "keine Veranlassung, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten". Das heißt, der Fall ist abgeschlossen.

Übrig bleibt ein Toter, von dem die Polizei inzwischen bekannt gegeben hat, dass er identifiziert werden konnte und aus der Provinz Quang Binh in Vietnam kommt. Der tschechische Fahrer des Fluchtfahrzeuges sitzt in Untersuchungshaft. Ihm droht ein Verfahren nach Paragraf 92a des Ausländergesetzes, der die Unterstützung illegaler Einreise unter Strafe stellt.

Bis auf eine Ausnahme wurden die Flüchtlinge am Tag, der auf die Jagd folgte, nach Tschechien abgeschoben. Einer der Vietnamesen, dem es nicht gelungen war, vor der Kollision aus dem Auto zu springen, hatte sich einen Beckenbruch zugezogen und war ins Kreiskrankenhaus Bischofswerda eingeliefert worden. Sechs Tage später holten BGS-Beamte ihn dort ab - zur Abschiebung. Doch die tschechischen Behörden verweigerten wegen gesundheitlicher Bedenken das "Rückschiebegesuch", wie es im entsprechenden Beamtendeutsch heißt.

Um zu verhindern, dass sich der Vietnamese seiner Abschiebung noch entzieht, sei er nun in einem Haftkrankenhaus untergebracht, erklärt Grenschützer Kottwitz.



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Hacker attackieren Webseite des Weißen Hauses

06.05.2001   Washington (dpa) - Unbekannte Hacker haben die Webseite des Weißen Hauses am Freitag für mehrere Stunden lahm gelegt.

Wer hinter den Attacken steckte blieb nach Medienberichten vom Samstag unklar. FBI hüllte sich in Schweigen. Erst in der vergangenen Woche hatten US-Behörden vor möglichen pro-chinesischen Hacker- Attacken unter anderem als "Racheakt" für die Kollision eines amerikanischen Aufklärungsflugzeuges mit einem chinesischen Kampfjet am 1. April gewarnt. Ein Sprecher des Weißen Hauses bestätigte, dass die Website www.whitehouse.gov am früheren Freitagmorgen vorübergehend blockiert war, nachdem Unbekannte sie mit Datenmüll bombardiert hatten. Danach dauerte war der Zugang zur Webseite für gut zwei Stunden ganz unmöglich und danach vorübergehend stark verlangsamt. An einer Aufklärung wird mit Hochdruck gearbeitet, wie Sprecher Jimmy Orr sagte. Die Attacken erinnern nach Expertenangaben an die Serie von Vorfällen im Februar 2000, als Yahoo, EBay, CNN.com und andere populäre Webseiten von Hackern Stunden lang komplett lahm gelegt worden waren. Nach Angaben des Internet-Service-Unternehmens Keynote Systems im kalifornischen San Mateo wurde zudem am vergangenen Dienstag eine öffentlich zugängliche Website des US-Geheimdienstes CIA ebenfalls zum Ziel einer ähnlichen Hacker-Attacke. Allerdings sei diese Webseite nie ganz blockiert gewesen.



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Berlin will Firmen vor Hackern schützen

Die Bundesregierung plant ein nationales Frühwarnsystem gegen Angriffe aus dem Internet. Zuvor hatten die USA bereits den Aufbau eines nationalen Schutzschildes gegen Hacker angekündigt. Die Bundesregierung beabsichtigt mit ihrem System nicht nur Behörden zu schützen, sondern auch Industrieunternehmen und Banken.

Ralf Neukirch am 01.05.2001 in Handelsblatt


BERLIN. Die Bundesregierung will ähnlich wie die US-Administration ein nationales Frühwarnsystem gegen Angriffe aus dem Internet installieren. Das erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Dieser Schutzschild soll nicht nur Bundesbehörden, sondern auch wichtige Industriekonzerne, Banken und Infrastrukturunternehmen umfassen. Anders als in den USA ist aber zunächst nur ein Informationsaustausch auf freiwilliger Basis, keine völlige Vernetzung der verschiedenen Abwehrsysteme geplant.

Die Staatssekretärin im Innenministerium, Brigitte Zypries, sagte dem Handelsblatt, die Bundesregierung wolle eine nationale Infrastruktur für die bestehenden "Computer Emergency Response Teams" (Cert) schaffen. "Bislang sind die Certs Inseln, die informell miteinander kommunizieren. Wir wollen dem Ganzen einen Rahmen geben."

Die Certs sind eine Art Internet-Feuerwehr, die auf Angriffe auf Datensysteme reagieren. Das Cert für Bundesbehörden ist beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) angesiedelt. Große Konzerne wie etwa die Deutsche Telekom betreiben ihre eigenen Certs.

Zypries sagte, die Grundphilosophie hinter dem deutschen und dem amerikanischen Ansatz sei durchaus ähnlich. Die Umsetzung müsse in einem föderalen Land wie der Bundesrepublik aber unterschiedlich sein. Im Übrigen kleide die US-amerikanische Regierung ihr Anliegen in eine militärische Terminologie.

Die Amerikaner hatten angekündigt, analog zur Raketenabwehr NMD ein virtuellen Internetschutzschild zu errichten, mit dem wichtige Behörden und private Einrichtungen wie Stromversorger vor Attacken über das Internet geschützt werden sollen. Die in Frage kommenden Rechner sollen an ein übergreifendes Kontrollsystem, das so genannte Fidnet, angeschlossen werden. Die Kosten sollen zwischen 30 Milliarden Dollar und 50 Mrd. Dollar betragen.

Im Gegensatz dazu will die Bundesregierung einen Cert-Verbund schaffen, in dem auf der obersten Ebene die Internet-Lagezentren des BSI, des deutschen Forschungsnetzes, eines Wirtschaftsunternehmens und eines Unternehmens aus der Kreditwirtschaft zusammengeschlossen sind. Diese vier Certs würden ihrerseits mit weiteren Lagezentren auf einer anderen Ebene kommunizieren. So soll sicher gestellt werden, dass nicht jeder Hackerangriff auf eine Bank oder auf ein Unternehmen direkt auch dem Staat bekannt wird. Groß angelegte Attacken würden dagegen auf oberster Ebene kommuniziert.

Eine direkte Vernetzung aller Certs, wie die USA sie anstreben, ist nicht geplant. "Bislang ist technisch noch nicht einmal sicher, ob die auf dem Markt erhältlichen Systeme für einen solchen Verbund überhaupt geeignet sind", sagte Zypries. "Im Übrigen muss der tatsächliche Nutzen eines solchen Systems erst noch bewertet werden." Es sei zudem auch fraglich, ob ein solches System in der Wirtschaft akzeptiert würde.

Auch kleinere und mittlere Unternehmen einbeziehen

Im Rahmen des Informationsaustausches soll auch die Sicherheit kleinerer und mittlerer Unternehmen verbessert werden. In der von Wirtschaft und Politik getragenen Initiative D21 gibt es daher Bemühungen, vor allem die Sicherheit bei diesen Betrieben zu erhöhen. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem Aufbau eines so genannten Cert.de, das wesentlich mehr Firmen als bisher an ein solches Lagezentrums anzubinden soll.

Wie diese "Selbsthilfestruktur für den Mittelstand" aussehen könnte, ist allerdings noch unklar. Einer der Projektleiter, Thomas Leitert von der Berliner Internet-Plattform Konsort, sagte, bis Mitte Mai solle zunächst geklärt werden, wo die Schwachstellen liegen, welche Dienstleistungen ein Cert für Unternehmen anbieten könnte und welche Zielgruppen man erreichen wolle. Dann solle bis zur Sommerpause ein konkreter Vorschlag erarbeitet werden.

In der Bundesregierung weist man darauf hin, dass nach dem Auftreten des "I-Love-you"-Virus’ vor zwei Jahren in Deutschland wesentlich weniger Schäden aufgetreten seien als in den USA. Dies sei nicht zuletzt ein Erfolg der damals von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ins Leben gerufenen Task Force "Sicheres Internet". Dieses Instrument bietet Unternehmen unter anderem Hilfestellung für einen besseren Schutz gegen Angriffe aus dem Internet.

Das Bundesinnenministerium will darüber hinaus in diesem Jahr ein so genanntes Tiger Team aufstellen, das Schwachpunkte in den Schutzprogrammen von Bundesbehörden aufspüren soll. Das Team wird sich aus Computerspezialisten des BSI rekrutieren, die versuchen, sich in die Computer verschiedener deutscher Behörden zu hacken. In diesem Jahr sind zwei "Penetrationstests" geplant - unter realen Bedingungen, wie man im Bundesinnenministerium betont. Ob das Tiger Team später auch Landesbehörden oder gar Wirtschaftsunternehmen testet, hängt jedoch nicht zuletzt von den Kosten ab.



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Todesfall bei Abschiebung aus der Schweiz

Granges. AP/BaZ: Ein 27-jähriger Nigerianer ist am frühen Dienstagmorgen bei der Ausschaffung aus der Anstalt in Granges (VS) gestorben. Der abgewiesene Asylbewerber hatte sich der Ausschaffung widersetzt, wie die Kantonspolizei Wallis am Dienstag mitteilte. Gegen 2 Uhr wollten zwei Beamte der Kantonspolizei den Häftling in den Flughafen Zürich-Kloten überführen, schreibt die Polizei. Weil sich der Nigerianer heftig gegen die Ausschaffung gewehrt habe, hätten die Beamten Verstärkung angefordert. Der Nigerianer sei schliesslich in Handschellen gelegt worden. Kurze Zeit danach hätten die Beamten bemerkt, dass der Gefesselte keine Reaktion mehr zeigte. Sie hätten erste Hilfe geleistet und eine Reanimation mittels künstlicher Beatmung versucht. Ein herbeigerufener Arzt und zwei Sanitäter konnten laut Polizei aber nur noch den Tod feststellen. Der Walliser Untersuchungsrichter ordnete eine Autopsie zur Klärung der Todesursache an. Das Opfer befand sich schon seit mehreren Monaten in Ausschaffungshaft, weil er schwere Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen hatte. Er hätte am Dienstag unter Polizeiaufsicht in seine Heimat ausgeschafft werden müssen.



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Cissé darf nicht rein

Der senegalesischen Menschenrechtlerin Madjiguène Cissé wird die Einreise nach Deutschland verweigert. In Frankreich ist man empört.

Dorothea Hahn und Bernd Pickert am 28.04.2001 in der taz


Madjiguène Cissé, die bekannte Menschenrechtlerin aus dem Senegal, darf nicht nach Deutschland einreisen. Die zwischen 1996 und 2000 als Sprecherin der französischen "Sans Papiers" bekannt gewordene Aktivistin erfuhr am vergangenen Mittwoch, dass sie am 22. Mai vergangenen Jahres mit unbefristeter Wirkung aus Deutschland ausgewiesen worden sei.

Cissé (48), die im Sommer letzten Jahres freiwillig in den Senegal zurückgekehrt war, hatte bei der Deutschen Botschaft in Dakar ein Visum beantragt, um für 28 Tage die Bundesrepublik zu besuchen. Sie war vom Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung, der taz und der Internationalen Liga für Menschenrechte zu zahlreichen Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen nach Deutschland eingeladen worden. Heute sollte sie in Berlin im Rahmen des taz-Kongresses "Wie wollen wir leben?" gemeinsam mit der Grünen-Parteivorsitzenden Claudia Roth auftreten.

Aufgrund der bestehenden Ausweisungsverfügung wurde ihr das Visum verweigert; ein Eilantrag zur Erteilung einer "Betretenserlaubnis" konnte bislang in Köln nicht bearbeitet werden - erst verschwand das Fax der Botschaft aus Dakar, dann nahte der freitägliche Büroschluss um 12.30 Uhr. Die Ausweisungsverfügung ist damit begründet, dass sich Cissé mehrfach illegal in Deutschland aufgehalten habe.

Cissé selbst zeigte sich im Gespräch mit der taz überrascht über die Ausweisungsverfügung. "Ich erfahre davon zum ersten Mal", sagte sie in Dakar. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erklärte gegenüber der taz, das Einreiseverbot zeige, "wie die Mär vom weltoffenen Deutschland an die selbst errichteten Wohlstandsfestungsmauern stößt".

Im Dezember 1998 erhielt Cissé in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte. Die Laudatio hielt der Journalist Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Auf Anfrage der taz erklärte Prantl gestern, das Einreiseverbot für Cissé sei "ein Beispiel für die hirn- und geistlose Anwendung des Ausländerrechts. Ein wunderbares Beispiel auch dafür, wie Ausländerrecht nicht funktionieren darf."

Auch in Frankreich löste das Einreiseverbot Bestürzung aus. "Albtraumartig" nennt Salah Teiar die deutsche Entscheidung. Der einstige Papierlose weiß, ohne zu überlegen, dass der Senegalesin damit gleichzeitig das Betreten von fast ganz Westeuropa verwehrt ist - so ist es in den Schengen-Abkommen geregelt. Mitte der 90er-Jahre stritt Teiar an der Seite von Madjiguène Cissé für "Papiere für alle". "Wir wussten", sagt er, "dass unsere Radikalität einen Preis haben würde. Das Verbot für Madjiguène ist Teil dieser Rechnung."

Als "ein schreckliches Zeichen einer beunruhigenden Entwicklung" bezeichnet der Präsident der französischen Antirassimusorganisation, Mouloud Aounit, die deutsche Entscheidung. Und schränkt sogleich ein, dass er "nicht überrascht" sei. Denn: "Die Logik der Kriminalisierung hat sich leider in Europa durchgesetzt." Dabei, so Aounit, "verstößt eine Entscheidung wie jetzt die gegen Madjiguène gegen grundlegende europäische Werte, wie die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit".

Mitte der 90er-Jahre hat Madjiguène Cissé nicht nur zusammen mit Papierlosen wie Teiar und Menschenrechtlern wie Aounit, sondern auch mit heutigen MinisterInnen und anderen politisch Verantwortlichen demonstriert. Auch die große KPF und die französischen Grünen schmückten sich mit der politisch erfahrenen und charismatischen Frau.

Dann kamen die Parlamentswahlen von 1997 und der unerwartete Sieg der Linken. Als die taz jetzt bei dem Immigrationsbeauftragten der französischen Grünen um ein "dringendes Gespräch" wegen des deutschen Einreiseverbots für Madjiguène Cissé bat, hatte der einstige "Unterstützer der Papierlosen" nicht einmal Zeit für einen Rückruf.



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Otto Schily: Im Notfall mit Hackermethoden gegen Neonazis?

Frank Patalong am 06.04.2001 in spiegel-online


Hamburg - Das Nachdenken über Hackerattacken im Auftrag des Ministeriums sei keineswegs "im Unrechtsbereich anzusiedeln", argumentiert Schilys Sprecher Dirk Inger. Dahinter stehe "vielmehr der Gedanke der Verteidigung unserer Rechtsordnung gegen rechtswidrige Angriffe unter bewusster Ausnutzung der Internationalität des Mediums Internet." Dafür müsse man über viele Instrumente nachdenken. Was schließlich umgesetzt werde, "bestimmt sich nach Recht, Effektivität und Erfolgsaussicht", beantwortete Inger eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE.

Wer die Angriffe für das Innenministerium durchführen sollte, ist noch nicht bekannt. Mit Denial-of-Service (DoS)-Attacken kennt sich Schily jedenfalls aus. Seit den weltweiten DoS-Angriffen auf kommerzielle Websites wie Yahoo! und eBay im Frühjahr 2000 reibt sich Schily an den Gefahren des Cyberspace. Als Reaktion auf die DoS-Attacken und das "I Love You"-Virus entstand im Frühjahr 2000 der Plan zu Schilys "Internet Task Force", die künftig Deutschlands "kritische Infrastrukturen" sichern soll.

Das klingt nach Verteidigung, meint aber offenbar mehr: Bisher wurde die "Internet Task Force" von vielen als reagierender Debattierclub gesehen. Schily dagegen scheint sie durchaus so zu verstehen, wie sie in der Übersetzung ihres englischen Namens daherkommt: als "schnelle Eingreiftruppe". Bereits am 21. Dezember vergangenen Jahres hatte Schily, in Deutschland unbemerkt, in einem Interview mit der "Washington Post" argumentiert, dass es Verteidigung auch in einer "Vorneweg"-Variante geben könne. Denn als staatsgefährdend werden auch Neonazi-Seiten im Internet wahrgenommen - und die sind äußerst schwer dichtzumachen, gerade wenn sie auf Servern in den Vereinigten Staaten liegen. Dort schützt sie das "First Amendment", der erste Passus der amerikanischen Verfassung, die den Begriff "Meinungsfreiheit" weiter als jede andere Verfassung in der Welt fasst. Nach amerikanischer Ansicht fällt selbst die Auschwitz-Lüge unter die Presse- und Meinungsfreiheit: Zugriff verboten. Den bedingt sich die deutsche Justiz aber seit dem 12. Dezember 2000 aus: An diesem Tag entschied der Bundesgerichtshof, dass neonazistische, volksverhetzende Veröffentlichungen auch dann rechtlich verfolgbar wären, wenn sie im Ausland veröffentlicht werden. Die Betreiber amerikanischer Neonazi-Sites stört das wenig. Sie dürfen sich durch die US-Behörden gedeckt fühlen, die ein erfolgreiches Auslieferungsverfahren wegen eines in Amerika begangenen Verstoßes gegen deutsches Recht kaum für möglich halten, wie John Russell, damals Sprecher des amerikanischen Justizministeriums, in einer Reaktion auf das BGH-Urteil klarmachte.


Heiligt der Zweck die Mittel?

Eine Situation, mit der Schily sich durchaus nicht abfinden will. Neben dem offiziellen Weg, sagte er schon damals der "Washington Post", könne er sich durchaus vorstellen, Neonazi-Seiten in Amerika mit Spams oder DoS-Attacken zum Zusammenbruch zu bringen, wenn andere Ansätze nicht zum Erfolg führten. Alan Davidson vom Center for Democracy and Technology in Washington hält das für aberwitzig: "Das würde bedeuten, dass man das Recht bricht, um eine nach dem Recht eines anderen Landes legal operierende Site dichtzumachen." Die angesehene Internet Society Isoc, in Deutschland beim Grundlagenforschungsinstitut GMD in Sankt Augustin angesiedelt, sieht das ganz ähnlich: " Isoc.de befürwortet die Durchsetzung von gesetzlichen Bestimmungen im Internet. Für Isoc ist Internet kein rechtsfreier Raum. Aber gerade deshalb geht es auch nicht an, mit zweifelhaften technischen Mitteln Server im Ausland auszuschalten, weil dort - nach den dortigen Gesetzen unter dem Schutz der freien Rede - unter anderem rechtsextreme Inhalte bereitgestellt werden", heißt es in einer Stellungnahme der Isoc.

Das Innenministerium sieht das anders. Während DoS-Attacken längst juristisch verfolgt werden, glaubt man in Berlin anscheinend, dass ein sehr guter Zweck mitunter ein sehr - vorsichtig gesagt - kontroverses Mittel heilige. In Sachen Effektivität und Erfolgsaussichten dürften DoS-Attacken kaum zu schlagen sein: Sie erledigen in Minuten, wofür ein Gericht Monate braucht. Wie es um die rechtliche Seite bestellt ist, dürfte hingegen in den nächsten Tagen hitzig diskutiert werden.



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Internet wird bei der Lufthansa zur Chefsache

Johannes Klostermeier, Christoph Meyer am 21.12.2001 in Net-Business


Lufthansa-Chef Jürgen Weber hat die Möglichkeiten des Internets erkannt. Jetzt trimmt er mit aller Macht den Konzern auf e-Business. Seit Frühjahr hat die konzerneigene Arbeitsgruppe e-Viation zusammen mit der Boston Consulting Group alle Abteilungen durchleuchtet. Die Chancen der Airline sind riesengroß


Der Münchner Medienunternehmer Hubert Burda ist schuld. Auf einer seiner regelmäßigen Bergtouren mit Lufthansa-Chef Jürgen Weber erklärte er ihm die Potenziale der New Economy. "Hubert Burda zeigte mir damals schon, was mittlerweile in vielen Familien mit Spaß genutzt wird – einen virtuellen Spaziergang durch die Gemäldegalerien der Welt oder das Herunterladen von Musik via Internet", erzählte Weber in der vergangenen Woche auf dem ersten Kongress der Lufthansa E-Commerce GmbH in Frankfurt. Was die Airline in den kommenden fünf Jahren vor hat, ist wesentlich mehr als ein harmloser Internetbummel. Klar ist: Den Reisebüros werden die Internetpläne der deutschen Renommier-Airline schwer zu schaffen machen.

Vier Monate lang brütete ein 20-köpfiges Team unter Leitung der Abteilung CE (Strategische Konzernentwicklung) mit dem Chefstrategen Holger Hätty an der Spitze über einem Masterplan. Geholfen haben dabei Berater der Boston Consulting Group. Projekte in Vertrieb und Beschaffung sollen der Lufthansa enorme Einsparmöglichkeiten eröffnen.

Die Lufthansa will den Online- und Direktvertrieb pushen. Bis zum Jahr 2005 möchte die Airline jedes dritte Ticket über diesen Vertriebsweg absetzen, 25 Prozent über das Internet, 10 Prozent über Callcenter. "Ab 2003 wird sich daraus eine jährliche Einsparung an Vertriebskosten von über 100 Millionen Euro ergeben", sagte Vertriebsvorstand Thierry Antinori. In diesem Jahr wird die Lufthansa 1 Prozent der Tickets online und 6 Prozent über das Telefon verkaufen. Die Fluglinie gilt vielen als Paradebeispiel für ein konservatives Old-Economy-Unternehmen. Doch in Zukunft soll sich niemand mehr über die fliegenden Frankfurter amüsieren. "Die Lufthansa ist wie ein Dinosaurier, man hat viel über sie gelacht in den letzten Monaten. Aber der Dinosaurier hat eine Marke, ein Logo und Kundendaten. Wir müssen jetzt nur noch die Anpassungsfähigkeit eines Chamäleons haben", so Antinori. Der Masterplan soll den Konzern e-Business-fähig machen:

Ab Mitte 2001 will die Lufthansa zusammen mit acht anderen Airlines (Aer Lingus, Air France, Alitalia, Austrian Airlines, British Airways, Finnair, Iberia, KLM) das unabhängige Internetreisebüro Online Travel Portal (OTP) ins Netz stellen. Ursprünglich für das vierte Quartal angekündigt, verzögern technische Probleme und Kompetenzgerangel den Zeitplan. "Wir arbeiten hart daran", sagte OTP-Projektleiterin Yvonne Ziegler. Vor zwei Wochen sei das Joint Venture bei den Wettbewerbshütern in Brüssel zur Prüfung angemeldet worden. Alle Langstreckenflugzeuge der Lufthansa sollen so schnell wie möglich Internetzugang erhalten. Bisher gibt es den nur in Versuchsmaschinen der Unternehmenstochter Condor Berlin. "Lufthansa wird eine der ersten – vielleicht sogar die erste – Airline sein, die das Flugzeug selbst zu einem Internetträger macht", sagte Weber. Bei der Lufthansa-Technik in Hamburg wird bereits ein Langstrecken-Airbus A340 multimediafähig ausgestattet – mit Satelliten-TV und wohl auch Internet. Der Jet gehört einem arabischen Privatmann. In zwei bis drei Jahren soll Internet an Bord aber zum Standard der Airline gehören.

Die weiteren Punkte des Masterplans: Ab diesem Monat können Kunden mit WAP-Handy für ihren Flug einchecken. Schon heute rufen 1500 WAP-Handy-Besitzer Gate- und Fluginformationen ab. Die Lufthansa wird für mittelständische Unternehmen spezielle Onlineangebote entwickeln. "Der B-to-B-Bereich soll überproportional wachsen", sagte Antinori. "Wir erwarten, dass im Jahr 2005 drei von vier Onlinebuchungen im B-to-B-Bereich getätigt werden." Das Großunternehmen Bayer AG testet bereits die Buchungsmaschine Corporate Flyway in ihrem Intranet. Für 5000 Mark Einmalgebühr plus 1000 Mark jährlich für den laufenden Betrieb können sich Internetanbieter den Info-Gate auf ihre Homepages stellen. Pro Buchung gibt es eine Provision. Sixt, Steigenberger, Amazon und L’Tur haben den Service bereits bei sich integriert. Mit T-Online betreibt die Lufthansa seit kurzem eine eigene Reiseseite.

Die Lufthansa will ihre Kundendaten besser nutzen. 200 Millionen Mark will der Konzern ausgeben, um seine wertvollsten Kunden individuell anzusprechen und zu betreuen. "Sie haben mit Miles & More einen Riesenknüller. Das ist die Driving Force der New Economy", begeisterte sich Weber-Freund Burda. 4,5 Millionen Kunden kleben Rabattmarken mit dem Vielfliegerprogramm. Mit den Konsumentenprofilen kann die Airline One-to-One-Marketing betreiben und personalisierte Dienstleistungen anbieten. Für die Lufthansa-Mitarbeiter wird es ein Internetinformationsportal geben. e-Base soll die interne Kommunikation vernetzen, Prozesse transparenter machen und Basis eines Knowledge-Management-Systems werden. Durch den Einsatz von Online-Beschaffungstools wie der B-to-B-Plattform Aeroxchange will die Gesellschaft jährlich 80 bis 135 Millionen Mark einsparen. Die E-Commerce GmbH soll den Internetauftritt der C&N Touristic AG überarbeiten und neue Angebote für die Touristikbranche entwickeln. Der Info-Flyway, den es bereits in 60 Sprachen gibt, soll ausgebaut werden. Jede vierte Buchung kommt jetzt schon aus dem Ausland. Kein Bereich bleibt ausgenommen. Auch die Lufthansa Service Holding AG nicht. Sie plant ein Cateringportal, durch das die Gesellschaft besser mit ihren Airline-Kunden zusammenarbeiten soll. Jede der Konzerngesellschaften der Lufthansa soll bis Jahresende einen eigenen Masterplan für den Eintritt des Kranichs ins Internetzeitalter aufstellen. Die Internetpläne werden von einem Team koordiniert und überwacht, das dem neu geschaffenen Bereich e-Business berichtet. Es ist direkt beim Vorstandsvorsitzenden Weber angesiedelt.

Bei der Airline gab es in der Vergangenheit so viele verschiedene e-Commerce-Aktivitäten, die teilweise ungeordnet nebeneinander her liefen, dass der Überblick auch für den Konzernchef nicht einfach war. Er müsse als Vorstandsvorsitzender "nicht unbedingt alles wissen, was läuft – sofern Werte geschaffen und nicht vernichtet werden", sagte Weber in Frankfurt. "Ich bin mir bewusst, dass man auf die Rennbahn des e-Business mehrere Pferde schicken muss, wenn eines als Sieger die Ziellinie durchlaufen soll."

Markus Orth, 35, zuvor Leiter Vertriebsstrategie und Michael Erfert, 34, zuvor Leiter Onlinevertrieb, sollen bei der Webrevolution vorangehen. Sie sind Geschäftsführer der am 1. März gegründeten E-Commerce GmbH, in die der gesamte Internetvertrieb mit dem Direktvertriebskanal Info-Flyway ausgegliedert wurde. Bereits in diesem Jahr wollen die beiden einen Umsatz von rund 100 Millionen Mark erzielen, für 2001 sind mindestens 200 Millionen Mark Umsatz geplant.

Die Entscheidung, wer das Unternehmen führt, war laut Branchenfachblatt "Touristik Report" intern umstritten. Gerade weil im Konzern bekannt war, dass Weber in der Gesellschaft eines der wichtigsten Wachstumsfelder der Lufthansa sieht. Auch Lufthansa-Systems-Geschäftsführer Peter Franke hätte das Geschäftsfeld gerne in seinen IT-Bereich eingegliedert. Ähnlich enttäuscht wurde der Verantwortliche für die Passagesparte, Karl-Friedrich Rausch. Die Idee zur Ausgliederung soll vom damaligen Vertriebsvorstand Stefan Pichler stammen. Er ist heute Vorstandssprecher der C&N Touristic (u.a. Neckermann, Air Marin, Kreutzer, Condor), die seit Anfang Juni mit 25 Prozent an der E-Commerce GmbH beteiligt ist.

Mit seiner neuen Internetstrategie, die Konzernchef Weber am Mittwoch in Frankfurt vorstellen will, steht die Lufthansa nicht allein da: Vor der Fluggesellschaft haben bereits die Old-Economy-Giganten Daimler Chrysler, Volkswagen und Siemens den Sprung ins Netz gewagt. Die Gründe für die Netzoffensive der Lufthansa sind vielfältig: Senkung der hohen Vertriebskosten, gewaltige Wachstumsraten im Onlinereisemarkt und die Abwehr branchenfremder Konkurrenz, die sich zwischen Kunden und Luftfahrtunternehmen drängeln wollen. Mit Neid blickt die Lufthansa auf die Geschäfte vieler e-Commerce-Unternehmen. "Jeder vierte Bundesbürger ist ein potenzieller Kunde – 18 Millionen Deutsche", sagt Orth. Allein in diesem Jahr werden in Deutschland Reisen im Wert von rund 230 Millionen Mark über das Netz verkauft. Der Umsatz soll sich nach einer Lufthansa-Studie in den nächsten vier Jahren verzwölffachen. Die Fluglinie will den Spagat schaffen, sich ein großes Stück vom Kuchen abzuschneiden und die Reisebüros nicht zu verschrecken. "Die klassischen Vertriebskanäle werden auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen", sagt Antinori. Ihr Anteil soll jedoch bis 2005 von jetzt 93 auf 65 Prozent schrumpfen. Entscheidend ist, wie schnell sich der Traditionskonzern an die Spielregeln der New Economy anpassen kann. "Selbstverständlich wird auch in unserer Branche nicht über Nacht aus einem Konzern eine Startup-Garage", gibt Antinori zu.
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