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elektronisch gefesselte?

VII. »SO EIN PSYCHISCHER KNAST«

(1) Sibel T. kommt uns in Joggingklamotten mit einem kleinen Hund an der Haustür entgegen. Sie sagt, dass sie noch kurz Gassi gehen muss, aber die Wohnungstür ist auf und wir können schon hochgehen. Ich schaue Emel, die das Gespräch vermittelt hat und mich begleitet, verwundert an und wir fragen uns, wie sie jetzt mit der Fußfessel so einfach die Wohnung verlassen kann. Sibel erklärt uns dann später, dass sie morgens von 9-12 Uhr »Freizeit« hat, also in der Wohnung sein kann oder auch rausgehen kann, deshalb konnte sie eben gerade noch mal schnell mit dem Hund um den Block und Zigaretten holen. Wir sitzen in der Wohnung von ihrem Freund, in der sie zur Zeit wohnt und dort die Maßnahme »absolviert«. Sibel ist 2001 für eine Tat aus dem Jahr 1997, die aber erst 2000 »raus gekommen« ist, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Rechtsanwältin konnte den Haftantrittstermin bis zum Sommer 2002 verzögern:

»Also sie [die Anwältin] wollte, dass ich noch das erste Semester von der Schule abschließe. Und dann, als Sommerferien waren, da habe ich meine Tasche gepackt und bin dorthin. Also ich habe mich halt freiwillig gestellt. Ich habe halt gehofft, dass ich gleich in den Offenen Vollzug kann, weil diese Tat schon so lange her ist, erstens, und weil ich da selbst hin bin70
Ihre Einschätzung wurde auf der »Zugangskonferenz« der JVA sofort enttäuscht:
»Die eine hat gleich gesagt: Ja, was denkst du, dass du gleich in den Offenen Vollzug kannst oder wie, du hast drei Jahre bekommen. Und so, ich glaub dass ist ganz schön brutal, was die so lesen. War halt schon ziemlich ätzend, weil die dich halt nicht kennen.«"
Im Frauengefängnis Preungesheim geht Sibel in den Gefängnisbetrieben arbeiten und macht einen EDV-Kurs, sie hofft möglichst schnell in den Offenen Vollzug zu kommen. 2003 liest sie dann in »irgend so einem Blättchen« von der Fußfessel. Der kleine Artikel schafft es, Sibels Situation entscheidend zu verändern. Sie startet die Initiative: »Dann habe ich die Sozialarbeiterin aus dem Knast angesprochen. Die hat es dann dem Richter vorgeschlagen. Ja, und der hat dann zugestimmt.« Im September 2003 wird sie vorzeitig aus der Haft entlassen mit der Weisung elektronischer Überwachung. Sie und die Projektstelle hatten vorher mit ihrem Freund abgeklärt, dass sie in dessen Wohnung leben kann und dass dort die Technik installiert wird. Zur Fessel sagt sie:
»Ich finde es eigentlich locker mit dem Ding. [...] Also ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Also so, ich habe mich dran gewöhnt, ich weiß ja, dass es nur eine bestimmte Zeit an meinem Bein ist und dann wieder ab ist.«
Im Gespräch wird deutlich, dass sie erst seit zwei Monaten aus dem Knast draußen ist, darüber viel mehr zu erzählen hat und sich dadurch auch stark verändert hat: »Es ist halt irgendwie alles anders, seit ich da drin war.« Ihr Hauptproblem seit sie wieder draußen ist, ist auch nicht die Fußfessel, sondern die Ausländerbehörde, die wegen des Strafmaßes mit der Abschiebung droht. Über ihren dortigen »Sachbearbeiter«" erzählt sie:
»Also ich habe hier bei so einem Typ gelegen, ja meine Akte hat bei dem gelegen und der behandelt halt nur Intensivstraftäter. Kannste dir vorstellen, was das für einer ist? Ja und meine Sozialarbeiterin drinnen im Knast, mit der habe ich mich auch ganz gut verstanden und die hat auch ne Sozialprognose geschrieben über mich, ne positive, und die wollte er sich erstmal angucken, so die hat er auch bekommen. Und trotzdem habe ich diesen Brief [Ausweisungsverfügung] ich bin raus gekommen, das war Freitag und Samstag hab ich den Brief im Briefkasten gehabt.«71
Der Knast fungierte so bisher als Schutz vor der Abschiebung, ihr Anwalt versucht nun mit dem zuständigen Richter, die Wichtigkeit der Fußfesselmaßnahme gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen.

(2) Stefan N. wurde vom Projektbeauftragten gefragt, ob er ein Interview geben will. Beim Telefonat entgegnet er: »Kein Problem, wäre ja schon öfter jemand da gewesen, der was wissen wolle.« Wir machen einen Termin kurz vor Weihnachten aus. Stefan N. wurde vor drei Wochen die Fußfessel abgenommen, er hat das halbe Jahr hinter sich und untersteht jetzt wieder den normalen Bewährungsauflagen. Bei ihm kam die Fußfessel als Möglichkeit ins Spiel, um einer Haftstrafe zu entgehen, da er während einer laufenden Bewährungsstrafe eine neue Verhandlung hatte:

»Wegen Fahren ohne Führerschein mit Trunkenheit und Fahrerflucht. Und dann habe ich die Wahl gehabt, entweder ich trag so ne Fußfessel und krieg ne Bewährungsstrafe oder ich krieg halt ne Freiheitsstrafe. Und für mich war, ich hab nicht großartig überlegt, ich hab das halt angenommen, das Urteil und hab dann die Fußfessel auch getragen.«
Der Projektbeauftragte war schon vorher sein Bewährungshelfer gewesen, sie kennen sich seit fünf Jahren. Dieser schlug die Maßnahme dem Gericht vor, weil Herr N. nicht seine Wohnung und den Kontakt zu seiner dreijährigen Tochter verlieren wollte:
»Und wenn sie mich jetzt eingesperrt hätten, da wäre also niemand mit geholfen gewesen. Und da haben wir das halt so gemacht, da habe ich eine Bewährungsstrafe gekriegt und die Fußfessel. Das war so.«
Er zieht ein Resümee seiner Überwachungszeit:
»Und das war jetzt auch ein Vorteil der Fußfessel: Ich konnte meine Wohnung halten und ich habe auch die Möglichkeit gehabt, mir einen Job zu suchen. Aber ich habe nichts gefunden, weil es nun mal schwer ist. Aber da habe ich auch noch eine Möglichkeit gehabt was zu machen in der Hinsicht. Und so halt nicht, wenn man im Knast sitzt, da hockt man da und wartet bis es vorbei ist. Und dann steht man vor dem großen Nichts.«
Was Stefan N. hier mit anspricht, ist, dass er schon seit »zehn, zwanzig Jahren« arbeitslos ist und vom Arbeitsamt nicht mehr viel zu erwarten hat. In der Überwachungszeit leistete er gemeinnützige Arbeit in einem Freibad und renovierte ein Schulgebäude. Vor dem Prozess wegen Trunkenheit am Steuer machte er auch eine stationäre Alkoholtherapie und während der Maßnahme eine ambulante Therapie.

(3) Felix G. ist Hundeliebhaber. Deshalb fragt er mich am Telefon, ob ich Angst vor Hunden habe. Ich verneine, stelle mich aber auf Rottweiler, Doggen oder ähnliches ein. In der Wohnung werde ich dann von zwei großen, aber verspielten Kläffern empfangen. Felix G. ist gerade von der Arbeit als Möbelpacker gekommen und hat noch einen Blaumann an. Anders als bei den anderen Interviews habe ich bei ihm das Gefühl, dass er mich als »Studentenkopf« ein bisschen abcheckt, auch dadurch, dass er durch derbe und direkte, oft homophobe Sprache vermittelt, dass er hier »kein Blatt vor den Mund nimmt«.

Wegen einer Verurteilung zu Körperverletzung, die der Richter als »übertriebene Notwehr« einordnete, bekam er ein Jahr auf Bewährung. Dadurch, dass die Staatsanwältin aber in Berufung ging, änderte sich die Situation:

»Ja, und dann hatten wir, wussten wir, welchen Richter wir kriegen beim Landgericht, der Herr [Name], bei dem hätte ich keine Chance gehabt, dann ist das so über die Staatsanwaltschaft als Deal. [...] Ist ein Deal gemacht worden, ein halbes Jahr Fußfessel, dass ich ja nicht alles verliere. Es war klar, bei dem wäre ich weggefahren. Egal, was ich gemacht hätte und wenn ich nur ein Kaugummi geklaut hätte.«
Felix G. war schon öfter im Knast gewesen. Seine Motivation für den »Deal« mit der Fußfessel begründet er mir gegenüber mit seiner sozialen Situation, die er sich nach dem letzten Gefängnisaufenthalt aufgebaut hat:
»Also du musst jetzt bedenken, alles was du hier siehst, habe ich auf ehrliche Art und innerhalb vom Jahr 2000 bis jetzt herangeschafft. Davor war ich noch ein Jahr im Pennerheim, na gut. Aber du siehst, ich lebe nicht schlecht. Also von daher, denke ich, habe ich das schon gut gemacht. Ja, das würde ich dann halt alles verlieren. Dann müsste ich wieder neu anfangen. Weil bis ich aus dem Knast bin, ist das alles weg, würde ich denken.«
Auch seine Hunde waren ausschlaggebend, »die würden ja dann ins Tierheim gehen«. Allerdings räumt er ein,
»wenn ich richtig allein wäre, richtig allein und hätte nicht das soziale Umfeld wieder so aufgebaut oder was weiß ich, wäre ich wahrscheinlich, würde ich wieder in den Knast gehen. Knallhart.«
Die Bewährungshilfe versuchte den Wochenplan auf seine Arbeit als Möbelpacker abzustimmen, was zum Teil schwierig war, da die Zeiten sich aufgrund der Auftragslage jeden Tag ändern konnten bzw. vor allem Überstunden im Abendbereich lagen. Insofern musste er sehr oft beim Bereitschaftsdienst in Frankfurt anrufen, um diese Änderungen durchzugeben. Trotzdem »normalisierte« sich dieses Verfahren über die Zeit, es stellte sich Vertrauen gegenüber der Bewährungshilfe ein, auch darüber, dass Felix G. sagt:
»Das was ich sage, das tue ich in der Regel auch. [...] Und dann haben die mir das geglaubt. Gut, ja das ging auch so ein bisschen, Misstrauen, dann wird es überprüft. Aber ich habe auch versucht, die Zeiten einzuhalten, die wir da abgemacht hatten.«
Zum Interviewtermin ist Felix G. seit vier Monaten »Fessel-frei« und wieder in die normalen Bewährungsauflagen »entlassen«.

(4) Eric B. treffe ich in einem Frankfurter Jugendtreff. Das Date lief über einen Freund von ihm, den ich kenne. Ein Sozialarbeiter überlässt uns sein Büro, um etwas Ruhe abseits dem Klackern von Tischfußball und Billardkugeln zu haben. Eric macht schnell klar, dass er ohne die Vermittlung über unseren gemeinsamen Bekannten sich nie mit mir getroffen hätte. Er wirkt auch ein bisschen nervös, ich lasse mein Aufnahmegerät deshalb in der Tasche, beschränke mich auf einige Fragen.

Eric saß nach seiner Verhaftung etwa einen Monat in der JVA Weiterstadt in Untersuchungshaft, weil der Haftrichter ihn wegen einer fehlenden Meldeadresse als obdachlos einstufte. In dieser Zeit kam eine Bewährungshelferin in den Knast, die er vorher noch nie gesehen hatte und schlug ihm die Elektronische Fußfessel als Möglichkeit, um aus der U-Haft entlassen zu werden, vor. Zuerst lehnte Eric ab, aber sein Anwalt wusste durch Rücksprache mit dem Haftrichter schon, dass dieser sich nur auf diese Möglichkeit einließ. So willigte Eric in die Maßnahme ein, weil er so schnell wie möglich aus dem Gefängnis raus wollte. Er sagt, er »ist kein Typ für den Knast«. Die Wochen in Weiterstadt waren für ihn »krass« gewesen, weil man dort in der Umgebung mit »Mördern« und »Kinderschändern« »nur noch schlimmer, noch krimineller werden würde«. Zum Zeitpunkt des Interviews trägt Eric die Fußfessel bereits seit sieben Monaten. Da er weiß, dass die Fessel selten mehr als sechs Monate angeordnet wird, hat er das Gefühl »Versuchskaninchen« zu sein und dass versucht wird, ihn möglichst lange im Projekt zu behalten. Die Zeit der U-Haft-Vermeidung ist mittlerweile vorbei, denn er bekam im Prozess eine Bewährungsstrafe und trägt die Fessel jetzt als Bewährungsweisung noch drei Monate weiter, weil eine Mitarbeiterin der Projektstelle vor Gericht häufige Fehlermeldungen reklamierte.

VII.1 Überwacht: Modulationen des Alltags

Durch die Anlegung der Fessel werden die Überwachten nur mit der einen Seite der Technik, den am Körper getragenen Sender, konfrontiert (vgl. I.2.). Das eigentliche »Monitoring« durch die Software der Firma ElmoTech erleben die Überwachten lediglich durch die so genannte Datenbox, »diesen Kasten da« neben dem Telefon, auf den Sibel T. während des Interviews zeigt. Felix G. bemerkt zur anderen Seite der Überwachungstechnik: »Ich weiß auch nicht, wie die Daten aussehen, von daher kann ich dazu eigentlich nichts sagen.« Dass die Technik »ziemlich genau« ist, beschreibt Stefan N. dadurch, dass er sich auch wegen kleiner Abweichungen erklären musste:

»Es kam ja auch in den sechs Monaten mal vor, dass ich mal so, vier Minuten zu spät bin aus der Wohnung und da hat es bei denen schon - eine Fehlermeldung nennt sich das -, kriegen die dann.«
Die Überwachung wird also nicht als Simulation erfahren, sondern als im Detail funktionierend. Eigenmächtige Änderungen im Wochenplan sind so nicht möglich bzw. die Konsequenzen dafür sind klar. Der Bereitschaftsdienst, obwohl in Frankfurt von denselben MitarbeiterInnen der Projektstelle besetzt, wird von den Überwachten dann auch als vornehmlich kontrollierende Instanz erlebt. Eric B. erlebte diese Anrufe am Anfang schon als einschüchternd, da gedroht wurde, er wandere wieder in den Knast bei erneuten Verstößen. Jetzt am Ende seiner Fußfessel-Zeit sieht er das gelassener, weil er weiß, dass er dafür schon einen gravierenden Verstoß produzieren müsste. Felix G. verbucht eine ähnliche Situation als einmalige Erfahrung, die er für sich entscheiden konnte:
»Ich hatte im Laufe der Zeit nur einen Idiot, das war irgend so ein Typ, so ein Lutscher. Den habe ich dann abends angerufen, da kam der unfreundlich rüber und dann sagte er: Wissen Sie was, das ist mir scheißegal, dann gehen Sie in den Knast! Und dann habe ich gesagt: Ja und, du schwuler Penner, dann gehe ich halt ein paar Monate in den Knast! Ja, nerv mich nicht ab, kotz mich nicht an! Der meinte: Kommen Sie wieder runter. Da sage ich: Ich bin gerade drauf gekommen.«
Alle haben eine verpflichtende OUT-Zeit, für Sibel T. ist dies der Gang in die Abendschule, für Stefan N. und Eric B. vormittags gemeinnützige Arbeit und für Felix G. ganztätige Arbeit als Möbelpacker. Die Freizeiten, also die Zeiten, in denen die Überwachten entweder innerhalb oder außerhalb ihrer Wohnung sein können, sind bei den Überwachten mit U-Haft-Verschonung am kürzesten, bei den anderen etwas länger. Die Wochenpläne sind also durchaus individuell zugeschnitten, aber die IN-Zeit, also die verpflichtende Hausarrestzeit gilt bei allen nachts. Bei Sibel T. wegen der Abendschule von 24-9 Uhr, bei Stefan N. von 22-9 Uhr, bei Felix G. von 21-8 Uhr und bei Eric B. in der Zeit der U-Haft-Verschonung ab 20 Uhr abends, jetzt wurde sie etwas verlängert, da er auch eine Arbeitsstelle gefunden hat. Der Projektbeauftragte des Landgerichtsbezirk Darmstadt meint dazu trocken, dass das meistens der Anspruch der Gerichte ist, »die dann sagen, zu einer bestimmten Tageszeit, nämlich nachts, soll er zu Hause sein, weil die meisten machen nachts dummes Zeug«.

Körper, Kopf, Seele: Gewöhnen und Aushalten
Der direkt am Unterschenkel getragene, durch ein Hartplastikband fixierte Sender wird vor allem in den ersten Wochen als Fremdkörper beschrieben:

»Ja die erste Woche oder die ersten beiden Wochen hat es mich ein bisschen gestört. Aber jetzt merkt man das Teil gar nicht mehr. Klar, wenn ich duschen gehe, dann sehe ich das halt, muss man es halt immer so hin oder her schieben, halt so Frauenprobleme, Beine rasieren oder so, dann muss man es immer hoch und runter schieben. Sonst eigentlich merke ich das nicht.« (Sibel T.)
Trotzdem greift sich Sibel beim Interview relativ oft an die Fessel und kratzt sich dort. Felix G. spricht auch von einer Gewöhnungsphase, durch die schwere körperliche Arbeit als Möbelpacker hat er sie aber schon öfter gespürt, denn »du spannst die ja mit an, da merkst du es schon mal ab und zu«. Allerdings betont er, »das ist halt psychisch mehr, würde ich sagen«. Und er fügt hinzu: »Hier am Kopf fühlst du es. Also finde ich, weil du lebst ja nach einer Uhr, nach Vorschriften.« Ein Effekt ist so eine rigide Disziplinierung über Zeit. Stefan N. spricht von einer relativ schnellen Gewöhnung an den Fremdkörper, verweist aber später auf einen ganz besonderen sekundären Effekt hin:
»Aber ich denke schon, wenn man mal das Ding für sechs Monate hat und wird man immer dran erinnert, man hat was gemacht, ne. Weil man es ja am Fuß hat, das Teil. Ich meine, das merkt man ja auch dann irgendwo immer. Und da guckt man auch drauf, da weiß man, warum man das Ding trägt.«
Als ich nachfrage, an was man genau erinnert wird, sagt er:
»An die Straftat, die man gemacht hat. Ich weiß, ich hab das Ding getragen, weil ich mit einem Auto herumgefahren bin und war halt besoffen und brauch nur darauf zu gucken und da werde ich daran erinnert. Und das sechs Monate lang.«
Dieser zweite Aspekt der Überwachung wirkt hier, obwohl die Maßnahme von vielen Juristen nicht als Sanktion betrachtet wird, im Schema von Schuld und Sühne der absoluten Straftheorien »wie eine Inkarnation der Straftat, die man gemacht hat« (Projektbeauftragter). Natürlich ließe sich auch diese Wirkung als Bestandteil von Resozialisierung auslegen, wobei das unter JuristInnen recht umstritten ist, vor allem in ihrer Anwendung im so genannten Behandlungsvollzug des Jugendstrafvollzuges (vgl. Albrecht 1993, 66ff.).

Knast vs. Fußfessel: halbe Freiheit oder Selbsteinsperrung
Bei Sibel T. und Felix G. wird die eigene Auseinandersetzung mit der elektronischen Überwachung im Vergleich zur Gefängnisstrafe geführt. So hatte sich Sibel die Fußfessel »schlimmer vorgestellt«, aber jetzt ist »es eigentlich locker mit dem Ding«. Der Knast hängt ihr noch in seinen kleinlichen Details nach: »Wenn die [Schließer] mit ihren Schlüssel so rum, so einen Krach machen. Dieses Geräusch von diesen Schlüsseln ist total ätzend. Ich hasse dieses Geräusch«. Im Vergleich zu der Überwachung im Gefängnis und der Organisation ihres Alltags durch Andere mit den verbundenen entmündigenden Kleinlichkeiten sagt sie zur Fußfessel:

»Das kann man gar nicht mit dem Knast vergleichen. Überhaupt nicht. Hier macht halt keiner für mich die Post auf. Ich mach die selber auf. Ich lese die selbst, sonst liest die keiner. Ich kann telefonieren mit wem und wann ich will. Das ist was ganz anderes. Also die können das ruhig mehr Leuten verpassen, das Teil.«
Das Positive für Sibel ist hier die Rückkehr zu Alltäglichkeiten, die Eigenorganisation von minimalen Alltagshandlungen, die im Knast de-sozialisiert werden. Felix G., der schon öfter eingefahren ist, vergleicht die Maßnahmen auf der Ebene der Spielregeln. Die sind für ihn im Knast relativ klar. »Im Knast verlierst du nur die Freiheit, aber die hast du ja schon dann nicht mehr, dann weißt du ja genau, was auf dich zukommt, du kennst das Schema«. Das Gefängnis hat klare körperliche Grenzen: Mauern, Türen, Schlösser. Dadurch kennzeichnet es Felix G. als einen Ort mit klaren Regeln und einer sichtbaren Rationalität sowie Spielräumen wie dem Drogenhandel:
»Aber wenn ich rauskomme, bin ich nicht resozialisiert, wahrscheinlich bin ich eher schlimmer drauf, weil ich die ganzen Tricks kenne und noch mal neben her zwangsläufig in die Schule gegangen war, je nachdem, wo ich bin«
Felix G. ist auch körperlich kein schwacher Typ und er vermittelt, dass er sich im Knast nicht klein machen lässt:
»Ich mein, ich kenn ja jetzt beide Seiten, ich kenn die Seite vom Knast her, das habe ich lang genug gemacht und kenn jetzt die Seite hiervon. Ich würde mal sagen, im Knast kann ich was tun. Wenn ich jetzt will. Na wenn da einer kommt, was weiß ich, ein Grüner [Schließer], da sage ich: Verpiss dich! Oder ich tu das, was du willst. Das ist meine Entscheidung. Ja, bei der Fußfessel, da musst du es tun. Sonst bringt es Ärger. [...] Irgendwie bist du doch eingesperrt, auch in einem gewissen Sinn.«
Auf meine Nachfrage, wie sich diese Art von Einsperrung durch die elektronische Überwachung anfühlt, sagt er wiederholt: »Nervig. [lacht] Hey Mann, das nervt einfach!«

»Da musste ich halt raus, das ist der Unterschied«
In der Diskussion um die Einführung der elektronischen Fußfessel wurde vor allem der Aspekt einer möglichen Stigmatisierung durch das Tragen der Fessel thematisiert. Alle vier von mir interviewten Überwachten hatten damit kaum Probleme. Allerdings muss ich dazu einschränkend sagen, dass ich mit vier Personen geredet habe, die sowieso verhältnismäßig offen mit der Fessel umgehen. Markus Mayer, der mit einem Großteil der Überwachten gesprochen hat, stellt fest:

»Also mit dem Gerät selber gehen sie nicht offen um. Das hängen die wenigsten an die große Glocke. Es gibt ein paar, die damit im Schwimmbad waren. Das war bisher eine Minderheit.«
Stefan N. beispielsweise arbeitete damit im Freibad: »Und klar tun die Leute ein bisschen gucken, ne das ist normal. Aber man wird eigentlich nicht so angesprochen drauf, ja was das jetzt genau ist.« Eric B. wiederum wurde bei einem Freibad-Besuch von einer »Oma gefragt, was das ist« Er fügt an, dass die Bewährungshelferinnen sogar für solche Situationen Vorschläge machen, welche Ausreden man erzählen kann, wie das es ein Puls- oder Blutdruckmesser sei. Das war auch der Kniff eines der ersten Überwachten, der dies einem neugierigen Sportsfreund unter der Dusche so verkaufte: Der wollte daraufhin gleich auch eins haben (vgl. Der Spiegel 18/2001, 58). Der Bekanntenkreis der vier weiß über die Situation Bescheid, oder wie es Felix G. ausdrückt:»Ich habe das jedem gesagt, ich habe da keinen Hehl daraus gemacht. Ich sag doch, wen es stört, der hat Pech gehabt. Ich bin doch nicht blöd. Von mir aus war's das.« Eric B. mutmaßt, dass mittlerweile sowieso »die halbe Welt weiß, dass ich das Ding trage«. Bei ihm rief schon SAT 1 an, aber er lehnte ab, weil er kein Kamerateam in seiner Wohnung haben wollte.

Die Sachen, an die man sich viel schwieriger gewöhnen konnte, waren bei allen sehr verschieden. Da ist vor allem das Verhältnis von Drinnen & Draußen, also dem Zwang zu bestimmten Zeiten in der Wohnung zu sein, aber auch der Zwang zu bestimmten Uhrzeiten aufzustehen, um raus zu gehen, um einer geregelten Arbeit nachzugehen. In einem standardisierten Tag beginnt der Ablauf mit dem durch die fordistische Produktionsweise etwas nach hinten verlegten »Hahnenschrei«. Dadurch, dass die betreuenden BewährungshelferInnen als häufigste Fehlermeldung Verspätungen beim Verlassen der Wohnung morgens aufzählen, kam mir der Name »Elektronisch überwachter Weckdienst« in den Sinn. Stefan B. erzählte mir, dass er nach jahrzehntelanger Arbeitslosigkeit überhaupt nicht mehr gewöhnt war, vormittags aufzustehen: »Und jetzt angenommen, wenn es draußen regnet, da bleibe ich doch daheim und da machen wir den Fernseher an. Da musste ich halt raus. Das ist der Unterschied.« In der ersten Zeit war genau diese Auflage der Gemeinnützigen Arbeit für ihn »schon eine Strafe«. Allerdings räumt er aus der Retrospektive ein: »Da ist halt alles ein bisschen geregelter und ich find das jetzt im Nachhinein, da finde ich es eigentlich gar nicht so schlecht.« Für Felix G. hatte sich an diesem Punkt nicht so viel geändert, weil er seine Arbeit als Möbelpacker weitermachte. Daraus ergab sich die paradoxe Situation, dass seine Arbeit durch ihre flexibleren Zeiten manchmal mit dem Wochenplan kollidierte, der auf feste Zeiten zugeschnitten ist:

»Also, es orientiert sich, wenn man so will, an einer industriegesellschaftlichen kleinbürgerlichen Normalität, die davon ausgeht, dass man eben morgens aus dem Haus geht zur Arbeit, abends zurückkommt, dann noch Besorgungen macht und den Abend mit der Familie verbringt und am Wochenende ein gewisses Maß an Freizeit draußen verbringen kann.« (Markus Mayer)
Das war für Felix G. problematisch, da er wegen einer hohen saisonalen Auftragslage, nicht so leicht die Termine mit der Bewährungshilfe einhalten konnte, was er lakonisch kommentiert: »Aber ich kann meinen Job nicht wegen der Bewährungshilfe aufgeben oder einen Tag Urlaub nehmen oder so.« Trotz dieser Ambivalenzen sind diese Situationen aber kein Widerspruch in der Maßnahme, denn diese zielt ja darauf ab, dass sich Leute in einer »Normalität«, also in einem geregelten, durch Arbeit bestimmten Leben (wieder) einrichten.

»Ich kann nicht raus gehen: Feiern jetzt, Party machen geht nicht«
Tagsüber wird, auch wenn die Einzelnen damit unterschiedlich umgehen, eine Situation geschaffen, die man als »Draußen«" beschreiben kann, als »normaler«", über Arbeit oder ähnliche Maßnahmen regulierter Alltag. Die Situation der Einsperrung in der Wohnung wird eher an den Grenzen der beschnittenen Freizeit, vor allem im Abendbereich erfahren wie in dem Zitat aus der Überschrift von Sibel T.

»Musst halt immer um 22 Uhr abends daheim sein, das hat mir schon ein bisschen gestunken, weil es war ja mitten im Sommer gewesen. Ich hab das Ding im Mai angezogen, ja im Mai wurde es angelegt das Teil und da war es ja draußen um zehn noch hell und da hockt man hier drin, hockt halt abends daheim. [...] Aber um zehn Uhr, wie gesagt, da gehen die ganzen Jungs noch weg und noch ein bisschen abfeiern und machen und tun und ich hock dann daheim.« (Stefan N.)
Felix G. beschreibt, wie er darunter nicht nur selbst litt, sondern auch sein Bekanntenkreis:
»Ich hab meinen Freunden dann halt so alles erklärt. Ja am Anfang, da haben die sich noch draußen hingestellt: Ja komm doch mit und was weiß ich. Das ist ja schön auf der einen Seite, auf der anderen Seite, gut, wussten sie es aber auch, klar. Die haben ja im Endeffekt mit drunter gelitten, mehr oder weniger.«
Sibel ist manchmal eifersüchtig auf ihren Freund, weil er diese Einschränkungen nicht erfährt: »Wenn ich zum Beispiel zu Hause bleiben muss und er geht irgendwo hin, dann bin ich beleidigt, wenn er mich alleine lässt. Aber ich kann ihn ja nicht festbinden.« Bei Stefan N. stieg dadurch die Telefonrechnung: »Da hockt man abends daheim und tut dann telefonieren, ohne Ende.« Für Felix G. ist die Trennung zwischen dem Arbeitsalltag am Tag und der Kolonie seiner eigenen vier Wände am deutlichsten gewesen: »Also in dem Sinne hast du es eigentlich nur abends gespürt, tagsüber nicht, früh auch nicht.« Abends drinnen sein bedeutet dann: »"Ja, irgendwann ging mir die Bude hier auf den Keks. [...] Und sechs Monate können sich ziehen.«

VII.2 »Eigentlich bin ich dadurch als Person viel gestresster«

Die Vektoren der Maßnahme lösen Modulierungen der überwachten Alltage aus: Die ständige Kontrollsituation durch den Sender am Bein und das Wissen, dass sich bei einer Fehlermeldung sofort jemand meldet, ein stark geregeltes Zeitregime durch Wochenplan, IN- und OUT-Zeiten, die nächtliche Ausgangssperre und dadurch unterdrückte Freizeitwünsche sowie die Auswirkungen auf Angehörige und Freunde. In Folge soll es darum gehen den Handlungsrahmen bzw. das Handlungskonzept auszuloten, das die Maßnahme für die vier Interviewten generiert. Bestimmt allein die Struktur der Maßnahme die Handlung oder gibt es auch Praktiken, die dem entgegenlaufen?

Felix G. nervt vor allem, dass er sich im Vergleich zum Gefängnis selbst einsperren muss. Das Gefängnis funktioniert in diesem Raumschema als Ort, dort »bist du ja schon eingesperrt. Noch mehr einsperren können sie dich ja nicht.« Im Vergleich zu dieser Institution erlebt er in der Maßnahme Fußfessel vielmehr die Anforderungen, sich als Subjekt selbst im Raum zu regulieren, den Zwang selbst auszuüben:

»Na hier draußen ist das halt so: An den Fenstern hast du ja keine Gitter, du könntest ja raus oder die Tür ist ja auf. Du kannst rausgehen, wann du willst. Ja und du kannst es auch wiederum nicht. Das ist genauso derselbe Effekt wie im Knast. So ein psychischer Knast, also kopfmäßig im Knast. Ei du kannst, aber du darfst nicht.«
Was de Certeau als Taktiken beschreibt, nämlich aus Orten durch eigene Praktiken Räume zu machen, um damit andere Lesbarkeiten urbaner Geographien zu schaffen (vgl. de Certeau 1988, 23ff.), dreht sich hier um gegen die Subjekte, die plötzlich gezwungen sind in flexible Räume Orte und Grenzen einzuziehen. Die Potentiale des Fluiden werden durch das Monitoring wieder in die Matrix der anti-nomadischen Disziplin eingespeist: Solange sich die Individuen an die Regeln der Maßnahme halten, sind sie in Raum und Zeit ort-bar - und das inmitten der Metropolen und nicht in einer totalen Institution - im Immanenzfeld der Disziplin (vgl. Hardt & Negri 2002, 338). Im Unterschied zu den Zumutungen einer Institution, der Setzung von räumlichen Grenzen, sind die räumlichen Grenzen im Rahmen der Fußfessel eher virtuell. Durch den Wochenplan wird festgelegt, wann sie überschritten werden dürfen und wann nicht. Sibel T. erläutert dies an einem Alltagsbeispiel, wenn die Zigaretten während einer IN-Zeit plötzlich alle werden:
»Na klar gibt es das. Schon, ich weiß halt, es geht halt nicht. Dann schicke ich halt meinen Freund zum Zigaretten holen oder muss halt warten, wenn er nicht da ist, bis ich wieder raus kann.«
Stefan N. litt unter diesen Einschränkungen, relativiert diese aber dadurch, dass er deswegen nicht ins Gefängnis musste:
»Wenn ich es nicht gemacht hätte mit der Fußfessel, wie gesagt, ich hätte einfach zu viel verloren und jetzt im Nachhinein sage ich, das ist eigentlich schon eine gute Sache und wenn man sich auch ein bisschen dran hält an die Abmachungen bzw. an die Vereinbarungen, an den Plan, den man da hat. Und wenn man Interesse hat, frei zu bleiben, dann ist das schon eine gute Sache.«
Er betrachtet die Maßnahme als das kleinere Übel, dessen Verpflichtungen er eingegangen ist und dessen Effekte er eher produktiv verbucht: »Da muss man halt um sieben die Wohnung verlassen und wenn ich eh aufstehen muss, dann kann ich auch was Nützliches machen.« Das ist für ihn die Motivation, sich um etwas zu kümmern wie »aufs Arbeitsamt gehen in der Zeit«, was er nach jahrelanger Arbeitslosigkeit schon aufgegeben hatte. Auch Felix G. fasst das Einhalten der Regeln für ein halbes Jahr als eine Art Vertrags-Partnerschaft auf:
»Aber ich hätte ihnen keine Chance gegeben, also sagen wir es mal so, dass sie soweit mein Leben in den Griff bekommen, dass sie mich hundertprozentig umpolen könnten. Da hätte ich ständig blockiert. [...] Andererseits bin ich aber nicht ein Typ, wenn ich das Spiel eingehe, dass ich das einfach missbrauche. Und sag ich jetzt einfach mal so, hätten sie mich vielleicht, bösartig gesagt, unter Druck gesetzt, hätten sie genau das Gegenteil damit erreicht.«
Er bringt auf der einen Seite seine Subjektposition ins Spiel, seine Grenzen, fasst das Einlassen auf die Maßnahme aber auch als Spiel auf. Und ein Spiel funktioniert eben nur, wenn alle die Regeln beachten (vgl. Burawoy 1979, 81). Sein Verhältnis zur Akteurin der Bewährungshilfe in diesem Spiel bezeichnet Felix G. dann auch nicht als oppositionell, sondern als Kooperation. Als ich ihn danach frage, wie sein Wochenplan festgelegt wurde, spricht er einleitend mit dem Personalpronomen der ersten Person Plural: »Also in der Regel haben wir es so gemacht...«

»Ich hab die Frau jetzt fünf Jahre am Hals«
Der Vertrag bleibt zum Teil abstrakt - mit wem hat man ihn eigentlich abgeschlossen? Die RichterInnen tauchen als Akteure innerhalb des »Spiels«" für die Überwachten kaum auf. Felix G. nimmt den Richter nur wahr als jemanden, der die Berichte liest: »Den interessiert das eigentlich nur, ob das positiv war oder er es überstanden hat, das halbe Jahr oder auch nicht« Im positiven oder negativen Sinn sind so für die vier Überwachten eher die Richter die Verantwortlichen für das Tragen der Fessel. Bei Felix G. und Stefan N. als»letzte Chance«, bei Eric als einziges Angebot des Haftrichters, ihn aus der U-Haft zu entlassen und für Sibel T. wiederum die Möglichkeit, früher aus dem Knast zu kommen. Für Sibel spielt dieser Richter, der ein anderer ist, als derjenige, der sie verurteilt hat, sogar weiterhin eine wichtige Rolle. Der Richter versucht gegenüber dem Ausländeramt die Wichtigkeit der Maßnahme zu betonen, um Sibels Abschiebung zu verhindern - Rehabilitierung vs. nationales Grenzregime.

Direkte Akteure oder Partnerinnen sind die individuellen BewährungshelferInnen und bei Fehlermeldungen auch der Bereitschaftsdienst, der oben schon vornehmlich als Kontrollinstanz beschrieben wurde. Die Kontrolle durch die jeweiligen BewährungshelferInnen wird von Sibel T. als unbewusste Absicherung erlebt:

»Meine Bewährungshelferin, die guckt halt manchmal so, ob ich das Teil noch am Bein habe. Sagt es halt nicht, aber sie guckt. Sie schielt da so rüber. Guckt da so, ob ich das noch dran habe.«
Die Beziehung zu seinem Bewährungshelfer im Vergleich zur regulären Bewährungsarbeit markiert Stefan N. als deutlichen Unterschied durch ein »Mehr« an Wissen:
»Ja klar, weil, er weiß ja, ich muss morgens jetzt um neun Uhr raus, muss da meine Arbeit machen. Also weiß er dann zumindest wo ich von neun bis um ein Uhr bin. Und das weiß er so halt nicht, wenn ich das Ding nicht trage, da weiß er das nicht. Und so weiß er auch, ich bin um 22 Uhr abends daheim. Und das weiß er vorher auch nicht, wenn ich das Ding nicht trage. Das sind halt die Unterschiede da.«
Als Vergleich zur normalen Bewährungszeit bedeutet das:
»Das habe ich vorher nicht gehabt, da habe ich einfach nur Bewährung gehabt, da musste ich alle vier Wochen mal hin zum Bewährungshelfer. Der hat gefragt, ob's was Neues gibt oder wie es halt so geht usw.«
Sibel T. hatte mit ihrer ehemaligen Bewährungshelferin sehr schlechte Erfahrungen gemacht:
»Weil das heißt ja eigentlich Hilfe, Bewährungshilfe, aber die war für mich keine Hilfe. [...] Also zu meiner Gerichtsverhandlung ist sie auch nicht gekommen, da war sie krank. Hat sie nur so einen Bericht über mich geschrieben, da weiß ich bis heute nicht, was drinsteht.«
Mit der Bewährungshelferin des Projektes kommt sie gut klar: »Die ist auch noch recht jung, die ist gerade mal zwei Jahre älter als ich. Ist eigentlich ganz okay.« Sie grenzt diese Form der Sozialarbeit auch deutlich von den SchließerInnen im Gefängnis ab:
»Ne das ist was ganz anderes. Die waren nur dafür da, mir die Türen aufzuschließen. Sind so eigentlich die Knechte für uns gewesen, drinnen. Die uns halt die Türen aufschließen, unsere Post austeilen und mehr nicht. Bewährungshelferin ist was ganz anderes, ja.«
Felix G. sieht es als ein Zwangs-Verhältnis, aus dem man aber versuchen sollte, das Beste zu machen:
»Das ist auch für sie besser und für mich. Ich mein, ich hab die Frau jetzt fünf Jahre am Hals, warum soll ich mich fünf Jahre lang mit der rumärgern. Also da habe ich keinen Bock, also in den fünf Jahren bleibt ja auch irgendwas hängen, sie weiß was von mir, ich weiß was von ihr.«72
Eric B. versucht, eine gewisse Distanz zu wahren. Er sagt, dass er mit seiner Bewährungshelferin gut auskommt, aber keine Lust hat, dass sie bei ihm »zu Hause aufläuft«. Deshalb macht er die Termine mit ihr lieber in ihrem Büro. Am Tag unseres Gesprächs kommt er gerade von der Projektstelle in der Gerichtsstraße, weil sich die Bewährungshelferin überzeugen wollte, dass seine momentane Krankschreibung nicht simuliert ist.

Strukturseite: Fehlermeldungen
Durch die elektronische Überwachung liegen den BewährungshelferInnen alle Fehlermeldungen vor. Das sind zuerst die technischen Fehlermeldungen, die vom Empfänger an den Rechner in Hünfeld gemeldet werden. Eric B. nerven diese Meldungen am meisten, da er deswegen schon öfter zur technischen Kontrolle kommen musste. Außerdem mutmaßt er, dass seine Telefonrechnung dadurch immens gestiegen ist, weshalb die Telefonkosten mittlerweile vom Projekt übernommen werden. Felix G. beklagt sich über die Unterstellungen in diesem Falle: »Ja irgendwie haben sie mal gemerkt, das Gerät war kaputt. Dann wird erst überprüft, ob ich das manipuliert habe oder nicht. Das sind so Dinger, das nervt auf Dauer.« Neben den rein technischen Fehlermeldungen gibt es meistens Abweichungen vom Wochenplan.73 Generell wird eine Kategorisierung in a) zuvor abgesprochene und b) nachträglich geklärte Abweichungen vorgenommen, die sich also begründen lassen. Liegt keine Begründung vor, dann wird die Abweichung zum Verstoß, der unter 30 Minuten noch von der Bewährungshilfe verwarnt wird. Sind es mehr als 30 ungeklärte Minuten, muss dies dem Richter mitgeteilt werden. Zuallererst wird also der Bereitschaftsdienst aktiv. Kommt zum Beispiel morgens eine Fehlermeldung rein, dass die überwachte Person immer noch in der Wohnung ist, obwohl sie schon längst auf dem Weg zur Arbeit sein müsste, dann ruft der Bereitschaftsdienst dort an:

»Wenn ich morgens verschlafen habe oder sonst irgendwas, dann rufen mich die auch hier an auf dem Festnetz und fragen mich, warum ich noch in der Wohnung bin. Und dann muss ich es denen halt erklären, ich hab verschlafen oder mir geht's nicht so gut.« (Stefan N.)
Im Bereich der Abweichungen lässt sich dann ankreuzen: »Proband hat verschlafen«. Kommt umgekehrt jemand laut Plan zu spät oder zu früh nach Hause, wird der Bereitschaftsdienst versuchen, die Person auf ihrem Mobiltelefon (wenn sie eins hat) oder spätestens, sobald sie vom Empfänger in der Wohnung wieder erfasst wird, auf dem Festnetz anzurufen: »Wenn ich früher Schule aus hatte, dann wird halt gleich angerufen: Warum sind Sie schon da? Dann muss ich das erst mal erklären: Ja, Unterricht ist ausgefallen und so.« In diesem Fall wird in der Rubrik: »Beruf« ein Kreuzchen gemacht, eine andere Möglichkeit wäre »Transportmittel«, wenn jemand aufgrund einer Verspätung des Öffentlichen Nahverkehrs zu spät nach Hause kommt. Die BewährungshelferInnen werden dann im nächsten Gespräch darüber reden bzw. eventuell den Grund überprüfen. Anders verhält es sich mit den vorher abgesprochenen Abweichungen, wenn jemand zum Beispiel Überstunden macht, es aber nicht mehr möglich ist, den Wochenplan im Rechner in Hünfeld zu ändern. Diese Abweichungen sind im vornhinein genehmigt worden und bedürfen also keiner Kontrolle mehr.

Interaktionsseite: Mikro-Justiz und positive Lenkung
Ein Teil des Bewährungs-Verhältnisses ist also ein Sprechen über diese Vorkommnisse. Dadurch befinden sich die Überwachten in der Situation, die Foucault als »Mikro-Justiz« bezeichnet durch die Verfahren der »normierenden Sanktion« und der »Prüfung« (Foucault 1977, 230ff). Zwar führen die kleinen Abweichungen nicht sofort zum Abbruch der Maßnahme, aber sie bilden beständigen Gesprächsstoff: Ziel des erwarteten »Besserungseffekts« (vgl. ebd., 232) ist, dass die Individuen sich der Maßnahme immer mehr anpassen. Daneben gehört aber zur klassischen Sozialarbeit in der Bewährungshilfe auch der Teil, den Stefan N. als »Hilfsangebot wahrgenommen« hat. Seinen Bewährungshelfer ruft er auch an, um zu fragen, wie er Rechnungen bezahlen soll oder Schreiben aufsetzt: »Da ist er okay, der Herr [Bewährungshelfer], der tut sich auch gut einsetzen, wenn irgendwas ist.« Auch Sibel T. betont den persönlichen Einsatz ihrer Bewährungshelferin: »Die kümmert sich auch um andere Sachen. [...] Will jetzt auch einen Bericht über mich schreiben, warum sie mich nicht abschieben sollen, solche Sachen macht sie halt schon.« Durch diesen positiven Einsatz und über das »Vertrauen durch Wissen« nimmt sie von ihrer Bewährungshelferin auch andere Anweisungen an:

»Vor ein paar Tagen hatte ich überhaupt keine Lust in die Schule zu gehen und da habe ich ihr halt gesagt, ich hab Halsschmerzen und die hat mir das nicht geglaubt. Die so: Frau [Name], gehen Sie jetzt. Und so, da bin ich halt gegangen. Hat halt nicht locker gelassen.«
Felix G. betont erneut die Gegenseitigkeit der Beziehungsform, er erzählt von den Alltagsthemen über die man sich beim Hausbesuch so austauscht:
»Klar, die kriegt ja auch einiges mit. Sie kommt zwar, ich rede mit der [Bewährungshelferin] dann auch über die Tiere hier. Dann sagt sie, sie hat sich einen Hund gekauft, was weiß ich, auch über Privates. Man holt sich einen Rat ein, ja was weiß ich, über Computer. Wenn sie ne Frage hat, wie könnte man das machen, so und so und das und das Problem, dann kriegt sie eine Antwort. Da reden wir drüber. Da mache ich doch keinen großen Klimbim drum.«
Die Bewährungshelferin dringt zwar in seine Privatsphäre rein, aber er sieht sich im Gespräch als gleichberechtigter Akteur, der eben auch mal einen Ratschlag gibt, wenn er zum Thema Computer oder Hundehaltung einen Wissensvorsprung hat. Läuft die Vertragsbeziehung gut, werden die Akteure der Lenkungs-Seite auch als motivierend oder anerkennend wahrgenommen:
»Mir hat man gesagt, dass ich halt gut damit klar komme, dass ich jetzt eigentlich so die Beste bin, die damit klarkommt. [...] Und das ich halt noch viel aus meinem Leben machen kann. So Sachen sagt sie halt.« (Sibel T.)
Mikro-Justiz, »sanfte« Formen der Lenkung, Hilfsangebote und Anerkennungsgesten in einer Beziehung - ein Widerspruch? Nein, das sind Kennzeichen jeder »natürlichen« autoritären Beziehung: zu den Eltern, zu der Figur des strengen aber gerechten Lehrers, auch zu Ärztinnen und Therapeuten. Dies sind Ansätze von produktiver Lenkung, die Foucault mit Pastoralmacht (und später mit Gouvernementalität) bezeichnet. Um die Ambivalenz von Kontrolle und Hilfe zu verdeutlichen, nehme ich an dieser Stelle eine Ereigniskarte vom Stapel.

Ambivalenz von Kontrolle und Verständnis in einer Ausnahmesituation
Abends während seiner unbedingten Hausarrestzeit (IN-Zeit) ließ Felix G. manchmal seine Hunde von Freunden ausführen. Dabei kam es einmal zu einem Unfall, bei dem die Tiere von einem Auto angefahren wurden:

»Dann haben die [Freunde] mich angerufen, und dann bin ich da los. Das war mir dann auch scheißegal. Das hätte ich jetzt im Knast vielleicht nicht machen können, da hätte ich da jetzt ausbrechen müssen. Hier bist du dann einfach raus. Dann habe ich da [Bereitschaftsdienst] angerufen, okay, dann kam am nächsten Tag der Bewährungshelfer, hat sich das angeguckt. Und das kann man zwar einmal unter Kontrolle sehen oder man kann das sehen, weil er ja selber Tiere hat und weil meine Hunde ja eigentlich relativ bekannt bei denen sind - auch begehrt, das heißt begehrt nicht, sind halt gern gesehen -, dass er aus menschlichen Gründen gekommen ist. Ich denke, eher aus menschlichen und wenn er aus beruflichen Gründen gekommen ist, dann tut es mir leid, aber, gut, dann hat er mich halt kontrolliert. Aber das war halt der Fall. Weil das sind so Sachen, ich stehe dazu, was ich gemacht habe. Also ich habe damit kein Problem und wen das stört, der muss sich ja entweder nicht mit mir abgeben oder geht mir aus den Füßen. Und das ist meine Lebenseinstellung.«
Felix G. produzierte also einen Verstoß gegen den Wochenplan, der aber hinterher genehmigt werden konnte, weil besondere Umstände vorlagen. Das interessante an dieser Ausbruchssituation ist, dass er die nachträgliche Kontrolle in ihrer Ambivalenz von Überprüfung und/oder menschlichem Interesse beschreibt, die er aber nur aus einer Annahme-Position beschreiben kann. Diese Erfahrungen von Überwachten sind nicht untypisch für Standard-Situationen in der allgemeinen Bewährungshilfe. Rolf Bieker bezeichnet die Doppelseitigkeit von Überwachung und Hilfe als das »duale Konstruktionsprinzip des Bewährungshelfers« (Bieker 1989, 37), das im Fall von Kontrolle dem Kontrollierten eine Objektposition zuschreibt, durch Hilfe und Betreuung eher eine Adressatenperspektive. Interesse an menschlichen Belangen von der Seite der Sozialarbeit ist so auch immer eine Form, um Wissen zu erlangen und gerade unverfängliche Themen tragen so auch zu einer »Verschleierung der Kontrolle« (ebd., 173) bei. Ob dies die bewusste oder unbewusste Intention des Bewährungshelfers war, lässt sich hier nicht klären. Es ist aber auch völlig belanglos, den Mann jetzt hier auf die Couch zu legen. Es gilt, den Blick zu schärfen für Paradoxien, die bei aller »schönen« Beziehungsform noch immer aus einer ungleichen Machtposition resultieren. Im Unterschied zur allgemeinen oder regulären Bewährungshilfe werden durch das System des Vertrages aber nicht allein die Akteure der Bewährungshilfe als diese Position innehabend angesehen, sondern die Maßnahme Elektronische Fußfessel bildet ein maschinenhaftes Gefüge, eine »Assemblage« der Überwachung (vgl. Kap. II.1. und IV.3.2.). Eine solche elektronische Überwachung, Überprüfung durch konkrete Personen und die permanente Anrufung der Selbstdisziplin generiert flexible Einsperrungen: »Und hier tu ich zwar keinem in den Arsch kriechen, aber du bist trotzdem eingesperrt. Du hast zwar keine Mauern um dich, aber irgendwo bist du doch eingesperrt.« (Felix G.)

»Dann kann man auch in eine Disko gehen, wenn das so zwei, drei Mal vorkommt in den sechs Monaten. Da besteht schon eine Möglichkeit«
In bestimmten Fällen ist es durchaus möglich, eine Ausnahme vom Wochenplan auszuhandeln. Wie schon erwähnt, ist dies im Fall von Überstunden sowieso kein Problem, da es ja auch dem Sinn der Maßnahme, die Leute zur Arbeit anzuhalten, nicht widerspricht. Bei außergewöhnlicheren Anfragen stellt es der Projektbeauftragte als »Diskussionsprozesse mit uns hier« dar, so eben auch mit dem oben zitierten Stefan N., der mal wieder in eine Diskothek gehen wollte:

»Da habe ich mit dem Richter gesprochen, da habe ich gesagt, ja mit 35 habe ich auch etliche Runden gedreht, da lass den mal irgendwie raus, machen wir mal den Wochenplan so, dass der bis morgens früh um fünf Halligalli machen kann. Also das lässt sich alles einrichten.«
Auch Sibel T. erzählt, dass sie in Kürze zu ihrem Geburtstag, der auf einen Samstag fällt, genehmigt bekam, nachts etwas länger raus zu können. Allerdings habe ich hier mit etwas aktiveren Leuten geredet, die auch initiativ werden, etwas auszuhandeln. Markus Mayer schätzt die Mehrheit der Überwachten in diesem Punkt eher zurückhaltend ein:
»Von was sie weniger Gebrauch gemacht haben, ist dann so Ausnahmen zu fordern, das sie gesagt haben, ich möchte heute Abend ins Kino gehen und kann nicht. [...] Es wurden schon Ausnahmen gemacht. [...] Aber die Probanden haben für sich eigentlich wenig, waren dann eher zurückhaltend, also die hätten mit Sicherheit mehr Ausnahmen, insgesamt mehr Ausnahmen bekommen können, wenn sie mehr nachgefragt hätten.«
Dies scheint aber auch zum Konzept der Maßnahme zu gehören, dass sich die Überwachten immerhin Möglichkeiten er-diskutieren können, man sie über die Möglichkeiten im Dunkeln tappen lässt. Das betrifft auch andere Konfigurationen, wie das »zu Beginn des Modellprojektes (ohne Wissen der Probanden) das Überwachungssystem auf eine Toleranz von zehn Minuten eingerichtet« (Mayer 2002, 10) war, jetzt sind es fünf Minuten.

VII.3 Funktion des immanenten Überwachungs-Gefüges

Nach der Perspektive auf die Alltagssituation der vier Überwachten (VII.1.) und der Zuspitzung zwischen Struktur und Handlung sowie der Interaktion mit der Bewährungshilfe (VII.2.) will ich in diesem Abschnitt fokussieren, warum die Überwachung innerhalb der Maßnahme funktioniert. Zum Schluss gehe ich darauf ein, wie die Überwachten ihre Situation im Nachhinein betrachten und wie ihre weitere Perspektive aussieht.

Das Wissen um die Konsequenz: »"Dann ist Schicht im Schacht«
Bei allen vier Überwachten war die oberste Handlungsmaxime, die sechs Monate erfolgreich zu absolvieren, denn die Konsequenz gravierender Verstöße war angedroht: »Mit Gewalt könnte ich sie abmachen und dann ist es ein Verstoß und dann bin ich gleich im Knast, das ist klar« (Stefan N.). Für Stefan N. würde dies nicht nur den Verlust von materiellen Dingen oder Haustieren wie bei Felix G. bedeuten, sondern auch den Verlust der Beziehung zu seinem Kind. Dieses Aushalten der Situation, das für ihn nicht immer einfach war, beschreibt er anhand seiner Verhandlungs-Rationalität:

»Und jetzt habe ich ja gewusst, das hat mir mein Bewährungshelfer auch sehr, sehr genau erklärt, dass ich da nicht zuviel Verstöße haben kann, klar, ich kann mal zwei Minuten verpennen oder irgendwas, da die Augen zudrücken. Aber wenn ich da nach 22 Uhr auf der Straße draußen herumspringe und so Sachen, obwohl ich hier daheim sein soll, also das macht man zwei, drei Mal, dann ist Schicht im Schacht. Dann machen die das Ding ab und dann ist es erledigt. Und das wollte ich ja auch nicht, weil wie gesagt, ich hätte einfach zu viel verloren. Ja, da wäre die Wohnung weg gewesen und halt, was mir sehr wichtig ist, ich bin seit zwei Jahren getrennt von meiner Lebensgefährtin und wir haben eine Tochter zusammen und die wird jetzt vier und zwei Mal die Woche sehe ich meine Kleine. Und das will ich auch beibehalten. Das ist sehr, sehr wichtig. Und das wäre alles nicht gewesen, wenn ich da nicht irgendwelchen Scheiß gebaut hätte. Und das wusste ich vorher und da habe ich mich dran gehalten.«
Sibel T. lebt nicht nur mit der Drohung des Knastsystems, sondern zudem mit der Drohung der Ausländerbehörde, sie in das Heimatland ihrer Eltern abzuschieben, obwohl sie wie viele in ähnlicher Situation in Deutschland geboren ist. Diese Anpassungen in ihrem Handlungskonzept fasst sie zusammen: »Ja, ich könnte einfach rausgehen, aber ich weiß, was dann passiert. [...] Wenn ich jetzt einfach rausgehen würde, dann gäbe es halt Stress. Das muss nicht sein.«

»Aber was willst du gegen die Fußfessel machen?«
Fragt Felix G. und betont damit die Unmöglichkeit von direktem Widerstand oder Sabotage innerhalb des interdependenten Gefüges. Stefan N. bezieht sich vielmehr auf das Durchhalten der Maßnahme und stellt die Eigenverantwortlichkeit der Disziplinierung in den Vordergrund: »Es kommt auf jeden selbst an, wie er damit lebt und was sie ihm ausmacht.« Liest man das temporäre Handlungskorsett, irgendwie das halbe Jahr hinter sich zu bringen, als Strategie, stellt sich freilich die Frage, ob trotzdem darin kleine Listen, Taktiken oder Widerstände, um sich vielleicht minimale Freiräume zu erkämpfen, möglich werden. Doch interessiert mich vielmehr die Frage, warum diese Überwachungsmaschine (Assemblage) scheinbar so effizient funktioniert. An oberster Stelle steht eben doch die Konsequenz: bei einem Vertragsbruch wandert man eben wieder oder fürs erste Mal in den Bau. Die niederländische Bewährungshilfe sieht das auch ganz sportlich. Auf die zweite »gelbe Karte« folgt die »rote Karte«, der Spieler muss vom Platz - da gibt es kein Rückspulen mehr mit Zeitlupe und Diskussion der Umstände, die zum »Foul« führten. Das Einhalten des »Fair Play« wird von den Individuen selbst verlangt. Die Anforderung der Selbstdisziplin bedeutet Selbstverantwortlichkeit. Die Institution kontrolliert und steuert auf Distanz. Solange das System Selbstdisziplin eingehalten wird, tritt sie nicht mehr als in den vorgeschriebenen Kontakten auf. Wird die Disziplin aber nicht eingehalten oder verweigert, wird der Fehler im System sofort identifiziert. Das Ergebnis des Programms liegt insofern allein am Verhalten des Verurteilten, der darin »zum eigenverantwortlichen Unternehmer seiner Therapie« (Krasmann 2000, 202) wird. Krasmann sieht darin einen Übergang von einer Lösung sozialer Probleme hin zum »managen« derselben (ebd., 195, kursiv i. O.). Das Ergebnis einer Institution wie der Bewährungshilfe, die Steinert und Cremer-Schäfer als »Schwäche und Fürsorge« bezeichnen, kann auf diese Weise bei einem negativen Resultat Ausschließung statt Integration bedeuten (Cremer-Schäfer & Steinert 1998, 57); allerdings ist es durch diese ideologische Formation schwerer geworden, der »Gesellschaft« oder dem »Sozialen« eine Mitschuld zu geben.

Nicht zu unterschätzen ist auch, dass die Maßnahme im Regelfall sechs Monate nicht überschreiten soll. Mit Ausnahme von Eric B., bei dem die Maßnahme noch in die Bewährungszeit übernommen wurde, hatten alle einen fixierten Termin der Ablegung. Über die Niederlande, wo vor allem die »back-door«-Variante praktiziert wird, berichtet mir der niederländische Bewährungshelfer, dass sich einige explizit für den Vollzug der Reststrafe im Offenen Vollzug entschieden haben. Vorteil dieser Alternative: Anstalten des Offenen Vollzug haben in den Niederlanden am Wochenende geschlossen. Die Inhaftierten werden auf einen temporären Freigang geschickt, sollen zwar zuhause bleiben, ohne elektronische Überwachung kann das aber gar nicht kontrolliert werden.

Ein zusätzliches Moment ist die Interaktion mit der Bewährungshilfe in der dargelegten Ambivalenz von Kontrolle und helfender Sozialarbeit. Durch die Festlegung von Wochenplänen im Gespräch generiert die Bewährungshilfe ein umfassendes Wissen über die Alltagsabläufe der Personen. Ein ethno-psychoanalytischer Ansatz würde die Abstinenz der Mehrzahl der Überwachten, bestimmte Änderungen einzufordern vielleicht als passiven Widerstand dagegen, allzu viel von sich preiszugeben, deuten: Sie verzichten damit zwar für eine gewisse Zeit auf bestimmte Dinge, aber entziehen sich dadurch auch ein wenig dem »Macht-Wissen-Komplex«. Daneben können auch Angehörige einen Einfluss auf den Verlauf der Maßnahme haben. Eine Bewährungshelferin schildert dies anhand ihres ersten »Probanden« mit Fußfessel, bei dem die Ehefrau peinlich darauf achtet, dass der Wochenplan eingehalten wird, »bis hin zu Fehlermeldungen, wo es um drei Minuten ging, um fünf Minuten ging, das die auf dem Videotext guckte, das er auch nicht zu früh raus ging«. Diese Privatisierung der Kontrollen führt im Unterschied zu der Gefangenschaft in einer Institution auch zu keiner sekundären Sozialisation in einem delinquenten Milieu, das wiederum auch Identifikationen und Solidarisierungen anböte. Sibel T. verurteilt dann auch die »Schleimer« unter den »Knastis«: »Also ich würde mich nie zu so einem Schließer setzen und stundenlang mit dem tratschen, so aus Prinzip nicht«. Doch sie räumt ein: »Aber es sind auch eher Jugendliche gewesen, die das machen oder so ein paar Ausnahmen noch«. Solche Herausbildungen eines Kodex, eines loyalen Codes (vgl. Maeder 1995, 10) sind Formen kollektiver Identitäten gegenüber den Akteuren auf der »anderen Seite«. Und sie können auch zum Aufstand führen, als Mittel den eigenen Körper in einer Extremsituation einzusetzen:

»Eins ist klar und das hat die Vergangenheit bewiesen, umso weniger ein Knacki zu rechnen hat, umso härter wird der Knast. Wenn ich nichts mehr zu verlieren habe, dann kann ich mich auch benehmen wie die Sau, ja weil ich bin ja eh drin wegen einem Verbrechen.« (Felix G.)
Durch die harte Linie des hessischen Justizministers sieht er diese Zwangsläufigkeit aus eigener Erfahrung gerade wieder am Entstehen:
»Und irgendwann wird das dann wieder soweit kommen, dass es wieder in ganz Hessen in den Knästen Meuterei gibt. Ja irgendeine Schwuchtel von den Grünen [Schließer] wird dann mal wieder als Geisel genommen oder ein bisschen angestochen.«"
In der Fußfessel-Situation gibt es diese Identifikationen nicht, zwar kennen sich wohl einige Überwachte untereinander, aber mit seinem Überwachungsalltag ist man weitgehend allein. Die Bewährungshilfe versucht ja, darauf zu achten, dass die Überwachten »gefährlichen« Milieus fern bleiben, die nächtliche Ausgangssperre wird so nicht nur zu einem Sicherheitsangebot für die »Gesellschaft« vor einer »kriminellen Handlung«, sondern zu einem Schutz der Überwachten vor möglichen »kriminogenen Situationen« (vgl. Poulantzas 2002, 217).

Zuletzt möchte ich noch einen ziemlich banalen Punkt anführen, den ich in dieser Analyse der Momente des Funktionierens aber nicht unterschlagen möchte. Ein großer Teil der Überwachten sind eben ganz normale Menschen und keine Taktiker der Subversion. Markus Mayer sagt in einem Überblick über die bisherigen Teilnahmen: »Es handelt sich ja schon um untere soziale Schichten, wir haben, glaube ich, auch einen dabei, der Abitur hatte. Der Rest hatte, wenn überhaupt Hauptschulabschluss.« Das Angebot von Normalität, das die Bewährungshilfe anbietet, ist manchmal genau das, was die Leute eigentlich erreichen wollen, aber davon bisher ausgeschlossen waren. Das kann die Motivation sein, die eigene mühsam aufgebaute Normalität nicht zu verlieren, gerade auch weil die meisten Delikte Folgen von Drogen- oder Alkoholsucht74 sind, oder auch die Regulative der Maßnahme, wie bei Stefan N., wirklich als motivierend anzunehmen. Er findet teilweise auch Geschmack an der Regelmäßigkeit und ist damit nicht unbedingt ein fundamentaler Gegner der Disziplin. Die Vermittlung von Normalität als leitender Folie führt auch dazu, dass Utopien oder Fantasien, die darüber hinaus gehen könnten, nicht entwickelt werden. In diesem Zusammenhang will ich nun die Frage verfolgen, wie die Überwachten den Modellcharakter des Versuches erleben bzw. ob sie einen Sinn herstellen zum Anspruch der Resozialisierung und der Alternative zur Einsperrung.

VII.4 Ausblick: Resozialisierung, Knast, persönliche Perspektiven

Die Verhandlungen über den Sinn der Maßnahme Fußfessel werden von allen Befragten anhand der Kontrastfolie des Gefängnis-Systems beschrieben. Alle vier Interviewten mutmaßen, dass der Hauptgrund für die Anwendung der Fessel ist, Geld einzusparen bzw. die überfüllten Knäste zu entlasten. Zu dem Ziel der Resozialisierung sagen die drei, die HaftErfahrung haben, dass der Knast nicht resozialisiert. Sibel T. berichtet, dass im Jugendstrafvollzug zwar versucht wird, »irgendwie so zu erziehen«, als Erziehungsmaßnahme nennt sie die Pflicht, arbeiten zu gehen. Die Arbeit in den Betrieben beschreibt sie als »Akkordarbeit«, daneben existieren noch bestimmte Ausbildungsmaßnahmen: »Die haben mir halt gesagt, was ich machen soll. Halt wie zum Beispiel arbeiten gehen und diesen Bürokurs besuchen. Das war's eigentlich. So viel reden tun die nicht.« Sie konnte es erreichen von der Jugendabteilung auf die normale »Station« verlegt zu werden, weil es ihr auf der Jugendabteilung zu blöde war, »die waren immer so laut, irgendwie noch kindisch drauf«. Doch auch auf der Erwachsenenstation erlebte sie den Vollzug als reine Verwaltungssituation: »So viel geredet wird da eigentlich nicht. Türen aufgeschlossen, Türen zugeschlossen. Fertig.« Besonders krass empfand sie, dass im Frauenvollzug auch sehr viel männliche Schließer arbeiten, »da sind schon eklige Männer«.

Die Fußfessel ist demgegenüber eine Möglichkeit im Feld der Normalität zu bleiben:

»Wenn du ein normales Leben führst, dann ist das [Knast] schon sehr hart, weil du wirklich alles aufgeben musst. Ja, du verlierst wirklich alles. Ja und du musst, wenn du wieder raus kommst, dir komplett alles neu aufbauen. Meistens sind dann deine Freunde - das stellt sich meistens raus, dass die meisten nicht deine Freunde sind.« (Felix G.)
Dieses Bleiben im eigenen Alltag ist für alle vier Interviewten die Motivation und die individuelle Initiative für die Fessel gewesen. Die Regeln innerhalb der Maßnahmen sind dann die Weisungen und Auflagen, an die man sich anpasst. Die Norm wird hier beschrieben als Regel, einen straffen Zeitplan einzuhalten:
»Das heißt, dann achtest du darauf, dass du spätestens um halb acht das Haus zu verlassen hast und das jeden Tag immer dasselbe. Das ist, da lebst du nach der Uhr, das nervt!«
Felix G. drückt in diesem Zitat aus, dass es ihn richtig angekotzt hat, er hatte schon einen geregelten Alltag, der aber jetzt noch mal doppelt kontrolliert wurde. Stefan N. sieht dagegen im Rückblick auch Momente der Motivation. Eric B. hat mittlerweile einen Job gefunden und wartet nur noch auf seine Ablegung der Fessel. Sibel T. passt sich aus ihrer besonderen Situation heraus an, betont aber, dass ein solches geregeltes Leben nicht ihr Traum vom Leben ist. Insgesamt erleben es alle vier als Maßnahme zwischen Strafvollzug und normaler Bewährung. Stefan N. betont die Verhältnismäßigkeit und sagt zu seinem Trunkenheitsdelikt im Straßenverkehr, »das ist jetzt nicht ein Grund, einen einzusperren.« Das impliziert natürlich, dass man damit eine klassifizierende Trennung akzeptiert. Stefan N. bezieht sich damit auf die, die damit noch »eine Chance verdient« haben oder auf Personen, die wegen Suchtverhalten kriminalisiert werden. Er sagt damit zwar nicht, dass alle anderen in den Knast sollen, aber was wäre die Konsequenz? Felix G. regt sich zwar auf der einen Seite über eine Hardliner-Politik auf, die wegen jedem »Kleinscheiß dann sofort mit der Fußfessel drüber nachdenken« und würde sie liebend gerne den angesprochenen Politikern für ihr Versagen anpassen.75 Auf der anderen Seite würde er, wenn er Justizminister wäre, zwar kleine Delikte wie Schwarzfahren entkriminalisieren und Leute wegen Geldstrafen nicht inhaftieren, sondern Arbeitsstunden anbieten und die Gefängnisse menschlicher und gerechter gestalten. Als ich ihn aber frage, ob man das Gefängnis auch ganz abschaffen könne, verneint er:
»Dann hätte man hier bald das Recht des Stärkeren auf der Straße. Und wie weit das kommt, das ist keine Frage, dann hätten wir ja nur noch Gangs hier auf der Straße und so und es soll ja schon irgendwie ein bisschen Abschreckung sein.«
Interessanterweise argumentiert er hier mit demselben Szenario des Hobbes'schen Naturzustandes wie die angesprochenen Hardliner, obwohl er auf der anderen Seite als Insider die Auswirkungen von »Abschreckung« auf das Knastsystem zu gut kennt:
»Die Strafe ist nicht mehr Mittel zum Zweck, die ist nur noch Zweck zum Mittel, gerade umgekehrt: Wie lange habe ich den eingesperrt, so lange kann er nichts mehr tun. [...] Ja, das haben sie alles umgedreht. Ja weil der Vater Staat verpflichtet sich zur Resozialisierung, für die er aber gar nichts tut, nicht der Knacki, sondern der Staat. Ja und das wird nur manchmal verwechselt.«
Eine ziemlich klare Aussage. In Kalifornien, wo die Resozialisierung aus den Gesetzbüchern abgeschafft wurde (vgl. Farocki 2001, 311) werden die Gangs und deren Mythos in bestimmten Haftanstalten genährt. Der Anspruch, nach der Ursache einer Wirkung zu fragen wird umgedreht: Es gibt Naturkatastrophen, mit denen man eben umgeht. Effekt: auch die »Beherrschten« argumentieren innerhalb dieses Verblendungszusammenhangs. Felix G. sieht als unausweichliche Wirkung in nächster Zeit Meutereien in den Knästen entstehen: »Da wird es krachen im Land.« Nur wahrscheinlich werden die Hardliner das nicht als Niederlage, sondern als Bestätigung ihrer Politik ansehen. Einzig Sibel T. vertritt aus ihrer Erfahrung mit dem Strafsystem eine bedingungslose Forderung zum Gefängnis: »Abschaffen. Ganz klar.«

Nach der Fessel
Alle vier leben mittlerweile wieder ohne die Fessel. Eric B. schätzte es im Interview so ein, dass er durch das Absolvieren der Maßnahme statt Untersuchungshaft noch ein Bewährungsurteil bekommen hat. Er hofft, dass die Fessel bald abgenommen wird und er die Zumutungen durch die Kontrollen los ist. Er hat eine Arbeitsstelle gefunden und will sich dem Kreislauf der Kriminalisierung entziehen. Sibel T. passt sich wegen ihrer besonderen Situation der ständigen Androhungen der Ausländerbehörde der Maßnahme an. Das führt in ihrem Alltag aber auch zu einer Art Lethargie, selbst in den Zeiten, in denen sie raus kann: »Ich sperre mich irgendwie selbst ein. Ich habe gar keine Lust unter Leute zu gehen und keine Ahnung, ist total komisch.« So sieht sie auch manchmal keinen Sinn mehr in ihrer Schulausbildung. Ihre Bewährungshelferin versucht sie zwar zu ermutigen, »die sagt halt, dass ich kämpfen soll, nicht aufgeben soll«. Aber die Drohung der Ausländerbehörde kann sie auch nicht aufheben, Sibel hat es bei einigen Freunden erlebt, dass die genau in dieser »Logik« des Grenzregimes abgeschoben wurden:

»Ne, das interessiert die überhaupt nicht, ob man hier geboren ist oder nicht. Ob man hier seine Leute hat und Familie oder nicht. Ob man da drüben jemand kennt oder nicht, das interessiert die einfach nicht. Die wissen nur, die Eltern sind damals aus diesem Land gekommen und dann schicken wir dann das Kind wieder hin. Und begründen tun sie das, dass ich halt kriminell war oder bin und das halt wieder werden könnte und dann schreiben sie noch, bei der momentanen Arbeitsmarktlage irgendwie blabla, könnte sie wieder straffällig werden, wenn sie kein Geld hat. So stellen die mich halt hin. Obwohl die Tat, wegen der ich drin war, total lange zurück liegt, das war 1997 gewesen und das ist halt 2000 raus gekommen. Aber das interessiert die alles nicht. Die lesen halt nur das Urteil und fertig. Für die bin ich halt nur so ne Nummer, Aktennummer.«
Trotzdem sieht sie die Anforderungen der Regelmäßigkeit als Episode. Einen wirklichen »Appetit« auf diese Art der Lebensgestaltung bekommt sie dadurch noch lange nicht:
»Wie jetzt, morgens aufstehen, arbeiten gehen, wieder nach Hause kommen, essen, schlafen, Fernsehen gucken oder? Also ne, ich mag kein geregeltes Leben. Also das muss nicht sein. Mein Freund lebt so, aber ich will nicht so leben. So jeden Tag gleich. Keine Ahnung wie, mag ich nicht.«
Auch ohne eine genaue Skizze eines alternativen Lebens, weiß sie: »Wenn das vorbei ist, ist es halt vorbei. Dann lebe ich halt wieder so wie ich das will.«

Auch Felix G. stellt klar, dass bei allem Einlassen auf die Kontroll-Situation, er weder »Angst vor dem Knast« noch »Angst vor der Fußfessel« hat: »Ja und um mich jetzt einzusperren und mich damit klein zu kochen, das hätten sie mal machen müssen, wo ich 17 gewesen wäre. Heute können sie das nicht mehr.« Er denkt auch durch die Fußfessel nicht anders über sein Urteil nach, sondern bestärkt seine Positionierung: »Ich komm von meiner Schiene nicht ab, ich weiß nicht warum, ich fahr damit eigentlich am besten«.

Der einzige der vier, der außer dem zentralen Motiv der Haftvermeidung auch in den inneren Reglements oder Sanktionierungen der Maßnahme positive Momente eines Hilfsangebotes anerkennt, ist Stefan N., der das Potential der Motivierung durch Gewöhnung an Regelmäßigkeiten hervorhebt. Durch eine vor der Fußfessel vollzogene Alkoholtherapie hat er seine Sucht jetzt im Griff. Da er vom Arbeitsamt trotzdem nicht mehr viel zu erwarten hat, sieht er den Ausweg in kleineren selbstständigen Arbeiten wie dem Reparieren von Kühlschränken oder Lautsprechern: »Man muss halt ein bisschen was machen im Leben. Weil sonst geht es nicht weiter. Nur mit dem, was man vom Staat kriegt, also das wird immer weniger mit der Zeit.« Eigentlich will er zurück ins Dispositiv »Normalität«, nur die wenigen noch existenten Bereitstellungen (Umschulungen, ICH-AG usw.) werden ihm nicht mehr angeboten. Der Diskurs über Arbeitslosigkeit hat diesen Zustand in einer Betroffenheitsperspektive als einen Moment von Resignation und Unglück festgezurrt. Darin definiert sich Stefan N. selbst als Person im »Inventar des Scheiterns« (Maeder 1995, 234) als Abweichung von der Norm, wenn er über das kurzfristige »Aufblitzen« von Normalität als Erfahrung in der Maßnahme Elektronische Fußfessel spricht:

»Ei ja, man lässt sich nicht so hängen, zum Beispiel. Man hängt nicht den ganzen Tag so rum und macht halt nichts oder guckt schon vier Stunden morgens in den Fernseher rein. Da steht man halt auf, da geht man halt raus und macht seinen Job. Wie es auch normal halt ist, normalerweise im Leben. Nur bei mir ist es halt nicht so.«
Beim Verabschieden zeigt er mir ein altes Bild von sich in einer Gruppe von Jugendlichen vor einem »Oldschool Wild-Style«-Graffiti: »Lauterborn« an einem Hochhaus. Die Lauterborn, eine Ansammlung von Hochhäusern in Offenbach galt auch früher als »Lauterbronx«. Meine Eltern hätten zu der Gruppe auf dem Bild einfach »Halbstarke« gesagt. Heute bezeichnet man Jugendliche, die auch mal abweichende Erfahrungen machen, als Gangs und spricht über Viertel jenseits kleinbürgerlicher Harmonie von »Ghettos«. Immer noch deutet das auf eine bestimmte Klassenlage hin. Allerdings stärker auf fragmentierende Klassifikationen statt auf Klassenbewusstsein (vgl. Rose 2000, 102). Umgekehrt produziert dieses Inventar produktive Technologien der Kontrollgesellschaft, aber auch immer noch Formen der Besserungsarbeit in den Refugien der Disziplinargesellschaft. Im nächsten Teil möchte ich die Arbeit dieser Institutionen anhand der Praxis von Bewährungshilfe, Gericht und der Begleitforschung darstellen. Was ändert sich an diesen Praktiken und wie verhandelt die Gruppe der Überwachenden und Regelsetzenden den Sinn der Maßnahme? Wie konstituieren sie das Gefüge dieser »Assemblage« Elektronische Fußfessel: Geschieht dies noch im Rahmen der »alten« Normalisierungsmacht oder weist es auf etwas »Neues« hin?

 

up

70 Der Offene Vollzug in Deutschland ist meist so geregelt, dass die Gefangenen tagsüber in oder außerhalb der Anstalt arbeiten und abends dort eingeschlossen werden. Nach § 10 des Strafvollzuggesetzes sollen Gefangene grundsätzlich im Offenen Vollzug untergebracht werden, wenn sie dessen »Anforderungen genügen« (vgl. Kaiser & Schöch 2003, 269ff.) - allerdings werden dort nur etwa 20 % aller Inhaftierten untergebracht (vgl. ebd., 270).

71 Wahrscheinlich schlägt sich, wenn man selbst nur noch als Fall behandelt wird, von Institution zu Institution gereicht wird, das auch in der eigenen Sprache wieder und führt zu Objektivierungen des Selbstes (Fall, Akte, Aktenzeichen).

72 Die fünf Jahre kommen zustande, da die Überwachten nach der Fußfessel-Zeit in die reguläre Bewährung übergehen, aber den oder die BewährungshelferIn behalten.

73 Die folgenden Angaben beziehen sich auf den mir von der Projektstelle zur Verfügung gestellten Meldungsbogen des Bereitschaftsdienstes.

74 Eine merkwürdige Unterteilung: allerdings ist Alkoholkonsum laut geltendem Recht legal (weil kulturnah) oder solange unproblematisch, bis er nicht den Grund für deviantes Verhalten bildet. Der Konsum aller anderen Substanzen ist schon per se illegal (weil kulturfremd) und bildet ein weites Feld der Klassifikation von Delinquenz innerhalb der Betäubungsmittel (BTM)-Delikte.

75 Er bezieht sich damit vor allem auf den hessischen Justizminister Wagner, aber auch auf den brandenburgischen Innenminister Schönbohm, der zum Zeitpunkt des Interviews gerade die Fußfessel für Schulschwänzer forderte (vgl. Bild vom 21.10.2003, 1).

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