Der Heilige Geist und St. Marx

Apokalypse, Eschatologie und Messianismus

von Klaus Ronneberger

I) Apokalypse von oben

Der zornige Gott

Die Offenbarung des Johannes

Stilllegung der chiliasitischen Energien

Die letzte Schlacht

II) Messianismus von unten

Geschichte als Prozess der menschlichen Selbstbefreiung

Schöpferische Zerstörung

Messianischer Splitter

Emanzipatorische Verheißung



I) Apokalypse von oben

Der zornige Gott

"Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar
da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.
Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn
(...)
Da sprach Gott zu Noah: Das Ende allen Fleisches ist bei mir beschlossen worden, denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe, ich will sie verderben mit der Erde. Mache dir einen Kasten von Tannenholz..."

(1.Moses 6)

Gott sah also in den frühen Tagen der Menschheit die "Bosheit" und Seine Reaktion war, dass Er "bereute", die Menschen geschaffen zu haben, und dass Er jeden und alles in der Welt tötete, bis auf die Familie des rechtschaffenen Noah nebst ausgewählten Tieren.

Die Frage, die sich hier aufdrängt, hat Gott noch alle Tassen im Schrank? Warum begeht der Herr einen solchen Massenmord, wo er doch allwissend und allmächtig ist, also wahrlich nicht von der Fähigkeit des Menschen, Böses zu tun, überrascht sein konnte. Und dann noch die Vernichtung alle Tiere und Vögel. Wie kann sich das Gewürm wider den Herrn versündigen, wenn es von Natur aus nicht gar nicht das Bedürfnis verspüren kann, sich vor dem Essensmahle zu bekreuzigen? Wie man es dreht und wendet, die Zerstörung der ganzen Welt war ungerecht. Hier war ein zorniger und rachsüchtiger Gott am Werk.

Doch der Gott des Alten Testamentes ist zugleich ein lernender und lehrender Gott. Vielleicht war es nicht recht, dass Er die Welt unter Wasser setzte. Er scheint erkannt zu haben, dass es ein Fehler war, denn Er bereute seine Entscheidung, die Welt zu zerstören, wie Er zuvor die Entscheidung "bereut" hatte, den Menschen zu erschaffen. Als Gott nach der Sintflut Seinen Bund mit Noah schloss, versprach Er, die Welt nie wieder durch eine Sintflut auszulöschen. Gleichwohl wusste Er, dass die Menschen wieder sündigen würden. Er verspricht ausdrücklich: "Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." (8:21)

Und der Gott des Alten Testaments debattiert, lässt sich mitunter sogar von Argumenten überzeugen und nimmt Entscheidungen zurück. Der jüdische Schöpfer-Gott ist ein sehr menschlicher Gott.

Die Offenbarung des Johannes

Die Vorstellung des Letzten Gerichts bzw. Jüngstes Gericht ist bereits im Alten Testament angelegt und wird im Neuen Testament lediglich verfeinert. Die Lehre von den letzen Dingen (= Eschatologie) bildet ein umfassendes Erzählwerk, das hier nur in wenigen Stichworten vorgestellt werden soll:

Dem "Jüngsten Tag" gehen einige Ereignisse voran, denn, so der Apostel Paulus, dem eigentlichen Gründer der christlichen Kirche, zuvor muss "der Abfall kommen und der Mensch der Bosheit offenbart werden." Der Antichrist. "Er ist der Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so dass er sich in dem Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott." Es wird ein Mensch sein, der sich in radikalster Weise gegen Gott wendet, und der auch nicht davor zurückschreckt, sich selbst als Gott anbeten zu lassen. Er wird "in der Macht des Satans auftreten mit großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern" und so all die verführen und schließlich ins Verderben stürzen, die "die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben". Dann erst wird der Herr kommen und den "Widersacher" "mit dem Hauch seins Mundes" töten. Durch einen Aufruhr der Naturkräfte kündigt sich das allgemeine Endgericht an; jetzt wird das Korn von der Spreu geschieden und damit ein endgültiges Urteil für das Jenseits (Paradies oder Hölle) gefällt. Es erfolgt die Errichtung der vollendeten Gottesherrschaft; die Vernichtung aller ihr feindlichen Mächte und damit Reinigung der Auserwählten ("Heiliger Rest") von allen unheiligen Wesen.

Die Bibel weist eine ganze Reihe von apokalyptischen Visionen auf, aber ohne Zweifel gehört die Offenbarung des Johannes ist wahrlich der Hammer Gottes. Hier einige Auszüge:

"Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. (...)
Und ich sah: als es (das Lamm Gottes, also Jesus) das sechste Siegel auftat, da geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack, und der ganze Mond wurde wie Blut und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt wird.
Und der Himmel wich wie eine Schriftrolle, die zusammengerollt wird, und alle Berge und Inseln wurden wegbewegt von ihrem Ort. (...) Denn es ist gekommen der große Tag ihres Zorns, und wer kann bestehen?
(...)
Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, und er rief mit großer Stimme allen Vögeln zu, die hoch am Himmel fliegen: Kommt, versammelt euch zu dem großen Mahl Gottes.
Und esst das Fleisch der Könige und der Hauptleute und das Fleisch der Starken und der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller Freien und Sklaven, der Kleinen und der Großen! (...) Und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleisch.
(...)
Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand.
Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan, und fesselte ihn für tausend Jahre. (...)
Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet waren um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier und sein Bild und die sein Zeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und auf ihre Hand; diese wurden lebendig und regierten mit Christus tausend Jahre."


Und nach dem Abschluss dieser Epoche - des Millenniums im buchstäblichen Sinn dieses Begriffs - folgt die Auferstehung aller Toten und das Jüngste Gericht:

"Und er sprach zu mir: Es ist geschehen.
Ich bin das A und O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (...)
Die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Unzüchtigen und Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwert brennt; (...)
Und es kam zu mir einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den letzten sieben Plagen hatten, und redete mit mir und sprach: Komm ich will die die Frau zeigen, die Braut des Lammes.
Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott, die hatte die Herrlichkeit Gottes, ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall; (...)
Und er (der Engel) sprach zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch; denn die Zeit ist nahe!"


Apokalypse meint dem Wort und dem Sinn nach, Enthüllung. Alle Apokalypse spricht vom Sieg der Ewigkeit. Der Sieg der Ewigkeit vollzieht sich auf dem Schauplatz der Geschichte. Wenn am Ende der Geschichte die Zeit, der Fürst des Todes, unterworfen ist, so tritt die Endzeit ein. Die eschatologische Chronologie setzt voraus, dass die Zeit, in der sich alles abspielt, kein bloßes Nacheinander ist, sondern auf ein Ende hinsteuert. Nicht im Kreislauf vollzieht sich die Geschichte, sondern da ist ein Bogen gespannt, der von einem Anfang aufsteigt, und sich über die Zeit hinwölbt, bis er sich zu einem Ende niedersenkt, wo der Stillstand eintritt und keine Geschehen sich mehr vollzieht.

Stilllegung der chiliasitischen Energien

Für Paulus und die Christen seiner Generation stand die baldige Vollendung des Reiches Gottes außer Frage. Als aber die Ankunft des Messias auf sich warten ließ, begannen sich die Christen der folgenden Generationen allmählich in der Welt einzurichten. Das diesseitige Leben gewann an Anziehungskraft und die Angst vor den Schrecken der Endzeit wuchs. Man betete jetzt für die Erhaltung des Staates, der vor den Barbaren und dem Chaos schützte. Galt Rom zuvor noch als die "Hure Babylon", so ging die Kirche mehr und mehr dazu über, das imperium Romanum in das göttliche Heilwirken direkt zu integrieren. Rom rückte nun in die Nähe von Jerusalem, der Stadt des kommenden Gottesreiches.

Gleichzeitig setzte eine Entwicklung ein, die den christlichen Apokalyptiken weitgehend die kanonische Gutheißung entzog. Als das Christentum im vierten Jahrhundert im Mittelmeerraum die Oberhand gewann und die Lehre Christi zur offiziellen Staatsreligion aufstieg, ergab sich eine unbedingte Notwendigkeit, den Chiliasmus (= tausend), den Glauben an ein tausendjähriges Friedenreich vor dem Ende aller Tage, zu unterdrücken. Zu Beginn des fünften Jahrhunderts setzte der Kirchenvater Augustin eine den veränderten Verhältnissen angepasste Lehre durch: Die Offenbarung sei als seelisches Gleichnis aufzufassen. Das Millennium sei bereits mit dem Christentum angebrochen und in der Kirche voll verwirklicht.

Zwar verstand es die Amtskirche die Gemütskräfte ihrer Gläubigen zu kanalisieren, doch in Zeiten allgemeiner Unsicherheit neigten die Christen immer wieder dazu, sich an die Offenbarung und ihre zahllosen Kommentare zu halten. Gerade das späte Mittelalter ist voll von chiliastischen und messianischen Bewegungen. Auch wenn die Amtskirche die Apokalyptik verdrängte, wurde das Wissen darum durch die Figur des Antichristen am Leben gehalten. Generation um Generation lebte in beständiger Furcht vor diesem alles vernichtenden Dämon, unter dessen Herrschaft gesetzloses Chaos, Raub und Plünderung, regieren würden. Unentwegt hielt man nach "Zeichen" Ausschau: Das konnten Kriege, Seuchen oder Kometen sein. Ebenso beschworen Einfälle der Hunnen, Mongolen, Saraszenen und Türken die Erinnerung an die dämonischen Heerscharen aus der Johannes-Offenbarung. Stets war es gängige Praxis den Gegner zum Antichristen zu stempeln. So titulierte etwa Luther in seinen Kampfschriften wider Rom, den Papst als "allerhöllischsten Vater, Paul III.".

Mit der Aufklärung setzte in Westeuropa ein Säkularisierungsprozess ein, der schließlich dazu führte, dass das Böse auf keinen heilsgeschichtlichen Nenner mehr zu bringen war. Ebenso verstärkten sich vor allem im liberalen Protestantismus Bestrebungen, das ganze Alte Testament aus der Bibel zu entfernen. Der jüdische Schöpfergott, mit seiner gewalttätigen Willkür und Rachsüchtigkeit konnte nicht mit dem Lamm Gottes der reinen Liebe identisch sein. Dieses Auseinanderdividieren von Schöpfer-Gott und Erlöser-Gott wirkt bis heute nach. Wenn es ganz schlimm kommt, bleibt nur noch der süßliche Latschen-Hippie Jesus übrig.

Als vor mehr als einem Jahr in Südostasien der Tsunami eine Spur der Verwüstung hinter sich ließ, verkündete Bundespräsident Horst Köhler vor laufender Kamera, für die Opfer beten zu wollen. Aber an wen wendete er sich? An den zürnenden Gott oder an den leidenden Gott? Hiesige Theologen waren sich sicher: Hier war kein strafender Gott am Werk. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick nannte die Flut "auch eine Anklage gegen die Reichen" und forderte Frühwarnsysteme. Wolfgang Hubner; Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, beklagte die "ungleichen Lebensverhältnisse in der Einen Welt" und der Papst sprach schlicht von einer "ungeheuren Tragödie". Die Medien hingegen bedienten sich einer anderen Rhetorik. Hier war von einer "Katastrophe biblischen Ausmaßes", von "apokalyptischen Szenen" und "Heimsuchung" die Rede. Ein Indiz dafür, dass die Lehre von den "letzen Dingen" nicht aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden ist.

Die letzte Schlacht

Tatsächlich gab und gibt es relevante christliche Strömungen, für die das Alte Testament und die Apokalyptik handlungsrelevant sind. Man denke etwa die Calvinisten, die nicht nur an die reinen Liebe des Messias glauben, sondern auch an die Vorherbestimmung des Menschen durch Gottes unerforschlichen Willen.

Vor allem in den nordamerikanischen Kolonien, die ein Refugium für religiöse Dissidenten darstellten, besaß die kalvinistische Prädestinationslehre einen großen Einfluss. Die Puritaner lebten nach Vorgaben der Mosaischen Gesetze. Die Betonung des Alten Testaments rührte auch daher, weil seine Erzählungen von einem auserwählten Volk unter Gottes besonderer Fürsorge aufs beste zu den Vorstellungen der Puritaner von ihrem eigenen Schicksal passten.

Entsprechend stark ist auch die gegenwärtige US-Gesellschaft von puritanischen Traditionen geprägt. Das lässt sich exemplarisch an den sensationellen Erfolg des Hollywoodfilms "Independence Day" belegen, der nicht allein den 4. Juli als den heiligen Tag der Unabhängigkeit von England huldigte, sondern zugleich dem alten puritanischen Erwählungstraum von Amerika als "God's own country" und "Retter der Menschheit" feiert. Die Story des Katastrophenfilms ist schnell erzählt: Kurz vor dem 4. Juli nähern sich riesige unförmige Raumschiffe mit Außerirdischen der Erde und postieren sich wie schwarze Ungetüme über den größten Städten der Welt. Mit dem Präsidenten, einem ehemaligen Kampfpiloten aus dem Golfkrieg an der Spitze einer multiethnischen Kampfgruppe gelingt es schließlich, einen erfolgreichen Gegenschlag auszuführen, der weltweit von den anderen Nationen kopiert wird. Der 4. Juli wird nun zu einem "Menschheitstag" deklariert, an dem so die Worte des amerikanischen Film-Präsidenten an die Welt, die "nicht mehr die amerikanische Befreiung von Tyrannei und Unterdrückung, sondern die Befreiung der gesamten Erde von Finsternis und Vernichtung gefeiert wird". "Independence Day" greift auf alte puritanische Mythen zurück, spiegelt jedoch die politische Realität der Gegenwart.

Am 13. Dezember 2003 wird Saddam Hussein festgenommen. Unverzüglich kommt es im Weißen Haus zu einer Andacht. Während Justizminister John Ashcroft und Präsident George W. Bush gesenkten Hauptes niederknien, sagt ein Pfarrer per Konferenzschaltung: "Jesus, diese Mission trägt deine Handschrift, und es dein Werk, o Herr, dass das Böse, das Saddam Hussein verkörpert, der Gerechtigkeit zugeführt wird. Im Namen Jesu Christi danken wir dir für dieses großartige Geschenk, das du dem rechtschaffenen Volk der gesegneten Vereinigten Staaten von Amerika gemacht hast."

Präsident Bush zählt sich zu den so genannten Evangelikalen. Bei diesen bibeltreuen Christen handelt es sich um eine einflussreiche Minderheit, die seit den späten 1970er Jahren ihren Einfluss auf die Politik systematisch verstärkt. Da diese christlichen Fundamentalisten, die sich auch "wiedergeborene" Christen nennen, die Bibel wörtlich nehmen, spielt auch die Apokalypse eine große Rolle. Symptomatisch dafür ist der Erfolg des evangelikalen Predigers Tim LaHaye, einer der gegenwärtig populärsten Autoren in den Vereinigten Staaten. Seine Endzeit-Romane unter dem Obertitel "Left Behind" (eigentlich "Zurückgelassen", "Ausgeschlossen") haben sich bislang mit mehr als 55 Millionen Exemplaren verkauft. Die Bücher LaHayes und anderer christlicher Autoren haben die Idee der "Entrückung zu Jesus" wie sie im Neun Testament beschreiben wird, populär gemacht: Es ist dies der Augenblick der Wahrheit beim Anbrechen der Endzeit, wenn die Aktienmärkte kollabieren und Regierungen zurücktreten, wenn Fugzeuge abstürzen und Autos kollidieren, weil wiedergeborene Piloten und Fahrer in den Himmel "entrücken". Die "Zurückgelassenen" begreifen dann, dass sie endgültig verloren sind, wenn sie nicht doch noch zu Jesus finden. Im zwölften und letzten Band der Reihe (erschienen 2004) wird die Wiederkunft von Jesus Christus beschrieben. Die Handlung ist schlicht: Der Messias kehrt auf die Erde zurück und vernichtet alle Nichtchristen des Planeten. In einer Szene "platzen auf ein bloßes Wort von Jesus hin die Körper der Feinde auf. Die Christen müssen dann vorsichtig fahren, um nicht mit den verrenkten und filetierten Leibern von Männern und Frauen und Pferden zu kollidieren."

In dem endgeschichtlichen Szenario der Evangelikalen spielt die politische Situation im Nahen Osten eine zentrale Rolle. Erst wenn die Juden, so die aus der Bibel abgeleitete Überzeugung, das ganze Land wieder besiedelt und die Palästinenser daraus vertrieben haben, kommt es zur letzten Schlacht zwischen Gott und Satan im Tal von Armageddon, dem dann das Tausendjährige Reich Jesu folgt. Aus diesem Grund sind die Evangelikalen nicht nur gegen einen Palästinenserstaat, sondern fördern auch mit allen Mitteln die aggressive Siedlungspolitik orthodoxer jüdischer Gruppen. Dieses Bündnis hat für die amerikanischen Fundamentalisten lediglich instrumentellen Charakter, denn nach der Überzeugung der Evangelikalen werden nach der letzten Schlacht auch alle Juden jämmerlich zugrunde gehen, sofern sie sich nicht zu Jesus bekehren lassen.

Unter George W. Bush ist es diesen religiösen Gruppen gelungen eine Reihe von strategischen Positionen im Weißen Haus und in der Republikanischen Partei zu besetzen. Die Evangelikalen verstehen das Politische als Zusammenhang von Offenbarung, Autorität und Gehorsam. Die Fundamentalisten versuchen nichts anderes als die Gewaltenteilung zwischen weltlich und geistlich aufzuheben. Wenn diese gelänge, wären die USA nichts anderes als eine demokratisch gewählte Theokratie.

II) Messianismus von unten

Geschichte als Prozess der menschlichen Selbstbefreiung

Die Geschichtsphilosophie seit Hegel anerkennt die Weltgeschichte als das Weltgericht, gegen das es keine Berufung gibt. "Weltgeschichte ist kein Ort des Glücks" (Hegel). In der Abfolge der Imperien sehen Hegel und seine Nachfolger ein sinnvolles Geschehen.

Während aber Hegel die Welt lediglich "interpretiert" hat, wandelt sich mit Marx die Geschichtsphilosophie in eine Theorie der Aktion: Geschichtsphilosophie wird zur Geschichtsprophetie mit messianischen Motiven.

Einige Auszüge aus dem Kommunistischen Manifest (1848):

"Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. (...) Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen zu sehen. (...)

Die Bourgeoise hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. (...)

Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Ware sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. (...)

In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als Widersinn erschienen wäre - die Epidemie der Überproduktion. (...) Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dieses Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. (...)

Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst.

Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter, die Proletarier."


Kapital und Arbeit sind die beiden entgegen gesetzten Pole der bürgerlichen Gesellschaft. Das Proletariat ist dazu verdammt, seine Arbeitskraft immer wieder herzustellen, als blindes Instrument der Akkumulation des Kapitals. Es wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Erniedrigung, der Ausbeutung, aber auch Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten und organisierten Arbeiterklasse.

Nochmals das Kommunistische Manifest:

"Das Proletariat, die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft, kann sich nicht erheben, nicht aufrichten, ohne dass den ganzen Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird. (...)

Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweg gezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich."


Das ist eine triumphalistische Rhetorik, die die Produktivkräfte und die Dialektik der Geschichte im Tornister weiß. Dem Proletariat fällt die Rolle des Erlösers der Gesellschaft zu Da das Proletariat aller menschlichen Würde beraubt ist, wird es aufgerufen, die Würde des Menschen im Allgemeinen wieder herzustellen.

In jeder politischen Unruhe hat Marx das Wetterleuchten der herannahenden Katastrophe erblickt. Noch im Lärm der Pariser Kommune von 1871 vermeint er das Ende der bürgerlich-christlichen Welt läuten zu hören. Und wie die alten Apokalyptiker, glaubt Marx, dass sich die Abfolgen der Geschichte nicht überspringen lässt, aber man kann "die Geburtswehen abkürzen und mildern." Durch das Inventar seiner sozialökonomischen Analysen tönt das dumpfe Grollen einer unausbleiblichen Katastrophe. In einer gewaltigen Apokalypse schildert Marx den Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft und prognostiziert den Sprung vom Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit. Mit der Vorstellung der klassenlosen Gesellschaft hat Marx zugleich die Vorstellung der messianischen Zeit säkularisiert.

Schöpferische Zerstörung

Im Kommunisten Manifest wird die Zerstörung von Strukturen als ein entscheidendes Funktionsprinzip des Kapitalismus darstellt. Seine Zerstörungskraft veranlasste auch eine ganze Reihe von bürgerlichen Autoren die Widersprüche und Spannungen kapitalistischer Gesellschaften als so gravierend anzusehen, dass dem Kapitalismus eine schlechte Bestandsprognose ausgestellt wurde. Nehmen wir beispielsweise den konservativen Ökonomen Joseph Schumpeter, der in den 1930er und 1940er Jahren die moderne Wirtschaftstheorie revolutionierte. Er tritt der noch heute gängigen Vorstellung entgegen, dass Produktivität und Innovation wesentlich durch Konkurrenz erreicht werden. Die Ursache für den Wohlstand und die Innovationskraft des Kapitalismus sei nicht der Wettbewerb, sondern vielmehr seine Wandlungsfähigkeit: Der Kapitalismus ist wesentlich ein Prozess, "der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. Dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum".

Schumpeter ging davon aus, da der Kapitalismus "durch seine eigenen Errungenschaften umgebracht" wird. Sein Erfolg legt zugleich den Keim der Zerstörung, denn der Kapitalismus zerstört auch die innovativen Kräfte selbst. Schumpeter vertritt eine ähnliche Zusammenbruchstheorie wie Marx, jedoch begründet er sie völlig anders. Nicht ökonomische Widersprüche führen letztlich zum Ende des Kapitalismus, sondern kulturelle. Auf die Frage "Can Capitalism Survive?" lautet seine prägnante Antwort: "No, Ladies and Gentlemen, it cannot."

Allerdings haben sowohl Schumpeter wie der Marxismus die Vitalität des Kapitalismus unterschätzt: Seine Fähigkeit, selbst verursachte Krisen und Zerstörungen in Anreize für zukünftige Entwicklungen zu verwandeln. Die größte Leistung des Kapitalismus scheint gerade darin zu bestehen, jede menschliche Katastrophe in eine Quelle produktiver Investitionen zu verwandeln.

Messianischer Splitter

Dass die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte von Katastrophen zu verstehen ist, war eine Grundeinsicht von Walter Benjamin, der 1940 auf der Flucht vor den Nazis ums Leben kam. In den Gesichtsphilosophischen Thesen beschreibt er unter anderem den "Sturm" des geschichtlichen Fortschritts anhand eines Bildes von Klee, das sich in Benjamins Besitz befand und Angelus Novus betitelt ist:

"Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind angespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst."

Im Unterschied zum bürgerlichen Historiker sieht der historische Materialist keine Kette von Begebenheiten, sondern den einen Zusammenhang, das eine Ereignis der Katastrophe, die den Unterdrückten aller Zeiten zugestoßen ist. Die Vergangenheit ist eine unaufhörliche sich auftürmende einzige Katastrophe.

Angesichts des siegreichen Faschismus und gestützt auf die Erfahrung zweier Weltkriege stellt sich für Benjamin der Ausnahmezustand als die Regel dar, es ist die Normallage des Menschen in der Welt. Die Katastrophe besteht gerade darin, dass das Alltägliche so weitergeht. Diesem Ausnahmezustand setzt Benjamin den "wirklichen Ausnahmezustand" entgegen, dem Moment der Revolution. Es ist jener Augenblick, in dem das Kontinuum der Geschichte, die sich als kontinuierliche Anhäufung von Katastrophen darstellt, aufgesprengt wird. Die Revolution ist nicht der Tigersprung in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit.

"Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse."

Aus dem Blick auf die Vergangenheit schöpft der Kampf um Befreiung seine Kraft, genährt am Bild der geknechteten Vorfahren, getrieben von "Hass und Opferwillen". Benjamins Thesen zielen zugleich darauf, die irrreduzible Gewaltstruktur des Politischen aufzudecken und auf die latente Anwesenheit der Gewalt in jedem Rechtsinstitut hinzuweisen. Rechtssetzende Gewalt zeigt sich in der Grenzsetzung eines siegreichen Staates Deshalb trägt alles Recht das Ursprungssiegel des Privilegs. Recht ist Vorrecht der Mächtigen. Dieser "diktatorischen Gewalt" setzt Benjamin die revolutionäre, "rechtsvernichtende Gewalt" gegenüber. Denn, der "Messias kommt ja nicht nur als Erlöser, er kommt auch als der Überwinder des Antichrist." Zu Rettung gehört eben auch "der feste, scheinbar brutale Zugriff."

Die säkular-revolutionäre Unterbrechung des katastrophischen Geschichtsverlaufs besitzt für Benjamin ein messianisches Moment. Dem Kollektiv, heute würde man Mulitude sagen, ist "eine schwache messianische Kraft mitgegeben, an welche die Vergangenheit partizipiert."

Doch die Rettung kann ebenso misslingen. Als äußerte Extreme stehen sich die überwältigende Gewalt und das rettende Handeln gegenüber. Es gibt Momente, wo es angesichts der übermächtigen Gewalt keine Hoffnung mehr gibt.

Bert Brecht widmete Walter Benjamin ein Gedicht:

"Zum Freitod des Flüchtlings W. B.

Ich höre, dass du die Hand gegen dich erhoben hast
Dem Schlächter zuvorkommend.
Acht Jahre verbannt, den aufstieg des Feindes beobachtend.
Zuletzt an eine unüberschreitbare Grenze getrieben
Hast du, heißt es, eine überschreitbare überschritten.

Reiche stürzen. Die Bandenführer
Schreiten daher wie Staatsmänner. Die Völker
Sieht man nicht mehr unter den Rüstungen.

So liegt die Zukunft in Finsternis, und die guten Kräfte
Sind schwach. All das sahst du
Als du den quälbaren Leib zerstörtest."


Emanzipatorische Verheißung

Entgegen den Annahmen des Marxismus folgen die sozialen Kämpfe keiner Fortschrittsdialektik, sondern verdichten sich in diskontinuierlichen "Ereignissen" immer wieder neu. In solchen Ereignissen, wie etwa 1789, 1848 oder 1917, wird Geschichte nicht auf eine "höhere Stufe" gehoben, sondern in ihrem Fortschritt "unterbrochen". Bei Revolutionen handelt es sich um ausgesprochen seltene "Fundstücke der Geschichte". Gegenwärtig existiert keine revolutionäre Option.

Es ist zudem eine unausweichliche und bittere Erfahrung des 20. Jahrhunderts, dass sämtliche Versuche, eine andere Gesellschaft hervorzubringen, zu Herrschaftsprojekten mutierten. Dieses Wissen um die Risiken von Radikalität sollte aber nicht in eine "pessimistische Anthropologie" münden, mit der Konservative schon immer Ausbeutung und Unterdrückung begründet haben. Sie stellen die Geschichte als unentrinnbare Tragödie oder als naturgeschichtlichen Prozess dar. Der konstruktive Charakter der Wirklichkeit, in der die Menschen leben, und ihre grundsätzliche Freiheit innerhalb dieser Wirklichkeit, werden von ihnen negiert.

Radikalität wendet sich gerade aufgrund ihrer möglichen autoritären Verhärtung zuallererst gegen sich selbst. Diese Wendung gegen sich selbst führt dann nicht zu einem Verzicht des Anspruchs auf Transzendenz, sie bestreitet vielmehr jede Form der Herrschaft (nicht von Macht) und verbindet die Kritik der totalitär entstellten Revolutionen nicht mit einer Affirmation des Bestehenden.

Um es mit Derrida zu sagen: die Analyse marxistischen Typs bleibt unerlässlich und zugleich unzureichend, da der Marxismus trotz aller Religionskritik eine messianische Eschatologie in sich schließt. Aber an der Erfahrung der emanzipatorischen Verheißung, einem Messianischen ohne Messianismus, an einer Idee der Gerechtigkeit, muss festgehalten werden.

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