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'Aschenputtel bringt sich auf den Markt'

Ein Interview mit der Jiskra-Mitarbeiterin Britta Schmitt zur Situation mittel- und osteuropäischer Frauen in Frankfurt am Main

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Das Projekt Jiskra wurde 1995 von agisra und der ökumenischen Asiengruppe ins Leben gerufen. Beide Trägervereine arbeiten schon seit geraumer Zeit gegen rassistische und sexistische Praktiken im Umgang mit Migrantinnen aus Lateinamerika, Afrika und Südostasien. Neben der konkreten sozialarbeiterischen Unterstützung in Form von Behördengängen, Gesundheitsversorgung oder Unterkunft in Frauenhäusern, leisten beide Vereine Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, um über die strukturellen Hintergründe frauenspezifischer Migrationsstrategien zu informieren.

Mit dem Niedergang der staatssozialistischen Länder verschob sich auch die Zusammensetzung der Migrantinnen in der BRD. Die geographisch naheliegenden mittel- und osteuropäischen Ländern erweisen sich für in- und ausländische Händler und Vermittler als lukrativer Markt, den auch die ökonomisch schlechtgestellten Frauen notgedrungen für sich nutzen. Vor Ort in Frankfurt am Main äußerte sich das in einer steigenden Anzahl osteuropäischer Migrantinnen, denen aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten und Überlastung der Mitarbeiterinnen der Trägervereine nur unzureichend geholfen werden konnte. So wurde 1996 mit Hilfe von Spenden eine Stelle geschaffen und eine Broschüre zur `Situation von mittel- und osteuropäischen Frauen in Frankfurt am Main und Umland´ herausgegeben. Mittlerweile finanziert sich Jiskra vorwiegend aus Mitteln des Bundesfamilienministeriums, ist aber nach wie vor auf zusätzliche Unterstützung angewiesen.


com.une.farce: Welche Migrationsformen lassen sich bei den Frauen unterscheiden?

Britta Schmitt: Da gibt es zunächst Heiratsmigration. Manche Frauen aus der Ukraine oder auch aus Russland kommen mit einem dreimonatigen Touristenvisum hierher und versuchen dann, einen Mann zu finden. Das gelingt manchmal, es gelingt aber vor allem über Agenturen.

Dann bietet das neue Kindschaftsrecht auch die Möglichkeit, daß eine Frau, die von einem deutschen Mann schwanger ist, den Aufenthaltsort frei wählen kann. Sie kann also den Ort bestimmen, an dem sie `das deutsche Kind´ aufziehen will. Voraussetzung ist allerdings, daß der Mann die Vaterschaft ausdrücklich anerkennt. Ein in Deutschland lebender Ausländer mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung kann der Frau ebenfalls ein Aufenthaltsrecht in Deutschland verschaffen, wenn er die Vaterschaft anerkennt. Die Neufassung des Kindschaftsrechts hat mit der Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu tun.

An Migrationsformen von Frauen gibt es dann noch Au-pair. Da haben wir aus Tschechien viele junge Frauen, die nach Frankfurt in die Familien kommen. Zum Teil erwarten die Familien sehr viel mehr als acht Stunden Arbeit von den Au-pair-Mädchen, was nicht zulässig ist. Die Familie muß ihnen auch eine Monatskarte stellen. Häufig wird diese Bedingung des Au-pair-Vertrages aber nicht erfüllt, so daß die junge Frau sich in Frankfurt kaum bewegen kann und isoliert in der deutschen Familie lebt. Das sind teilweise schon recht ausbeuterische Verhältnisse, in denen die Frauen als Au-pair-Mädchen arbeiten müssen. Deswegen fliehen viele aus der Gastfamilie und verlieren dadurch ihr Aufenthaltsrecht. Denn das ist an den Vertrag mit der jeweiligen Familie gebunden.

Des weiteren gibt es die Migration in die Lohnarbeit, also im Haushalt oder in Hotels als Zimmermädchen oder Kellnerin. In Frankfurt nehmen einige Cafés ganz gerne illegale Osteuropäerinnen als Bedienung. Doch was heißt schon illegal? Das Problem der Illegalität wird von den Frauen so gelöst, daß sie zunächst als Touristin für drei Monate einreisen. Dann ist ihr Aufenthaltsstatus legal, nur arbeiten dürfen sie nicht. Wenn sie bei der Arbeit angetroffen werden, versuchen sie eben abzustreiten, daß sie wirklich dort arbeiten. Auch von Arbeitgeberseite wird dann gesagt, daß sie eine Bekannte sei, die aushelfe. Wir kennen Polinnen, die von Arbeitgebern drei Monate beschäftigt werden und dann wieder ausreisen müssen, während eine Bekannte die Stellung für die nächsten drei Monate übernimmt und so im Wechsel weiter.

Dann haben wir als fünfte Migrationsform den Bereich der Prostitution. Dieser Bereich überschneidet sich in der Regel mit anderen Migrationsformen. Es gibt beispielsweise Osteuropäerinnen, die mit deutschen Männern verheiratet sind und hier in der Prostitution arbeiten. Manchmal erwartet ihr deutscher Ehemann von ihnen, daß sie als Prostituierte arbeiten. Manche Frauen gehen auch eine "Scheinehe" mit einem Deutschen ein, um dann mit legalem Aufenthaltsstatus in der Prostitution arbeiten zu können, mit dem Ziel, in das Herkunftsland zurückzukehren, wenn sie genug Geld verdient haben.

Zudem gibt es viele Formen von informeller Prostitution. Diese Frauen bewegen sich in Swingerclubs, wo sie Männer kennenlernen, mit denen sie "auch mal nur so" ausgehen. Sie werden dann nicht in dem Sinne als Prostituierte entlohnt, sondern erhalten "Geschenke".

Außerdem reisen viele Frauen illegal ein, um hier in der Prostitution zu arbeiten, wobei ihnen häufig dieser Aspekt der Illegalität gar nicht so klar ist. Deutschland wird als freies Land betrachtet, wo die Arbeit in der Prostitution nicht verboten sein kann. Das geht solange gut, bis die nächste Razzia kommt. Dann wird meistens kurzer Prozeß gemacht. Wertgegenstände, Kleidung, Geld bleiben am Verhaftungsort zurück und werden von Dritten angeeignet. Die Frauen kommen in Abschiebegefängnisse und werden ausgewiesen.

Dann gibt es noch die Frauen, die wirklich gezwungen worden sind, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hergelockt wurden. Denen hat man versprochen, sie könnten hier als Tänzerinnen, Kellnerinnen oder ähnlichem arbeiten. Direkt vor oder nach der Einreise wird diesen Frauen der Paß abgenommen. Sie werden dann in Wohnungen gebracht und zur Prostitution gezwungen. Zum Teil sind das sehr junge Mädchen.


In der von agisra und der ökumenischen Asiengruppe 1996 herausgegeben Broschüre Projekt Jiskra, konstatiert die Autorin Anne-Margret Kießl eine steigende Anzahl osteuropäischer Migrantinnen in Frankfurt am Main. In welchem Zusammenhang steht die verstärkte Migration von Frauen mit der Transformation der staatssozialistischen Länder?

In Russland, aber auch in den anderen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion wurden bereits seit 1991 die staatlichen Betriebe in Aktiengesellschaften umgewandelt. Bei dieser Umwandlung wurden überdurchschnittlich viele Frauen nicht in ein neues Arbeitsverhältnis übernommen. Im Zuge der rechtlichen Umgestaltung der Staatsbetriebe in eine Aktiengesellschaft wurden gerade Frauen nicht wieder eingestellt. Auf diese Art und Weise war es möglich, z.B. Frauen im Mutterschaftsurlaub loszuwerden, die nach russischem Recht nach wie vor Anspruch auf den Arbeitsplatz gehabt hätten. Ähnliches gilt für Frauen, die zum Zeitpunkt der Umwandlung schwanger waren oder häufig fehlten wegen Krankheit ihres Kindes.

Allgemeiner könnte man vielleicht sagen, daß dort die Ware Arbeitskraft jetzt auch genauer danach begutachtet wird, wie nützlich sie für den Betrieb ist. Früher hat es das im Staatssozialismus so nicht gegeben. Frauen gelten seither als schlechtere Arbeitskräfte, weil sie höhere Fehlzeiten haben. Deshalb sind gerade Frauen überdurchschnittlich häufig entlassen worden. Und es ist sehr schwer - auch für gut ausgebildete Frauen - dort einen "angemessenen" Arbeitsplatz zu finden. In Russland ist die größte Berufsgruppe unter den arbeitslosen Frauen die der Ingenieurinnen.


Was bedeuten die EU-Osterweiterungspläne in Bezug auf die Arbeitsmigration von Frauen? Denkst du, daß sich dadurch etwas an dem momentanen rechtlichen Status der Frauen ändern wird?

Ich denke nicht, daß sich durch die Angliederung an die europäische Union eine positive Veränderung im Sinne der Arbeitsmitgrantinnen eintreten wird. Es ist eher so, daß sich die EU durch das Schengener Abkommen immer stärker abschottet, auch gegenüber Staaten, die schon im Europarat sind, oder denen eine Mitgliedschaft in der EU in Aussicht gestellt wird, wie einigen osteuropäischen Staaten. ArbeitsmigrantInnen will man hier nicht haben. Ich halte die Entwicklung für sehr restriktiv und sehe auch keine Chancen, daß sich etwas für MigrantInnen verbessern wird.


Was ist die zahlenmäßig größte Personengruppe in Frankfurt und Umgebung und mit welcher seid ihr am häufigsten befaßt?

Unsere Klientinnen arbeiten größtenteils im Prostitutionsbereich. Man kann sagen, daß es in Frankfurt so zwischen 1.300 und 1.500 Prostituierte gibt, und daß davon etwa 90% Migrantinnen sind. Ein zunehmender Anteil der Frauen kommt aus Osteuropa, wobei ich nicht abschätzen kann wieviele es genau sind. Die osteuropäischen Prostituierten tauchen im Bahnhofsviertel kaum auf, da sie vorwiegend in Clubs, Saunen oder Hostessenwohnungen arbeiten. Es gibt ungefähr 150 - 170 Hostessenwohnungen in Frankfurt, in denen zwischen 2 bis 7 Frauen arbeiten. Da ist der Anteil an Osteuropäerinnen sehr hoch.


Wie kommt es zu dieser Struktur?

Es liegt wohl zum einen daran, daß die Prostitution, die in den staatssozialistischen Ländern ja verboten war, vorwiegend im privaten Bereich organisiert wurde. Die privatisierte Form der Prostitution in Wohnungen ist für die Frauen einfach geläufig. Zum anderen sind sehr brutale Vermittler am Werk, die natürlich die Frauen in Wohnungen sehr viel besser kontrollieren und abschotten können.


Welche Schwierigkeiten ergeben sich für die Frauen aus dem besonderen rechtlichen Status der Prostitution als illegalem Gewerbe? Und inwiefern verschärfen sich dadurch und durch den illegalen Aufenthalt der Frauen ihre Arbeitsverhältnisse?

Prostitution als Gewerbe ist ja an sich nicht illegal. Nur die Förderung der Prostitution ist strafbar. Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus dürfen die Frauen hier allerdings nicht arbeiten. Dagegen verstoßen sie, wenn sie in der Prostitution tätig sind. Das macht sie illegal.

Die Illegalität bedeutet natürlich eine permanente Angst vor Razzien und eine stärkere Ausbeutbarkeit als bei deutschen Prostituierten. Von Vermittlern, Schleppern und Zuhältern wird den Frauen gesagt, sie hätten Schulden abzuarbeiten, weil durch die Einschleusung nach Deutschland Unkosten entstanden seien. Die Forderungen können zwischen 10.000 und 30.000 US-Dollar liegen. Solange sie die entsprechende Summe nicht abgearbeitet haben, kriegen sie ihren Paß nicht zurück.

Die Miete liegt häufig bei ein paar hundert Mark am Tag, auch in den Wohnungen. Das heißt, wenn eine Nummer beispielsweise 50 Mark kostet, dann braucht sie schon fünf Freier am Tag allein, um ihre Miete zu bezahlen. Dann hat sie aber noch nichts gegessen, geschweige denn einen Gewinn gemacht. Das ist schon ein extremes Maß an Ausbeutung. Und die Frauen können nicht einfach sagen: `Ich hör auf mit dem Job und fahr nach Hause´. Denn sie werden bedroht und es besteht diese Schuldknechtschaft.


Wie nehmt ihr Kontakt zu den Frauen auf?

Es gibt zwei Wege, die wir beschreiten. Zum einen machen wir Streetwork in den Saunaclubs, oder auch Hostessenmailing zusammen mit "Tamara", einer Frankfurter Beratungsstelle für Prostituierte. Unser aktuelles Projekt besteht in der Verschickung von Aufklärungsbroschüren, die quasi als Türöffner fungieren sollen, um an Frauen heranzukommen, die Opfer von Menschenhandel sind.

Der andere Weg läuft über die Polizei. Menschenhandel gilt als Kontrolldelikt, das heißt das Vergehen wird meist nur bei Razzien aufgedeckt und kommt praktisch nie durch Dritte zur Anzeige. Hier ist wichtig, daß die Polizei uns einschaltet, damit wir mit der Frau in ihrer Muttersprache erstmal abklären, wie ihre Lage ist. Wir fragen dann, ob sie hierbleiben will, was sie erlebt hat, ob sie die Aussage verweigern will und versuchen, sie parteilich in einem Prozeß oder bei der Heimreise zu begleiten. In der Beratungsstelle sprechen wir Russisch und Polnisch.


Wie nehmen euch die Frauen wahr, wenn der erste Kontakt über die Polizei läuft, mit der sie eventuell schon schlechte Erfahrungen gemacht haben?

Im Allgemeinen gelingt es darzustellen, daß wir keine Gehilfinnen der Polizei sind. Das äußert sich zum Beispiel in der Schweigepflicht, an die wir uns in Bezug auf vertrauliche Gespräche mit den Klientinnen gebunden fühlen. Vom LKA wird das grundsätzlich akzeptiert, bei der Polizei auf lokaler Ebene jedoch eher nicht.

Im Unterschied zu unseren Rheinland-Pfälzischen Kolleginnen lehnen wir es ab, bei Razzien anwesend zu sein. Wir versuchen deutlichen Abstand zur Polizei zu halten.


In den letzten Monaten hat sich auf offizieller Ebene, zum Beispiel im Bundesfamilienministerium oder der EU-Ministerkonferenz im April letzten Jahres (vgl. agisra Rundbrief Nr.21, S. 55f.) zum Thema Frauenhandel einiges getan. Insbesondere der `Opferschutz´ - keine sofortige Abschiebung - soll zum Zwecke besserer Strafverfolgung von beispielsweise Zuhältern verbessert werden. Für die Frauen ergibt sich aus ihrer momentanen Situation das Dilemma, zwischen Abschiebung oder fortgesetzter Ausbeutung wählen zu müssen. Was empfehlt ihr den Frauen?

Wir sind auch immer wieder ratlos, was wir den Frauen empfehlen sollen. Es werden uns ja auch Fälle bekannt, wo Frauen Opfer von Straftaten wurden und die Polizei davon noch nichts weiß. Rät man jetzt der Frau zur Polizei zu gehen? - Das kann man praktisch nicht, weil das ein absolutes Roulettespiel für die Frau ist. Wir müssen das dann auch so offen sagen, und sie fragen, ob sie es wagen will oder nicht. Denn wir können überhaupt nicht einschätzen, wie das für die Frau ausgeht. Es liegt im Ermessensspielraum des Beamten, der die Aussage aufnimmt, ob er den Fall für so gravierend hält. In diesem Fall besteht für die Frau die Chance, möglicherweise sogar bis zum Prozeßende hier einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Das kann bis zu zwei Jahren dauern.

Im anderen Fall wird die Frau eben abgeschoben. Dann hat sie sich eigentlich nur dadurch geschadet, daß sie zur Polizei gegangen ist. Denn gleichzeitig wird es ihr von den Vermittlern und den Zuhältern übelgenommen, daß sie diesen Schritt gemacht hat, so daß sie auch von dieser Seite mit Repressalien rechnen muß.

Da wird schon deutlich, daß man bei der Kooperation mit der Polizei immer deren Strafverfolgungsinteresse im Blick behalten muß. Den Beamten geht es nicht um eine Stärkung oder Parteilichkeit für die Frauen oder um die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen.


Die rechtliche Handhabe der polizeilichen Aktivitäten ist durch das Strafdelikt Menschenhandel gegeben. Kannst du sagen, was darunter zu verstehen ist?

Es gibt eine enge juristische Definition von Menschenhandel. Im Strafgesetzbuch ist übrigens nicht von Frauenhandel sondern von Menschenhandel die Rede, obwohl praktisch nur Frauen von Menschenhandel betroffen sind. Im Gesetz heißt es, daß jemand, der die hilflose Lage, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, bei einer Person ausnützt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, die Straftat Menschenhandel begeht. Menschenhandel ist nach dem Gesetz also immer mit Prostitution verknüpft. Es ist ein Handel von Frauen in die Prostitution.

Im Gegensatz dazu sind für uns generell Täuschung und Zwang die entscheidenden Kriterien für Frauenhandel. Wenn die vorliegen, das heißt wenn eine Migrantin getäuscht und in Arbeitsverhältnisse gezwungen wird, dann sprechen wir von Frauenhandel.

Das gilt dann selbstverständlich auch für andere Arbeitsbereiche wie im Haushalt, als Kellnerin, oder Zimmermädchen. Den Frauen wird im Herkunftsland oft ein viel höherer Verdienst und viel bessere Bedingungen versprochen. Das ist für uns auch Frauenhandel.

Die dritte Form ist Frauenhandel im Bereich der Heiratsmigration, weil es eben auch diese Kataloge gibt, und sich Männer dafür interessieren, die die Vorstellung haben: `Eine Frau aus dem Katalog, die kostet mich nicht viel, die darf keine Ansprüche stellen´. Da herrscht so das Klischee vor: 'Die ist dankbar, die ist schön bescheiden und so, und möglichst auch eine gute Hausfrau.‘ Diese Eigenschaften meint der Mann, wenn er sich an eine Agentur gewendet hat, sozusagen mitzukaufen. Und wenn das dann nicht der Fall ist, kann er sich jederzeit von der Frau trennen, und sie bei der Ausländerbehörde melden. Ist sie dann noch keine vier Jahre mit ihm verheiratet, wird sie ausgewiesen. In solchen Fällen ist die Frau ja auch in einer extremen Zwangssituation und wurde getäuscht. Die Zwangssituation wird hier von den Ehemännern hergestellt. Da gibt es eine Koalition zwischen Ehemännern und der jeweiligen Agentur, die de facto auch Frauenhandel betreiben.


In der Jiskra Broschüre wird von dem Klischee der anspruchslosen, dankbaren osteuropäischen Frau gesprochen. Darüberhinaus scheinen bei der Heiratsvermittlung auch rassistische Motive im Spiel zu sein, die sich für die Vermittler als lukrative Marktlücke erweisen. So meint Diana Hummel (in Beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr. 34, "Europa, einig Vaterland?", S. 62), daß osteuropäische Frauen auf dem deutschen Heiratsmarkt gefragter sind als lateinamerikanische oder asiatische Frauen, da sie in der Regel in der neuen deutschen Nachbarschaft nicht so schnell als Ausländerinnen auffallen. Kannst du das bestätigen?

Ich kann hier nur von der Händlerseite reden. Da wird mit der Bescheidenheit und Häuslichkeit der Frauen geworben und damit daß sie europäisch aussehen. Insofern sei nicht gleich zu erkennen, daß es sich um eine arrangierte Ehe handelt. Als Vorteil wird auch angepriesen, daß Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, um eine osteuropäische Frau kennenzulernen, viel geringer sind, als bei asiatischen Frauen, und Osteuropäerinnen irgendwie auch kulturell näher seien. Die Frauen entsprechen jedoch nicht unbedingt der Erwartungshaltung, anspruchslos zu sein.


In der öffentlichen Diskussion scheint es eine Aufspaltung zwischen Arbeits- und Heiratsmigration einerseits und Menschenhandel andererseits zu geben.1 Es fällt auf, daß die zusätzlich zur normalen Ausbeutung Hintergangenen insbesondere in der Lohnarbeitsmigration keine so große Aufmerksamkeit erfahren. Selbst in der Prostitution müssen die Frauen zu Opfern von Zuhältern stilisiert werden, um Unterstützung zu bekommen. Stimmt das und wenn ja, wie geht Ihr damit um?

Die Öffentlichkeit will immer das reine Opfer. Manche Frauen gehen willentlich in die Prostitution, für ein Jahr, damit sie sich mit dem Geld im Heimatland etwas aufbauen können. Das wird von der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht als legitimes Interesse akzeptiert, ist aber die Realität. Es ist verlogen, Mitleid mit den Opfern unfreiwilliger Prostitution zu haben, andererseits aber nichts zur hiesigen Nachfrage nach Prostituierten bzw. billigen "Hausmädchen" zu sagen. Unser Anliegen wäre hier, legale Einkunftsmöglichkeiten zu schaffen. Ich halte die Chancen allerdings für sehr gering, daß das in absehbarer Zeit politisch umgesetzt wird.


Ist für Euch die Legalisierung der Arbeitsverhältnisse als politische Perspektive ausreichend?

Erst mal schon. Realpolitisch gesehen - und auf eine andere Ebene will ich mich gar nicht einlassen - sollten die ausländischen Frauen in der Lage sein, die in Deutschland bestehende Nachfrage nach ihren Dienstleistungen im Haushalt, im Gastgewerbe und in der Prostitution auf legalem Wege zu befriedigen, das heißt mit Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung.


In fast allen Bereichen wird die Illegalität der Frauen oder zumindest die Drohung damit zum Mittel ihrer erhöhten Ausbeutbarkeit. Ist hier `nur´ die ganz normale Gewalt nationalstaatlicher Verhältnisse am Wirken oder läßt sich noch eine zusätzliche patriarchale Logik festmachen?

Ich denke, eine Sache ist schon geschlechtsspezifisch, und zwar, daß Frauen stärker in die informellen Arbeitsbereiche abgedrängt werden als Männer. Selbst wenn du den osteuropäischen Erdbeerpflücker oder Spargelstecher betrachtest: Der hat noch eine Möglichkeit diese Arbeit legal zu tun, auch wenn die schlecht bezahlt ist. Oder wenn wir zum Beispiel vom `Polenstrich´ an der Großmarkthalle reden: Die Männer müssen nur ihre Arbeitskraft verkaufen. Und selbst wenn sie illegal sind, haben sie noch bessere Bedingungen als Frauen, die in die Privatsphäre abgedrängt werden, im Haushalt arbeiten müssen als Haushaltsangestellte, wo überhaupt kein Auge der Öffentlichkeit mehr hinschaut. Sie sind deswegen viel größerer Ausbeutung ausgesetzt. Oder sie arbeiten in der Prostitution. Da, denke ich, kommen auch patriarchale Elemente rein. Denn bei einer Frau geht es nicht nur um ihre Arbeitskraft, sondern ihr Körper kommt mit rein. Wenn eine Frau Arbeit findet, findet sie die halt im privaten, informellen Sektor oder im Milieu, wo sie einfach weniger geschützt ist, noch weniger, als die schon ungeschützten Männer. In den Feldern, die Frauen als Arbeitsfelder zugewiesen sind, muß sie ihren Körper oft auf ganz andere, sehr viel intimere Weise einsetzen als ein männlicher Arbeitsmigrant.


Wie läuft die Anwerbung in den Herkunftsländern?

Im Bereich der Händler, die Frauen in die Prostitution vermitteln, gibt es eine hohe Professionalität, d.h. es werden teilweise Wettbewerbe in den Herkunftsländern veranstaltet. Bei diesen Auswahlverfahren wird suggeriert es ginge um die Qualifikationen als Tänzerin oder Sängerin und gleichzeitig werden möglichst viele Daten durch Fragebögen gesammelt, die das persönliche Umfeld bzw. die Familie betreffen, um die Frauen später besser unter Druck setzen zu können. Wenn die Frauen dann nach Deutschland vermittelt werden, wissen sie zumeist nichts über die Händler, da diese häufig unter falschem Namen aufgetreten sind.

Es sind uns jedoch auch Fälle von Vermittlung in die Prostitution bekannt, bei denen der Ehemann, der Onkel oder ein Bekannter der Frau als Händler davon profitiert hat. Bei einem uns bekanntgewordenen Handel ist ein Mann mit seiner Ehefrau nach Deutschland gefahren, um ein Auto zu kaufen. Der Mann brachte seine Frau zu Bekannten und verabschiedete sich unter dem Vorwand, etwas wegen des Kaufvertrages für das Auto klären zu müssen. Die Frau blieb bei den 'Bekannten' zurück, wurde dort mehrfach vergewaltigt und sollte in die Prostitution gezwungen werden. Es ist anzunehmen, daß der Mann mit dem Geld für die Frau das Auto erworben hat und ohne sie nach Lettland zurückgekehrt ist.

Eine andere Variante besteht darin, Frauen nach einem gemeinsamen Besuch in der Disko eine "Spritztour" nach Deutschland vorzuschlagen um sie dort zu verkaufen.


Arbeitet ihr mit Organisationen in anderen Ländern zusammen?

Ja, wir kooperieren mit Frauenorganisationen in Osteuropa. Wir haben z.B. die Möglichkeit, Frauen in Russland versteckt unterzubringen. Wenn eine Frau also zurückwill, können wir sie dort unterbringen. Außerdem arbeiten wir mit La Strada zusammen. Das ist ein Projekt, das von der EU finanziert wird, zur Prävention von Menschenhandel. La Strada hat Vertretungen in Warschau, Kiev und Prag. Diese Kooperation mit Organisationen in den Herkunftsländern stellt den Versuch dar, Perspektiven für diejenigen zu schaffen, die abgeschoben werden und nicht wissen wohin. Häufig ist es so, daß die Frauen mit einem Fahrschein in den Zug gesetzt werden, der gerade mal bis Görlitz / deutsche Seite gültig ist. Die Abgeschobenen müssen über die Grenze und stehen dann auf der polnischen Seite, ohne zu wissen wohin. Da gibt es auch ganz viel Scham, weil sie nicht mittellos zu ihren Verwandten zurückkehren wollen. Und häufig drehen sich die Frauen dann auf dem Absatz um und versuchen, wieder zurück nach Deutschland zu gelangen. Aus dieser Erfahrung heraus versuchen wir im Vorfeld beim Sozialamt eine Fahrkarte bis zu einer Stadt herauszuhandeln, in der die Frauen von La Strada abgeholt werden können. Wir kommen damit dem Interesse der Behörden, die Frauen außer Landes zu schaffen, ein Stück weit entgegen, um der Frau zu ermöglichen, daß sie bei der Rückkehr ins Herkunftsland ihre Würde nicht verliert und im Herkunftsland weiterbetreut wird.


Von großer Bedeutung für die zukünftige Flüchtlingspolitik dürfte die Mitte August in Bremen beginnende Karawane für MigrantInnenrechte sein, bei der zahlreiche MigrantInnenorganisationen beteiligt sind. Als aktueller politischer Bezugspunkt richtet sich die Karawane unter anderem gegen die geplante Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetz, sprich Aushungergesetz. Wie schätzt du die Aussichten der Kampagne ein? Seid ihr in irgendeiner Form beteiligt?

Wegen der geplanten Kürzung des Asylbewerberleistungsgesetztes, dem geplanten `Aushungergesetz´ hatten wir natürlich die größten Befürchtungen in bezug auf unser Klientel. Denn wenn eine Frau, die von Menschenhandel betroffen ist, hier eine Aussage macht, dann kriegt sie allenfalls eine Duldung und an den Status Duldung wären dann keinerlei Sozialleistungen geknüpft gewesen. Da müssen wir was tun, das schwebt sozusagen als Damoklesschwert über uns. Denn wenn das durchkommt, können wir unsere Arbeit völlig vergessen. Es sieht ja zum Glück eher so aus, als käme das Gesetz nicht durch. Man kann aber absolut noch nicht von Entwarnung sprechen.

Ansonsten wollen wir uns natürlich nicht nur auf unser Klientel beschränken, sondern mit anderen Migranten und Migrantinnen solidarisch sein. Nur muß ich ehrlich zugeben: Außer daß wir die Unterschrift für die Karawane geleistet haben, ist nicht viel passiert. Und bezüglich einer Einschätzung der Aussichten der Kampagne, weiß ich nicht, muß ich leider passen.


Denkst du, daß die Karawane an den Alltag der hier lebenden Migrantinnen heranreicht?

Ich halte das für sehr schwer, gerade die häufig verdeckt in der Illegalität lebenden osteuropäischen Migrantinnen mit so einer Aktion zu erreichen. Aber es gibt durchaus ein Interesse an politischen Entwicklungen in Deutschland und bei manchen einen wirklich hohen Kenntnisstand. Aber ob die sich jetzt einreihen? Das, würde ich sagen, ist eher weniger der Fall.



1 Arbeits- und Heiratsmigration werden kaum als Ausbeutungsverhältnisse thematisiert, Prostituierte nur zu Opfern von Zuhältern stilisiert.    <zurück zum Text>