Das umkämpfte Subjekt1 von Thilo Naumann Einleitung Subjektivität ist umkämpft. Subjektivität ist umkämpft, weil die Vorstellungen von Subjektivität den Maßstab für menschliches Leid und Glück abgeben. Und sie ist umkämpft, weil sich in den Subjekten ebenso die Subjektivierung von Herrschaft wie eine eigentümliche subjektive Eigenlogik aufspüren läßt.Dieser umkämpfte Charakter der Subjektivität zeigt sich auch und gerade gegenwärtig an einer Vielzahl mehr oder minder konkurrierender Subjektbegriffe. So existiert es immer noch, als materielle ideologische Praxis: das bürgerliche, autonome, possessive und individuelle Subjekt samt der konstitutiv komplementären Vorstellung überindividueller Subjektivitäten, die durch ihre Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Nation, einer Ethnie oder einer Kultur bestimmt sein sollen. Daneben breiten sich postmoderne Vorstellungen eines vielseitig begehrenden, flexiblen und different situierten Subjekts aus, die zwar einerseits eine gewisse Befreiung von bürgerlicher Rigidität bedeuten können, aber zumeist der Codierung wachsender sozialer Ungleichheit als kulturelle Differenz dienen und überdies die Kapitalisierung der Subjektivität in den neuen Unternehmenskulturen und im intensivierten und diversifizierten Konsum befördern. Nicht zuletzt kursieren aber auch kritische Subjektvorstellungen, die das Subjekt immer auch als Ausdruck gesellschaftlich bewußtloser und unbewußter Praktiken begreifen, die es als Effekt der Ideologie (Althusser), der Macht (Foucault) oder des Gesetzes (Butler) dekonstruieren oder die es in einer positiven Wendung als "Hybride" (Hall) oder als "Cyborg" (Haraway / Negri) rekonstruieren.2 In diesem Kontext soll hier zunächst versucht werden, einige kritische Subjektbegriffe von Marx und Freud über Herbert Marcuse bis hin zu Judith Butler zu diskutieren, um zu einem angemessenen kritischen Subjektbegriff zu kommen. Danach möchte ich anhand der Begriffe Individualisierung, Sexifizierung und Rassifizierung Konturen hegemonialer Subjektivität zeichnen, um dann abschließend noch Aspekte einer gegenhegemonialen Praxis darzulegen. Grundlage ist dabei stets eine emphatische Rede über Subjektivität - gerade weil sich am Subjektbegriff politische Analysen und Kritiken mit dem Selbstverständnis und der Selbstverfügung der Sprechenden überschneiden. 1. Kritische Subjektbegriffe Marx und Freud
Der Historische Materialismus
und/oder die Psychoanalyse bilden einen Angelpunkt für fast alle
kritischen Auseinandersetzungen mit dem Subjektbegriff, ob sie nun eher im
Kontext Kritischer Theorie formuliert wurden, wie bei Fromm, Marcuse,
Horkheimer und Adorno, später bei Habermas, Lorenzer und Horn, oder ob sie
eher im Kontext von Strukturalismus und Poststrukturalismus zu verorten
sind, wie bei Lacan, Althusser, Foucault, Deleuze, Guattari und Butler.
Schon aus diesen theoretischen und theoriegeschichtlichen Gründen soll
hier also zunächst eine Skizze der Ansätze von Marx und Freud angefertigt
werden.Marx geht davon aus, daß die Menschen im Sinne ihres materiellen Überlebens auf gesellschaftliches Zusammenleben angewiesen sind, weil sie im Gegensatz zu den Tieren ihre Lebensmittel selbst gemeinschaftlich produzieren müssen. "In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt" (Marx, MEW 13, S.8f). In der 6. Feuerbachthese faßt Marx seine Vorstellung vom Menschen prägnant zusammen: "Das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx, MEW 3, S.6). Marx nimmt hier eine Objektivierung des Subjekts vor, die sich vor allem gegen die bürgerliche Idee eines transzendentalen und autonomen Subjekts richtet. Allerdings trägt Marx diese Objektivierung vor "im Namen des Subjekts" (Eagleton 1994, S.212). Er unterstellt nämlich die Existenz spezifisch menschlicher Wesenskräfte, die Existenz menschlicher Sinne und Fähigkeiten, die durch eine historisch-spezifische Produktionsweise in ihrer Entfaltung befördert oder gebrochen werden. Aus dieser Perspektive kann Marx dann auch die kapitalistischen Verhältnisse emphatisch kritisieren, insofern die warenförmige Reproduktion der Gesellschaft die Ausbeutung der Arbeiter durch die private Aneignung des gesellschaftlich produzierten Surplusprodukts erzeugt, die Depravierung der Fähigkeiten von Arbeitern vorantreibt, Gewalt und Herrschaft dieses Prozesses in verdinglichten Verkehrsformen verschwinden läßt und die Menschen mithin ebenso von ihren materiellen Lebensgrundlagen wie von ihren Wesenskräften zunehmend entfremdet. Seine Emanzipationshoffnung gründet Marx demgegenüber auf der Möglichkeit, daß die Arbeiter infolge der ungeheuren kapitalistischen Produktivkraftentwicklung ein kollektives Bewußtsein ihrer universalen Macht als Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums entwickeln. In diesem Sinne solle eine sozialistische Revolution die entfremdeten Produktionsverhältnisse samt ihrer politischen und ideologischen Gebilde überwinden und eine allseitige Entfaltung menschlicher Sinne und Fähigkeiten in Gang setzen. Diese scharfen Analysen können aus heutiger Sicht sowohl gesellschafts- als auch subjekttheoretisch kritisiert werden. Gesellschaftstheoretisch bleibt der Widerspruch zwischen der ökonomistischen Annahme der Determinierung der Ideologie durch die ökonomische Basis einerseits und der Erkenntnis, daß die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, andererseits, unvermittelt. Subjekttheoretisch entgehen Marx mit der Vorstellung entfremdeter und doch befreiender menschlicher Wesenskräfte, auch weil ihm noch keine angemessene Psychologie zur Verfügung stand, die subjektiven Folgen der beschädigenden Lebensbedingungen des Proletariats. Doch gerade wegen der gewaltvollen und beschädigenden Lebensbedingungen kam es häufig zur Identifikation mit den herrschenden Kräften - und so zielten selbst die Kämpfe der Arbeiterbewegung zumeist eher auf die Ausweitung bürgerlicher Privilegien auf die männliche Arbeiterschaft als auf die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse (vgl. Heeg 1994, S.116). Die Psychoanalyse kann nun als Versuch gelesen werden, eben jene subjektiven Prozesse zu klären, die bei Marx unbestimmt bleiben. Zunächst ist sich Freud mit Marx durchaus darin einig, daß die Menschen im Sinne ihres materiellen Überlebens auf gesellschaftliches, bzw. kulturelles Zusammenleben angewiesen sind. Doch während Marx die Entwicklung der Menschheit an den Produktionsverhältnissen abliest, versteht Freud die Kulturentwicklung als Resultat der Dynamik zweier Triebe, des Lebens- und des Todestriebes. Er geht davon aus, daß diese Triebe nicht unmittelbar kulturfähig sind, sondern erst in den Dienst der Kulturentwicklung gestellt werden müssen, um mit den aggressiven Anteilen die Natur zu unterwerfen und mit den libidinösen Anteilen kulturelle Gemeinschaften zu bilden (Freud 1990, S.123). Diese "Sublimierung" muß dann, so Freud, von jedem zu bildenden Subjekt aufs neue geleistet werden. Die Subjekte sind gezwungen, triebhafte Wünsche zu verdrängen, Triebverzicht zu leisten, Aggression gegen sich selbst zu richten, um dann mit der Verinnerlichung der herrschenden Moral im Über-Ich ein Teil der kulturellen Gemeinschaft zu werden. Die bahnbrechende Erkenntnis Freuds besteht darin, daß Begehren und Gesetz, Sinnlichkeit und Bewußtsein untrennbar miteinander verknüpft sind und daß verdrängte Wünsche im Unbewußten unter der Logik des Primärvorgangs der bewußten Verfügung entzogen fortwirken - auf schmerzvolle und zugleich gesellschaftlich konforme Weise. Was sich Freud aus heutiger Sicht indes vorwerfen lassen muß, ist ein "szientistisches Selbstmißverständnis" der Psychoanalyse als bloße Naturwissenschaft (Habermas 1968, S.300ff.). Auf diese Weise verstrickt sich Freud in den Widerspruch, einerseits die bürgerliche Subjektivität seiner Zeit mit ihren ödipal strukturierten, lustfeindlichen und autoritären Tendenzen als biologisch-anthropologische Notwendigkeit zu verkennen und andererseits das Leiden an dieser Subjektivierungsform lindern zu wollen, indem er die konflikthaften und schmerzvollen Lebensgeschichten in seiner klinischen Praxis rekonstruiert und einem glücklicheren Ausgang zuführt. Marx und Freud leisten insgesamt einen wesentlichen Beitrag zur Dekonstruktion der bürgerlichen Vorstellung eines selbstbewußten und autonom handelnden Subjekts. Dabei zeigt Marx, daß die ökonomischen Zwänge der kapitalistischen Produktionsweise "hinter den Rücken der Akteure" deren Handlungsfähigkeit systematisch einschränken. Freud hingegen zeigt mit dem Konzept des Unbewußten, wie neurotische und narzißtische Konflikte zwischen Wunsch und Tabu die Selbstverfügung der Subjekte konstitutiv brechen. Kritisch betrachtet, sind Marx und Freud indes einem grundsätzlich ähnlichen Dilemma konfrontiert. Marx vermag den Widerspruch zwischen der Annahme einer ökonomisch determinierten Geschichtslogik und der Erkenntnis der Bedeutung sozialer Konflikte und Kämpfe für die Entwicklung der Produktionsweise nicht angemessen zu bearbeiten. Bei Freud ist es der Widerspruch zwischen dem Triebbiologismus und der Erkenntnis der Konflikthaftigkeit von Lebensgeschichten, der weitgehend unbearbeitet bleibt. So sind es letztlich diese ökonomistischen und biologistischen Verkürzungen, die das wechselseitige Verhältnis von Gesellschaft und Subjektivität nach der einen oder anderen Seite hin auflösen und die ein angemessenes theoretisches Konzept zur Vermittlung von Strukturzwängen und Handlungskapazitäten verhindern. Gleichwohl verweist die Analogie und die Wechselseitigkeit der Kritik an Marx und Freud auf die potentielle Anschlußfähigkeit von Historischem Materialismus und Psychoanalyse. Eine theoretische Kooperation beider Ansätze könnte sich zunächst darauf berufen, daß schon Marx und Freud letztlich einen gemeinsamen Erkenntnisgegenstand bearbeiten, nämlich die kapitalistisch vergesellschafteten Menschen. Überdies besitzen beide ein ähnliches Erkenntnisinteresse, wenn Marx und Freud die Praxis der Menschen auf das ihnen zugefügte Leid hin überprüfen und mit Ware und Symptom auf kritische Begriffe bringen. In diesem Sinne können innerhalb einer solchen wechselseitigen Kooperation gesellschaftstheoretisch die, über die Vergesellschaftung äußerer Natur organisierten Verhältnisse zwischen den Menschen erfaßt werden, die die institutionellen und symbolischen Bedingungen der Subjektbildung abgeben. Und psychoanalytisch können die, über die Vergesellschaftung innerer Natur produzierten subjektiven Verhältnisse benannt werden, die die Subjekte wiederum in die Bearbeitung ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse einbringen (Dahmer 1984, |
Butler
Gegen die Annahme
ökonomischer oder subjektiver Determinismen, gegen die "mechanische" und
"expressive Kausalität" (Althusser) der kapitalistischen Ökonomie oder
eines sinnstiftenden Subjekts können die Texte des Strukturalismus und
Poststrukturalismus gelesen werden (vgl. Balibar 1994, S.33). In diesem
Zusammenhang läßt sich eine kritische Linie von Althusser über Foucault
bis hin zu Butler ziehen. Bei allen Differenzen, begreifen sie das Subjekt
als Schnittpunkt von materiellen, ideologischen Praktiken, bzw. von
Diskursen, die im Zeichen der Ideologie (Althusser) der "Macht" (Foucault)
oder des "Gesetzes" (Butler im Anschluß an Lacan) Individuen erst
subjektivieren (vgl. dazu auch Naumann 2000, S.29ff.). Butler ist hier nun
deshalb von besonderem Interesse, weil ihr Ansatz einerseits gegenwärtig
rege und kontrovers diskutiert wird und weil sie andererseits die
vielfältige Konstituiertheit von Subjekten in den Blick rückt.Nach Butler wird Subjektivität ermöglicht durch die diskursiv transportierte, geregelte und restringierte Subjektvierung hegemonialer Normen. Das Symbolische fungiert dabei als normatives Vehikel, auf dem das Gesetz die Subjektivierung befördert: "Es besteht aus einer Serie von Forderungen, Tabus, Sanktionen, Einschärfungen, Verboten, unmöglichen Idealisierungen und Drohungen - performativen Sprechakten [...] mit der Macht, subjektivierende Wirkungen zu produzieren oder zu materialisieren" (Butler 1997, S.154). Daraus folgt zunächst, daß ein autonomes Subjekt mit einer festen, auch geschlechtlichen "kohärenten Identität" erst diskursiv konstruiert werden muß, damit es sich dann im Akte einer "freiwilligen Selbstunterwerfung" (Althusser 1973, S.147ff.) dem Gesetz fügt. Daraus folgt aber darüber hinaus, daß Subjekte grundsätzlich vielfältig konstituiert sind und erst durch die Maßnahmen des Gesetzes ihre Kohärenz erhalten. Butler betont nämlich, daß die Subjekte erst durch diskursive Verwerfungen und Ausschließungen von solchen Identifikationen verfestigt und vereinheitlicht werden, die die gesetzesgemäße Identität in Frage stellen könnten.3 Politisch folgen aus dem Konzept Butlers bedeutsame Konsequenzen. Ziel muß es sein, gegen die Logik des ausgeschlossenen Widerspruchs, gegen die Dynamik der Konstruktion kohärenter Identitäten zu kämpfen. Es gilt also, die hegemonialen Subjektformen zu dekonstruieren und den Verwerfungen und Ausschließungen durch Resignifikation zu ihrem Recht zu verhelfen (Butler 1994, S.125 / S.135). Auf diese Weise konturiert sich eine Praxis, die ihre Erkenntnistätigkeit und ihre Lust an jenen Positionen orientiert, die für das "Gesetz" bedrohlich sind. Insgesamt thematisiert Butler die Vieldeutigkeit von Subjektivität und richtet ihren Blick mit der diskursiven Konstruktion von Subjekten auch auf einen entscheidenden Schnittpunkt von Subjektivität und Gesellschaft. Was sie sich indes vorwerfen lassen muß ist eine "idealistische Zuspitzung der Diskursanalyse" (Demirovic 1994, S.98), und zwar nach zwei Seiten hin. Auf der einen, gesellschaftstheoretischen Seite übersieht Butler die zwar diskursiv hergestellte, doch institutionell materialisierte politisch-ökonomische Situation der Signifikation und somit den Umstand, daß die Signifikation nur einen, wenngleich auch konstitutiven Aspekt der Vergesellschaftung abgibt (vgl. Grimm/Rebentisch, 1996, S.100).4 Auf der anderen, subjekttheoretischen Seite kann sie auch und gerade in ihrem Text "Körper von Gewicht" die subjektive Materialisierung von Diskursen nicht angemessen erfassen. Zwar betont sie zurecht, daß "der als dem Zeichen vorgängig gesetzte Körper [...] immer als vorgängig gesetzt oder signifiziert" wird (Butler 1997, S.56). Doch in ihrer Weigerung, dann eine "Hermeneutik des Leibes" (Lorenzer 1986, S.1059) zu formulieren, wird der Körper ganz allmählich "zu etwas Immateriellem, Intelligiblen, Fiktiven" (Maihofer 1994, S,178f.), werden die als narzißtisch, aggressiv oder libidinös lesbaren Anteile der Subjektivierung nicht ernstgenommen (Graw 1994, S.93) und wird mithin die auch theoriepolitisch bedeutsame Möglichkeit verschenkt, subjektives Leid und Glück umfassend zu |
Folgerungen für einen kritischen
Subjektbegriff
Die hier eingenommene Perspektive
zu den Subjektbegriffen bei Marx und Freud, der Kritischen Theorie und des
Poststrukturalismus hat wichtige theoretische und politische Konsequenzen.
Zunächst muß es darum gehen, objektivistische und subjektivistische Verkürzungen
zu vermeiden, indem eine grundsätzliche Kooperation von Subjekt- und
Gesellschaftstheorie installiert wird. Eine solche Kooperation kann indes nur
gelingen, wenn beide Ansätze ihren jeweiligen Erkenntnisgegenstand, also
historisch-spezifisch materialisierte Formen von Subjektivität und Gesellschaft,
auf strukturanaloge Weise bearbeiten. In diesem Kontext lassen sich 6
Anforderungen an anschlußfähige Subjekt- und Gesellschaftstheorien
formulieren:5
|
Die Rassifizierung wird
entscheidend gespeist durch die oben erwähnte Funktionsweise des
kapitalistischen Nationalstaats, die Individuen als staatsbürgerliche Subjekte
anzurufen und sie damit als Angehörige eines „Volks-als-Nation“ zusammenzufassen
(Poulantzas 1974, S.138).7 Sie ist mithin konstitutiv mit der Erzählung des Nationalstaats verknüpft, die die nationale Einheit „zur Historizität eines Territoriums und zur Territorialisierung einer Geschichte, zur nationalen Tradition eines Territoriums“ macht (ders. 1978, S.107). Auf diese Weise kann ein „nationales Interesse“ über soziale Konfliktlinien hinweg spontan plausibel formuliert werden und es eröffnet sich die Möglichkeit, den Arbeitskräftebedarf der warenproduzierenden Produktion nach innen und außen hin rassistisch und hierarchisch zu regulieren (Müller 1995, S.73ff.). Psychisch bildet die Rassifizierung dann eine hegemoniale und konkrete Option der nationalstaatlichen Subjekte, ihr Leben zu bewältigen. Dieser Vorgang läßt sich mit Mentzos in aller Kürze als „Pseudo-Wir-Bildung“ und „Real-Externalisierung“ begreifen (1993, S.116). Während die Pseudo-Wir-Bildung die Bewältigung sozialer und psychischer Konflikte durch die Konstruktion eines indifferenten nationalen Binnenraums offeriert, dient die Real-Externalisierung der Deponierung von überschreitenden Wünschen und Ängsten in solchen Gruppen, die hegemonial gleichsam als spiegelverkehrtes Gegenüber der Autochthonen, als „fremd“, „anders“ oder „gefährlich“ konstruiert sind. Im Postfordismus nimmt auch die Rassifizierung eine historisch-spezifische Form an. Hier wird die starre Rede der Superiorität einer weißen Rasse zugunsten der Rede mehr oder minder kompatibler kultureller Differenzen zurückgedrängt. Freilich ist mit dem Wort „Rasse“ nicht „der semiologische Komplex, jenes Bündel an Bedeutungen, das zuvor in diesem Wort verdichtet war, obsolet geworden“, vielmehr können im Wort „Kultur“ deutlich unverfänglicher und flexibler soziologische, symbolische, somatische und phantasmatische Merkmale neorassistisch zusammengefaßt werden (Müller 1995, S.102). Dabei inszenieren sich die Metropolenstaaten als eine essentielle Kultur unter anderen, die es, in einer eigenartigen Verkehrung der Machtverhältnisse, vor anderen Kulturen zu schützen gelte (vgl. Grimm/Rebentisch 1996, S.99). Auf diese Weise wird eine ideologische Praxis begründet, die die Metropolenstaaten gegen Migrationsbewegungen aus ausgebeuteten oder schlicht abgekoppelten Gegenden der globalen Ökonomie abschottet und überdies infolge der kulturellen Differenzierungen eine deutlich flexibilisierte Regulation des Arbeitsmarkts eröffnet (vgl. Terkessidis 1998, S.228). Rückseitig dient der kulturelle Rassismus in einer positivierten Variante zugleich auch der Intensivierung des Konsums der integrierten, meist weißen und männlichen Subjekte in den Metropolen – nämlich im Genuß der zuvor konstruierten kulturellen Differenzen, die nun Authentizität, Sexualität, Hybridität, Glamour oder sonst was verbürgen sollen (vgl. Solomos/Back 1996, S.185ff.). Nicht zufällig entstehen somit Koalitionen zwischen den oben beschriebenen individualistischen und den neorassistischen Subjekten, wenn sie „gefährliche“ Gruppen konstruieren, die imaginär die vermeinte Toleranz ebenso bedrohen wie die „Innere Sicherheit“ oder die „nationale Identität“. Gemeinsam wird dann zum Ausschluß der rassifizierten Gruppen der starke Staat gefordert (vgl. Grimm/Ronneberger 1994, S.117ff.). Diese Bemerkungen zu den drei heteronomen Subjektivierungspraktiken zusammengenommen, zeigen Konturen einer hegemonialen postfordistischen Subjektivität. Sie präsentiert sich als eigentümliche und historisch-spezifische Kombination individualisierender, sexifizierender und rassifizierender Praktiken, die wiederum an die Transformationen der ökonomischen, politischen und ideologischen Praktiken rückgekoppelt sind. Diese Subjektivität zeichnet sich durch ein tolerantes, lustvolles, jedenfalls flexibles und liberales, mitunter gar antirassistisches Selbstbild aus und sie verleibt sich gerne Symbole der Differenz und des Protests ein, indem sie diese Symbole de- und rekontextualisiert. Auf diese Weise ist die hegemoniale Subjektivität bis in ihre psychische Verfaßtheit hinein bestens verwertbar in Produktion und Konsumtion: die überwiegend narzißtischen Ängste vor Kränkungen und Deklassierung werden durch eine instrumentelle Lust, durch eine Erregung in Sicherheit kompensiert, die sowohl in den Unternehmenskulturen als auch im diversifizierten Konsum das kommunikative und glückliche Selbstbild in Bildern der Kommunikativität erschafft und bestätigt. Sobald indes die materiellen und narzißtischen Gratifikationen bedroht sind, und das geschieht immanent und zwangsläufig, mobilisieren die hegemonialen Subjekte situativ, neben den individualistischen, auch sexistische und rassistische |
Literatur
Althusser, Louis 1973: Marxismus
und Ideologie. Berlin.
Balibar, Etienne 1994: Strukturale Kausalität, Überdetermination und Antagonismus. In: Böke, Henning / Müller, Jens Christian / Reinfeldt, Sebastian (Hg.) 1994: Denk-Prozesse nach Althusser. Hamburg. Butler, Judith 1994: Phantasmatische Identifizierung und die Annahme des Geschlechts. In: Institut für Sozialforschung Frankfurt (Hg.) 1994. Butler, Judith 1995: Melancholisches Geschlecht / Verweigerte Identifizierung. In: Benjamin, Jessica (Hg.) 1995: Unbestimmte Grenzen. Beiträge zur Psychoanalyse der Geschlechter. Frankfurt/Main. Butler, Judith 1997: Körper von Gewicht. Frankfurt/Main. Dahmer, Helmut 1984: Plädoyer für eine analytische Sozialpsychologie. In: Institutsgruppe Psychologie der Universität Salzburg (Hg.) 1984: Jenseits der Couch. Psychoanalyse und Sozialkritik. Frankfurt/Main; New York. Dany, Hans-Christian 1996: Sex steigt über seine Ufer. In: Texte zur Kunst Mai 1996. Demirovic, Alex 1996: Die Transformation des Wohlfahrtsstaats und der Diskurs des Nationalismus. 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