Kommunikationsguerilla im Zeitalter der neuen globalen sozialen Bewegungen Interview mit der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe, Sonja Brünzels und Luther Blissett Von Wu Ming Yi (Roberto Bui) Zuerst erschienen bei DeriveApprodi unter dem Titel: autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe, Luther Blissett, Sonja Brünzels: Communicazione-guerriglia. Tattiche di agitatizione gioiosa e restistenza ludica all'oppressione. Prefazione di Wu Ming Yi (Roberto Bui) Seit dem Erscheinen des Handbuchs der Kommunikationsguerilla hat sich vieles verändert: Sowohl in der Art und Weise, wie sich Machtverhältnisse konstituieren, als auch im politischen Protest dagegen. Eine der wesentlichen Veränderungen der letzten Jahre besteht in den globalen Anti-Globalisierungsprotesten, die neue politische Formen hervorgebracht haben. Die Mechanismen der Kontrollgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung und ihre Konsequenzen für politische Aktionsmethoden zu beschreiben steht noch aus; im folgenden Interview soll es vor allem darum gehen, welche Rolle Kommunikationsguerilla für die neuen vernetzten und mit Labeln agierenden Kampagnen und Aktionsformen spielen kann. 1) Ihr habt dieses Handbuch vor mehr als drei Jahren geschrieben. Meint ihr, daß Theorie und Praxis der Kommunikationsguerilla, wie sie im Buch beschreibt, noch gültig sind, nachdem sich mit der neuen globalen Bewegung (Seattle, Davos, die globalen Aktionstage, der "Italienische Frühling", die Noborderkampagne) die Bedingungen des Kampfes etwas verbessert haben? Selbst jetzt, wo eine neue globale Bewegung in
Gang kommt, gibt es immer noch die lokale Praxis im grauen Alltag. Nach
den begeisterternden Aktionstagen, den großen Schlachten und
Solidaritätswellen geht man in nach Hause in die Städte, Stadtteile oder
Dörfer zurück, wo sich nichts geändert hat - kleinkarierte Verwaltungen,
Bullen und andere Unannehmlichkeiten. Die bestehenden Machtverhältnisse
sind nicht einfach verschwunden. Doch es sieht so aus, als beginne derzeit
ein Prozeß der Neuformierung. Wenn es stimmt, daß sich die heutige
Gesellschaft im Übergang zur sogenannten Kontrollgesellschaft (Gilles
Deleuze: Postskriptum über Kontrollgesellschaften & Negri/Hardt:
Empire) befindet, dann könnte es sogar noch wichtiger werden, unser
subversives Potential auf der lokalen und 'molekularen' Ebene zu schärfer,
zielgerichteter zu machen. |
Zwar sind die Bedingungen für Widerstand wohl
tatsächlich besser geworden. Doch leider haben wir nicht den Eindruck, daß
der Wandel der sozialen und ökonomischen Machtbeziehungen sich zu unseren
Gunsten vollzieht. Gleichzeitig wirft die neue globale Bewegung Fragen
über die Nutzung von Kommunikationsguerilla und Prioritäten politischer
Artikulierung auf. Es ist die Frage, wie die Taktiken der Kommunikationsguerilla bei Massenveranstaltungen zu nutzen wären. Kommunikationsguerilla will die Regeln der Normalität entstellen und den hegemonialen Diskurs herausfordern. Die neue globale Bewegung greift Neoliberalismus und ökonomische Globalisierung an. Kommuniktionsguerilla könnte dazu beitragen, die Legitimität und den quasi natürlichen Status des gegenwärtigen Kapitalismus in Frage zu stellen. Die globalen Mobilisierungen sind abhängig von "Polittouristen" aus der ganzen Welt, von Leuten, die ihre eigenen Widerstandspraxen mitbringen. Doch man darf die politische Arbeit nicht auf formale Fragen reduzieren. Vielfach ist es für Kommunikationsguerilla besonders notwendig, klare politische Positionen für sich selbst zu formulieren; nur so ist es möglich, eine in sich stimmige und überzeugende Kommunikationsguerilla-Aktion vorzubereiten. Das ist natürlich dann nicht so einfach, wenn sehr viele unterschiedliche Protestgruppen sich anläßlich eines Events zusammenfinden. Die Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen der Proteste gegen die Weltbank in Prag 2000 haben gezeigt, daß die Zusammenarbeit in Differenz noch viel Arbeit fordern wird.
Als wir das Buch geschrieben haben, hatten wir das Gefühl, daß sich für so etwas wie Gegeninformation nicht mal mehr die radikale Linke besonders interessierte. Heute scheint es ein Revival von Gegeninformation zu geben - die Sache wird geradezu sexy, vielleicht teilweise aufgrund des web-hypes. Eine neue Form von Öffentlichkeit entsteht in und um das Internet. Die Explosion von Independent Media Centers in der ganzen Welt (30 davon auf vier Kontintenten und 9 Ländern entstanden allein in den ersten 10 Monaten nach Seattle) und die eindrucksvolle Zahl von Besuchen auf diesen Seiten verweisen auf ein Bedürfnis der Aktivistenszene, sich an der Produktion und Nutzung von Gegeninformation zu beteiligen. Oft ist damit die Phantasie verbunden, daß Informationen im Netz eine unbeschränkte globale Leserschaft finden - obwohl der größte Anteil der Indymedia-Nutzerinnen sehr wohl aus den Aktivisten selbst bestehen mag. Indymedia ist bei weitem nicht das einzige Medium im Netz, das Gegenöffentlichkeit verbreitet - A-infos, Nadir in Deutschland (zum Zeitpunkt des Interviews waren die Pläne zur Gründung einer deutschen Indymedia-Website noch nicht bekannt, d.Ü.), sindominio in Spanien, die Webmagazine der Grenzcamps und die Seite der deportation-alliance sind nur wenige Beispiele. Auch die schnelle Entstehung von Gegeninformations-Webseiten in Österreich seit der Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ zeigt, daß Gegenöffentlichkeit als eine Form politischer Artikulierung wieder wichtiger geworden ist. Das heißt nicht, daß Kommunikationsguerilla jetzt überflüssig geworden ist - im Gegenteil. Die Zunahme von Gegeninformation in Österreich ging Hand in Hand mit einer Zunahme von Kommunikationsguerilla-Interventionen. 2) Gibt es irgendeine Gruppe oder politische Bewegung, die nach der Veröffentlichung des Handbuchs entstanden ist, und deren Aktivitäten eurer Beschreibung von Kommunikationsguerilla entsprechen? Klar, viele! Zu viele, um alle aufzulisten. Manche
Gruppen von People's Global Action nutzen Fälschungen bzw. Camouflage
(z.B. in London: Evading Standard für J18, Maybe für M2K und Financial
Crimes für S26). Das Europäische Noborder Netzwerk wurde schon erwähnt,
mit den europaweit vernetzten Anti-Abschiebungskampagnen und den Serien
von Grenzcamps. In beiden Bereichen werden Fakes, Unsichtbares Theater,
Imageverschmutzung und vieles mehr eingesetzt. Die deportation-alliance
ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kommunikationsguerilla
internationalisiert werden kann. Unter dem Dach einer gemeinsamen Webpage
arbeitet jede Kampagne auf ihre Art entsprechend der lokalen oder
nationalen Diskurse. Gleichzeitig tauschen sie ihre Erfahrungen und Ideen
aus. Nicht unterwähnt bleiben soll die Deportation-Class-Kampagne, bei der
Klartext- und Kommunikationsguerilla-Aktionen eng miteinander verwoben
sind. 3) Gibt es eine Gruppe oder politische
Strömung, von der ihr bedauert, sie nicht ins Buch aufgenommen zu |
Natürlich beansprucht unsere Sammlung nicht den
Status DER vollständigen Enzyklopädie der Kommunikationsguerilla. In den
letzten Jahren haben wir eine ganze Menge interessanter Gruppen
kennengelernt. Manche haben das, was wir Kommunikationsguerilla nennen,
praktiziert lange bevor wir überhaupt angefangen haben, darüber
nachzudenken. Für ihre Verdienste in der Popularisierung der Kunst des Tortenwerfens muß unbedingt die Biotic Baking Brigade genannt werden. Erst durch unsere Rundreisen anläßlich der Buchvorstellung haben wir "Reclaim the Streets" kennengelernt, und es hat eine Weile gedauert, bis wir den Party-Stil der Subversion kapiert haben. Heute würde diese Form urbaner Intervention definitiv im Buch auftauchen. Drei weitere Gruppen sollen erwähnt werden - eine agiert in einer provinziellen Stadt in Deutschland, eine andere in größeren Städten in Spanien, eine dritte im virtuellen Raum. Das Buero für angewandten Realismus in Ludwigshafen ist eine Truppe von Hasadeuren, die so gelangweilt von ihrer Stadt waren, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als ihr Unterhaltungs-Programm selbst zu machen. Manchmal zeigt sich das in Do-it-yourself Kunstausstellungen, bei denen alle eingeladen sind, ihre eigenen Kunstwerke mitzubringen, manchmal ist es ein maodadaistisches Schattentheater über den Langen Marsch inklusive wunderbar wiederverwertbarer Mao-Zitate. Manchmal werden sie politisch und führen Turniere für Krocket, ihr Lieblingsspiel, durch, und zwar ausgerechnet in denjenigen Parks, aus denen Punks und Trinker von der Polizei vertrieben werden - was die Behörden in eine dumme Situation bringt. Schließlich ist es nicht einfach, festzustellen, ob es eine Ordnungswidrigkeit ist, wenn anständige Bürger in Abendkleidung (manchmal geschlechtsmäßig nicht ganz eindeutig) sich mit Punks und Obdachlosen mischen, Champagner trinken in einer Zone, in der Alkohol verboten ist, und ein respektables Rasenspiel auf der verbotenen Grünfläche spielen. Die angewandten Realisten erfinden ständig Formen kritischer kultureller Artikulierung in einer Industriestadt, in der sonst die Chemie nicht stimmt. Fiambrera Obrera (des Arbeiters Vesperdose) in Spanien ist eine weiter Gruppe, die eine visuelle Herangehensweise an die Lächerlichkeiten und Ärgernisse des Alltags mit der Haltung erfahrener Aktivisten verbindet. Ihre Kampagne gegen Spekulation und Vernachlässung eines Stadtteils in Sevilla begann damit, daß Hundescheiße mit kleinen Fähnchen markiert wurde, auf denen das leicht aber wirksam veränderte Logo der Stadt zu sehen war - einfach, witzig und wirkungsvoll. Mit dieser Einführung hatten sie eine wiedererkennbare Identität für weitere Interventionen geschaffen. Die meisten LeserInnen des Handbuchs kennen wahrscheinlich RTmark. Eine ihrer Aktivitäten war die Beteiligung an der Schlacht gegen den Internet-Spielzeugvertrieb etoys.com, in der sie Kommunikationsguerilla im virtuellen Raum betrieben. Sie attackierten mit Erfolg eine Firma, die in der immateriellen Ökonomie des netzbasierten Geschäfts situiert ist, indem sie eine unbehagliche Atmosphäre unter etoys.com Aktionären verbreiteten. Dies reichte aus, um den Wert der etoys.com Aktion um 70 % zu drücken. RTmark treten als Unternehmen der Neuen Ökonomie auf, ihr "lokaler Raum" ist der diskursive Ort der Neusprache der Konzerne, die sie auf bewundernswerte Weise kopieren und für ihre eigenen Zwecke nutzen. Aber auch das sind wiederum nur einzelne Gruppen, sicher gibt es noch viele andere, zu denen wir eben bislang keinen Kontakt gefunden haben.
Dank unserer unermüdlichen Anstrengungen ist nun
die Revolution auf den Weg gebracht. Ohne Scheiß: Ein Buch wird nie im
Leben die Haltung einer ganzen Szene verändern. Klar waren manche
Diskussionen mit traditionellen PolitaktivistInnen in den letzten Jahren
eher langweilig - wenn du 15 Jahre lang Demos organisiert und Flugblätter
verteilt hast, ist es nicht unbedingt offensichtlich, warum du auf einmal
im Marsmenschen-Outfit Straßen blockieren, oder dich mitten auf dem
Marktplatz splitternackt ausziehen solltest - direkt vor einer
Bullendivision oder einer Gruppe von Burschenschaften, die archaische
Rituale durchführen. Und noch weniger läßt sich für viele nachvollziehen,
warum gestylte Interventionen in die kulturelle Grammatik eine zutiefst
politische Bedeutung haben können und mitunter wirksamer sind als die
traditionelle Klartextinformation traditioneller politischer Bewegungen.
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