Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Widerstand ist nicht revolutionär
Jede sich aus der Gesellschaft entwickelnde Initiative, sei es eine
linke AG, eine militante Kleingruppe oder eine Bewegung ist durchwirkt von
der Logik der Macht. Das heißt nicht, dass diese Logik allmächtig wäre,
nur dass sie universell ist. Die Anerkenntnis des Vorhandenseins von
Machtpolen, Machtbeziehungen und Machtgesetzen ermöglicht erst die
Einschränkung ihrer Wirksamkeit. Letztlich wird Macht nicht besiegt,
allenfalls zersetzt. Repression erschwert den dafür notwendigen sozialen
Prozess. Repression ist als Faktor der sozialen Einengung lange bevor sie
in Inhaftierung oder Mord eskaliert, ein Mittel solche Prozesse unter
Druck zu setzen. Gegen die bewusste und sozial verankerte Unterhöhlung des
staatlich getragenen Machtprinzips schließlich richtet sich die Wucht des
Militärapparats. In der Binnenstruktur einer Bewegung oder einer
politischen Gruppe entfesseln sich unter der Repression, trotz aller
rezipierten Kritik, die Normen des patriarchalen Militarismus.
Die (Gegen-)Macht, die qua Masse und/oder militär-logistischer
Schlagkraft eine Infragestellung der bestehenden staatlichen und
gesellschaftlichen Machtstruktur erzwingen kann, ist notwendig Apologetin
von Disziplin und Autorität. In eskalierten Kämpfen um die Beseitigung
eines Regimes, die Beendigung einer Terrorherrschaft wird praktische
Effizienz zum zentralen Maßstab, dem sich Widersprüche unterzuordnen
haben. Dies ist eine Einsicht, keine Verteufelung. Schon kleine, auf
begrenzte Wirkung zielende Aktivitäten wie Blockaden und Behinderungen,
das Verstecken Gesuchter, gar das Befreien Gefangener ist unweigerlich an
Struktur, Effizienz und Disziplin geknüpft. Statt auf diese Attribute muß
sich die Kritik an einem entwickelten Widerstands auf die fast reflexhafte
Anreicherung mit revolutionärem Pathos und gesellschaftlicher
Fortschrittsideologie beziehen.
Widerstand ist vom Status quo aus betrachtet eine drängende
sachbezogene Maßnahme mit einer engen Zielsetzung, Gegenmacht ein Faktor,
der ihre Durchsetzung erleichtert. Widerstand zu überhöhen, heißt ihn als
Bestandteil von etwas Erhabenerem, zur "befreiten Gesellschaft"
hinführenden, zu ideologisieren. Widerstand ist immer Widerstand im
System, auf der Basis der sozialen, und das sind machtdurchsetzte
Gegebenheiten. Die Aufmerksamkeit für diese, auch die Kritik und der
freundliche Wille zur Veränderung, sind Satelliten um den Planeten der
Normmacht: nicht identisch mit ihm, aber unlösbar auf ihn bezogen.
Die Aufladung des Begriffs mittels der Adjektivierung zum
"revolutionären Widerstand" ist allenfalls ein Hinweis auf das Ausmaß der
drohenden Repression, führt aber dazu, dass Widerstand exklusiv wird und
scheinbar ein Fall für SpezialistInnen. Widerstandshandlungen, die nicht
im Kontext einer sozial und/oder militärisch bedeutenden Gegenmacht
stehen, sind insoweit immer symbolisch, wie sie politisch auf die
Aufhebung kontinuierlicher Verhältnisse abheben, selbst aber situativ
sind. Und sie sind insoweit immer emanzipatorisch, wie sich das Subjekt
mittels diesem Handeln tatsächlich in ein Verhältnis setzt, dass nicht
zwingend von Produktions- oder Reproduktionslogik bestimmt ist.
Revolutionäre Politik ist nicht revolutionär
Welcher ist der Gedanke, der Linke von ihren Erfahrungen absehen und
behaupten lässt, sie machten revolutionäre Politik? Zunächst wird das
eigene Handeln historisiert, gleichsam auf einer Zeitachse befestigt. Der
Umschlag dieses marginalen Handelns gegen "das System" in ein
gesellschaftlich entfesseltes, ist nun eine Frage von Ausdauer, Einsatz
und letztlich nicht näher bestimmbarer Dynamik, die aber das revolutionäre
Wollen heute in einen geschichtlichen Bezug zur fernen Revolution setzt.
Diese Dynamik speist sich, in Anlehnung an die marxistisch-leninistische
Geschichtsmetaphysik, aus den gesellschaftlichen Widersprüchen und die in
sie eingreifenden linksradikalen Initiativen (ihre Lieblingsvokabel:
Intervention). Die nähere Bestimmung einer solchen gesellschaftlichen
Transformationsdynamik ist so schwierig wie die Gewißheit groß, dass sie
bereit ist, ihre Chance zu gewähren.
"Revolutionäre Politik" ist das, was jemand macht, der oder die eine
Revolution will bzw. eine revolutionäre Umwälzung herbeiführen wollen
würde, dies aber per se nicht kann und deshalb mit Widerstandshandlungen
(bestenfalls, oft auch nur mit einem Parteiapparat oder einer Zeitung)
bürgerliche Politik macht, die dies zum Ausdruck bringen soll.
"Revolutionäre Politik" ist der Name, (putschistische Machtpolitik
ausgenommen) für eine weitere politische Nuance im Rahmen der
repräsentativen Demokratie. Eingereiht in ein Ensemble von Verkündern
besserer Zustände (in seinem Fall, von Grund auf besserer), ist "der
Revolutionär" Teil jener Konkurrenz um Zustimmung und Anhängerschaft, die
in warenproduzierenden Systemen immer einen Verkaufsvorgang begleitet.
Die Etablierten "werben" um den Wähler, um "ihre Stimme". Andere um
Solidarität und Unterstützung. Dies begriffen zu haben, hatte linkerseits
den Versuch zur Folge, die Sphäre der Repräsentationen zu verlassen und
das politische Feld um die Kritik kultureller Praktiken zu erweitern,
(also um die Kritik der Lebensformen, der Verkehrsformen, der
Kindererziehung, des Feierns, der Filme...) und somit die Eingrenzung des
Politischen in repräsentative Modi, mittels der Politisierung des Alltags
zu unterlaufen. Dies geschah nicht primär als taktische Wendung, sondern
häufig unter dem Einfluss der Patriarchatskritik als einer Kritik der
Abspaltung des Privaten vom Öffentlichen. Dieses Begreifen der Orte der
Vergesellschaftung als Terrain eines politischen Kampfes, ermöglichte
unserer unterkapitalisierten Firma, der Repräsentationskonkurrenz im
Politgeschäft aus dem Weg zu gehen. Wie sich in höchst unterschiedlichen
Initiativen gezeigt hat, holt einen die Logik des Systems unweigerlich
wieder ein. Bestrebt, dem gesellschaftlichen Kontinuum tatsächlich etwas
entgegenzusetzen, droht den aus der Kritik erwachsenen "gegenkulturellen"
Praxen und Projekten gleich mehrerlei Ungemach. Die Einbettung in einen
grundsätzlich von Markt und Herrschaft bestimmten Alltag fordert für die
freizeitpolitische Aktivität Mäßigung: Haushaltung der Kräfte,
Distanznahme von chaotischen Verhältnissen, Verlässlichkeit, Etablierung
funktionierender Abläufe; kurzum, der erlangte Zustand muss
institutionalisiert werden, um auf Dauer bestehen zu können.
Institutionalisierung bedeutet Durchsetzung von Ordnungsprinzipien - das
klingt ideologischer als es vor sich geht, denn es vollzieht sich als
Sachzwang. Auf dem Hintergrund der fortwährenden Inwertsetzung sozialer
und kultureller Praxen, entsteht bei "erfolgreichen" Initiativen ein
Karrieresog, und ein Kosten- = Existenzdruck bei "chaotischen". Nicht zu
vergessen, die staatliche Repression, die in verschiedenem Maße die
Situation verschärft und den Initiativen ihren Diskurs aufzwingt. (Sich
zur Frage des Extremismus erklären, der Frage der Gewalt, der Legalität,
sich als vernünftig und medienzugangsberechtigt ausweisen, usw.) Die
ursprünglich als Ausweg für das revolutionäre Wollen begriffene
Konfrontation der bürgerlichen Gesellschaft jenseits der von ihr als
politische abgezirkelten Sphäre, nämlich innerhalb alltagskultureller
Praxen kommt herunter auf die Beschäftigung mit Zwangslagen und
Charakterfragen, auf Debatten über Verfehlungen im Kontext des
"kulturrevolutionären" Programms und über die Strategie im geschaffenen
Mikrokosmos.
Der revolutionäre Impuls verschiebt sich gleichsam zurück ins
Individuum, wo er herkommt. Unter der Prämisse, dass es um mehr geht als
ein vertrautes Projekt, steigen die Anforderungen, einen lebbaren
Ausgleich hinzukriegen zwischen dem, um was es eigentlich gehen sollte und
dem, was es geworden ist, zwischen Wut und Vernunft und letztlich auch
zwischen der Wahrnehmung gänzlich unbeeindruckter Verhältnisse und der
eigenen Anstrengung. Durchhalten wird zur Frage revolutionärer Moral. Und
so gehört es sich auch in der bürgerlichen Gesellschaft, denn Politik
machen heißt Repräsentieren, ist eine Frage von Personen, besseren
Vorsitzenden, KandidatInnen, RevolutionärInnen oder schlechteren. Auch das
politisch begriffene Projekt ist weniger ein Abweg von, denn ein Umweg der
Politik. Indem es ebenfalls auf der Vorstellung intentionaler
Gesellschaftssteuerung basiert (ein Begriff der Sozialtechnokratie, Linke
nennen es "Veränderung"), domestiziert es das Subjekt, je mehr
strategische Bedeutung dieses dem Projekt zugewiesen hat.
Umwälzung, die den Namen verdient, kann nicht die kategorialen Essenzen
unangetastet lassen, oder, und das trifft's wohl eher, naiv davon
ausgehen, Politik wäre ein Medium, das nur kenntnisreich genutzt werden
muss. Im Korridor des Politischen sind zwar scheinbar die Verhältnisse als
Ganze thematisierbar, aber SprecherIn, Sprechort und Intention werden
immer in die gesellschaftliche Logik eingewoben und so jeglicher
Transzendenz enthoben. Zurück bleiben Images, Programme, Symboliken. Auch
das berühmte "Einrichten in der Nische", wie es - mit denunziatorischem
Subtext so schön heißt -, ist umgekehrt das viel stimmigere Bild: als
Projekt in den institutionellen Corpus der Gesellschaft eingefügt zu
werden, unterscheidet sich insofern vom Schicksal vieler anderer
Initiativen, als dass von denen lediglich Ideen, Codes, Sprechweisen, oder
Individuen absorbiert wurden. Der sich mittels Disziplin und Machtwille in
der Nische von seiner Unbotmäßigkeit befreiende Linke bekommt das
vielleicht honoriert. Weil ihm die Veränderung seiner Funktion nicht
entgehen kann, ist er ein Opportunist. Ihn oder sein Abbild anzuschauen,
ist unangenehm. Die immer gleiche Authentizität zermürbt den Betrachter
nachhaltig, dem ist auch mit Verrat-Rufen nicht beizukommen. Eine
Gratiserkenntnis nach dem jüngsten Regierungswechsel.
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte