Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Dass das Politische eine Sphäre der Entscheidung, der Lenkung ist,
sozusagen der rationale Zugang zur Herrschaft, führt zu dem Schluss, dass
alles politisch sei und zu dem Trugschluss, dass die politische Analyse
immerzu ein politisches Subjekt generiere.
Tatsächlich aber ist die Rationalität des Politischen Teil seines
ideologischen Scheins und vielfach dominiert von sozialer Dynamik. Auch
das eifrigste linke Subjekt ist praktisch nie auf der Höhe seiner
politischen Analyse, auch wenn ungezählte linke Doktrinen die Kausalität
des aus ihnen abgeleiteten Handelns glauben machen wollen. Anders gesagt:
Die analysierte Kausalität zwischen gesellschaftlicher Unterdrückung und
den Praxen der bürgerlichen Politik ist zwar nicht bruchlos, jedoch
wesentlich evidenter wie die quasi negatorische Kausalität von linker
Theorie und Praxis. Nicht nur fehlt der Linken die Macht (die auch bei
relevanten politischen und sozialen Bewegungen aufgrund der medialen
Inszenierung und dem Gejammer der bürgerlichen Politik häufig überschätzt
wurde), es fehlt buchstäblich die Gesellschaft. Die bürgerliche Politik
ist immer präsent, weil die bürgerliche Gesellschaft permanent ein Vakuum
produziert, ein Ordnungsvakuum, ein Entscheidungsvakuum, eine Frage nach
der anderen Frage. Die Praktiken linker Dissidenten sind gleichsam
Antworten, die ihre Fragen mitbringen. Mangelnde Reichweite und
Wirkungslosigkeit sind daher nicht allein Blauäugigkeit und Marginalität
geschuldet, sondern zuerst der Tatsache, dass der fundamentale
Widerspruch, der sich rational formuliert, seinen Kontext erst herstellen
muss, während alle bürgerliche Politik den Kontext der Repräsentation und
der Moderation selbstverständlich zum Ausgangspunkt nimmt.
Die Kontinuität der Macht, der fortdauernde Strom angewandter Normen
ist der Faktor, der noch die vernünftigsten linken Analysen als irrational
erscheinen lässt. Diese dem Normalitätsdruck geschuldete "Irrationalität"
ist selbst eine gesellschaftliche Bedingung, die nun keinesfalls mit dem
treuherzigen Reklamieren rationaler Diskurse zur Vernunft gebracht werden
kann. Daher ist die Beschränkung auf Politik eine Falle. Ähnlich dumm, nur
mit anderen Konsequenzen wie die Verabschiedung von Politik. Das eifrig
politische Rationalität als Vehikel gegen die gesellschaftliche Normalität
mobilisierende Subjekt liefert sich so jenem Anpassungsdruck aus, der die
Unnormalen und Spinner aussortiert, um ihnen - sind sie erst ausgesondert
- noch die Rationalität abzusprechen.
Die Vorstellung, dass die Kapitalanalyse in richtiges politisches
Handeln verlängerbar ist, die eine Wirkung gegen die analysierten Zustände
entfaltet, zwingt dem Protagonisten permanent die Schalheit politischer
Methodik als eine Norm auf, die zu verweigern ihn zu einem Künstler,
Entertainer oder Verrückten werden lässt, und die zu befolgen ihn zum
knöchernen Funktionär macht, dessen Radikalität langsam zerbröselt. Die
Vorstellung von der Existenz einer der rationalen Analyse angemessenen
Politik spannt den Rahmen, in dem das Subjekt sein Handeln nach Kriterien
der Zweckrationalität überprüft. Es geht ihm nicht mehr darum, in der
Absurdität der alltäglichen Widersprüche möglichst das vorläufige Richtig
vom angenommenen Falschen zu unterscheiden, sondern die als existent
vorausgesetzte richtige Haltung zu finden. Nicht mehr, in konkreten
Konfrontation mit der/m ChefIn, der Behörde oder dem Rassisten angemessen
zu reagieren, ist das Maß, sondern, sein Leben dem richtigen Kampf zu
widmen. Die analysierten Zustände werden durch die Behauptung einer
vollkommen rationalen Umkehrbarkeit zum moralischen Imperativ. (Nicht nur:
Die Verhältnisse gehören umgewälzt! vielmehr: Sei RevolutionärIn dieser
Verhältnisse!) Der Terror, den diese Behauptung im weiteren entfesselt,
prägt endgültig die sozialen Verhältnisse der linken Dissidenten: die
Übernahme des bürgerlichen Politikverständnisses vervollständigt sich zur
Konkurrenz der Linksradikalen.
Da die linke Theorie aber in toto und spürbar schon länger keine
kausalen Gesetzlichkeiten zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse
nennen kann, liegt dieser Übernahme wohl weniger ein Irrtum, denn eine
Identifikation mit der Macht, die die bürgerliche Politik verheißt,
zugrunde - und somit verdankt sich auch die Leidenschaft der linken
PolitheroInnen nicht allein ihrer inneren Größe. Es sind auch genau diese,
die häufig bereit sind, einem plötzlich möglichen Erfolg im bürgerlichen
Betrieb ihre linke Biographie zum Fraß vorzuwerfen.
Frustrierend, aber nur wenig verwunderlich ist im Anschluss daran die
Kehrtwendung derer, die trotz aller Anpassung, in der Politik nichts
geworden sind: Erst der politischen Analyse die ganz starke rationale
Konsequenz aufsetzen, dann zwangsnormalisiert werden und nun - weil das
alles auf Dauer weder reich noch berühmt macht - den Rationalismus und die
Politik verdammen - das kommt auf einen Selbstmord aus Angst vor dem Tod
raus. Die soviel moralische Wirrnisse schaffende politische Analyse,
allenfalls noch zur häuslichen Erbauung zu nutzen, weil - was soll man
machen - die politische Ohnmacht umfassend ist, ist der Versuch, die
Rationalität verweigernde Gesellschaft mit Beleidigtsein zu strafen. Diese
ist davon in der Regel wenig beeindruckt. Auch das Schadloshalten an der
Theorie will nicht recht gelingen, denn die - nun nicht mehr an der
unmittelbarsten, nämlich der eigenen sozialen Praxis gespiegelt - dickt so
langsam zur Pauschalität ein. Vielfach empirisch nachweisbare Besserwisser
sind die Folge.
Konfrontation ohne Sieg